20.10.2012 | Bundesliga / Champions League |
Am nur wenige Kilometer entfernten Balaton (Plattensee) hatten die Ausflugsdampfer Pause, niemand wollte eine Tour um die Halbinsel Tihany buchen. Im Restaurant "Stefanie Vitorlas", das am See eine Terrasse in der Größe eines Tennisplatzes zu bieten hat, saßen zur Mittagszeit vier Gäste. Wer von hier, dem Örtchen Balatonfüred, nach Veszprem fährt, wird mehrfach darauf hingewiesen, dass Fahrzeuge den Weg kreuzen könnten, die noch von Pferden gezogen werden.
Die Ungarn wirken sanft, sehr gelassen. Viele sprechen Deutsch. Dass sie auch ein anderes Gesicht haben, wird bei dem Gastspiel des THW Kiel erst spät klar. 20 Minuten vor dem Anpfiff ist die 5200 Zuschauer fassende Arena nur zur Hälfte gefüllt, die "Zebras" werden in dem eher schlicht konzipierten Tempel aus Beton und Blech gleichgültig empfangen. Doch dann, als sich alle erheben und ohne Bundeswehr-Kapelle und Opernsänger leidenschaftlich ihre Nationalhymne anstimmen, wird klar, dass auch der sanfte Ungar einen Raum gefunden hat, in dem er einmal anders sein darf. Zwar weiterhin fair, aber irgendwie auch reichlich losgelöst.
Sollte es dem Kiel-Besieger gelingen, alle Fans beim Final4 am 1./2. Juni 2013 in die Köln-Arena zu schleusen, hat er eine realistische Chance, den Titel zu gewinnen. Der Kader ist so stark, dass er sich vor dem der Kieler oder dem des FC Barcelona nicht verstecken muss. Mit diesen Fans sind dann sogar Siege wie dieser möglich. Ein schmerzlicher für die "Zebras", aber keiner, der nachhaltig den Schlaf rauben sollte. Dafür haben sie ihrerseits zu gut gespielt.
Viel Zeit, über Veszprem nachzudenken, haben sie sowieso nicht. Gestern flogen sie nach Düsseldorf, um morgen (15 Uhr) beim Bundesliga-Letzten TUSEM Essen antreten zu können. Dazwischen erlebt der THW das Fußball-Derby zwischen Dortmund und Schalke 04 (heute, 15.30 Uhr) in einer VIP-Loge mit."Wenn der Triple-Sieger in der Nähe ist", sagt Marketing-Chef Carsten Cramer, "dann ist es ja selbstverständlich, dass der Double-Sieger ihn einlädt."
Auch in Essen ist die Vorfreude groß. Die knapp 2300 Zuschauer fassende Arena "am Hallo" wird ausverkauft sein. "Direkt nach dem Aufstieg haben die Fans angerufen und gefragt, wann das Kiel-Spiel ist und wann es Karten gibt", sagt Sportdirektor Stephan Krebietke. Sie hätten sich vorgenommen, mutig zur Sache zu gehen, schließlich seien die Erwartungen bescheiden. Kein Wunder, verlor der Aufsteiger doch sogar gegen die Abstiegskandidaten (Neuhausen, Minden und Gummersbach). "Wir schauen nicht nur von Saison zu Saison", sagt Krebietke, der den dreimaligen Meister auf einem guten Weg sieht, sich nach einer turbulenten Phase mit Lizenz-Entzug und Regionalliga-Absturz zu stabilisieren. Er wolle nicht ausschließen, dass der THW auch im nächsten Jahr ein Gegner sein wird. Um einzuschränken: "Im Moment wirkt das natürlich eher unwahrscheinlich."
(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 20.10.2012)
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