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21.05.2008 Interview / Medien

"F.A.Z."-Interview mit Karabatic: "Wir spielen in einem kranken Rhythmus"

Aus der "F.A.Z." vom 04.05.2008, von Frank Heike:

Mit 19 Jahren gewann Nikola Karabatic im Mai 2003 zum ersten Mal die Champions League, damals mit dem französischen Klub Montpellier HB. Fünf Jahre später möchte der 24 Jahre alte Franzose den 2007 mit dem THW Kiel geholten Titel verteidigen. An diesem und dem nächsten Sonntag heißt der Gegner BM Ciudad Real. Karabatic ist der beste Einkauf der Kieler dieser Dekade; nach einem knappen Jahr der Eingewöhnung hat Trainer Zvonimir Serdarusic den besten Handballspieler der Welt aus ihm gemacht.
Am 11. April 1984 wurde Karabatic im damals jugoslawischen Nis geboren, heute Serbien. Sein Vater ist Kroate, die Mutter Serbin. 1988 ging der Vater als Handballprofi nach Montpellier. Die Familie kam mit. Nikola begann mit dem Handballspielen und bekam die französische Staatsbürgerschaft; 2002 wurde er Profi in Montpellier. Dort lebt seine Familie heute noch. Karabatic wechselte 2005 zum THW und wurde sofort deutscher Meister. Er hat einen Vertrag bis 2012. Mit der französischen Nationalmannschaft wurde er 2006 in der Schweiz Europameister. Bei der EM in Norwegen im Januar wählte man Nikola Karabatic zum wertvollsten Spieler des Turniers.
F.A.Z.:
An diesem Sonntag treffen Sie mit dem THW Kiel im Endspiel der Champions League auf Ciudad Real. Haben Sie mal im Internet geschaut, was der Gegner so macht?
Nikola Karabatic:
Nein. Ich habe Kontakt zu Didier Dinart, dem Abwehrspieler von Ciudad, der auch Franzose ist. Wir haben vier Jahre in Montpellier zusammen gespielt. Er war wie ein großer Bruder für mich. Ich weiß, dass Ciudad immer gewinnt. Aber an den wenigen Tagen ohne Spiel versuche ich zu entspannen und nicht an den Gegner zu denken.
F.A.Z.:
Was machen Sie?
Nikola Karabatic:
Ausschlafen. Zum Physio gehen. Es tut ja alles weh, so spät in der Saison. Ich werde massiert, mache Übungen. Dann gehe ich mit meinen Freunden vom THW etwas essen oder einfach irgendwohin, wo es schön ist, wo wir in der Sonne sitzen können. Zu Hause gehe ich ins Internet, spiele Videospiele.
F.A.Z.:
Oder mit Legosteinen.
Nikola Karabatic:
Mein Eiffelturm ist fertig. Für mich ist das mehr Kunstobjekt als Spielzeug. Das ist nun zu Ende. Jetzt versuche ich zu malen. Ich war in einer Galerie in Hamburg und habe Bilder von Romero Britto angeguckt, einem Pop-Art-Künstler, den ich kenne. Ich versuche, die Bilder nachzumalen. Das macht den Kopf leer. Lego war genauso: Es hat Spaß gemacht und mich an meine Kindheit erinnert. Man denkt mal nicht an Handball.
F.A.Z.:
Gelingt das? Für Sie folgt nach Champions League und Bundesliga schon Ende Mai die Qualifikation für die Olympischen Spiele.
Nikola Karabatic:
Es ist schwer. Wir haben eine harte Gruppe: Spanien, Norwegen, Tunesien. Nur zwei kommen nach Peking. Das wird ein hartes Stück Arbeit - nach der Saison.
F.A.Z.:
Wie motivieren Sie sich dafür?
Nikola Karabatic:
Zum Ende der Bundesliga geht alles runter: Druck, Motivation, Spaß. Du bist total fertig. 14 Tage später spielst du mit der Nationalmannschaft um dein Leben. Wir müssen nach Peking. Es wäre eine Katastrophe für uns und ganz Frankreich.
F.A.Z.:
Wie viel Zeit bleibt für die Ferien?
Nikola Karabatic:
Wenn wir uns qualifizieren, haben wir vom 3. bis 22. Juni Urlaub. 20 Tage. Das ist nicht viel. Aber so ist es im Handball. Natürlich stört mich das. Aber die Olympischen Spiele sind ein Riesenziel. Dieses Jahr nehme ich das auf mich. Aber es geht nicht jedes Jahr. Irgendwann wird es zu viel.
F.A.Z.:
Ist es doch schon.
Nikola Karabatic:
Ich mache mir Sorgen. Es reicht ja Bundesliga, Pokal und Champions League zu spielen. Aber dann noch acht Spiele in elf Tagen mit der Nationalmannschaft wie bei der EM. Das ist richtig schwer. Und gefährlich. Erst 2012 soll der Terminplan dünner werden. Wir spielen schon drei Jahre in einem kranken Rhythmus. Ich bin glücklich, dass ich keine Riesenverletzung habe. Da klopfe ich auf Holz. Ich will noch ganz lange Handball spielen. Jetzt gibt es auch noch die EM-Qualifikation. Im Juni! Wenn wir Urlaub haben! Wahnsinn. Irgendwann werde ich sagen: Ich gehe da nicht hin. Ich verzichte auf die Nationalmannschaft. Es ist nicht wert, sich dort zu verletzen und ein Jahr auszufallen.
F.A.Z.:
Es ist ihre Gesundheit, warum fordern die Spieler nicht mehr Mitspracherecht?
Nikola Karabatic:
Es fehlt uns an Zeit, etwas zu organisieren. Wir haben ja jetzt eine Gewerkschaft. Bei der WM in Kroatien 2009 wollen wir Spieler diskutieren. Darauf hoffe ich. Das ist leider momentan die einzige Hoffnung.
F.A.Z.:
Sie verdienen gutes Geld mit Handball. Müssen Sie die Strapazen einfach aushalten?
Nikola Karabatic:
Wir haben ein gutes Gehalt. Aber du kannst es nicht mit Tennis, Golf oder Fußball vergleichen. Jeder Handballer würde auf dem Spielfeld für sein Leben spielen für fast nichts. So sind wir. Jeder große Fußballverein müsste nur fünf Prozent seines Etats geben und wäre der beste Handballverein der Welt. Für 10000 Euro Prämie lohnt es nicht, sich zu verletzen. Ich will auch keine Medikamente nehmen, die Schmerzen verstecken. Lieber erdulde ich sie. Ich habe Angst, dass man sich schlimm verletzt, wenn man Schmerzen durch Medikamente versteckt.
F.A.Z.:
Für Sie käme Doping nicht in Frage?
Nikola Karabatic:
Doping liegt nicht in der Mentalität des Handballs. Doping ist Betrug. Damit macht man die ganze Sportart kaputt wie beim Radsport. Aber es kann sein, dass Doping ein größeres Thema im Handball wäre, wenn richtig viel Geld im Handball steckte.
F.A.Z.:
Was halten Sie von einem Olympiaboykott?
Nikola Karabatic:
Das Thema nervt mich. Die Politik nimmt den Sport als Geisel. Es ist nicht neu, dass China Tibet unterdrückt. Nie hat jemand was gesagt. Es ist jetzt auf einmal ein Modethema, plötzlich kann man sogar in Kiel Tibet-Fahnen kaufen. Ich finde es scheinheilig. Jetzt kommt Olympia, es gibt große Aufmerksamkeit, und wir sollen Olympia boykottieren. Durch den Fokus der Öffentlichkeit sieht man, dass in China Menschenrechte nicht respektiert werden. Da hat der Sport seine Arbeit gemacht, und die Politiker müssen übernehmen, Lösungen finden. Und den Sport in Ruhe lassen. Natürlich sind Olympische Spiele ein gigantisches Geschäft. Aber ich finde, wir sind immer noch Vorbilder. Viele kleine Jungen schauen uns zu. So ist es. Das IOC hätte China die Spiele nicht geben müssen - auch damals wurden Menschenrechte verletzt. Jetzt sind die Spiele da, und die Sportler sollen es ausbaden.
F.A.Z.:
Freuen Sie sich trotzdem drauf?
Nikola Karabatic:
Noch sind wir nicht qualifiziert. Aber ich war in Athen, und dort war es unfassbar schön. Deswegen bin ich sauer über die Boykottforderungen. Ich warte vier Jahre darauf, nach Peking zu gehen. Es gibt nichts Schöneres als die Olympischen Spiele. Das ist die eigentliche Bedeutung von Sport. Aber ich muss sagen, dass ich Angst habe, dass dort etwas passiert. Ich bin mir sicher, dass es irgendwelche Zwischenfälle geben wird.
F.A.Z.:
Zurück nach Deutschland. Seit zehn Jahren kämpft der THW vor allem gegen eine Mannschaft um die Meisterschaft.
Nikola Karabatic:
Ah, Flensburg! In Flensburg hasst man Kiel. Deshalb will ich auf keinen Fall, dass Flensburg Meister wird. Jeder andere Verein lieber als Flensburg. Ich bin Kieler! Auf dem Spielfeld ist es Kampf. Danach ist es gut. Bei Kiel und Flensburg sind es mehr die Fans und das Umfeld, die für die Rivalität sorgen. Flensburg hat eine richtig gute Mannschaft. Ich habe richtig viel Respekt vor ihnen. Die Stimmung ist immer super dort. Die Fans sind aber etwas bescheuert.
F.A.Z.:
Aber hinterher geben Sie selbst den Flensburgern die Hand, oder?
Nikola Karabatic:
Na klar. Wir Handballer sind keine blöden Leute. Niemand verletzt einen anderen mit Absicht. Wir sind doch erwachsene Menschen! Natürlich tut jeder Kontakt weh, wenn ein Hundert-Kilo-Mann an dir hängt. Aber ich habe Bilder von früher gesehen: Da war der Handball fieser. Heute schützen einen die Schiedsrichter ganz gut. Es geht aber nicht so weit, dass wir nach dem Spiel ein Bier trinken mit den Flensburgern. Das mache ich mit meinen Freunden.
F.A.Z.:
Was fehlt in Kiel?
Nikola Karabatic:
Gute Parties. Ich fühle mich hier wohl, weil es den THW gibt. Kiel nutzt seine Möglichkeiten nicht. Das ist sehr schade, denn die Stadt liegt ja am Meer, ist grün. Es gibt nur ein, zwei richtig schöne Restaurants, Bars, Lokale. Nicht einmal eine Disko am Strand. Ich hätte gern, dass mehr los wäre. Hamburg ist geil, Berlin hat mir gefallen. Klar, man kann nicht alles haben - es ist ruhig in Kiel, es gibt keine Kriminalität. Aber wir sind jung, wir brauchen etwas mehr.
F.A.Z.:
Zieht es Sie auch nach Spanien?
Nikola Karabatic:
Ich hatte schon ein Angebot von Ciudad Real. Ich will nicht sagen, dass ich nie bei Ciudad Real spiele. Aber ich habe bei Kiel verlängert. Ciudad ist wie der HSV: Sie haben einen starken Mann, der viel reinsteckt, der fast alles kaufen kann. Ich finde das nicht schlecht für den Handball. Diese Männer bewegen etwas und können Handball noch bekannter machen. Ich aber fühle mich sehr wohl in Kiel. Der THW hat Geschichte, Tradition, Identität. Diese Popularität hat Ciudad Real nicht. Kiel ist ein richtiger Verein.
F.A.Z.:
Mit einem richtig guten Trainer, der Sie 2005 nach Kiel geholt hat. Was halten Sie von Zvonimir Serdarusic?
Nikola Karabatic:
Noka ist eine große Persönlichkeit. Er hat sehr viel Charisma. Aber es ist schwer, mit ihm jeden Tag zu leben und zu trainieren. Er ist sehr streng und hart. Aber wir sind seine Jungs. Er würde alles für uns tun. Ich fühle mich wohl bei ihm, auch wenn er mich kritisiert. Man muss nur das machen, was er sagt, und man wird besser. Für mich ist er nicht nur der beste Handballtrainer, sondern auch der beste Handballkenner. Ich würde gern unter ihm bis ans Ende meiner Tage trainieren.
F.A.Z.:
Fühlen Sie sich als Kieler?
Nikola Karabatic:
Ich bin ein Europäer. Ich bin in Serbien geboren. Mama ist Serbin. Papa ist Kroate. Schon das ist ungewöhnlich. Ich bin in Frankreich aufgewachsen. Jetzt lebe ich in Deutschland und spiele für Kiel. Mich interessieren Nationalitäten nicht. Nationalismen sind das größte Problem auf der Welt. Deswegen haben schon viele Kriege stattgefunden. Ich hatte Glück, dass ich in Serbien geboren bin und meine Eltern nach Frankreich gegangen sind. Wäre ich in Kroatien gewesen, wäre dort im Krieg vielleicht etwas Schlimmes passiert. Ich hatte einfach Glück. Bei mir zu Hause gibt es keine serbische, kroatische, deutsche oder französische Fahne. Ich bin ein Weltbürger.
F.A.Z.:
Sind Sie glücklich?
Nikola Karabatic:
Ich bin richtig zufrieden. Aber auch traurig, wenn ich sehe, was auf der Welt passiert. Manchmal mache ich mir richtig Sorgen. Wenn ich den Terrorismus sehe, all diese Probleme wegen der Religion.
(Interview: Frank Heike, aus der "F.A.Z.", 04.05.2008)


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