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29.07.2009 Mannschaft

"Handball-World": Das neue Kiel - noch der alte THW?

Von Frank Schneller, © 2009 www.handball-world.com:

Die Neuen beim THW: Momir Ilic, Peter Gentzel, Geschäftsführer Uli Derad, Tobias Reichmann, Christian Sprenger (v.l.n.r)
Klicken Sie zum Vergrößern! Die Neuen beim THW: Momir Ilic, Peter Gentzel, Geschäftsführer Uli Derad, Tobias Reichmann, Christian Sprenger (v.l.n.r)

Das Golfturnier in Hohwacht hat Tradition beim THW Kiel. Es ist ein alter Brauch beim Rekordmeister, mit diesem gemütlichen Sommer-Event die Saisonvorbereitung einzuläuten und das Team zusammen zu bringen mit Funktionären, Sponsoren und Journalisten. Dieses Jahr aber tummelten sich in vertrautem Umfeld zahlreiche gewöhnungsbedürftige, weil neue Gesichter - mit einem, Uli Derad, führte handball-world.com übrigens ein umfangreiches Interview. Unverkennbar: Der Handball-Branchenführer befindet sich massiv im Umbruch. Vom THW, der 2007 alle drei Titel abräumte, ist nicht mehr viel übrig. Das neue Kiel - noch der alte THW?
Was 2008 mit dem Trainerwechsel von Noka Serdarusic auf Alfred Gislason begann, setzte sich in diesem Sommer - bedingt durch den weiter ungeklärten Bestechungsskandal gezwungenermaßen - in einer Art Radikalkur fort: Der Manager ist nicht mehr der selbe, Uwe Schwenker musste als Folge der gegen ihn sowie Ex-Trainer Serdarusic erhobenen Anschuldigungen Plätze tauschen und könnte derzeit wohl nur als Berater tätig sein, die Vereinsstrukturen wurden komplett umgekrempelt, und auch innerhalb des Teams fand ein gehöriger Personaltausch statt: Stefan Lövgren - Karriere beendet. Nikola Karabatic - zurück in seine Heimat Montpellier. Vid Kavticnik - folgte seinem Freund Karabatic. Damit verlor der Meister und Pokalsieger drei absolute Stützen.

Die Neuverpflichtungen wie Momir Ilic können sich zwar mehr als nur sehen lassen, doch anders als letztes Jahr, als der neue Trainer Gislason in Folge des Zerwürfnisses zwischen Schwenker und Serdarusic kam und ein funktionierendes Team vorfand, muss sich der Kader erst einmal neu strukturieren.

Allein das Jahr eins nach Integrations- und Leitfigur Lövgren wäre dabei Herausforderung genug gewesen. Sein Abschied war als Ende einer Ära bereits einkalkuliert, der gleichzeitige Verlust des wohl weltbesten Handballers Nikola Karabatic indes ist eine weitere Hypothek. Denn: Einerseits verkörperte kein anderer Spieler die Sieger- und Kämpfermentalität wie der abspenstige Franzose und andererseits sollte eben dieser das schwere Erbe Lövgrens antreten. Aus diesen Plänen wird nun nichts. Neue Führungsfigur ist Kreisläufer Marcus Ahlm. Der neue Stratege im Spiel soll mittelfristig Neuzugang Aron Palmarsson werden. Doch der ist erst 19 und damit eigentlich zu jung, ein Weltklasseteam wie den THW zu führen.

Darum war nach der Verpflichtung einiger Hochkaräter nun auch noch der Transfer eines weiteren Mittelmanns im Gespräch - namentlich der seinerseits junge Kroate Duvnjak (Zagreb) und Daniel Narcisse (Chambery), den Gislason noch aus gemeinsamer Gummersbacher Zeit kennt und gerne wieder hätte. Doch Duvnjak wird voraussichtlich auf Jahre gesehen nicht nach Kiel wechseln (mit ihm verhandelte auch nie einer der neuen Verantwortlichen) und Narcisse zumindest nicht kurzfristig. So der Stand der Dinge. Zumal ja in Börge Lund noch ein weiterer Mittelmann unter Vertrag steht, der sich künftig auch im Angriff mehr in Szene setzen möchte - und könnte.

Unabhängig von einem weiteren Transfer dürfte Kiel auch künftig eine gewichtige Rolle in allen Wettbewerben spielen, der Kader ist stark genug, sich neben der weiter aufrüstenden Konkurrenz aus Mannheim und vor allem Hamburg als Favorit auf die Meisterschaft zu fühlen. Für viele Insider ist der THW sogar erneut Topfavorit. Ex-Manager Uwe Schwenker jedenfalls ist nicht nur stolz auf seine letzten - offiziellen - Amtshandlungen in Sachen Personal, er ist sich als Kenner der Szene auch sicher: "Um dieses Team braucht sich auch in Zukunft keiner zu sogen. Es ist erstklassig aufgestellt." Allein das Torhüter-Gespann Omeyer/Gentzel sei unvergleichlich.

Und das Umfeld? Die Geschäftsstelle zieht um. Ob der THW aber weiterhin als Top-Adresse national wie international wahrgenommen wird, liegt weniger an räumlichen Veränderungen. Eher relevant für den Ruf des Klubs ist, ob die Ermittlungen in der vermeintlichen Manipulations- und Veruntreuungsaffäre noch zu etwas führen, oder nicht. Und vor allem, ob der Strukturwandel hin zu einem frisch gegründeten Aufsichtsrat und einem personell neu besetzten Wirtschaftsausschuss - reibungslos verlaufen kann. Zwar sind drei der ehemaligen Gesellschafter weiterhin in den Gremien des THW dabei. Doch das Sagen haben neben Trainer Gislason und Neu-Geschäftsführer Uli Derad der neue Aufsichtsratchef Klaus-Hinrich Vater, ein IT-Unternehmer, und Ulrich Rüther, Vorsitzender des Hauptsponsors Provinzial sowie des neuen Wirtschaftsrates. Rüther rückte im Verlauf der Manipulationsaffäre in den Vordergrund, erkannte den Druck, dem sich die alte THW-Riege durch ihr Zögern aussetzte, den entstehenden Imageschaden ebenso - und forcierte den Wandel.

Personifiziert wird der am meisten durch den Wechsel von Uwe Schwenkers auf den Ex-Dormagener Uli Derad. Sein Vorgänger hinterlässt nicht nur einen langen Schatten, er nimmt in eben diesem auch noch weiterhin Anteil an den Geschicken des THW, wenngleich der neue Aufsichtsrat das eher aus einer gewissen Distanz betrachtet und Schwenkers künftiger Status, seine "Beziehung" zum THW derzeit offen ist. Mit dem neuen Manager Uli Derad führte handball-world.com unterdessen ein ausführliches Gespräch.

Das Tagesgeschäft jedenfalls hat Derad inzwischen übernommen. Er beendete u.a. eine Kooperation mit dem Zweitligisten Altenholz zu Gunsten des eigenen Regionalligateams. Außerdem musste er ein neues Trainingslager für die Profis finden. Das legendäre und jahrelang bei den Spielern gefürchtete Vorbereitungscamp in Varel entfällt aufgrund einer Hotelpleite. Diesmal ging es für den THW-Tross etliche Kilometer weiter südwestlich nach Lingen. Noch so ein Traditionsbruch: Auch wenn es um die Schleiferei geht, ist nichts mehr wie früher.

(von Frank Schneller, © 2009 www.handball-world.com)


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