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13.08.2011 Mannschaft

Kieler Nachrichten: Filips erste Welt

Aus den Kieler Nachrichten vom 13.08.2011:

Filip Jicha.
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Als Kind sah er aus wie ein Engel. Blaue Augen, blonde Locken. Weil Filip Jicha aber kein Engel war, wurde er Welthandballer. Wir besuchten die Familie des Tschechen, der für den Rekordmeister THW Kiel spielt, in Stary Plzenec (Altpilsen), einem gemütlichen Örtchen am Fuß des 560 Meter hohen Radyne.
Meine Mutter hat einmal gesagt, dass es kein weiteres Kind gegeben hätte, wenn Filip das erste gewesen wäre", sagt Hedvika Vyskocilova. Wenn die Schwester sich an die gemeinsame Kindheit erinnert, sieht sie stets das gleiche Bild: Filip, der mit der Sporttasche über der Schulter die Wohnung verlässt. "Er war sehr lebhaft, konnte nie still sitzen." Für ihre Mutter, Vera Jichova, wäre es ein Alptraum gewesen, in seiner Begleitung einkaufen zu müssen. "Wenn er nicht seinen Willen bekommen hat, warf er sich im Supermarkt hin und trommelte mit den Händen wütend auf den Boden." Erst der Handball habe ihm die Möglichkeit gegeben, seine Energie familienfreundlicher zu bündeln.

Viele Berührungspunkte hat es zwischen den Geschwistern nicht gegeben. "Was der Herrgott ihm gegeben hat, fehlt mir völlig. Der Ball und ich sind nie Freunde geworden", sagt die 36-Jährige, die auch heute noch oft dabei ist, wenn die Eltern bei den Spielen ihres Sohnes vor dem Bildschirm mitfiebern. "Diese Zeit ist ihnen heilig. Da darf es keinen Besuch geben, keiner anrufen. Alles muss ruhig sein." Das Champions-League-Finale 2009 zwischen Kiel und Ciudad Real hatten die Eltern noch live in der Halle verfolgt. Weil Jicha & Co damals verloren, bleiben sie bei den großen Spielen nun lieber zu Hause.

Hedvika Vyskocilova ist in der Heimat geblieben, arbeitet heute als Geschäftsführerin für das Unternehmen APB Plzen, das Schwertransporter und Kräne vertreibt. Weil sie fließend Deutsch spricht und beruflich regelmäßig nach Husum reist, ist der Kontakt zu ihrem Bruder nie abgerissen. "Ich bin stolz auf ihn. Nicht nur auf seine Leistungen, sondern auch auf ihn als Mensch." Einmal, als sie in der Not seinen Rat benötigte, habe er sich spontan ins Auto gesetzt, um von Kiel nach Pilsen zu fahren. 900 Kilometer. "Die Erfolge haben ihn komplett gemacht. Er ist eine riesige Persönlichkeit. Einer, der immer weiß, was er will."

Die Mutter von zwei Kindern sitzt im Innenhof ihrer Firma, mit 500 Mitarbeitern die größte ihrer Art in Tschechien, und übersetzt für ihren Vater, der hier als Hausmeister beschäftigt ist. Ein ruhiger Typ. 1,82 Meter groß, 20 Zentimeter kleiner als sein Sohn. Keiner, der gerne Sprüche klopft. Einer, der ein guter Eishockey-Spieler gewesen ist. "Eigentlich sollte Filip auch Hockey spielen", sagt Miroslav Jicha (58). "Aber die Kinderärztin hat sich schon früh über seine Schuhgröße erschrocken." Es sei schnell klar gewesen, dass er ein Hüne werden würde. Zu groß für Hockey, dem Sport Nummer eins in Tschechien.

Als Fünfjähriger nahm Filip Jicha den ersten Ball in die Hand, als Neunjähriger trug er das Trikot von Slavia Pilsen. Dem Verein mit der blauen Eule im Wappen. Er erinnert sich gut daran, sie als kleines Kind gemalt zu haben. Bei Slavia erhielt er die Einladung in die Kadetten-Auswahl, die Nationalmannschaft der C-Jugendlichen. Mit der B-Jugend wurde er tschechischer Meister und wurde im abschließenden Final Four zum besten Spieler gekürt. "Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass für mich etwas Großes möglich sein könnte." In Pilsen gab es in diesen Tagen allerdings nur eine Mannschaft, die im Männerbereich in der 1. Liga aktiv war. Bei Kovopetrol, dem Meister, spielte Jicha nur einmal mit. Sein Talent blieb unentdeckt. Als Gehalt für eine Saison bot der Verein ihm eine adidas-Sportausrüstung im Wert von 2000 Euro. Ein Grund, warum er als 17-Jähriger zu Dukla Prag wechselte. Weil er noch keinen Führerschein besaß, chauffierte ihn der Vater zum Training in die 100 Kilometer entfernte Hauptstadt: "Was ihn von vielen anderen guten Handballern unterschieden hat, war schon damals sein starker Wille." Der Traditionsverein zahlte ihm 1000 Euro pro Monat. Eine stolze Summe für einen Jugendlichen, der gelernt hatte, mit 100 Euro Taschengeld zu haushalten. Von seinem ersten Gehalt kaufte er seinen Eltern ein Geschenk und sich ein Flugticket, um Freundin Hana Karnoldova, die in London als Au-pair arbeitete, zu besuchen. Die beiden, seit Juli vergangenen Jahres verheiratet, kennen sich seit Kindertagen, gingen in dieselbe Klasse. Ihre Elternhäuser trennen nur ein paar Meter. "Er war größer als die anderen, hatte lange, dünne Beine und war sehr sportlich", sagt die 29-Jährige und lacht. Nein, Liebe auf den ersten Blick sei es nicht gewesen. "Aber mir hat gefallen, dass er so oft gelacht hat. Er war ein richtiger Kasper." Erst mit 18 habe es zwischen ihnen gefunkt. Beim Tanz in den Mai, das hat sie nicht vergessen. "Ich war mir am Tag danach nicht sicher, ob es ihm ernst gewesen war. Doch dann fuhr er bei meinen Eltern mit seiner Enduro vor. Ganz cool mit schwarzer Lederjacke." Jicha, der auch ein guter Eishockeyspieler ist, fuhr leidenschaftlich gerne Motorrad. Cross. Seit der Geburt von Valeria, die mittlerweile zwei Jahre alt ist, fährt er nicht mehr. "Ich mache mir zu viele Gedanken, dass etwas passieren könnte."

Hana, die Sport und Englisch studierte und in Pilsen als Sprachlehrerin arbeitete, schätzt an ihrem Mann, dass er sich treu geblieben ist. "Er ist immer optimistisch und hat seine Bodenständigkeit nicht verloren." Nun, so Vater Miroslav, würde ihm, dem noch immer Unruhigen, nur noch der Gleichmut fehlen. "Er hat alle Trophäen gewonnen. Jetzt sollte er es genießen, auf diesem Niveau noch einige Jahre spielen zu können."

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 13.08.2011)


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