Aus den Kieler Nachrichten vom 06.06.2009:
Das Gespräch mit
Stefan Lövgren ist
in einem angesagten Lokal mit direktem Blick auf die Sparkassen-Arena
verabredet. Natürlich ist der scheidende Kapitän von Meister THW Kiel
pünktlich. Es geht wuselig zu, viele Menschen erkennen den
Weltklasse-Handballer.
Lövgren ist auch hier
Stefan Lövgren. Freundlich, entspannt,
zurückhaltend. Jeder, der ihn wahrnimmt und grüßt, erhält die Aufmerksamkeit
zurück. Der große Respekt, der dem 38-jährigen Schweden von
seinen Fans entgegengebracht wird, beruht nicht allein auf seinen außergewöhnlichen
Fähigkeiten auf dem Parkett.
Stefan Lövgren
hat vor allem seine Natürlichkeit bewahrt. Auch das macht
"
Löwe" so beliebt. Jetzt geht
seine Zeit in Kiel dem Ende entgegen. Heute das Spiel gegen Flensburg, die
große Abschiedsparty auf dem Rathausplatz, dann rückt der Umzugswagen
an. Am 10. Juni kehrt der "Chef" nach zehn THW-Jahren mit seiner
Frau Ann-Sophie Claesson und den in Kiel geborenen Kindern Linus (9) und
Thea (6) zurück in seine Heimat.
- Kieler Nachrichten:
-
Herr Lövgren, der Abschied aus
Kiel wäre Ihnen mit dem Gewinn der Champions League sicher
leichter gefallen. Sie kommen gerade von Mallorca zurück, wo
Sie von der Mannschaft verabschiedet worden sind. Klappte
das überhaupt mit dem Feiern nach der
27:33-Niederlage in Ciudad Real?
- Stefan Lövgren:
-
Na ja, es gibt bessere Voraussetzungen. Unser Hotel war
ganz in der Nähe vom Ballermann, so kann man sich der
Partystimmung nicht völlig entziehen, die lenkt ab. Aber
ich muss zugeben, dass ich den Pott zum Abschluss wirklich
gerne gewonnen hätte. Trotzdem war es schön, mit der
Mannschaft allein zusammen sein zu dürfen. Wir hatten gute
Gespräche. Ciudad ging uns natürlich nicht aus dem Kopf.
Warum, und wie wir verloren haben, können wir immer
noch nicht begreifen. In der 40. Minute lagen wir mit vier
Toren vor. Dann kamen die Gegentreffer, nur noch drei,
zwei, ein Tor vor. Das hat uns verunsichert, und natürlich
die komischen Umstände in der Halle. Aber so etwas ist
auch ein Denkspiel. In der Gesamtrechnung lagen wir
schließlich neun vor. Neun, acht, sieben. wir hätten die
Ruhe bewahren können, aber wir haben es nicht geschafft.
- Kieler Nachrichten:
-
Sie haben viele große Siege errungen, in der Champions League
ist es nicht so gut gelaufen. Vier Finalteilnahmen, drei davon
verloren, und beim Sieg über Flensburg mussten Sie verletzungsbedingt
zuschauen. Sehr traurig?
- Stefan Lövgren:
-
Es stimmt, diese Bilanz ist nicht so toll für mich. Andererseits
gibt es aber viele Leute, die erreichen nie ein Finale.
Ich habe ja auch schon einige Endspiele gewonnen und weiß
wie es ist, auf der Seite der Gewinner zu stehen. Gerade in
diesem Wissen schmerzen Niederlagen um so mehr.
- Kieler Nachrichten:
-
Nach Kiel sind Sie mit 28 gekommen, da waren Sie fast schon ein
perfekter Handballer, Weltmeister und berühmt. Erst ein Jahr
vorher haben Sie über den TV Niederwürzbach den Einstieg in
die Bundesliga gewagt. Sind Sie ein Spätentwickler?
- Stefan Lövgren:
-
Ja, meine Karriere hat sich spät und vielleicht auch ein
wenig zufällig entwickelt. Ich habe nie in einer Jugendnationalmannschaft
gespielt und wurde von Scouts bei Spielen in der vierten Liga für meinen
Dorfverein Skepplanda BTK entdeckt. Die haben wohl gedacht,
das könnte einer werden. Da war ich 19, ging zu
Redbergslids und hatte das Glück, mit Leuten wie Ljubomir
Vranjes oder Peter Gentzel zusammen zu spielen.
Dann ging es ziemlich rasch. Als wir 1994 mit der Nationalmannschaft
die Europameisterschaft gewannen, kamen Angebote aus der Bundesliga,
Spanien oder Celje. Ich hatte aber das Gefühl, noch nicht
fertig zu sein und blieb. Das war gut so, von meinen Trainern
in Göteborg und Auswahl-Coach Bengt Johannsson
habe ich viel profitiert.
- Kieler Nachrichten:
-
Welcher Trainer hat Sie am meisten geprägt?
- Stefan Lövgren:
-
Da gab es viele Einflüsse. Aber Noka Serdarusic,
mit dem ich neun Jahre lang gearbeitet habe, war für meine Entwicklung
ziemlich bedeutsam. In Niederwürzbach war ich linker
Rückraumspieler, Noka wollte mich
aber als Mittelmann. In diese Rolle bin ich bei ihm reingewachsen. Da
habe ich gemerkt, dass man auf dieser Position Dinge bestimmen,
über das Tempo entscheiden kann. Hätte ich weiter
auf Halblinks gespielt, wäre meine Karriere wohl auch
früher beendet worden, das hätte mein Körper nicht so
lange geschafft. Bei Noka wurde ich zudem
Kapitän. In dieser Position und als Mittelmann ist man der verlängerte
Trainerarm, da geht es in Gesprächen auch mal um andere Dinge als Handball.
- Kieler Nachrichten:
-
Serdarusic hat einmal gesagt,
"so einen Kapitän wie Stefan Lövgren
wird es nie wieder geben"...
- Stefan Lövgren:
-
Darauf bin ich natürlich stolz, aber jeder Mensch geht seinen
eigenen Weg. Mein Nachfolger Marcus Ahlm
ist ein anderer Typ, mit anderen Stärken. Er wird der Mannschaft etwas
Anderes, Neues geben.
- Kieler Nachrichten:
-
Nennen Sie bitte den schönsten, den überraschendsten und den
schlimmsten Moment Ihrer THW-Zeit...
- Stefan Lövgren:
-
Auf der positiven Seite würde ich nicht einen einzelnen Moment nennen,
sondern die ganze Zeit. Es ist großartig, dass es mir vergönnt war,
zehn Jahre auf einem solch hohen Niveau spielen zu dürfen. Damit
durfte ich dazu beitragen, diese großen Erfolge zu realisieren und zu feiern.
Überraschend und schlimm würde ich zusammenfassen und auf die Manipulationsaffäre
beziehen. Als das bekannt wurde, war es ein Schock. Wir
haben danach in zwei Handballwelten gelebt: die mit der
Affäre und die sportliche. Das Final Four und das Interesse
an der Champions League haben zwar gezeigt, dass unser
Sport weiterlebt, aber aufgeklärt werden müssen diese Vorwürfe. Unbedingt.
- Kieler Nachrichten:
-
Unmittelbar betroffen sind Uwe Schwenker
und Noka Serdarusic. Hat Ihr Vertrauen zu den beiden
darunter gelitten?
- Stefan Lövgren:
-
Beiden habe ich viel zu verdanken, und es ist traurig,
dass sie in die Manipulationsaffäre verstrickt sein sollen.
Ich habe mit ihnen gesprochen und gehe davon aus, dass
stimmt, was sie mir erzählt haben. Deswegen vertraue ich
ihnen immer noch.
- Kieler Nachrichten:
-
Haben Sie ein schlechtes Gefühl als Spieler, wenn Sie daran denken,
dass ein Spiel verschoben worden sein könnte?
- Stefan Lövgren:
-
Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Wir Spieler können
ja nichts dafür. Aber es fällt schwer, mit all den Gerüchten
und Vorwürfen fertig zu werden und dass hinter all unseren
Erfolgen Fragezeichen gesetzt werden. Es muss aufgeklärt
werden, dann wird das Ganze im Ergebnis positiv für den Handball ausgehen.
- Kieler Nachrichten:
-
Beim THW gibt es schon Folgen. Uwe Schwenker
ist nicht mehr dabei, außerdem verlassen mit
Nikola Karabatic und Vid Kavticnik
Weltklassespieler den Verein. Mit Ihnen zusammen gehen
drei prägende Kräfte. Muss man sich um den THW Sorgen machen?
- Stefan Lövgren:
-
Nein, die Lücken werden geschlossen werden. Als Stars wie
Wislander, Olsson
oder Perunicic gingen, runzelten
die Fans auch die Stirn. Aber es ging gut, sogar sehr gut weiter.
Ilic, Palmarsson und
Sprenger kommen, alles sehr
gute Handballer. Außerdem: Erfolgreich sein muss nicht
zwangsläufig bedeuten, dass immer Titel dazugehören. Es
wird eine Zeit lang Integrationsprobleme geben, aber die
zu beseitigen, ist die Aufgabe von Alfred Gislason.
Ein prima Trainer, der jetzt die Chance hat, der Mannschaft seinen
Stempel aufzudrücken. Ich sehe eine gute Entwicklung voraus.
Jeder ist zu ersetzen.
- Kieler Nachrichten:
-
Die Kieler Erfolge haben auch mit Sieger-Gen zu tun. Was ist
das Besondere, das diese Mannschaft seit über 15 Jahren auszeichnet?
- Stefan Lövgren:
-
Ich glaube, das liegt an der Atmosphäre im Team, die ist offen,
jeder einzelne Spieler wird respektiert und ernst genommen.
Ob du 19 Jahre jung bist und kein Länderspiel hast, oder 30 und
mit 265 daherkommst. Die Jungen müssen bei uns keine Koffer
schleppen, sie sind mit ihren Ideen und ihrem Input genauso
wichtig wie erfahrene Spieler. Jeder trägt seinen Teil zum
Gelingen bei. Man muss auch die Mischung finden zwischen
dem Scherz zur rechten Zeit und absoluter Konzentration.
Es ist doch nur Handball - aber verdammt wichtig. Die
schwierigen Situationen meistert man nicht mit Blei in
den Knochen, den Druck will doch jeder, aber er muss positiv
empfunden werden.
- Kieler Nachrichten:
-
Handball hat sich weiterentwickelt, ist noch schneller und athletischer
geworden. Wo führt das hin?
- Stefan Lövgren:
-
Unser Sport ist wirklich rasend schnell nach vorn gekommen.
Es wird weiter gehen, neue Abwehrmethoden, vielleicht
offensiv 1:5 statt 5:1, die Technik wird sich verbessern,
auch die Physis.
- Kieler Nachrichten:
-
Aber brechen die Spieler nicht irgendwann unter der enormen
Terminbelastung durch die Fülle an Spielen für Verein und Nationalmannschaft
zusammen, und warum wehren sich die Spieler nicht dagegen, wenn es die Verbände
nicht tun?
- Stefan Lövgren:
-
Das ist tatsächlich sehr, sehr hart. Nur, wer hat die Kraft
dafür neben dem Spielbetrieb? In Spanien gibt es eine
Spielergewerkschaft, hier ist es schwierig. Man kann Leute
verstehen, die auf Nationalmannschaftsspiele verzichten,
um für den Verein fit zu bleiben. Lijewski und Gille
haben es getan. Aber, wenn noch mehr Stars fernbleiben
gibt es einen Verlust an Attraktivität, das Fernsehen verzichtet
ungern auf Stars, das ist ein wirklicher Konflikt.
Vielleicht könnte man sich darauf einigen, innerhalb von
sechs Jahren ein Jahr auszusetzen. Außerdem kann man
die Schuld nicht allein bei den Verbänden suchen. Die Spieler
sind es auch, die immer mehr Geld verdienen möchten.
Sind die Spieler bereit, kürzer zu treten?
- Kieler Nachrichten:
-
Sie haben sportlich noch ein großes Jahr hingelegt, warum
haben Sie die Angebote für eine weitere Saison abgelehnt?
- Stefan Lövgren:
-
Es ist ein großer Unterschied, in einem oder zwei Spielen auf
ganz hohem Niveau zu spielen oder das dauernd zu bringen.
60 Minuten bekomm' ich nicht mehr hin. Genau das will ich
aber, wenn es für mich weitergehen soll. Die Knochen tun
weh, ich höre lieber mit bald 39 Jahren aus eigenem Antrieb
auf, bevor man mich bittet, es zu tun. Außerdem ist
meine künftige Lebensplanung geregelt. Ich wollte den
Kontakt zum Handball behalten. Als Handball-Lehrer am
John-Bauer-Gymnasium in Uddevalla, eines von insgesamt
30 Projekten dieser Art in Schweden, kann ich das.
Außerdem beteilige ich mich als Spielerberater an einer
Agentur mit Martin Schmidt.
Alle Verträge waren unterschrieben, Schüler hatten sich
angemeldet. Ich stehe zu meinem Wort.
- Kieler Nachrichten:
-
Im Handball gibt es inzwischen auch viel Geld zu verdienen. Haben
Sie gut vorgesorgt?
- Stefan Lövgren:
-
Wenn man zu den 20, 30 Topspielern der Liga gehört, verdient
man gut. Ja, ich bin sehr zufrieden, unser Haus in der
Nähe von Göteborg ist fertig, der Maler hat gerade letzte
Hand angelegt. Aber Geld ist nicht alles. Ich habe Werte und
Prinzipien im Leben, auch als Familienvater. Es muss alles stimmen.
- Kieler Nachrichten:
-
Fällt es Ihnen schwer, nach elf Jahren in die Heimat zurückzukehren.
Für Ihre Kinder ist Schweden doch fast Ausland?
- Stefan Lövgren:
-
Für mich und meine Frau ist das kein Problem, wir hatten
immer unser Ferienhaus, unsere Freunde dort. Und die
Kinder werden es auch schaffen. Sie kennen die Cousins,
haben Opa und Oma zu Hause. Außerdem machen sie erst
einmal neun Wochen Ferien, wenn wir nach Schweden ziehen.
Dann fällt die Eingewöhnungszeit noch leichter.
- Kieler Nachrichten:
-
Was wird Ihnen am meisten fehlen?
- Stefan Lövgren:
-
Freunde, das Umfeld auch ohne Handball. Und natürlich
das Einlaufen vor den großartigen Fans in diese fantastische
Atmosphäre der dunklen Arena.
(Das Gespräch führte Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 06.06.2009)