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14.01.2008 EM 2008

Kieler Nachrichten: Hart gegen andere und hart gegen sich selbst

Abwehr-Ass Oliver Roggisch ist Wellenbrecher und der Mann für die "Drecksarbeit"

Aus den Kieler Nachrichten vom 14.01.2008:

Damp - Geschichten über ihn tragen stets die gleiche Überschrift: "Der Mann für die Drecksarbeit". Eine Schlagzeile, die Oliver Roggisch nicht stört. "Ich brauche keine Schulterklopfer. Die Anerkennung hole ich mir intern ab. Das reicht", sagt der 2,02-Meter-Hüne, der im Mittelblock der deutschen Handball-Nationalmannschaft den Wellenbrecher spielt.
Der Durchbruch gelang ihm bei der EM 2006 in der Schweiz, als die Schützlinge von Bundestrainer Heiner Brand im Gruppenspiel gegen Spanien mit 0:5 zurück lagen und gegen den 113 Kilogramm schweren Kreisläufer Urios hilflos wirkten. "Unser Konzept gegen ihn hieß 'Vorurios'", erinnert sich der damals eingewechselte Roggisch, dem es mit seinen schnellen Beinen gelang, so oft vor Urios zu sein, dass die Partie noch 31:31 endete. "Das war ein geiler Fight gegen ihn."

Seitdem gehört der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann zum Inventar des Weltmeisters, obwohl er nur in der Abwehr eingesetzt wird. "Im Angriff könnte ich auf hohem Niveau gar nicht mehr spielen", sagt der 29-Jährige. "Die Abläufe verlernt man schnell. Da habe ich meine Sicherheit verloren." Er verlor sie, als er beim Bundesligisten TuSEM Essen (2003 bis 2005) im langen Schatten des Weltklasse-Kreisläufers Dimitri Torgowanow stand. "Ich habe von ihm aber gelernt, ein guter Abwehrspieler zu werden", sagt der 77-fache Nationalspieler. "Einsatz und die richtige Ansprache an die Nebenleute vorausgesetzt, kann jeder Abwehr spielen." Im Trainingslager der Nationalmannschaft in Damp war Roggisch der einzige Feldspieler, der nicht die Seiten wechseln musste, wenn die Kollegen sich zwischen Angriffs- und Abwehrformationen abwechselten. "Ich trainiere zu 90 Prozent Abwehrarbeit."

Ginge es nach ihm, würde es Statistiken geben, wie sie bei den Basketballern längst üblich sind. "Steals" zum Beispiel. Bälle, die in der Abwehr erkämpft werden. Roggisch: "Jedes Gegenstoßtor ist ein Verdienst der Deckung." Die einzige Statistik für Abwehrspieler ist eine unrühmliche. Eine, in der Roggisch aber spitze ist: Viermal war er schon Strafbankkönig in der Bundesliga. "Ich habe versucht, weniger hart zu spielen. Aber das ist in die Hose gegangen", sagt der begeisterte Hobby-Taucher, der sich von den Schiedsrichtern lange missverstanden fühlte. "Immer wenn es ein Foul gab und ich in der Nähe stand, bekam ich auch die Strafe", sagt Roggisch, der den intensiven Nahkampf mit Weltklasse-Kreisläufern wie Bertrand Gille (HSV Hamburg), Marcus Ahlm (THW Kiel) oder eben Urios (Ciudad Real) liebt.

Hart gegen andere, hart gegen sich selbst. Der kleine Finger seiner rechten Hand ist so weich geklopft, dass er ihn vor jedem Spiel mit einem Tapeverband stützen muss. "Gelenk, Kapsel, Sehne - bei dem ist alles kaputt", meint der gebürtige Villinger, der beim Zweitligisten TuS Schutterwald seine Karriere im linken Rückraum begann. Beenden möchte er sie bei den Rhein-Neckar Löwen, die ihn zu Saisonbeginn mit einem Drei-Jahres-Vertrag aus Magdeburg nach Mannheim lockten. Der heimatverbundene Roggisch, der im Mai seine Astrid heiraten wird, lehnte ein Angebot aus Hamburg ab, um in der Nähe der Familie sein zu können.

Seine Zukunft sieht er mittelfristig jenseits der Sporthalle. "Ich träume von einem geregelten Leben. Kinder und freitags Feierabend." Aber vorher will er in Norwegen Europameister werden und eigentlich wollte er mit seinen "Löwen" auch noch den THW Kiel in der Bundesliga vom Thron stoßen. Nach der jüngsten Pleite gegen Balingen hat er den Wachwechsel allerdings verschoben. "Läuft es nicht, gehen bei einigen von uns zu schnell die Köpfe runter. Das muss sich ändern."

Deutschlands "Nummer vier" ist da aus einem anderen Holz geschnitzt. Das wurde auch bei der WM 2007 deutlich, als Brand die Seinen nach der Niederlage im Gruppenspiel gegen Polen aufforderte, sich ein Beispiel an Roggisch zu nehmen. "Bis auf Oliver waren alle zu brav."

Nicht untypisch für ihn, dass er den Abpfiff dieses Spiels nach der dritten Zeitstrafe auf der Tribüne erlebte. "Vorzeitig raus zu müssen, ist ärgerlich. Aber jede Mannschaft braucht einen, der härter hinlangt." In der Nationalmannschaft ist es Oliver Roggisch.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 14.01.2008)


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