THW-Logo
21.01.2002 Medien / Mannschaft

Serdarusic im Handball-Magazin-Interview: "Wir spielen homogener und kompakter"

Das Handball-Magazin im Internet.  Handball-Magazin-Mini-Abo.
Klicken Sie für weitere Infos! Das Handball-Magazin im Internet.
Handball-Magazin-Mini-Abo.
In der aktuellen Februar-Ausgabe des Handball-Magazins findet sich neben einer kompletten Vorschau auf die Europameisterschaft ein ausführliches Interview mit THW-Trainer Noka Serdarusic. Hier nun der Artikel mit freundlicher Genehmigung des Handball-Magazins.
Handball-Magazin:
Vor der Saison formulierten Sie als erstes Ziel, guten Handball spielen zu lassen. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Noka Serdarusic:
Mit sieben neuen Spielern braucht das Zeit. Ich habe mir vorgenommen, eine Mannschaft zu formen, die im kommenden Jahr mit kleinen Änderungen die Deutsche Meisterschaft holen kann. Weil ich charakterlich gute Menschen geholt habe, hat sich unser Spiel ganz schnell recht gut entwickelt.
Handball-Magazin:
Diese Stärke haben sehr wenige Experten erwartet...
Noka Serdarusic:
Noka Serdarusic formt eine Mannschaft, die in den kommenden Jahren wieder Deutscher Meister werden kann.
Klicken Sie für weitere Infos! Noka Serdarusic formt eine Mannschaft, die in den kommenden Jahren wieder Deutscher Meister werden kann.
Viele haben immer aus Respekt auf Kiel getippt, obwohl sie uns tiefer sahen. Staffan Olsson und Magnus Wislander waren schon vor drei Jahren abgeschrieben, dazu kam vor dieser Saison der Abgang von Nenad Perunicic. Da dachten sich wohl einige, jetzt gehe es bei uns bergab.
Handball-Magazin:
Und die vergangene Saison?
Noka Serdarusic:
Das war ein Aussetzer, die schlechteste Plazierung in meiner Kieler Zeit. Dabei hatten wir die beste Mannschaft, sie hätte ganz oben stehen müssen, aber sie hat nicht das gegeben, was in ihr steckte.
Handball-Magazin:
Warum nicht?
Noka Serdarusic:
Ich blicke nicht zurück. Über die Gründe haben schon viele geschrieben. Wir waren zum Beispiel qualitativ besser als Magdeburg und Flensburg. Das ist in dieser Saison anders, aber dafür spielen wir homogener und kompakter.
Handball-Magazin:
Wie schwer wiegt der Druck in dem erfolgsverwöhnten Kieler Umfeld?
Noka Serdarusic:
Es ist schwieriger als zu Anfang. Ich kann mich an 1993 erinnern. Da hatte ich gerade einen Zwei-Jahres-Vertrag bekommen und sagte bei einer Pressekonferenz, dieses tolle Publikum verdiene eine Deutsche Meisterschaft. Die Journalisten guckten mich mit lachenden Gesichtern an. Heute ist das selbstverständlich, aber damit muß ich leben.
Handball-Magazin:
Dabei müssen Sie das Team vorbereiten auf die Zeit nach Magnus Wislander und Staffan Olsson.
Noka Serdarusic:
Kiel ist ein Phänomen. Ob der THW um Platz fünf bis sieben oder den Titel spielt - die Ostseehalle bleibt ausverkauft. Vor zwanzig Jahren, als ich hier selbst spielte, war unser einziges Ziel, in der Klasse zu bleiben. Die Halle war ausverkauft und das Publikum noch lauter als heute. Kiel muß einer der besten Vereine in Deutschland und Europa bleiben - das können und werden wir mit unserem Potenzial, den Zuschauern und Sponsoren auch schaffen.
Handball-Magazin:
Aber was ist mit Olsson und Wislander?
Noka Serdarusic:
Sie bringen immer noch Leistung, obwohl sie schon vor vier Jahren brutal niedergeschrieben worden sind. Ich kann das nicht begreifen. Wislander ist Jahrhunderthandballer, und Olsson spielt überragend. Mich hat nie interessiert, ob ein Spieler 40 oder 14 Jahre alt ist. Hauptsache, er bringt Leistung. Nach Wislander und Olsson werden wir vielleicht nicht so ein Charisma in der Mannschaft haben, aber wir werden immer um die europäische und deutsche Spitze kämpfen.
Handball-Magazin:
Wie regeln Sie Wislanders Nachfolge?
Noka Serdarusic:
In jedem Fall brauchen wir noch einen Mann für die Abwehr, aber die Lücke, die Wislander hinterläßt, kann keiner schließen. Allerdings haben wir Sebastian Preiß, der in der kommenden Saison mit Klaus-Dieter Petersen am Kreis spielen kann.
Handball-Magazin:
Preiß hatte in Kiel einen beachtlichen Start...
Noka Serdarusic:
Daß er gleich ein paar Einsätze bekam und einen tollen Einstand in der Ostseehalle gab, war für ihn ein Ansporn. Sebastian zu verpflichten, war eine richtige Entscheidung. Und ich bin mir sicher, daß er Petersen in ein paar Jahren in Kiel und der Nationalmannschaft ablöst. Außerdem gibt es bei uns als jungen Mann auch noch Florian Wisotzki, der sich sehr gut entwickelt und mittlerweile in Tarp und Kiel spielt.
Handball-Magazin:
Der Kader hat mit Julio Fis einen entscheidenden Kick bekommen, oder?
Noka Serdarusic:
Er hat nichts anderes im Kopf, als hochzuspringen und Tore zu werfen. Allerdings fehlt ihm die spielerische Linie. Gegen eine defensive Abwehr ist er sehr gefährlich und für leichte Tore gut, wenn die Mannschaft für ihn Platz schafft. Ich werde Julio eine Jokerrolle zuordnen. Für ihn habe ich mich entschieden, weil er ein bißchen anders ist.
Handball-Magazin:
Und ein Ersatz für Piotr Przybecki...
Noka Serdarusic:
Der war bis zu seinem Kreuzbandriß sehr gut drauf, die Mannschaft hat sich so auf ihn gefreut. Es wäre schön, wenn Piotr es bis April, Mai wieder schafft und auf 90 Prozent seiner Leistung kommt.
Handball-Magazin:
Falls Steinar Ege wieder gesund wird, haben Sie vier erstklassige Torleute: eben Ege, Henning Fritz, Mattias Andersson und Sören Haagen.
Noka Serdarusic:
Vom Überfluß bekommt man nie Kopfschmerzen. Steinar war vor seiner Verletzung einer der Besten in Europa. An sein Comeback ist aber noch nicht zu denken. Mit Andersson hatte ich Glück. Der versteht sich mit Henning so blendend, als ob sie schon vier Jahre lang zusammengespielt hätten.
Handball-Magazin:
Haagen kann sich einen neuen Klub suchen, aber was passiert mit dem Rest?
Noka Serdarusic:
Ich kann einem Spieler wie Steinar nicht einen Fünf-Jahres-Vertrag geben und dann Auf Wiedersehen sagen. Wir geben ihm alle Chancen, wieder gesund zu werden und in Kiel zu spielen. Es kann sein, daß wir auch in der kommenden Saison drei Torleute unter Vertrag haben. In diesem Zusammenhang nenne ich immer wieder das Beispiel des Fußballers Heiko Herrlich. Das ist für mich wirklich groß. Kurz nach der Diagnose seines Gehirntumors hat Borussia Dortmund den Vertrag mit ihm verlängert. Ich glaube, daß der Verein damit Herrlich geholfen hat, gesund zu werden.
Handball-Magazin:
Was halten Sie von Christian Zeitz, dem neuen deutschen Linkshänder?
Noka Serdarusic:
Ein sehr interessanter Mann, der eine andere Spielweise als Olsson hat. Spieler wie Zeitz, Immel und Hens sind nicht nur für den THW interessant.
Handball-Magazin:
Mit einigen deutschen Spielern haben Sie sehr intensiv gesprochen, zum Beispiel Frank von Behren, der jedoch in Minden blieb.
Noka Serdarusic:
Ich sage ihm immer wieder: Frank, wenn du irgendwann etwas anderes denkst - ich bin der Trainer, der dich gern haben möchte. Auch wenn er zwischenzeitlich nicht gut gespielt hat. Ich weiß, was er kann und welche Qualitäten er hat. Frank hat den Fehler gemacht, in Minden zu bleiben.
Handball-Magazin:
Wie meinen Sie das?
Noka Serdarusic:
Mit uns wäre er besser geworden. Bei der WM wurde Frank hochgelobt, weil die Mannschaft gerade gut spielte. Kiel hätte seiner persönlichen Entwicklung gut getan. Ab und zu ist es nicht schlecht für junge Menschen, wenn sie von daheim wegkommen.
Handball-Magazin:
Von Frank von Behren als Kapitän führt der Weg direkt zur deutschen Nationalmannschaft. Was fehlt der Auswahl zu einem Erfolg bei einem großen Turnier?
Noka Serdarusic:
Eigentlich nichts. Es lag oft nur an einem Tor, sonst hätte das Team doch auf dem Treppchen gestanden. Und das verdient. Ich habe mal gesagt: Es gibt selten eine Nationalmannschaft, die so ungern zusammen ist, wie die deutsche. Das hat sich unter Heiner Brand geändert. Auf einmal lese ich von Kretzschmar oder Petersen, daß sie sich auf die Auswahl freuen.
Handball-Magazin:
Und die Diskussion um die Rückkehr von Volker Zerbe?
Noka Serdarusic:
Ich konnte ihn absolut nicht verstehen. Volker müßte stolz wie ein Pfau sein, für Deutschland zu spielen, und das mit ganzem Herzen wollen. Die Schweden sind da ganz anders: Wislander und Olsson freuen sich wie kleine Kinder auf die EM. Nationalmannschaft ist eine Sache, die man mit Stolz tun muß. Und nicht als Pflicht.
Handball-Magazin:
Bis 1998 waren sie kroatischer Staatsbürger. Für wen schlägt bei der Europameisterschaft in Schweden Ihr Herz?
Noka Serdarusic:
Ganz klar für Deutschland. Ich lebe hier, das ist meine Heimat. Keine Frage.
Handball-Magazin:
Sehen Sie einen EM-Favoriten?
Noka Serdarusic:
Ich werde bei den Halbfinals in Stockholm sein und wünsche mir, daß ich da Deutschland sehe. Taktisch unterscheiden sich die Mannschaften kaum. Es gibt keine Geheimnisse, man muß das Spiel der anderen nur lesen. Und Heiner kann das.
Handball-Magazin:
Ihre Hauptaufgabe ist jedoch die Bundesliga. Ist die noch immer die stärkste Liga der Welt?
Noka Serdarusic:
Natürlich. Nehmen wir mal die besten 30 Spieler - 20 stehen in Deutschland unter Vertrag, auch wenn Jackson Richardson in Spanien spielt. Die Spanier haben ein bißchen zugelegt, aber der Sechste oder Siebte der spanischen Liga hat nicht die gleiche Stärke wie sein Pendant in der Bundesliga.
Handball-Magazin:
Wird die Kluft in Deutschland zwischen den großen und kleinen Vereinen größer?
Noka Serdarusic:
Ja. Früher haben die Großen öfter verloren. Und mit einer guten Mannschaft hat man den anderen eine Lektion erteilt. Das ist heute nicht mehr so leicht. Andererseits gibt es so ab Platz zehn ein Gefälle, aber das ist im Fußball auch so - das ist unvermeidlich.
Handball-Magazin:
Und das Spiel an sich?
Noka Serdarusic:
Handball entwickelt sich weiter. Es sind die Krähen, die nur Schlechtes sehen wollen.
Handball-Magazin:
Helfen die neuen Regeln?
Noka Serdarusic:
Es gab schon länger die schnelle Mitte, aber erst jetzt können wir sie als taktisches Mittel einsetzen. Zum Beispiel in unserem Spiel gegen Essen. Das war Hochgeschwindigkeit. Handball wird noch schneller. Vielleicht können ältere Spieler wie Staffan und Magnus dann irgendwann nicht mehr mithalten.
Handball-Magazin:
Wie schaut Ihre Vision aus?
Noka Serdarusic:
Wir kommen hoffentlich so weit, daß man die Mittellinie abschafft, das Spiel komplett freigibt und vielleicht die Angriffszeit begrenzt. Das wäre das absolute Tempospiel, und die Deckungsklopper sind dann verloren.
Handball-Magazin:
Was heißt das für das Profil Ihrer Spieler?
Noka Serdarusic:
Sie müssen noch athletischer und schneller werden. Und für uns Trainer gibt es noch mehr taktische Arbeit. Aber mehr Tempo heißt auch mehr Tore - das ist für die Zuschauer noch attraktiver.
Handball-Magazin:
Wie sehen Sie den Drang des Handballs in die großen Hallen?
Noka Serdarusic:
Davon profitiert unsere Sportart. Warum also Neid? Man muß doch froh und glücklich über solche Initiativen sein. Die Bremser können nicht gewinnen, sonst haben wir verloren. Ich kann doch nicht stolz sein auf einen Titel in einer Sportart, die niemanden interessiert. Was bin ich denn dann?
Handball-Magazin:
Was treibt Sie an?
Noka Serdarusic:
Handball ist etwas anderes als ein Job, man muß es im Herzen und im Blut haben, das muß man lieben. Deshalb reagiere ich stinksauer auf alles, was gegen meinen Sport geht.
Handball-Magazin:
Wie sieht Ihre persönliche Planung aus?
Noka Serdarusic:
Vom Handball bekommt mich niemand weg, aber irgendwann muß ich auch mal Rentner werden. Bis 2003 habe ich hier noch Vertrag. Wenn nicht etwas Schlimmes passiert, will ich den auch erfüllen. Ein paar Jahre möchte ich noch arbeiten. Wenn das in Kiel sein sollte, hätte ich nichts dagegen. Hier habe ich mit meiner Frau ein Haus gebaut, und meine Tochter und meine Enkelin leben hier.
Handball-Magazin:
Wovon träumen Sie noch?
Noka Serdarusic:
Auf eine Nationalmannschaft habe ich keinen Appetit.
Handball-Magazin:
Und die Champions League?
Noka Serdarusic:
Jeder will das, was er nicht hat. Wir waren so nah dran. Viel zu oft. Das macht mich traurig. Nach dem letzten Halbfinale in Barcelona habe ich wieder angefangen zu rauchen. Ich habe Tage gebraucht, um das zu verkraften.
(Interview: Tim Oliver Kalle, Handball-Magazin)


(21.01.2002) Ihre Meinung im Fan-Forum? Zur Newsübersicht Zur Hauptseite