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03.06.2005 Interview

Serdarusic im Zebra-Journal-Interview: "Ohne den THW Kiel wäre ich ein Nichts"

Für den Meistertrainer steht der Verein an erster Stelle - Sonderlob für Marcus Ahlm

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.06.2005:

Der Name Noka Serdarusic steht für die Erfolge des THW. 1993 trat der gebürtige Kroate, der inzwischen längst im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, seinen Dienst in Kiel an. Zwölf Jahre, acht deutsche Handball-Meisterschaften: Der 54-jährige Übungsleiter ist der weitaus erfolgreichste Mann seiner Branche in der Bundesliga und über die Grenzen Deutschlands hinaus als Trainer-Fuchs bekannt.
Zebra-Journal:
Herr Serdarusic, nach dem Schlusspfiff in Düsseldorf waren Sie schnell in der Kabine verschwunden, die Mannschaft jubelte alleine. Auch in Kiel wurden Sie bei der Meistersause kaum gesehen. Gab es für Sie nichts zu feiern?
Noka Serdarusic:
Feiern war noch nie mein Ding, schon als Spieler nicht. Ich habe kurz auf dem Parkett gejubelt und dann war es gut. Damit es nicht missverständlich rüberkommt: Natürlich freue ich mich sehr über Siege und Titel. Aber ich ziehe mich zum Feiern lieber in einen kleinen Kreis zu rück. Ich esse gerne was, trinke eine Kleinigkeit da zu und unterhalte mich mit Freunden. Das bedeutet mir viel mehr. Die Mann schaft darf gerne extrovertiert die Sau rauslassen. Das kann ich voll verstehen. Fans und Spieler sollen feiern. Und wie. Sie haben acht bis neun Monate alles gegeben, richtige Entbehrungen in Kauf genommen. Da muss man den Emotionen freien Lauf geben.
Zebra-Journal:
Wie geht es für Sie jetzt weiter, was macht die Gesundheit nach dem Achillessehnenriss?
Noka Serdarusic:
Zunächst einmal geht es zum Behinderten gerechten Angeln nach Norwegen (lacht). Aber im Ernst. So toll fühle ich mich nicht. Das wird noch dauern, bis ich wieder normal laufen kann. Manchmal fressen mich die Schmerzen und Gedanken darüber noch auf. Aber das ist wohl so bei dieser Verletzung. Fürs Angeln wird es gehen. Ich fahre mit meinem Freund Jens Struck nach Norwegen. Wir wollen Lachse fangen und wechseln auch ein paar Tage rüber ans Meer, um ein paar große Fische zu angeln.
Zebra-Journal:
Was zeichnet den THW 2004/2005 aus?
Noka Serdarusic:
Entscheidend ist, dass diese Mannschaft auch bei schlechten Spielen immer den Hebel zum Umlegen gefunden hat. Sie hat an sich geglaubt und umgesetzt, was sie zu leisten im Stande ist. Und das ist sehr viel. Im Willen zum Titel ist auch die Erziehung zum Wollen. Dabei steckt einer den anderen an. Ein besonderes Merkmal dieser Mannschaft ist zudem, dass jeder einzelne individuelle Fähigkeiten mit bringt, die er unterschiedlich einsetzt. Jeder im Team kann morgen ganz allein ein Spiel entscheiden. Ob Henning Fritz, Stefan Lövgren, Christian Zeitz, Frode Hagen, sogar Henrik Lundström. Als er zu uns kam, war er sehr schüchtern. Je mehr er gespielt hat, um so mehr hat er Selbstvertrauen bekommen. In den letzten Wochen hat er bemerkenswerte Leistungen gezeigt. Grundsätzlich aber hat das Team die Philosophie verinnerlicht: Der THW steht über allem. Was ist ein Lövgren, was ist ein Fritz, was ist ein Serdarusic? Ich sage: nichts. Wichtig ist, dass sich jeder für das Gesamte einbringt. Der THW ist etwas Besonderes, das haben auch meine Spieler begriffen. Ich behaupte, ein Magnus Wislander wäre nie Jahrhundert-Handballer bei Redbergslids geworden, das ging erst, weil er in Kiel war. Er weiß es. Oder Demetrio Lozano, der das THW-Gefühl ebenfalls aufgesogen hatte. Der hat immer gesagt, Noka ist ein super Trainer, wir hatten immer ein prima Verhältnis. Dann kam es zur Entscheidung, ob wir den Vertrag mit ihm verlängern oder nicht. Wegen des Risikos seiner Knieverletzung haben wir schweren Herzens abgesagt. Ich habe ihm gesagt, dass wir nicht mehr mit ihm planen können. Seither spricht er nicht mehr mit mir. Er wollte also nicht unbedingt mit mir arbeiten, es ging ihm nur um den THW.
Zebra-Journal:
Welche Spieler würden Sie aus dem Kader wegen besonderer Leistungen herausheben?
Noka Serdarusic:
In erster Linie steht die Mannschaft als Ganzes für den Erfolg. Trotzdem würde ich Marcus Ahlm nennen. Schon im ersten Jahr hat er sich gut entwickelt, in dieser Saison hat er einen noch größeren Sprung nach vorn gemacht. Weil er im Angriff und in der Abwehr gleichermaßen überragende Leistungen zeigt, ist er für mich jetzt schon der kompletteste Spieler der gesamten Liga. Und: Er will immer noch mehr lernen. Das hört nicht auf bei ihm.
Zebra-Journal:
Wie sind Sie mit den Neuzugängen zufrieden?
Noka Serdarusic:
Henrik Lundström habe ich bereits erwähnt. Und Frode Hagen hat die Erwartungen mehr als erfüllt. Er hatte vorher schon gute Spiele in Nordhorn oder Barcelona, aber bei uns hat er drei Viertel der Saison konstant gute Leistungen gebracht. Er durfte auch Fehler machen und drei-, viermal verschießen. Das habe ich ihm gestattet. Er hat es gemerkt und uns am Ende oft noch geholfen. Aus dem Grund hat er auch seinem norwegischen Landsmann Kristian Kjelling empfohlen, nach Kiel zu kommen. Der schießt gerne. Hier darfst du es, hat er ihm gesagt. Vielleicht sehen wir ihn irgendwann bei uns (Serdarusic lacht).
Zebra-Journal:
Erinnern Sie sich an einen Moment in dieser Saison, wo Sie mir Ihrem Latein am Ende waren?
Noka Serdarusic:
Richtig ratlos war ich erst vor einigen Wochen bei dem Spiel gegen GWD Minden in Hannover. Da spielen wir eine schlechte erste Halbzeit, kommen kurz vor der Pause noch einmal auf 16:12 ran. In der Kabine besprechen wir in aller Ruhe, wie es weiter geht und wir kommen tat sächlich weiter ran und dann reißt unser Spiel völlig ab und wir liegen wieder 18:23 zurück. Da war mir klar, dass wir heute verlieren werden. Dennoch musste ich etwas ändern, schließlich werde ich dafür bezahlt. Aber ich habe es im festen Glauben gemacht, dass wir dieses Spiel verlieren würden.
Zebra-Journal:
Der THW ist mit nur sechs Minuspunkten durch die Saison gerauscht. Das ist ziemlich einmalig, oder?
Noka Serdarusic:
Kann man wohl sagen. Ich glaube auch nicht, dass das noch einmal zu wiederholen sein wird. Auch nicht mit weiteren Klassespielern, die noch kommen. Es hat eben vieles gepasst. Natürlich ist es der Traum ei nes jeden Trainers, einmal mit Null durch eine Punktrunde zu rasen. Aber das wird es nie geben.
Zebra-Journal:
Kiel und Flensburg sind weit vor der Konkurrenz ins Ziel gestürmt. Ist die Liga insgesamt schlechter geworden?
Noka Serdarusic:
Nein, im Gegenteil. Die Bundesliga hat sich durch klasse Neuzugänge weiter verstärkt. Es kommen immer mehr Spieler aus anderen Ligen nach Deutschland. Allein wir haben vier Top-Spieler verpflichtet, die in der nächsten Saison neu in die Bundesliga kommen. Schlüssig erklären kann man unseren Durchmarsch nicht. Man muss erst mal nach Nettelstedt fahren und gewinnen. Das wird auch im kommenden Jahr schwer genug werden. Überhaupt fragen die Leute jede Saison neu, wie es mit dem Handball weiter gehen soll. Die Zuschauer zahlen steigen stetig, überall werden große Hallen gebaut, die auch mit Fans gefüllt werden. Also, ich mache mir keine Sorgen.
Zebra-Journal:
Sie haben mit dem THW schon so viel gewonnen. Die Champions League fehlt noch. Ist die demnächst fällig?
Noka Serdarusic:
Wir sind personell jetzt einen Weg gegangen, der auf fünf, sechs, sieben Jahre ausgelegt ist. Klar ist, dass der THW weiter an der Spitze bleiben wird. Auch international, obwohl wir mit Mannschaften wie Ciudad Real finanziell nicht mithalten können. Wenn die einen haben wollen, bekommen sie ihn auch - es sei denn, gewisse Spieler sind vom THW-Konzept überzeugt. Letztlich aber ist es so: Natürlich haben wir alle das große Ziel, die Champions League nach Kiel zu holen. Dafür müss ten wir aber noch zwei weitere Top-Spieler holen. Wir sind auf der Suche.
Zebra-Journal:
Was empfinden Sie, wenn ein Spieler wie Johan Petersson vor 10000 Zuschauern in der Ostseehalle sagt, dass er mit Ihnen einen Freund gefunden habe?
Noka Serdarusic:
Wichtig ist, dass Leute, die aus dem Handball stammen, so etwas sagen. Die wissen, wovon sie reden. Wenn irgendeiner sagt, Noka ist mein Freund, dann ist mir das egal. Viele Spieler wie Morten Bjerre, Nikolaj Jacobsen, Staffan Olsson oder andere, die uns verlassen haben, rufen häufig an, wollen einen Rat oder melden sich einfach nur mal so. Das ist schön, das zeigt auch, dass sie sich in Kiel sehr wohl gefühlt haben. Auch wenn es nicht immer harmonisch zuging.
Zebra-Journal:
Es gab beim THW einmal die Philosophie, deutsche Spieler zu binden. Von den vier Neuzugängen für die kommende Saison hat keiner einen deutschen Pass, die beiden aus dem vergangenen Jahr hatten auch keinen. Ist der Plan gestorben?
Noka Serdarusic:
Natürlich nicht. Als deutscher Staatsbürger wäre es mir natürlich am liebsten, alle vier Neuen wären Deutsche. Wenn ich die Wahl hätte zwischen vier Inländern und vier Ausländern, die die gleiche Quali tät mitbringen, würde ich mich für Deutsche entscheiden. Das sind wir unserer Nationalität schuldig. Aber es geht um das große Ganze - den THW. Wir wollen Erfolg haben, deswegen holen wir Spieler, mit denen wir erfolgreich sein können.
Zebra-Journal:
Ist der jetzige Titel etwas Besonderes, und gibt es eine Meisterschaft an die Sie besonders gerne zurück denken?
Noka Serdarusic:
Der aktuelle Titel ist des wegen etwas Besonderes, weil wir nur sechs Minuspunkte kassiert haben und nur gegen zwei Mannschaften verloren haben. Die wichtigste Meisterschaft für mich aber war meine erste in Kiel 1994. Gegen die würde ich nichts eintauschen. Keine Meister schaft ist so intensiv gefeiert worden. 31 Jahre haben die Leute darauf warten müssen. Da habe ich übrigens auch sehr heftig mit gemacht.
(Das Gespräch führten Reimer Plöhn und Wolf Paarmann, aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.06.2005)


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