Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 11.06.2011:
Nach dem
Pokalsieg gegen die SG Flensburg-Handewitt
wurde
Christian Zeitz zusätzlich als bester Spieler des "Final Four" gekürt. Selten war
eine Ehrung gerechter. Doch der 30-Jährige war nicht nur in Hamburg der beste Kieler. Der Linkshänder war
in Reihen des THW Kiel der Spieler der Saison. Im "Zebra-Journal" spricht er mit KN-Redakteur Wolf Paarmann über...
- ... seine Anfänge
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Handball und ich - das war Liebe auf den ersten Blick. Schon als kleiner
Junge haben mich meine beiden älteren Brüder Jürgen und Holger, die
beide Handball spielten, in die Halle mitgenommen. Schon als
Vierjähriger habe ich hinter der Bank gesessen. Jürgen war später auch
mein Kreisauswahltrainer. Wahrscheinlich wäre ich auch ein guter
Fußballer geworden, das Talent hatte ich, und die Anfrage eines Trainers
in Östringen gab es auch. Aber ich hatte keine Lust, in der kalten
Jahreszeit draußen, außerhalb einer Halle, Sport zu treiben. Ich habe
als zweiter Rechtsaußen in der badischen Auswahl begonnen und mich zum
Rückraumspieler hochgearbeitet. Hier habe ich mehr Möglichkeiten, ein
Außen muss auf Bälle hoffen. Aber die kommen eben nicht immer. Mein
erstes Länderspiel, damals in der Jugend-Nationalmannschaft, machte ich
übrigens am Kreis. Ich wurde in der 50. Minute eingewechselt, und als
ich den Ball mit der linken Hand gefangen habe, war auch der Trainer
überrascht. Er wusste nicht, dass ich Linkshänder war.
- ... seinen Arbeitsplatz
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Früher war es so, dass Kim (Andersson, Anm. d. Red.) gespielt hat, und
ich bekam am Ende die Chance, mich fünf Minuten zu zeigen. Die wollte
ich dann nutzen, um zu zeigen, was ich kann. Alles gewinnen, in fünf
Minuten. Dabei habe ich mich zu sehr unter Druck gesetzt. Würde die
Situation zwischen uns wieder so sein, würde ich damit gelassener
umgehen. Im Moment freue ich mich darauf, dass Kim wieder richtig fit
wird. Dann wird es leichter, weil ich weiß, dass wir uns abwechseln
können, wenn es bei mir nicht klappt.
- ... Freundschaften
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Ich weiß nicht, ob das auch für andere gilt, aber für mich ist es
schwierig, innerhalb einer Mannschaft Freunde zu finden. Vielleicht
liegt es daran, dass keiner weiß, wie lange er gemeinsam mit den
Kollegen in einer Mannschaft spielen wird. Trennen sich die Wege, ist es
zudem schwierig, Freunde zu bleiben, weil einfach die Zeit fehlt, sich
zu sehen. Und wir dann auch Konkurrenten werden. Ich habe ein, zwei
Freunde, die mit Handball nichts zu tun haben. Sich teilweise in dem
Sport gar nicht auskennen. Mir gefällt das, weil ich bei ihnen auch
einmal abschalten kann.
- ... Geld
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Das ist mir nicht sonderlich wichtig. Klar, früher habe ich für einen
Appel und ein Ei Handball gespielt und es ist schön, beim Einkaufen oder
Essen gehen, nicht mehr so sehr auf den Preis achten zu müssen. Es ist
auch toll, ein großes Auto fahren zu können. Aber ich wäre nicht bereit,
für noch mehr Geld mein Privatleben so öffentlich zu machen, wie es bei
den Fußballern die Regel ist.
- ... sein Image
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Das ist in anderen Hallen leider nicht das beste. Daran habe ich meinen
Anteil, weil ich früher oft zu hart eingestiegen bin, wenn ich mit
meinem Spiel nicht zufrieden gewesen bin. Dann habe ich mich auch an den
Gegnern abreagiert. Das ist inzwischen viel besser geworden, jetzt habe
ich mich viel besser im Griff. Reifer? Ja, ich glaube, dass ich reifer
geworden bin.
- ... den eigenen Körper
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Für den Leistungssport bin ich nicht wirklich geeignet. Ich bin für
meine Position eigentlich zu klein, und mein Stoffwechsel ist nicht so,
wie er für einen Sportler optimal wäre. Marcus Ahlm beispielsweise kann
essen, soviel er will - der nimmt kein Gramm zu. Das ist bei mir ganz
anders. Wenn ich nicht aufpasse, nehme ich schnell zu. Dann leidet meine
Fitness und sofort auch mein Spiel.
- ... Kommunikation
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Ich bin nicht der Typ, der bei Besprechungen das Wort ergreift. Aber
weil ich schon so lange dabei bin, fragen mich einige Kollegen nach
meiner Meinung. Und dann sage ich auch, was ich denke. So war es auch in
den Wochen vor der Pokalendrunde in Hamburg. Da haben wir viel
miteinander geredet. Auch mit Alfred (Gislason, Anm. d. Red.). Er ist
ein ganz anderer Typ als Noka (Serdarusic, Anm. d. Red.), er lässt uns
mitentscheiden, lässt uns viele Entscheidungsfreiheiten. Das hat zuletzt
aber auch dazu geführt, dass wir nicht mehr zu unserem Spiel gefunden
haben. 14 Spieler, 14 Meinungen - das war nicht optimal. Noka hat
dagegen immer ganz klar gesagt, was wir zu machen haben. Ich hatte damit
kein Problem, schließlich hatten wir Erfolg und nur darum geht es. Es
ist aber auch klar, dass es keinen Spaß macht, immer wie ein 15-Jähriger
behandelt zu werden. Eine Mischung aus Alfred und Noka wäre optimal.
Aber vielleicht haben wir sie jetzt gefunden, Alfred hat mit sich reden
lassen. Wir - Trainer und Mannschaft - sind auf einem guten Weg, sonst
hätten wir zuletzt auch den Pokal nicht gewinnen können.
- ... Nationalmannschaft
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Früher ist es mir schwer gefallen, nein zu sagen. Ich habe für keinen
Lehrgang, kein Turnier abgesagt, obwohl ich oft verletzt gewesen bin.
Früher war es auch nicht üblich, aus privaten Gründen abzusagen. Das hat
sich ja mittlerweile sehr verändert. Eigentlich hätte ich schon nach der
WM 2005 in Tunesien aufhören sollen. Aber ich habe es nicht geschafft,
mich bis zu den Olympischen Spielen 2008 gequält. Das war eine schlimme
Zeit, die auch der Weltmeister-Titel 2007 nicht aufwiegen kann. Mein
Körper war dieser Doppelbelastung, Verein und Nationalmannschaft, nicht
gewachsen. Aber es musste mir erst richtig schlecht gehen, bis ich einen
Strich ziehen konnte. Nach Peking war das der Fall. Seitdem geht es mir
viel besser. Ich habe endlich die Zeit, die ich brauche, um meinen
Körper zu regenerieren.
- ... Niederlagen
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Nach einem verlorenen Spiel habe ich eine schlechte Nacht, aber damit
kann ich ganz gut umgehen. Da hält sich das emotionale Tief noch in
Grenzen. Schwieriger wird es, wenn die Ergebnisse so sind, wie im
vergangenen März und April. Diese vielen Niederlagen treffen mich
richtig hart, da beginne ich, auch an mir selbst zu zweifeln und hänge
als Mensch richtig durch. Da möchte ich mich am liebsten verkriechen,
traue mich kaum noch in die Stadt. Aber das ist gerade in Kiel
schwierig, beim Einkaufen treffe ich immer THW-Fans und die suchen, wie
ich, nach Erklärungen, wenn wir so oft verlieren.
- ... Popularität
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Wenn ich aussuchen dürfte, dann würde mein Leben als Handballer so
aussehen: Ich fahre in die Halle, spiele, gebe anschließend Autogramme
und fahre dann in eine andere Stadt, in der mich keiner kennt. Ich bin
jemand, der gerne seine Ruhe hat, sich zurückzieht. Deshalb fahre ich
auch nicht gerne mit der Bahn, nehme lieber das Auto. Besonders in Kiel
ist es schwierig, dem Handball zu entgehen. Die Fans sind überall.
- ... Schiedsrichter
-
Ich würde mir wünschen, dass sie Profis werden. Sie und wir - das sind
zwei verschiedene Welten. Wir trainieren zweimal am Tag hart für den
Erfolg, sie üben ihren Job als Hobby aus. Ich würde mir wünschen, dass
unser Sport professioneller wird. Außerdem sollten die Regeln
eindeutiger sein und den Schiedsrichtern beispielsweise beim Zeitspiel,
Sperren oder Stürmerfouls weniger Entscheidungsspielräume lassen. Völlig
unsinnig sind die Vorschläge von Hassan Moustafa (Präsident des
Weltverbandes IHF, Anm. d. Red.) die Tore zu vergrößern, die Sechsmeter-Linie
zu verschieben oder die 45-Sekunden-Regel einzuführen, die die
Angriffszüge im Basketball begrenzt. Die Sportart darf nicht verändert
werden.
- ... den eigenen Stil
-
Wenn ich die Chance sehe, ein Tor zu werfen, dann werfe ich. Zumindest
habe ich das früher so gemacht. Ich spüre zwar jetzt noch immer dieses
Zucken im linken Arm, wenn sich eine Lücke ergibt. Aber ich habe
inzwischen gelernt, die Taktik trotzdem auszuspielen. Manchmal ist es
aber so, dass der Gegner eine Taktik gefunden hat, die unsere
neutralisiert. Dann hilft eben nur noch die Überraschung weiter.
- ... Stärke
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Ich bin jetzt in der achten Saison beim THW, einen fitteren Zeitz als
jetzt hat es in dieser Zeit nicht gegeben. Allerdings bringe ich diese
Top-Leistungen nicht immer. Es fehlt mir die Konstanz, diese Leistungen
in jedem Spiel abzuliefern. Das versuche ich in den Griff zu bekommen.
- ... Struktur
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Es stimmt, unser Leben ist sehr strukturiert. Aber ich bräuchte diese
Abläufe nicht, um mich zu strukturieren. Ich bin keiner, der in den Tag
hineinlebt. Ich trainiere sehr gerne für mich allein, liebe es, allein
zu laufen oder Krafttraining zu machen. Wahrscheinlich wäre ich auch ein
guter Einzelsportler geworden, ich weiß allerdings nicht, in welcher
Sportart. Wahrscheinlich hätte ich mich aber sehr gelangweilt. In der
Mannschaft ist es leichter, sich zu motivieren. Es macht mehr Spaß,
gemeinsam ein Ziel zu erreichen.
- ... Talent
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Es war sehr schnell klar, dass ich Talent habe. Mir ist es als
Zwölfjähriger zum ersten Mal aufgefallen, als ich in die Kreisauswahl
berufen wurde. In diesem Alter ist es leicht möglich, Defizite mit
Talent auszugleichen. In der A-Jugend wurde mir klar, dass ich etwas
verändern muss, dass mich Spieler überholt hatten, die weniger Talent
hatten. Ich war ziemlich dick geworden, und habe mich entschieden,
schnell und viel abzunehmen. In dieser Zeit haben mir Lutz Landgraf,
badischer Auswahltrainer, und Michael Roth, mein Trainer in Östringen,
sehr geholfen.
- ... Titel
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Für mich ist in erster Linie wichtig, ein gutes Körpergefühl zu haben.
Mich fit zu fühlen. Ist das der Fall, spielt auch der Kopf mit, dann
geht es mir gut. Titel sind zwar schön, aber letztlich nur der
offensichtliche Beweis dafür, der Beste gewesen zu sein. Deshalb freue
ich mich auch nicht so überschwänglich wie viele andere. Einige haben
sich gewundert, als ich bei der Ehrung nach dem Pokalsieg 2011 gelacht
habe. Das lag daran, dass ich gar nicht wusste, was mich erwartete, als
mein Name aufgerufen wurde. Ich hatte gerade mit einem Kollegen
gequatscht und nur mitbekommen, dass ich nach vorne kommen soll. Zum
besten Spieler gewählt worden zu sein, habe ich aber als eine große Ehre
empfunden. Eine besondere Rolle hat für mich der Champions-League-Titel
2010. Damit konnte keiner rechnen, dass wir Barcelona und Ciudad Real an
einem Wochenende schlagen würden. Zudem nach diesen klaren Rückständen.
Mein Ziel ist es, der "Beste" - ein Leistungsträger innerhalb der
Mannschaft - zu sein. Platz drei zu erreichen, wäre für mich keine
Motivation. Deshalb bin ich in Kiel.
- ... Verzicht
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Als Jugendlicher habe ich den Verzicht stark gespürt. Als ich innerhalb
kurzer Zeit abnehmen musste. Heute ist das Gefühl, als Leistungssportler
verzichten zu müssen, deutlich geringer geworden. Ich muss aufpassen,
was ich esse, und ich kann nicht Urlaub nehmen, wann ich es möchte. Aber
ich wäre nicht der Typ, der jeden Morgen um acht Uhr ins Büro gehen
möchte. Mir gefällt dieses Leben. Mir gefällt, auch in der Woche einmal
einen freien Tag zu haben. Ob ich etwas vermisse? Manchmal meine Ruhe,
sonst nichts.
- ... Zukunft
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Ich habe einen Vertrag bis 2014 und kann mir vorstellen, den in Kiel
noch einmal zu verlängern. Stefan Lövgren ist 39 Jahre alt gewesen, als
er seine Karriere beendet hat. Und er wäre fit genug gewesen, noch zwei
Jahre beim THW zu spielen. Warum sollte das bei mir nicht der Fall sein?
Ich werde auf jeden Fall in Kiel bleiben. Bis zum bitteren Ende quasi...
Ich möchte auf einem hohen Niveau abtreten, nicht im Alter noch als
Handballer über die Dörfer tingeln. Der Verein hat mir angeboten, nach
meiner aktiven Zeit beim THW arbeiten zu können. Handball ist mein
Leben, ganz ohne wird es auch nach meiner Karriere nicht gehen.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 11.06.2011)