Aus dem offiziellen THW-Magazin "ZEBRA", von living sports:
Im zweiten Teil des ZEBRA-Interviews mit
Alfred Gislason spricht der Erfolgstrainer
über die Chancen des THW in der Bundesliga, die Entwicklung
seiner Spieler und das so genannte Sieger-Gen.
Den ersten Teil des Interviews finden Sie
hier.
- ZEBRA:
-
Alfred, zuletzt reagierten Sie etwas unwirsch,
wenn man Sie auf den Startrekord ansprach. Haben Sie die 36:0 Punkte des
THW Kiel inzwischen "verdaut"?
- Alfred Gislason:
-
Ich hätte nicht geglaubt, dass überhaupt eine Mannschaft in der Lage wäre,
den Lemgoer Rekord zu brechen. Aber das Rekord-Gerede stört mich, es lenkt
vom Wesentlichen ab. Denn wichtiger als der Startrekord ist, dass wir weiter
so spielen.
- ZEBRA:
-
Wie kann man die Spieler bei diesem Vorsprung bei Laune halten?
- Alfred Gislason:
-
Das muss ich gar nicht. Keiner meiner Spieler denkt über den Vorsprung nach,
niemand glaubt, er könne sich darauf ausruhen.
- ZEBRA:
-
Hat der THW also noch Luft nach oben?
- Alfred Gislason:
-
Es geht immer besser. Und man wird immer auf einen Gegner treffen, der
ebenfalls sehr gut ist. Wir spielen auswärts besser, weil in der
Sparkassen-Arena die Gegner das Spiel langsam machen, und kein Mensch
mehr das Zeitspiel pfeift. Göppingen konnte bei uns eine Unterzahl
ausspielen, ohne jemals ernsthaft angegriffen zu haben. Die Schiris
hatten anderthalb Minuten den Arm oben und pfiffen nicht ab. Auswärts
wollen die Mannschaften ihren Handball spielen. Das kommt uns entgegen.
- ZEBRA:
-
Wer kann dem THW in der Bundesliga eigentlich noch gefährlich werden?
- Alfred Gislason:
-
Berlin ist sehr gut im Rennen. Aber die Füchse haben sehr viele schwere
Auswärtsspiele vor sich. Der HSV wird nicht mehr viele Punkte liegen
lassen. Der HSV hatte Probleme mit Verletzungen, das hat sie aus dem
Rhythmus gebracht. Flensburg hat die schwierigsten Auswärtshürden hinter
sich und hat alle Möglichkeiten, auf Platz zwei zu kommen. Und wir müssen
aufpassen, dass wir unseren Job machen und nicht irgendwo Punkte abgeben,
wo man keine verlieren sollte.
- ZEBRA:
-
Ist die Meisterschaft nicht längst entschieden?
- Alfred Gislason:
-
Nein. Wir haben gute Chancen auf den Titel. Mehr aber auch nicht. Die
nächsten Wochen werden schwierig. Mein erstes Ziel ist es, Hüttenberg zu
schlagen. Schwer wird es auch im Pokal. Wir spielen am Sonntagnachmittag
in Kopenhagen und müssen am Dienstag schon in Hannover antreten. Dadurch
haben die Jungs nicht die Erholung, die sie brauchen. Das ist nicht ideal,
denn beides sind sehr wichtige Spiele, in denen es um viel geht.
- ZEBRA:
-
Ist der THW Kiel in dieser Saison die beste Mannschaft, die sie je trainiert haben?
- Alfred Gislason:
-
Ich glaube, das könnte man so sagen. Obwohl ein Vergleich schwer ist. Im
ersten Jahr in Kiel hatte ich auch eine sehr gute und eingespielte Mannschaft
mit einem herausragendem Charakter wie Stefan Lövgren,
der mit seiner Spielintelligenz nicht zu übertreffen ist. Das Traurige am Sport
ist, dass solche Menschen nicht ewig spielen können. Jetzt sind andere in den
Hauptrollen. Wir versuchen, jedes Jahr besser zu werden, uns weiter zu entwickeln
und taktische Varianten zu perfektionieren. Ein Trainer hat unlängst gesagt, wir
würden hauptsächlich mit acht Spielzügen agieren. Das stimmt vielleicht. Aber wir
haben zu jedem dieser Spielzüge vielleicht bis zu zehn Varianten. Damit sieht
unser Spiel komplett anders aus.
- ZEBRA:
-
Sind Sie stolz auf bisher Geleistete?
- Alfred Gislason:
-
Ja. Die Jungs haben einen sehr guten Job gemacht. Aber es ist kein Zufall, dass
wir jedes enge Spiel in den letzten zehn Minuten gewonnen haben. Dafür wurde im
Vorfeld hart gearbeitet.
- ZEBRA:
-
Wer hat Ihrer Meinung nach den größten Sprung gemacht?
- Alfred Gislason:
-
Das ist schwer zu sagen. Zeitzi hat seine Form der
letzten Saison bestätigt. Kim ist ein anderer
Spielertyp und bringt andere Varianten rein. Die beiden ergänzen sich wirklich
super. Auch Daniel Narcisse kann uns sehr viel
bringen. Allein, dass diese beiden wieder da sind, macht uns sehr viel
schwerer auszurechnen. Andreas Palicka hat einen
Sprung nach vorn gemacht. Er ist stabiler geworden und hat uns in wichtigen
Spielen geholfen.
- ZEBRA:
-
Und Momir Ilic?
- Alfred Gislason:
-
Momir hat beinahe durchtrainiert, er kam in Topform
aus der Sommerpause und kam so super in die Saison. Anders als
Filip, der in der Vorbereitung lange gefehlt
hat und sich deshalb schwer tat, seine Form zu erreichen.
- ZEBRA:
-
Was ist mit Aron Palmarsson? Kümmern Sie
sich als Isländer besonders um ihn?
- Alfred Gislason:
-
Das Verhältnis zu Aron ist genauso intensiv
wie zu jedem anderen meiner Spieler. Natürlich habe ich bei der
EM genau beobachtet, welche Leistung
Aron für Island gebracht hat. Und
natürlich möchte ich ihn als Isländer nach vorn bringen, dafür
werde ich ihn allerdings nicht schonen - eher das Gegenteil ist der Fall.
- ZEBRA:
-
Und was hat es mit dem Kieler "Sieger-Gen" auf sich?
- Alfred Gislason:
-
Das ist Quatsch, das gibt es nicht. Meine Spieler können den vielfach
zitierten "besonderen Geist" nur haben, wenn sie sich gut vorbereitet
haben und dann auch noch gut spielen. Und wenn das Früchte trägt,
dann spornt das weiter an. Das ist nicht angeboren, und man bekommt
diesen "Geist" auch nicht, indem man das THW-Trikot überzieht. Jeder
Spieler kann sich bis zum Karrierende weiterentwickeln. Jeder Trainer
auch. Jeder, der glaubt, er weiß und kann schon alles, ist auf dem Weg
raus aus dem Handball-Geschäft. Das weiß auch ein erfahrener Mann wie
Marcus Ahlm. Marcus
konnte vor zwei Jahren nicht richtig in einer 3-2-1-Formation decken,
Filip konnte vor einem Jahr auch noch nicht
am Kreis spielen. Es geht beim Handball um den Willen und die
Bereitschaft, etwas dazu zu lernen.
- ZEBRA:
-
Im Sommer verlassen einige Spieler den Verein. Ist das so, als ob man
ein Familienmitglied gehen lassen muss?
- Alfred Gislason:
-
Ein Verein wie der THW Kiel ist kein Briefmarkensammelverein. Der THW
Kiel kann nicht alle Spieler auf ewig hier behalten. Und trotz der
Veränderungen steht der THW immer noch oben. Das macht auch die
Spieler, die nicht mehr das schwarz-weiße Trikot tragen, stolz, dabei
gewesen zu sein. Wir sind nicht der FC Barcelona, wo die Fußballer
den Handball mitfinanzieren. Oder Atletico Madrid, wo ein Milliardär
alles bezahlt. Oder Hamburg oder Kopenhagen. Wir haben gewisse
finanzielle Möglichkeiten, die sicherlich nicht schlecht sind. Aber
wir müssen daraus das Bestmögliche für den Verein machen. Das ist unsere
Pflicht.
(aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "ZEBRA", von living sports)