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21.05.2002 Bundesliga / Geschichte

Rückblick: Vor 30 Jahren trafen der TVG und der THW erstmals aufeinander

"Im kleinen Finale zu großer Form"

Vor zwei Wochen kreuzten die Traditionsvereine TV Großwallstadt und der THW Kiel zum 53. Mal seit 1977 in einem Pflichtspiel die Klingen. TVG-Fan Andreas Müller blickt für die THW-Fans auf die ersten beiden Aufeinandertreffen der "Liga-Dinos" im Jahr 1972 zurück.
Spiel um Platz 3: THW Kiel - TV Großwallstadt 18:17 und 22:15

Von Andreas Müller

Sekt oder Selters, Finale oder Saisonende, Torwartparade oder Strafwurftor - Voigt oder Epple. Mit 12:11 hatte der THW Kiel das Halbfinalhinspiel gegen Frisch Auf Göppingen gewonnen, 13:14 stand das Rückspiel nach der regulären Spielzeit. Auch in der bei Punkt- und Torgleichheit erforderlich gewordenen Verlängerung sah es lange Zeit gut aus, bis die beiden Unparteiischen wenige Sekunden vor Schluß bei einem Spielstand von 1:1 in der Verlängerung auf den ominösen Punkt vor dem Kieler Gehäuse deuteten. Nach knapp 70 ungemein dramatischen Minuten, droht der Nord-Zweite gegen den Süd-Ersten zu straucheln.

Dabei waren die Holsteiner einen weiten Weg gegangen und hofften nach einigen Jahren der Stagnation, wieder an die glänzenden Erfolge der vergangenen Jahrzehnte anknüpfen zu können. So führte man in der Runde 1971/72 lange die Tabelle der Nordgruppe - die Handballbundesliga war damals noch zweigeteilt - an, mußte allerdings nach einer kleinen sportlichen Krise den VfL Gummersbach vorbeiziehen lassen und hätte selbst den anderen zur Teilnahme an der Zwischenrunde berechtigenden Platz fast noch an den amtierenden Meister Grün-Weiß Dankersen oder den Hamburger SV verloren. Nun drohte selbst diese Saisonbilanz zur Makulatur zu werden. Doch dazu mußten die ehemaligen Kempa-Buben erst noch einmal Nervenstärke im Duell der beiden Besten dieses Abends beweisen: Göppingens Torjäger Paul Epple gegen Kiels Torwart Rainer Voigt. Zum Schrecken der 200 mitgereisten Kieler Fans und zur Freude der übrigen Zuschauer in der mit 5000 Handballanhängern überkochenden Hohenstaufenhalle läßt der Schütze dem Schlußmann zum Abschluß dieses Krimis keine Chance und beendet für den THW alle Meisterschaftsräume. Die Mannschaft von Hein Dahlinger trat mit leeren Händen die lange Rückfahrt aus Baden-Württemberg an.

Im Süden ging es dem TV Großwallstadt wenig besser: Zwar konnte man hier die übrige Konkurrenz auf den Plätzen zwei bis acht mit einer deutlichen Punktedifferenz distanzieren, aber auch für den Süd-Zweiten erwies sich mit dem VfL Gummersbach der Gruppensieger der anderen Staffel als zu stark.

Auf Initiative des Großwallstädter Bürgermeisters entschied man sich, noch ein inoffizielles Aufeinandertreffen um den dritten Platz auszutragen - das erste Duell zwischen dem THW Kiel und dem TV Großwallstadt war geboren. Der THW hatte dabei das Manko zu verkraften, auf Kreisläufer Herwig Ahrendsen und Torwart Rainer Voigt verzichten zu müssen, die sich mit dem Olympiakader Nord des Deutschen Handball-Bundes auf die anstehenden Spiele in München vorbereiteten. Der TV Großwallstadt hingegen konnte mit seiner nominellen Bestbesetzung antreten. Hauptleistungsträger der Mainfranken war in diesen Zeiten Josef Karrer, der gerade zum zweiten Mal in Folge Torschützenkönig der Süddivision geworden war. Trotzdem galt der Vertreter der etwas stärker eingeschätzten Nordgruppe als Favorit. Die gut 4.000 Fans in der damals genau 6.289 Zuschauer fassenden Kieler Ostseehalle hofften jedenfalls auf einen unterhaltsamen Handballabend und sie sollten nicht enttäuscht werden.

Von Anfang an stand die Partie auf einem ungemein hohen technischen und spielerischen Niveau: Zahlreiche Tempogegenstöße, sehenswerte Kombinationen und knallharte Würfe rissen das zahlende Klientel immer wieder von den Sitzen. Die Gäste, die bis zum 6:6 regelmäßig in Front lagen profitierten während des Spielgeschehens insbesondere von den Tempogegenstößen eines Rainer Oberle und der Wurfkraft von Josef Karrer und Peter Kuß aus der zweiten Reihe. Verlaß war auch auf den reaktionsschnellen Torwart Manfred Hofmann, der sich mit seinem Gegenüber Holger Oertel ein spannendes Fernduell lieferte. Doch so langsam schien die bessere Kieler Chancenauswertung und die bekannte Abwehrstärke der THW-Recken zum Tragen zu kommen. Die Großwallstädter gerieten durch drei Tempogegenstöße von Volker Harbs und Dr. Bernd Struck mit 6:9 in Rückstand und konnten vor dem Pausentee nur noch auf 7:9 verkürzen.

In den zweiten 30 Minuten schien es zunächst beim knappen Ergebnis zu bleiben, bis der THW Mitte der Hälfte eine Großwallstädter Schwächeperiode ausnutzte um die 10:9-Führung flugs in ein 15:9 umzuwandeln. Doch Großwallstadt bewies Moral und war spätestens bei der 16:15- Führung der Hausherren wieder im Spiel, die Partie war schon längst nicht mehr nur hochklassig sondern auch spannend. Letztlich gelang es den Kielern mit 18:17 einen knappen Heimsieg zu erzielen. Hauptgarant dabei war insbesondere die Reihe der verbliebenen Internationalen mit Peter Prehn, Dr. Bernd Struck, Volker Harbs und Gerhard Welz, die neben ihrem routinierten Spiel auch noch elf Treffer beisteuerten. Nicht nur Großwallstadts Trainer Erhard Merget - wie Dahlinger einst ein hervorragender Aktiver - sah "ein Spiel zweier gleichwertiger Mannschaften, wobei der knappe Sieg der Kieler verdient war."

Genau eine Woche später traf man sich in Elsenfeld wieder. Die 1.500 Zuschauer in der Rudolf-Harbig-Sporthalle sahen nach der knappen Hinspielniederlage die bessere Ausgangsposition bei ihrer Mannschaft, wußten aber natürlich auch, daß der THW sicherlich nur zu gerne als erste Vereinsmannschaft im Großwallstädter Heimspieldomizil würde gewinnen wollen. Großwallstadt mußte dabei verkraften, daß diesmal mit Karrer auch ein heimischer Akteur für die Nationalmannschaft am Ball war. Auf Kieler Seite zog sich nach den Berufungen von Ahrendsen und Voigt mit dem im Hinspiel glänzend Regie führenden Dr. Bernd Struck noch ein dritter Spieler nunmehr das Trikot mit dem Bundesadler über.

Wie schon im Hinspiel kamen auch diesmal die Zebras nur schwer in die Gänge. Die ersten zwanzig Minuten gestalteten die Männer von Erhard Merget gekonnt für ihre Farben, lagen über 4:2 und 5:3 mit 7:5 in Front. Doch auch hier eine Analogie zum ersten Aufeinandertreffen: Erneut schien der 19-jährige Holger Oertel sein Gehäuse förmlich zu vernageln, was seine Mitspieler Gerhard Welz, Hans-Jörg Graeper und Bernd Nielsen zu fünf Toren innerhalb von sechs Spielminuten nutzten. Rainer Oberle konnte für die Gastgeber vor dem Halbzeitpfiff nur noch auf 8:10 verkürzen. Wer jetzt noch hoffte, der Vizemeister der vorangegangenen Runde könne das Spiel noch drehen, sah sich allerdings getäuscht. Zwar stellte sich insbesondere das Triumvirat aus Schlußmann Manfred Hofmann und den erneut elfmal erfolgreichen Peter Kuß und Rainer Oberle den Kielern in den Weg, aber zunehmend erfolgloser. Die Kieler wußten mit ihrem schönen und ideenreichen Spiel zu überzeugen, was immer wieder in sehenswerten Geschossen wie Drehfallwürfen von Gerhard Welz oder Kreisläufertoren von Volker Harbs gipfelte. So konnten die Norddeutschen über 13:9 und 16:12 mit 19:13 in Front ziehen. Als Peter Kuß beim Stand von 15:19 nur den Pfosten traf, schien der heimische Hoffnungsschimmer endgültig zu erlöschen.

Das Fehlen von Josef Karrer war insbesondere in der zweiten Hälfte einfach nicht zu kompensieren, was zu zahlreichen Fehlern in Abwehr und Angriff führte. Mit einer sehenswerten Einzelaktion erhöhte erneut Welz mit seinem fünften Tor auf 20:15. Das Resultat wurde durch Hartwig Moll und Dieter Krause sogar noch zum vielleicht etwas zu hohen 22:15-Endstand ausgebaut. Ein sichtlich angetaner Trainer Hein Dahlinger bescheinigte seiner "Mannschaft ausgezeichnet gespielt und schöne Tore geschossen" zu haben. Der insgesamt verdiente dritte Platz, war dem THW jetzt jedenfalls nicht mehr zu nehmen. Mehr als ein sehr kleines Trostpflaster war er aber für viele der mit Meisterschaftsambitionen in die Zwischenrunde gestarteten Spieler dennoch wohl nicht.

Meister wurde schließlich nach einem spannenden und hart umkämpften Finale in Böblingen die TPSG FA Göppingen durch einen 14:12 (7:7)-Sieg gegen den VfL Gummersbach.

Wußten Sie eigentlich schon, daß...

... die damals zweigeteilte Bundesliga insgesamt 16 Mannschaften beinhaltete? In der Spielzeit 1971/72 waren dies im Norden (jeweils in der Reihenfolge der Plazierungen) VfL Gummersbach, THW Kiel, Grün-Weiß Dankersen, Hamburger SV, Phönix Essen, TuS Wellinghofen, VfL Bad Schwartau und der Flensburger TB. Im Süden traten neben FA Göppingen und dem TV Großwallstadt Mannschaften aus Möhringen, Rintheim, Dietzenbach, Milbertshofen, Leutershausen und Hochdorf an. Am Saisonende mußte sich Aufsteiger Flensburg gleich wieder aus der höchsten Spielklasse im Norden verabschieden, während im Süden Emporkömmling Dietzenbach die Klasse halten konnte und Hochdorf den Weg in die Zweitklassigkeit antreten mußte. Die designierten Aufsteiger hießen TV Grambke (Norden) und TV Hüttenberg (Süden).

... der THW schon damals Zuschauerkrösus der obersten Liga war? Von den 238.000 Zuschauern, die in der Saison 1971/72 in die Hallen pilgerten, waren bei sieben Heimspielen rund 50.000 zu Gast in der Kieler Ostseehalle.

... es von den vielen genannten Nationalspielern zwei auch wirklich schafften, bei den Olympischen Spielen 1972 in München mit von der Partie zu sein? Für Kiels Herwig Ahrendsen und Großwallstadts Josef Karrer wurde der Traum war, der bei den ersten Spielen, bei denen Hallenhandball im Programm war, mit Platz sechs aber eher ein abruptes Erwachen aus allen Hoffnungen fand. Weiterhin standen damals übrigens im Kader von Bundestrainer Werner Vick: Bode (Hamburg), Kater (Gummersbach), Rathjen (Göppingen); Braun, Lange (beide Bad Schwartau), Bucher (Göppingen), Feldhoff, Westebbe (beide Gummersbach), Finkelmann (Reinickendorfer Füchse), Lübking (Nettelstedt), Möller, Neuhaus, Rogge (alle Wellinghofen) und Wehnert (Dietzenbach).

...Heinrich "Hein" Dahlinger als erster Akteur des THW in der Nationalmannschaft mehr als 100 Tore erzielen konnte? Das im Herbst 80 Jahre alt werdende Handballidol brachte es in 38 Länderspielen auf 110 Tore, davon 16 Einsätze mit 39 Treffern in der Halle und 71 Torerfolg bei seinen 22 Partien auf dem Großfeld. Mit dem DHB-Team wurde der fünfmalige Deutsche Meister in den Jahren 1952 und 1955 Feldhandball-Weltmeister.

... passend zum "Thema 100" Magnus Wislander vor zwei Wochen sein 100. Tor in der laufenden Punkterunde erzielen konnte? Ein Jubiläum, das am Sonntag auch Großwallstadts Rechtsaußen Bernd Roos mittels Siebenmeter zu realisieren wußte. Weitere runde Zahlen schrieben in Aschaffenburg Stefan Lövgren und Morten Bjerre, die sich zum 150. bzw. 50. Mal in die laufende Torjägerliste eintragen konnten.

(© 2002 Andreas Müller)


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