THW-Logo
23.01.2007 WM 2007

Kieler Nachrichten: Serbischer Torwart-Koloss lässt die Ungarn träumen

Gruppensieg dank Nenad Puljezevic - Liebeserklärung an THW-"Physio" Uwe Brandenburg

Aus den Kieler Nachrichten vom 23.01.2007:

Kiel - Bei der EM 2006 belegten die Ungarn in ihrer Vorrundengruppe den letzten Platz. Entsprechend niedrig waren ihre Erwartungen vor dieser WM. Dänemark und Norwegen als Gegner, die Ostseehalle fest in skandinavischer Hand - die Ungarn hatten sich nicht viel ausgerechnet. Doch es kam alles ganz anders. Auch, weil mit Nenad Puljezevic ein unglaublicher Typ im Tor stand. Einer, der vor acht Tagen noch gar keinen ungarischen Pass besaß.
Der 33-Jährige hatte großen Anteil daran, dass sich die Ungarn nach zwei Siegen gegen Dänemark (30:29) und Norwegen (25:22) schon vor dem gestrigen 34:31-Sieg gegen Angola für die Hauptrunde qualifizierten.

Gegen die Dänen schloss er bei einem Rückstand von 24:28 (54.) das Tor ab, parierte zweimal gegen den zuvor überragenden Lars Christiansen, hielt einen Siebenmeter von Joachim Boldsen und spielte durch drei Dänen hindurch diesen unglaublichen Pass, den Tamas Ivancsik aus dem Hallenboden kratzte und zum 27:28 verwandelte - der Anfang vom Ende für die Dänen, die ihm am Tag danach im Mannschaftshotel nur die kalte Schulter zeigten: "Außer Kasper Hvidt hat vor dem Frühstück keiner gegrüßt. Das war nicht ok."

Mit 21 Paraden kaufte Puljezevic am Sonntag auch den Norwegern den Schneid ab: "Mit diesen Erfolgen haben wir nicht gerechnet. Aber jetzt können wir bis ins Halbfinale kommen."

Der ungarische Handballverband hatte vor der WM verzweifelt nach einem zweiten Klasse-Torhüter hinter Nandor Fazekas (VfL Gummersbach) gefahndet. Peter Tatai (23/Veszprem) erschien ihnen zu jung, also fragen sie den Serben Arpad Sterpik, der ungarische Vorfahren besitzt. Sterpik winkte ab, er wollte weiter für Serbien spielen. "Im Sommer haben sie mich gefragt", erinnert sich Puljezevic, der seit fünf Jahren im Tor des ungarischen Spitzenklubs Pick Szeged steht und dort Kult-Status hat. "Ich habe sofort Ja gesagt." Auch weil ihm die Mentalität seiner neuen Landsleute und das Klima innerhalb der jungen Mannschaft gefällt. "Bei uns ist es nicht wichtig, dass um Punkt zwei alle am Mittagstisch sitzen." Mit Serbien gewann der gebürtige Belgrader bei der WM 2001 zwar Bronze. Doch mehr als 15 Länderspiele durfte Puljezevic nicht absolvieren, andere standen im Rampenlicht. "Für mich war es die große Chance, bei diesem Turnier dabei sein zu dürfen", meint der füllige 115-Kilo-Mann. "Aber für Ungarn zu spielen, ist auch eine Angelegenheit des Herzens."

Als der serbische Verband ihn umstimmen wollte, lehnte er ab. "Ich hatte mein Wort gegeben und das zählt." Der Vater von zwei Kindern verlor auch nicht die Nerven, als seine Einbürgerung sich über sechs Monate hinzog. Erst am vergangenen Montag, zwei Tage vor dem Abflug nach Hamburg, hatte er seinen Pass in der Hand.

Am Donnerstag absolvierte er gegen das Regionalliga-Team der SG Flensburg-Handewitt sein zweites Länderspiel. Allerdings nur eine Halbzeit lang. Die zweite verbrachte er in der benachbarten Gymnastikhalle und ließ sich von Uwe Brandenburg die Schmerzen aus seinem Rücken massieren, die ihn seit Wochen plagen. "Er hatte Schwierigkeiten, sich zu bücken", erinnert sich der Physiotherapeut des Bundesligisten THW Kiel, der Amtshilfe bei den Ungarn leistet. "Bälle, die links unten auf das Tor zuflogen, konnte er nicht parieren." Brandenburg arbeitete intensiv mit dem "pflegeleichten" Hünen, dem er charmant "Reserven im athletischen Bereich" bescheinigt.

Der Dank: Puljezevic stürmte nach dem Norwegen-Sieg direkt in die Arme von Brandenburg. "Ich liebe ihn", sagt er trocken und gibt für diesen Satz seine gesamten Deutschkenntnisse aus. Im Team von Viktor Skaliczky ist er der älteste Spieler. Einer, der mit seiner Bärenruhe die Nerven der Jüngeren beruhigen soll. "Ich bin auch nervös", sagt Puljezevic, der auf seinem Trikot ein "s" an das "vic" angehängt hat, um seinen Namen der ungarischen Aussprache anzupassen. "Aber es wäre nicht gut, wenn die Gegner das merken würden. Also lasse ich es mir nichts anmerken." Die Dänen und Norweger haben bereits vergeblich nach einem Riss in dieser coolen Fassade gesucht.

(Von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 23.01.2007)


(23.01.2007) Ihre Meinung im Fan-Forum? Zur Newsübersicht Zur Hauptseite