Aus dem "Handball-Magazin" 02/2009:
Für diesen Mann griff der THW Kiel richtig tief in
die Schatulle. Um einen Nachfolger für
Zvonimir Serdarusic zu bekommen, kaufte Manager
Uwe Schwenker
den Isländer
Alfred Gislason vom VfL Gummersbach frei
- für geschätzte 700000 Euro Ablöse. Was der 49-Jährige wert ist? Rekordmeister Kiel spielt noch
dominanter als bisher, und
Gislason redet entspannt
über sein Leben im Norden, den langen Schatten seines
Vorgängers und wirklich gute Musik.
- Handball-Magazin:
-
Herr Gislason, wie schnell haben Sie sich denn als
Nordmann an der Küste eingelebt? Müsste Ihnen doch
leichter gefallen sein als seinerzeit in Essen,
Magdeburg oder Gummersbach...
- Alfred Gislason:
-
Meine neue Aufgabe beim THW und mein neues Umfeld
gefallen mir ausgezeichnet. Aber Ihre Frage zielte
auf etwas anderes ab, ich weiß: Ich muss gestehen,
dass ich aufgrund unseres engen Terminkalenders von
Kiel bislang noch gar nicht viel mitbekommen habe.
Es war seinerzeit auch nicht schwierig, in Essen,
Magdeburg oder beim VfL Gummersbach Fuß zu fassen.
In der Nähe von Magdeburg haben wir ja ein Haus -
und das wird später auch mal Lebensmittelpunkt für
meine Frau und mich sein. Dort fühlen wir uns
heimisch. Von dort aus will ich nach meinem 60.
Geburtstag den Wechsel vom Vereins- zum
Nationaltrainer vollziehen.
- Handball-Magazin:
-
Scheiden Ihre Heimat und Kiel als Alterssitz aus?
- Alfred Gislason:
-
Wir wollen auf alle Fälle in Deutschland und im Raum
Magdeburg bleiben und nicht nach Island
zurückkehren. Die Entscheidung fiel schon vor
geraumer Zeit. Das hat mit Kiel nichts zu tun und
ist auch kein Urteil über die Stadt. Wie sollte ich
das auch jetzt schon fällen? Wir sind mit dem THW ja
andauernd unterwegs. Und wenn ich mal zu Hause bei
meiner Familie bin, muss die mich auch noch mit
Spielanalysen teilen. Wenn ich da noch den Rest
meiner Freizeit durch Kiel spazierte - meine Familie
zöge wohl nach kürzester Zeit aus.
- Handball-Magazin:
-
Haben Sie inzwischen eigentlich mit allen Spielern,
die Sie in Gummersbach zurückließen, gesprochen?
- Alfred Gislason:
-
Ja, das lag mir auch lange Zeit schwer im Magen.
Gerade für die Neuen, die ich zum VfL geholt habe,
Adrian Pfahl und Viktor Szilagyi, tat es mir leid.
Aber alle haben mir den Wechsel gegönnt und meinen
Entschluss respektiert. Darüber bin ich sehr froh.
- Handball-Magazin:
-
Ihre gerade volljährige Tochter Adelheid blieb in
Köln, um dort ihr Abi zu machen. Ihr kam der Umzug
wohl zu plötzlich. Wie gehen Sie mit dem
Abnabelungsprozess um?
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Björk? Nein danke!
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- Alfred Gislason:
-
Diese Frage hat sich erübrigt. Sie ist mittlerweile
auch nach Kiel gezogen. Es war sehr mutig von ihr,
es allein in Köln zu versuchen, aber es gab
persönliche Gründe, die zu einem Sinneswandel
führten. Ich bin glücklich, dass Sie wieder bei uns
ist. Ist schon ein besseres Gefühl. Und meinen
Respekt für beide Entschlüsse hat sie auch.
- Handball-Magazin:
-
Sie sind Trainer - Ihre Frau die Managerin,
jedenfalls in punkto Familie?
- Alfred Gislason:
-
Ja, so kann man sagen. Meine Frau ist die
Familienmanagerin und von Haus aus keine
Handballexpertin gewesen. Aber nach all den Jahren
an meiner Seite könnte sie mit dem von ihr
aufgeschnappten Wissen inzwischen durchaus als Co-Trainerin durchgehen.
- Handball-Magazin:
-
Bislang lief es auch nach der Ära von Erfolgscoach
Noka Serdarusic nahezu perfekt für den THW - und
somit für Sie. Der Übergang verlief scheinbar
reibungslos...
- Alfred Gislason:
-
Ich wäre ja auch falsch beraten gewesen, hätte ich
hier alles umkrempeln wollen, was unter Noka
erfolgreich war. Dennoch: Eine Kopie kann und will
ich nicht sein. Ich ziehe schon mein eigenes Ding
durch und wurde dabei von Anfang an toll unterstützt
- von Vereins- und Spielerseite. Ich habe hier eine
Topmannschaft vorgefunden, perfekt zusammengestellt
von - Kompliment an
beide - Noka und Uwe Schwenker. Alle Jungs sind
hochprofessionell. Zug und Leistungswille in der
Truppe sind unglaublich. Als Trainer kann man sich
solche Voraussetzungen nur wünschen.
- Handball-Magazin:
-
Ist dieses Team noch stärker als jenes in Magdeburg,
mit dem Sie 2002 die Champions League gewannen?
Damals hatten Sie Topleute wie Stefansson, Kervadec,
Perunicic, Kretzschmar, Kuleschow...
- Alfred Gislason:
-
Das war damals nominell auch eine Supermannschaft.
Individuell konnte die mit meinem heutigen THW
nahezu mithalten, aber Kiel hat das noch viel
homogenere Mannschaftsgefüge. Der Zusammenhalt der
Jungs ist fantastisch...
- Handball-Magazin:
-
...was nicht zuletzt ein Verdienst von Kapitän
Stefan Lövgren ist, der auch außerhalb des Spielfelds
absolut Chef und Integrationsfigur Ihres Teams ist.
- Alfred Gislason:
-
Stimmt. Wenn er nach der Saison aufhört, wird das
ein ziemlicher Einschnitt, nicht nur, weil er ein
brillanter Spielmacher ist, sondern vor allem
abseits des Spielfeldes die Leitfigur. Ich bin schon
froh, dass er in dieser Saison noch mein
verlängerter Arm ist.
- Handball-Magazin:
-
Wird es erst, wenn nach Serdarusic auch Lövgren fort
ist, in Kiel den großen Umbruch geben? Wird vor allem
auch Ihre Handschrift dann erst deutlich?
- Alfred Gislason:
-
Dieser Einschnitt musste ja mal kommen. Ich bin aber
sicher: Die übrigen Spieler werden Stefans Rolle
Stück für Stück ausfüllen, die Verantwortung
aufteilen. Ich will ihnen schon jetzt vermitteln,
den Kopf noch mehr einzuschalten, versuche, die
Spieler gedanklich mehr einzubinden. Meine
Philosophie habe ich schon eingebracht, das
geschieht nicht erst nächstes Jahr. Es wird einige
Zeit dauern, aber der THW wird die Lücke von Lövgren
schließen - wie einst nach Wislanders Abschied.
- Handball-Magazin:
-
Denken Sie da - wenn er denn bleibt - primär an
Karabatic, der
Lövgren ja sein großes Vorbild nennt?
- Alfred Gislason:
-
Auch. Er kann das Spiel durchaus leiten. Außerdem:
Nikola begreift gerade, dass er mit seiner
aufwändigen Spielweise vor allem auf Halblinks bei
der riesigen Belastung zu viel Tribut zollt, dass es
so nicht mehr weitergeht. Als Mittelmann kann er
ökonomischer spielen und wird sich nicht ganz so
aufreiben. Das ist für uns alle jedenfalls eine
Option.
- Handball-Magazin:
-
Das Rückgrat des THW ist die Achse Omeyer - Lövgren -
Ahlm - Karabatic. Stimmen Sie da zu?
- Alfred Gislason:
-
Das kann ich so stehen lassen, wenn man bei dieser
Formulierung noch Kim Andersson hinzu nimmt. Darüber
hinaus ist es auch die große Stärke des THW, dass
die Spieler, die nicht so häufig genannt werden,
ihre Aufgaben auch super erfüllen, manchmal weniger
auffällig, aber genauso wichtig. Wenn einer aus der
beschriebenen Achse wegbricht, kommt ein anderer
Spieler rein: Auch Filip Jicha wird beispielsweise
immer stärker und wichtiger für uns.
- Handball-Magazin:
-
Ungeachtet laufender Verträge: Sind Sie sicher, dass
Ihr Team auf Sicht so zusammenbleibt? Dass vor allem
ein Karabatic, aber auch ein Kavticnik oder
Jicha
nicht zum Beispiel zu Serdarusic' Löwen wechseln?
- Alfred Gislason:
-
Davor habe ich keine Angst. Sicher: Andere träumen
davon, sich den einen oder anderen zu angeln. Nur:
Die Jungs spielen alle gern hier und vor allem
zusammen. Nikola will seinen Vertrag erfüllen, denke
ich. Natürlich hoffen andere Klubs auf einen solchen
Transfer - ob sie aber so viel Geld haben?
- Handball-Magazin:
-
Gutes Stichwort: Die Finanzprobleme einiger Klubs
belasten das Image des Handballs. Wie sehr?
- Alfred Gislason:
-
Ich würde das nicht als flächendeckende Krise
bezeichnen. In Spanien sind die Zustände schlimmer,
glaube ich. Vielerorts hat der WM-Boom hier ja
durchaus etwas bei den Vereinen bewirkt, die TV- Präsenz hat auch einen Schub bekommen. Aber einige
riskieren vor allem in Sachen Personalkosten zu
viel. Die Gehaltsvorstellungen sind explodiert. Vor
allem die durchschnittlichen Spieler haben die
Preise sehr in die Höhe getrieben - und die Vereine
machen es leider mit. Die WM 2007 und die
Begeisterung um deutsche Spieler, aber auch Heiner
Brands Forderung nach einer Deutschenquote waren
teilweise fast kontraproduktiv. Einheimische Spieler
sind inzwischen meist deutlich teurer als
ausländische. Jeder, der Heiner Brand heutzutage mal
die Hand geschüttelt hat, will gleich das Doppelte
oder Dreifache.
- Handball-Magazin:
-
Wenn der Markt das hergibt, ist das letztlich
legitim...
- Alfred Gislason:
-
Aber man sieht doch, wo es hinführt. Zudem ist es
nicht unproblematisch, wenn Aufwand und Ertrag nicht
im Einklang sind. Wer wie ein Vollprofi bezahlt
wird, muss auch wie einer leben. Ich habe ja
Verständnis für deutsche Spieler, die ihren
Profistatus mit einer Ausbildung oder einem Studium
kombinieren wollen, weil sie ihre berufliche
Zukunft im Kopf haben. Diese Denke ist okay. Aber
aus Vereinssicht dennoch problematisch, denn es ist
meist günstiger und unkomplizierter, einen
Skandinavier zu holen. Wir Isländer beispielsweise,
aber auch die Dänen und Schweden, kommen überwiegend
erst mit Mitte zwanzig, also nach dem Studium. Das
ist kein Zufall, sondern Lebensplan. Dadurch können
sie ihren Profistatus im Ausland voll und ganz
erfüllen und konzentrieren sich auf Handball,
während vielen deutschen Kollegen auch die
Lehrstelle wichtig ist. War zu meiner aktiven Zeit
nicht anders. Ich kam erst als fast 24-Jähriger nach
Essen, nach meinem Studium.
- Handball-Magazin:
-
Sie sind studierter Historiker. Mit Berufserfahrung?
- Alfred Gislason:
-
Nein. Ich wusste damals in Island nicht, was ich
außer Handballer werden sollte, und da mich
Geschichte stets interessierte, habe ich das eben
studiert, bevor ich nach Deutschland ging. Irgendwas
musste ich ja lernen. Ich weiß ja bis heute nicht,
was ich mal werden soll, aber meine
Geschichtsausbildung kommt mir als Trainer durchaus
entgegen.
- Handball-Magazin:
-
Inwiefern?
- Alfred Gislason:
-
Als Trainer ist es doch wichtig zu wissen, welche
Nationen gut zusammen passen, historische
Hintergründe zu kennen, wenn man Spieler aus dem
Ausland integrieren will. Ein Bundesligateam
zusammenzubauen ist für einen Trainer damit
vergleichbar, nach welchen Kriterien Napoleon seine
Armeen oder seine Leibgarde zusammenstellte. Okay,
mein Waterloo will ich nicht erleben...
- Handball-Magazin:
-
Springen wir vom Jahr 1815 wieder in die jüngere
Vergangenheit: Sie waren einer der besten
Bundesligaspieler der Achtziger. Wären Sie bei den
aktuellen Gehältern nicht viel lieber heutzutage
aktiv als früher?
- Alfred Gislason:
-
Ich will so sagen: Ich gäbe mindestens ein
Monatsgehalt dafür, noch mal 30 zu sein und noch
einmal spielen zu können. Es ist heute viel
aufregender als früher zu spielen. Der Handball hat
sich so toll entwickelt, in jeder Hinsicht: Tempo,
Technik - und auch in punkto Internationalität. Die
vielen ausländischen Spieler und Trainer, das Multi-Kulti-Flair haben den Handball hier schon eindeutig
nach vorn gebracht.
- Handball-Magazin:
-
Was gefiel Ihnen früher besser?
- Alfred Gislason:
-
Es gab vielleicht mehr verrückte Typen, aber die
Zeiten waren ja auch andere, allein medial.
Sportlich gesehen fand ich zu meiner Zeit die
Philosophie des Tore-Verhinderns super. Als Spieler
war es für mich der noch größere Kick, eine sehr
gute Abwehr zu spielen und den Gegner damit zu
besiegen, als durch viele Tore. Und so denke ich
heute als Trainer bedingt auch noch. Man muss bei
der heutigen Spielweise ungeheuer darauf achten,
dass die Spieler in der Abwehr gedanklich nicht
schon längst wieder im Angriff sind. Dann nämlich
ist das Gegentor schon programmiert. Aber das kann
man ja alles trainieren und vermitteln.
- Handball-Magazin:
-
Sie haben in Kiel einige Trainings-Neuerungen und
Nebeneffekte eingeführt. Dürfen Ihre Spieler beim
Kraft- oder Lauftraining eigentlich auch Musik hören,
um sich aufzuputschen? Schließlich sind Sie erklärter
Musikfan.
- Alfred Gislason:
-
Nein, das haben wir noch nicht eingeführt. Ich weiß
auch nicht, ob wir da bei meinem Geschmack weiter
kämen...
- Handball-Magazin:
-
Schnellkrafttraining zu Björk - schwer vorstellbar...
- Alfred Gislason:
-
Klar - ich komme aus Island, also höre ich Björk.
Aber dieses Klischee ist falsch. Wir Isländer mögen
Björk nicht. Dann schon eher Sigur Ros - auch
Landsleute von mir. Und noch lieber Feist. Die habe
ich gerade im CD-Player bei mir im Auto. Meine
Lieblingsbands kennen Sie sicher gar nicht: Steely
Dan, Talking Heads...
- Handball-Magazin:
-
... von wegen: Donald Fagen und Walter Becker von
Steely Dan - zwei ganz Große! Genial, leicht
angejazzt. Heute aber gewiss nicht mehr
massenkompatibel. Wie auch die schrägen Talking Heads
nicht. Über David Byrne können Sie mit Ihren Jungs
gewiss nicht fachsimpeln.
- Alfred Gislason:
-
Wohl nicht. Kennen Sie Pat Metheny?
- Handball-Magazin:
-
Klar!
- Alfred Gislason:
-
Dessen Konzert im letzten Sommer habe ich verpasst,
obwohl ich schon Karten dafür hatte. Doch ich musste
Hals über Kopf nach Kiel - zur Vertragsunterschrift.
Mit Coldplay in der Kölner Arena ging es mir im
September genauso. Zu der Zeit war ich dann schon in
Kiel. Ich will mich jetzt aber nicht sonderlich
beklagen. Damals musste ja alles ganz schnell gehen.
Und die Konzertbesuche werde ich nachholen. Ich
konnte Uwe Schwenker ja nicht wegen Pat Metheny
sitzen lassen.
(Von Frank Schneller, aus dem "Handball-Magazin" 02/2009)