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23.02.2009 Mannschaft / Medien

"Handball-Magazin": Björk? Nein, danke!

Islands Musiksternchen? Trainerstar Noka Serdarusic? Der THW Kiel? Und der eigene Stil? Alfred Gislason räumt auf mit Klischees

Aus dem "Handball-Magazin" 02/2009:

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Für diesen Mann griff der THW Kiel richtig tief in die Schatulle. Um einen Nachfolger für Zvonimir Serdarusic zu bekommen, kaufte Manager Uwe Schwenker den Isländer Alfred Gislason vom VfL Gummersbach frei - für geschätzte 700000 Euro Ablöse. Was der 49-Jährige wert ist? Rekordmeister Kiel spielt noch dominanter als bisher, und Gislason redet entspannt über sein Leben im Norden, den langen Schatten seines Vorgängers und wirklich gute Musik.
Handball-Magazin:
Herr Gislason, wie schnell haben Sie sich denn als Nordmann an der Küste eingelebt? Müsste Ihnen doch leichter gefallen sein als seinerzeit in Essen, Magdeburg oder Gummersbach...
Alfred Gislason:
Meine neue Aufgabe beim THW und mein neues Umfeld gefallen mir ausgezeichnet. Aber Ihre Frage zielte auf etwas anderes ab, ich weiß: Ich muss gestehen, dass ich aufgrund unseres engen Terminkalenders von Kiel bislang noch gar nicht viel mitbekommen habe. Es war seinerzeit auch nicht schwierig, in Essen, Magdeburg oder beim VfL Gummersbach Fuß zu fassen. In der Nähe von Magdeburg haben wir ja ein Haus - und das wird später auch mal Lebensmittelpunkt für meine Frau und mich sein. Dort fühlen wir uns heimisch. Von dort aus will ich nach meinem 60. Geburtstag den Wechsel vom Vereins- zum Nationaltrainer vollziehen.
Handball-Magazin:
Scheiden Ihre Heimat und Kiel als Alterssitz aus?
Alfred Gislason:
Wir wollen auf alle Fälle in Deutschland und im Raum Magdeburg bleiben und nicht nach Island zurückkehren. Die Entscheidung fiel schon vor geraumer Zeit. Das hat mit Kiel nichts zu tun und ist auch kein Urteil über die Stadt. Wie sollte ich das auch jetzt schon fällen? Wir sind mit dem THW ja andauernd unterwegs. Und wenn ich mal zu Hause bei meiner Familie bin, muss die mich auch noch mit Spielanalysen teilen. Wenn ich da noch den Rest meiner Freizeit durch Kiel spazierte - meine Familie zöge wohl nach kürzester Zeit aus.
Handball-Magazin:
Haben Sie inzwischen eigentlich mit allen Spielern, die Sie in Gummersbach zurückließen, gesprochen?
Alfred Gislason:
Ja, das lag mir auch lange Zeit schwer im Magen. Gerade für die Neuen, die ich zum VfL geholt habe, Adrian Pfahl und Viktor Szilagyi, tat es mir leid. Aber alle haben mir den Wechsel gegönnt und meinen Entschluss respektiert. Darüber bin ich sehr froh.
Handball-Magazin:
Ihre gerade volljährige Tochter Adelheid blieb in Köln, um dort ihr Abi zu machen. Ihr kam der Umzug wohl zu plötzlich. Wie gehen Sie mit dem Abnabelungsprozess um?
Björk? Nein danke!
Björk? Nein danke!
Alfred Gislason:
Diese Frage hat sich erübrigt. Sie ist mittlerweile auch nach Kiel gezogen. Es war sehr mutig von ihr, es allein in Köln zu versuchen, aber es gab persönliche Gründe, die zu einem Sinneswandel führten. Ich bin glücklich, dass Sie wieder bei uns ist. Ist schon ein besseres Gefühl. Und meinen Respekt für beide Entschlüsse hat sie auch.
Handball-Magazin:
Sie sind Trainer - Ihre Frau die Managerin, jedenfalls in punkto Familie?
Alfred Gislason:
Ja, so kann man sagen. Meine Frau ist die Familienmanagerin und von Haus aus keine Handballexpertin gewesen. Aber nach all den Jahren an meiner Seite könnte sie mit dem von ihr aufgeschnappten Wissen inzwischen durchaus als Co-Trainerin durchgehen.
Handball-Magazin:
Bislang lief es auch nach der Ära von Erfolgscoach Noka Serdarusic nahezu perfekt für den THW - und somit für Sie. Der Übergang verlief scheinbar reibungslos...
Alfred Gislason:
Ich wäre ja auch falsch beraten gewesen, hätte ich hier alles umkrempeln wollen, was unter Noka erfolgreich war. Dennoch: Eine Kopie kann und will ich nicht sein. Ich ziehe schon mein eigenes Ding durch und wurde dabei von Anfang an toll unterstützt - von Vereins- und Spielerseite. Ich habe hier eine Topmannschaft vorgefunden, perfekt zusammengestellt von - Kompliment an beide - Noka und Uwe Schwenker. Alle Jungs sind hochprofessionell. Zug und Leistungswille in der Truppe sind unglaublich. Als Trainer kann man sich solche Voraussetzungen nur wünschen.
Handball-Magazin:
Ist dieses Team noch stärker als jenes in Magdeburg, mit dem Sie 2002 die Champions League gewannen? Damals hatten Sie Topleute wie Stefansson, Kervadec, Perunicic, Kretzschmar, Kuleschow...
Alfred Gislason:
Das war damals nominell auch eine Supermannschaft. Individuell konnte die mit meinem heutigen THW nahezu mithalten, aber Kiel hat das noch viel homogenere Mannschaftsgefüge. Der Zusammenhalt der Jungs ist fantastisch...
Handball-Magazin:
...was nicht zuletzt ein Verdienst von Kapitän Stefan Lövgren ist, der auch außerhalb des Spielfelds absolut Chef und Integrationsfigur Ihres Teams ist.
Alfred Gislason:
Stimmt. Wenn er nach der Saison aufhört, wird das ein ziemlicher Einschnitt, nicht nur, weil er ein brillanter Spielmacher ist, sondern vor allem abseits des Spielfeldes die Leitfigur. Ich bin schon froh, dass er in dieser Saison noch mein verlängerter Arm ist.
Handball-Magazin:
Wird es erst, wenn nach Serdarusic auch Lövgren fort ist, in Kiel den großen Umbruch geben? Wird vor allem auch Ihre Handschrift dann erst deutlich?
Alfred Gislason:
Dieser Einschnitt musste ja mal kommen. Ich bin aber sicher: Die übrigen Spieler werden Stefans Rolle Stück für Stück ausfüllen, die Verantwortung aufteilen. Ich will ihnen schon jetzt vermitteln, den Kopf noch mehr einzuschalten, versuche, die Spieler gedanklich mehr einzubinden. Meine Philosophie habe ich schon eingebracht, das geschieht nicht erst nächstes Jahr. Es wird einige Zeit dauern, aber der THW wird die Lücke von Lövgren schließen - wie einst nach Wislanders Abschied.
Handball-Magazin:
Denken Sie da - wenn er denn bleibt - primär an Karabatic, der Lövgren ja sein großes Vorbild nennt?
Alfred Gislason:
Auch. Er kann das Spiel durchaus leiten. Außerdem: Nikola begreift gerade, dass er mit seiner aufwändigen Spielweise vor allem auf Halblinks bei der riesigen Belastung zu viel Tribut zollt, dass es so nicht mehr weitergeht. Als Mittelmann kann er ökonomischer spielen und wird sich nicht ganz so aufreiben. Das ist für uns alle jedenfalls eine Option.
Handball-Magazin:
Das Rückgrat des THW ist die Achse Omeyer - Lövgren - Ahlm - Karabatic. Stimmen Sie da zu?
Alfred Gislason:
Das kann ich so stehen lassen, wenn man bei dieser Formulierung noch Kim Andersson hinzu nimmt. Darüber hinaus ist es auch die große Stärke des THW, dass die Spieler, die nicht so häufig genannt werden, ihre Aufgaben auch super erfüllen, manchmal weniger auffällig, aber genauso wichtig. Wenn einer aus der beschriebenen Achse wegbricht, kommt ein anderer Spieler rein: Auch Filip Jicha wird beispielsweise immer stärker und wichtiger für uns.
Handball-Magazin:
Ungeachtet laufender Verträge: Sind Sie sicher, dass Ihr Team auf Sicht so zusammenbleibt? Dass vor allem ein Karabatic, aber auch ein Kavticnik oder Jicha nicht zum Beispiel zu Serdarusic' Löwen wechseln?
Alfred Gislason:
Davor habe ich keine Angst. Sicher: Andere träumen davon, sich den einen oder anderen zu angeln. Nur: Die Jungs spielen alle gern hier und vor allem zusammen. Nikola will seinen Vertrag erfüllen, denke ich. Natürlich hoffen andere Klubs auf einen solchen Transfer - ob sie aber so viel Geld haben?
Handball-Magazin:
Gutes Stichwort: Die Finanzprobleme einiger Klubs belasten das Image des Handballs. Wie sehr?
Alfred Gislason:
Ich würde das nicht als flächendeckende Krise bezeichnen. In Spanien sind die Zustände schlimmer, glaube ich. Vielerorts hat der WM-Boom hier ja durchaus etwas bei den Vereinen bewirkt, die TV- Präsenz hat auch einen Schub bekommen. Aber einige riskieren vor allem in Sachen Personalkosten zu viel. Die Gehaltsvorstellungen sind explodiert. Vor allem die durchschnittlichen Spieler haben die Preise sehr in die Höhe getrieben - und die Vereine machen es leider mit. Die WM 2007 und die Begeisterung um deutsche Spieler, aber auch Heiner Brands Forderung nach einer Deutschenquote waren teilweise fast kontraproduktiv. Einheimische Spieler sind inzwischen meist deutlich teurer als ausländische. Jeder, der Heiner Brand heutzutage mal die Hand geschüttelt hat, will gleich das Doppelte oder Dreifache.
Handball-Magazin:
Wenn der Markt das hergibt, ist das letztlich legitim...
Alfred Gislason:
Aber man sieht doch, wo es hinführt. Zudem ist es nicht unproblematisch, wenn Aufwand und Ertrag nicht im Einklang sind. Wer wie ein Vollprofi bezahlt wird, muss auch wie einer leben. Ich habe ja Verständnis für deutsche Spieler, die ihren Profistatus mit einer Ausbildung oder einem Studium kombinieren wollen, weil sie ihre berufliche Zukunft im Kopf haben. Diese Denke ist okay. Aber aus Vereinssicht dennoch problematisch, denn es ist meist günstiger und unkomplizierter, einen Skandinavier zu holen. Wir Isländer beispielsweise, aber auch die Dänen und Schweden, kommen überwiegend erst mit Mitte zwanzig, also nach dem Studium. Das ist kein Zufall, sondern Lebensplan. Dadurch können sie ihren Profistatus im Ausland voll und ganz erfüllen und konzentrieren sich auf Handball, während vielen deutschen Kollegen auch die Lehrstelle wichtig ist. War zu meiner aktiven Zeit nicht anders. Ich kam erst als fast 24-Jähriger nach Essen, nach meinem Studium.
Handball-Magazin:
Sie sind studierter Historiker. Mit Berufserfahrung?
Alfred Gislason:
Nein. Ich wusste damals in Island nicht, was ich außer Handballer werden sollte, und da mich Geschichte stets interessierte, habe ich das eben studiert, bevor ich nach Deutschland ging. Irgendwas musste ich ja lernen. Ich weiß ja bis heute nicht, was ich mal werden soll, aber meine Geschichtsausbildung kommt mir als Trainer durchaus entgegen.
Handball-Magazin:
Inwiefern?
Alfred Gislason:
Als Trainer ist es doch wichtig zu wissen, welche Nationen gut zusammen passen, historische Hintergründe zu kennen, wenn man Spieler aus dem Ausland integrieren will. Ein Bundesligateam zusammenzubauen ist für einen Trainer damit vergleichbar, nach welchen Kriterien Napoleon seine Armeen oder seine Leibgarde zusammenstellte. Okay, mein Waterloo will ich nicht erleben...
Handball-Magazin:
Springen wir vom Jahr 1815 wieder in die jüngere Vergangenheit: Sie waren einer der besten Bundesligaspieler der Achtziger. Wären Sie bei den aktuellen Gehältern nicht viel lieber heutzutage aktiv als früher?
Alfred Gislason:
Ich will so sagen: Ich gäbe mindestens ein Monatsgehalt dafür, noch mal 30 zu sein und noch einmal spielen zu können. Es ist heute viel aufregender als früher zu spielen. Der Handball hat sich so toll entwickelt, in jeder Hinsicht: Tempo, Technik - und auch in punkto Internationalität. Die vielen ausländischen Spieler und Trainer, das Multi-Kulti-Flair haben den Handball hier schon eindeutig nach vorn gebracht.
Handball-Magazin:
Was gefiel Ihnen früher besser?
Alfred Gislason:
Es gab vielleicht mehr verrückte Typen, aber die Zeiten waren ja auch andere, allein medial. Sportlich gesehen fand ich zu meiner Zeit die Philosophie des Tore-Verhinderns super. Als Spieler war es für mich der noch größere Kick, eine sehr gute Abwehr zu spielen und den Gegner damit zu besiegen, als durch viele Tore. Und so denke ich heute als Trainer bedingt auch noch. Man muss bei der heutigen Spielweise ungeheuer darauf achten, dass die Spieler in der Abwehr gedanklich nicht schon längst wieder im Angriff sind. Dann nämlich ist das Gegentor schon programmiert. Aber das kann man ja alles trainieren und vermitteln.
Handball-Magazin:
Sie haben in Kiel einige Trainings-Neuerungen und Nebeneffekte eingeführt. Dürfen Ihre Spieler beim Kraft- oder Lauftraining eigentlich auch Musik hören, um sich aufzuputschen? Schließlich sind Sie erklärter Musikfan.
Alfred Gislason:
Nein, das haben wir noch nicht eingeführt. Ich weiß auch nicht, ob wir da bei meinem Geschmack weiter kämen...
Handball-Magazin:
Schnellkrafttraining zu Björk - schwer vorstellbar...
Alfred Gislason:
Klar - ich komme aus Island, also höre ich Björk. Aber dieses Klischee ist falsch. Wir Isländer mögen Björk nicht. Dann schon eher Sigur Ros - auch Landsleute von mir. Und noch lieber Feist. Die habe ich gerade im CD-Player bei mir im Auto. Meine Lieblingsbands kennen Sie sicher gar nicht: Steely Dan, Talking Heads...
Handball-Magazin:
... von wegen: Donald Fagen und Walter Becker von Steely Dan - zwei ganz Große! Genial, leicht angejazzt. Heute aber gewiss nicht mehr massenkompatibel. Wie auch die schrägen Talking Heads nicht. Über David Byrne können Sie mit Ihren Jungs gewiss nicht fachsimpeln.
Alfred Gislason:
Wohl nicht. Kennen Sie Pat Metheny?
Handball-Magazin:
Klar!
Alfred Gislason:
Dessen Konzert im letzten Sommer habe ich verpasst, obwohl ich schon Karten dafür hatte. Doch ich musste Hals über Kopf nach Kiel - zur Vertragsunterschrift. Mit Coldplay in der Kölner Arena ging es mir im September genauso. Zu der Zeit war ich dann schon in Kiel. Ich will mich jetzt aber nicht sonderlich beklagen. Damals musste ja alles ganz schnell gehen. Und die Konzertbesuche werde ich nachholen. Ich konnte Uwe Schwenker ja nicht wegen Pat Metheny sitzen lassen.
(Von Frank Schneller, aus dem "Handball-Magazin" 02/2009)


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