Von Frank Schneller:
Szenekennern und Handball-Fachleuten nach gehört ihm die
Zukunft auf der Linksaußenposition in Deutschland. Doch
der junge Athlet, dem solche glänzende Aussichten attestiert
werden, blickt bereits auf eine mindestens genauso
erbauliche Vergangenheit zurück. Faktisch betrachtet,
hat der 24jährige seit seinem Wechsel vom TV Großwallstadt
zum Rekordmeister THW Kiel schon so viel erreicht, dass
er laut THW-Manager
Uwe Schwenker
"eigentlich aufhören müsste":
Champions League-Sieger 2007,
Finalist 2008, zwei Deutsche Meisterschaften, zwei
Pokalsiege, eine Vereins-Europameisterschaft, einmal
Supercup-Gewinner und mit der Nationalmannschaft
Weltmeister 2007. Gut, dass es
Dominik Klein versteht, zu feiern.
Und das ist auch gut so. Denn der sympathische und
charismatische Sportler hat in seinem jungen Leben bereits
viel Leistungs- und Verantwortungsbewusstsein bewiesen. Er
sagt: "Ich hatte unglaubliches Glück in meinem Leben". Und
er kann dies besonders anschaulich erklären.
Bei einem ausführlichen Interview in seiner neuen Heimat
Kiel - wenige Wochen vor dem Beginn der
Olympia-Vorbereitung mit der
Nationalmannschaft - beeindruckte Dominik Klein
mit großer Themenvielfalt. Besonders am Herzen liegt dem
bodenständigen wie heimatverbundenen Klein
die Nachwuchsförderung, der Umgang mit Kids also, und der
Einsatz für den guten Zweck.
- Frank Schneller:
-
Herr Klein, Sie sind ein Beispiel
für die systematische Entwicklung vom Handball-Mini zum
Nationalspieler. Ihre Trainer, sagen Sie stets, seien dabei
maßgebend gewesen. Zudem kommen Sie aus einer Handballerfamilie.
Das Elternhaus hat Sie offenbar entscheidend geprägt bei Ihrer
Karriere. Erzählen Sie doch mal...
- Dominik Klein:
-
Das stimmt. Ich kam schon sehr früh in Kontakt mit dem Sport,
insbesondere dem Handball. Das lag natürlich an meinem Zuhause.
Ich hatte als Kind immer einen Ball im Rucksack, meine Mutter
trainierte die Bambinis meines Heimatvereins, TuSPO Obernburg.
Mein Bruder Marcel ist sechs Jahre älter und war mein handballerisches
Leitbild. Ich habe ihn bewundert - ob nun als Spieler der ersten
Mannschaft oder als Jugend-Nationalspieler. Ich war sehr stolz
auf ihn. Ihm eiferte ich nach. In der E- und D-Jugend trainierte
mich mein Vater. Seine kritische Haltung mir gegenüber hat mich
geprägt.
- Frank Schneller:
-
Ihre Familie hat wesentlich an Ihrer sportlichen Ausbildung mitgewirkt?
- Dominik Klein:
-
Ja, denn nach Mutter und Vater wurde in der C-Jugend mein Bruder
mein Trainer - eine harte Zeit übrigens (grinst).
Mein Bruder war Jugend-Nationalspieler. Das machte
mich unendlich stolz. Ich war total fasziniert davon. Doch es
geht mir bei dieser Aufzählung nicht nur um die sportliche
Ausbildung, sondern um die Vermittlung von Werten. Das ist enorm
wichtig und sollte in punkto Nachwuchsförderung ganz weit oben
stehen. Mein Vater war beispielsweise Derjenige, der bei mir stets
für die nötige Bodenhaftung gesorgt hat, er hat mich geerdet - das
war sehr prägend. Die Wahrnehmung und Sensibilität für soziale
Prozesse und Themen stammt ebenfalls von der Erziehung, insbesondere
von meiner Mutter.
- Frank Schneller:
-
Ihre Kindheit hatte eine große Überschrift: Sport...
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Dominik Klein mit seinem Vater bei der WM 2007.
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- Dominik Klein:
-
Oh, ja! Wir hatten ein Handballtor im Garten. Die Eltern meines
Spielkameraden und Nachbarn haben sich mit meinen zusammen getan
und ein Paar echte Handballtore gekauft und in Hof und Garten
aufgestellt. Ich habe alles ausprobiert - Fußball, Tischtennis,
Leichtathletik usw. Aber Fußball schied früh aus - mein Vater hat
immer gesagt: "Junge, lass es - Du kannst nicht grätschen!"
- Frank Schneller:
-
Und Sie hörten auf ihn...
- Dominik Klein:
-
Ich habe natürlich nicht gleich aufgegeben. Mein Ehrgeiz war schon
damals ausgeprägt. Eine Rutsche war Vorlagenrampe für mich, Schüsse
mit links zu trainieren. Danach musste ich den Bällen immer hinterher
sprinten, damit nicht zu viel Zeit vergeht, denn wenn ich die Bälle
zu weit weg geschossen hatte und zu lange brauchte, um sie wieder
zu holen, verlor mein älterer Bruder, der immer im Tor stand und sich
erbarmte, mit mir zu spielen, oft die Lust auf mich zu warten und
haute ab. Das musste ich verhindern - also ging es im Spurt zu!
Vielleicht bin ich deshalb heutzutage so verhältnismäßig schnell.
- Frank Schneller:
-
Ihre Lernbegierigkeit ist offenbar sehr groß. Sie sind aus Sicht
der Trainer so eine Art Musterschüler, weil Sie sich an ihnen stark
orientieren...
- Dominik Klein:
-
Das mit dem Musterschüler - ich weiß nicht, aber richtig ist, dass
ich eine Trainerperspektive entwickeln kann. In Obernburg, übrigens
Zweitligist im Süden, wurde dann Dr. Fabian mein Trainer. Seine
Ansprachen habe ich verinnerlicht, ich hing ihm an den Lippen, wie
heute Noka Serdarusic. Er hat mich
total fasziniert. Ich habe in sechs Jahren unter ihm keine Übung
zweimal gemacht. Er hat Fußball-, Volleyball- und Basketball-Elemente
ins Training eingebaut - ihm war die Komplexität wichtig.
- Frank Schneller:
-
Das Grüne Band stellt die Nachwuchsarbeit in den Mittelpunkt.
Beziehen Sie doch dieses Thema mal auf sich selbst.
- Dominik Klein:
-
Es ist total wichtig, in der Jugend das Vertrauen zu bekommen -
auch im Spiel. Das war für mich sehr wichtig. Ich hatte erstens
das Glück, mich unter Wettkampfbedingungen entwickeln zu dürfen.
Zweitens war es ein noch größeres Glück, dass es in meiner Region
so viele Handballhochburgen und Optionen gab und gibt, und
entsprechend viel Begeisterung: Obernburg, Wallau,
Großwallstadt, Kirchzell... Ich muss sehr dankbar sein, dass ich per
Doppelspielrecht die Chance bekam, beim TVG, und vor allem in
Wallau die ersten Bundesliga-Erfahrungen sammeln konnte.
- Frank Schneller:
-
Welche Kriterien sind bei der Talentförderung neben den
richtigen Konzepten noch wichtig?
- Dominik Klein:
-
An den Stellen, an denen sich die Wege abzeichnen für Talente -
geht es in Richtung Leistungssport oder eher in Richtung
Breiten-/Freizeitsport -, müssen gute Ausbilder und Vorbilder
arbeiten. Dass der Nachwuchs in diesem entscheidenden Zeitraum
in die richtigen Hände gerät, ist sehr wichtig. Diese Trainer
müssen Idealisten, aber auch fachlich gut sein. Eine Mischung
ist elementar. Nur Herzblut ohne fundiertes Wissen - das reicht
nicht. Aber nur Theoretiker ohne Feeling und Idealismus für
die Sache und die Kids - das bringt auch nichts.
- Frank Schneller:
-
Welche Strukturen haben Sie als Nachwuchssportler kennengelernt?
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"Das Feedback ist entscheidend, wenn man mit Kindern
und dann Jugendlichen arbeitet - das ist der Kick!"
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- Dominik Klein:
-
In Obernburg gab es schon zu meiner Jugendzeit die sogenannte
Handballschule. Das Konzept: Einmal pro Woche für alle Busservice
nach der Schule, Mittagessen, Training. Das war schon gut!
Obernburg war und ist bis heute sehr familiär. Der ganze Ort, das
ganze Umfeld identifiziert sich total mit Handball und dem Klub.
Ich habe das verinnerlicht, das ist mir in Fleisch und Blut
übergegangen, bis heute habe ich engen Bezug zu Obernburg. Das
ist sicher auch eine Typfrage.
- Frank Schneller:
-
Mit Kiel nicht zu vergleichen, wo ja nur Stars zu finden sind
und Jugendliche den Durchbruch in die erste Mannschaft in der
Regel nicht schaffen...
- Dominik Klein:
-
Das muss man aber auch differenzieren. Ich bin jetzt seit zwei
Jahren in Kiel, kenne zum Beispiel auch die Jugendmannschaften
ein wenig. Als THW-Spieler weiß man zwar um das Potential des
vereinseigenen Nachwuchses, aber der Erfolgsdruck in Kiel ist
zu groß für die Talente der 2. Reihe. Ich hatte Glück, dass
Wallau und der TVG mein Sprungbrett waren und ich dort solche
Rahmenbedingungen vorfand. Da ging es nicht jedes Jahr um die
Champions League und die Erwartungshaltung war folglich eine
andere...
- Frank Schneller:
-
Sie sagten eben sinngemäß, dass das Wissen authentisch an die
Jugendlichen weitervermittelt werden muss. Und sie sind ein für
die Kids sehr greifbarer Star. Waren Sie selbst schon mal
Trainer im Nachwuchsbereich?
- Dominik Klein:
-
Ja. Ich habe, selbst gerade bei der ersten Mannschaft
reinschnuppernd, damals in Obernburg zwei Jahre lang den
Nachwuchs trainiert - die Jahrgänge 89 und 90 - darunter
waren übrigens vier Jungs, die heute für TUSPO in der 2.
Liga spielen. Es war eine tolle Aufgabe, die mir selbst
viel gegeben hat. Das Feedback ist entscheidend, wenn man
mit Kindern und dann Jugendlichen arbeitet - das ist der
Kick! Die Begeisterung für Kinder und den Umgang mit ihnen
rührt aus eben dieser Trainerzeit, die ich als 18/19-Jähriger
verrichtet habe - da bekommt man den Draht zu den Kids.
- Frank Schneller:
-
Haben Sie ein Motto für junge Sportler, die es
nach oben schaffen wollen?
- Dominik Klein:
-
Ja, habe ich: "Mach 10% mehr als die Anderen" - ein Spruch
meines Vaters, sinnbildlich für das Quentchen mehr Ehrgeiz
und Fleiß. Spaß und Leidenschaft muss von vornherein da
sein. Du musst wollen!!!
- Frank Schneller:
-
Sie wollten schon als Kind. Aber in Ihrem Leben
zählte zunehmend nicht mehr nur der Sport...
- Dominik Klein:
-
Als ich vor der Entscheidung stand, zur Sportförder-Kompanie
der Bundeswehr zu gehen oder ein soziales Jahr zu machen,
entschied ich mich für das Rote Kreuz, den Zivildienst und die
dadurch bleibende Vereinsnähe. Im Zivildienst fuhr ich behinderte
Kinder. In diesen neun Monaten hat mir die Sozialarbeit sehr viel
Spaß gemacht, ich habe mich mit dieser Aufgabe identifiziert.
Mich im sozialen Bereich zu engagieren, gehört seitdem zu mir.
- Frank Schneller:
-
Sie sind Botschafter der Mukoviszidose-Stiftung. Und Pate
eines jungen Patienten namens Fynn-Lasse. Wie wurden Sie
das? Erzählen Sie bitte davon.
- Dominik Klein:
-
Berührung mit dieser Krankheit hatte ich, weil die Tochter
eines guten Bekannten aus dem Kieler Umfeld daran leidet. Ich
habe nachgehakt und mich in dieses Thema etwas rein gefuchst.
Dann fuhren wir nach Bonn, wo die Mukoviszidose-Stiftung
beheimatet ist und habe die Leute dort gefragt: "Hey, was
können wir zusammen machen?" Daraus entstand die Idee der
Botschafterrolle und der Patenschaft von Fynn-Lasse. Diese
Idee hatte mich von Anfang an fasziniert. Er ist ein kleiner
Junge aus Kiel, fünf Jahre alt, den ich in der Kieler Klinik
kennenlernte. Ich besuche ihn mittlerweile alle 4 Wochen zu
Hause. Wir sind längst Freunde.
- Frank Schneller:
-
Können Sie über Ihren jungen Freund sprechen?
- Dominik Klein:
-
Fynn-Lasse wird durch eine Magensonde ernährt, nachts ist er
an einer Lungenmaschine angeschlossen (Hinweis d. Red.:
In der Regel zeigen sich die Symptome bei den Atemwegen und
der Lunge. Aber auch die Verdauungsorgane, wie die
Bauchspeicheldrüse, sind häufig betroffen. Die häufigsten
Symptome sind chronischer Husten, schwere Lungenentzündungen,
Verdauungsstörungen und Untergewicht). Er ist auch
autistisch veranlagt.
- Frank Schneller:
-
Ein besonderes Kind in jeder Hinsicht...
- Dominik Klein:
-
Allerdings. Er sammelt Kronkorken - ich jetzt, für ihn, auch.
Die ganze Mannschaft des THW hilft mir dabei. Als ich ihn
kennenlernte, fragte er mich folgendes: 1. Wie alt bist Du?
2. Wo wohnst Du? 3. Wie viele Stufen sind es zu Deiner
Wohnung? Er ist ein Zahlengenie. Als ich ihm ein THW-Poster
zeigte, hat er gleich die Trikotnummern in Zahlenreihen
verwandelt. Und die Kronkorken sortiert er nach mathematischen
Schemata zu Hause von links nach rechts und wieder zurück,
breitet sie alle zu Hause aus - über den Wohnzimmerteppich bis
ins Nachbarzimmer hinein. Er macht sich einen Spaß daraus,
mich auszukontern und mit seinen Zahlenkombinationen zu
verwirren. Am Ende, wenn er alles aufräumen muss, holt er einen
Hufeisenmagnet heraus und zieht alle Flaschendeckel an.
- Frank Schneller:
-
Autismus kennen viele von uns nur aus dem Film "Rain Man"
mit Dustin Hoffman...
- Dominik Klein:
-
Stimmt. Es ist eine sehr beeindruckende Erfahrung. Als wir
mal ein bisschen spazieren gingen, wollte er wissen, wie viele
Schritte wir gemacht haben - und wusste sofort die Antwort.
Als ich beim nächsten Mal mitzählte, um antworten zu können,
fragte er mich: Und wie viele Pflastersteine haben wir betreten?
- Frank Schneller:
-
War er schon mal bei einem Spiel des THW?
- Dominik Klein:
-
Ich würde ihn gerne mit in die Sparkassen-Arena mitnehmen,
aber das könnte doch sehr anstrengend für ihn sein, fürchtet
seine Mutter. Er würde die Leute zählen. In der leeren Arena
würde er mit den Sitzen Zahlenspiele machen. Aber seine Mutter
und ich haben geplant, ihn mal mit in die Mannschaftskabine
zu nehmen.
- Frank Schneller:
-
Sie sind zudem Botschafter der Joachim-Deckarm-Stiftung...
- Dominik Klein:
-
Ich merkte, wie groß die Zugkraft ist, wenn ich als Sport-Promi
um Zuwendungen bitte und für eine Stiftung als Botschafter
kämpfe. Wenn ich meinen Namen für gute Zwecke gebe, kommen so
viele Hilfsangebote - das ist sensationell. Mein Name und mein
Gesicht als Impuls für Spenden usw. - wenn das so gut klappt,
da geht mir das Herz auf. Und so war der Schritt zu Jo Deckarm
nicht weit. Heiner hatte mich vorgeschlagen, und angefragt
hatte mich Klaus Zöll, ob ich mitmachen wolle, die jüngste von
drei Generationen Handballer als Pate für Jo zu vertreten. Ich
musste keine Sekunde überlegen - welch Ehre! Und zudem wusste
ich ja durch mein Muskoviszidose-Engagement, was alles möglich
ist in so einer Rolle.
- Frank Schneller:
-
Kannten Sie Joachim vorher schon?
- Dominik Klein:
-
Joachim als Idol des Sports und als Held des Lebens war mir
natürlich ein Begriff. Ich holte mir als Pimpf mal ein Autogramm
während eines Länderspiels, nachdem mir mein Vater erzählt hatte,
welches Schicksal und welche Geschichte mit Jo verbunden ist. Das
war während eines 4-Länder-Turniers in Saarbrücken. Jahre später,
bei der Präsentation der Paten und der Stiftung Jo Deckarms,
wieder in Saarbrücken, habe ich meine Mutter gebeten, mal nach
diesem Original-Autogramm zu suchen. Und tatsächlich: Sie fand
die Autogrammkarte wirklich und gab sie mir mit für diesen Tag!
Wenn ich das erzähle, bekomme ich eine Gänsehaut!
(Anm d. Red.: Er bekam in der Tat eine Gänsehaut!)
(Das Gespräch führte Frank Schneller)