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17.06.2003 Interview

Noka Serdarusic im Interview: "Mit Kontinuität wieder ganz nach oben"

Die Saison 2002/03 ist beendet. Im ZEBRA-Gespräch mit Redakteur Sascha Klahn (living sports) zog THW-Trainer Noka Serdarusic vor dem abschließenden Heimspiel gegen Wilhelmshaven eine Saisonbilanz.
Zebra:
Herr Serdarusic, zum Abschluss einer turbulenten Saison greift der THW Kiel doch noch einmal nach einem Europapokalplatz. Hatten Sie damit zwischendurch selbst noch gerechnet?
Noka Serdarusic:
Was heißt zwischendurch? Nach unserem misslungenen Saisonstart mit 2:12 Punkten kreisten meine Gedanken um alles andere als einen Europapokalplatz. Zwischenzeitlich haben wir zum Glück auch wieder ein paar gute Spiele abgeliefert, insbesondere natürlich zuletzt. Jetzt besteht noch eine geringe Chance auf einen Platz im Europapokal. Dafür müssen wir allerdings unsere restlichen beiden Spiele gewinnen und zudem darauf hoffen, dass Gummersbach in Nordhorn verliert.
Zebra:
Wie wichtig ist Ihnen die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb der kommenden Saison?
Noka Serdarusic:
Natürlich mschte ich gerne im Europapokal spielen - wir waren in all meinen zehn Jahren hier in Kiel international vertreten. Der THW hat sich in diesem Zeitraum einen großen Namen in Europa erarbeitet, den man allerdings selbst ohne eine Teilnahme nicht innerhalb eines Jahres so einfach verlieren würde. Aber natürlich spielen auch finanzielle Interessen eine Rolle. Wichtig ist jedoch in erster Linie, dass die Mannschaft weiter so gut spielt, wie sie es in den letzten Spielen getan hat. Alles andere ergibt sich dann.
Zebra:
Damit liegen Sie ganz auf einer Linie mit Ihrem Kapitän Stefan Lövgren, der eben wie Sie in den vergangenen Wochen stets betonte, die Mannschaft müsse einzig und allein dazu zurückfinden, wieder ordentlichen Handball zu spielen.
Noka Serdarusic:
Das stimmt. Denn es ist wichtig, dass die Moral und Stimmung in der Truppe stimmen, so dass sich die Spieler schon heute wieder auf das nächste Treffen bzw. den kommenden Saisonauftakt freuen. Nur wenn die Leistung stimmt, macht es auch wirklich Spaß. Allerdings darf man nicht vergessen, dass sechs bzw. sieben (mit Steinar Ege, Anmerkung der Redaktion) Spieler den Verein zum Saisonende verlassen werden und zum Teil schon auf gepackten Koffern sitzen. Da war es angesichts unserer sportlichen Situation rein menschlich nicht besonders leicht, sich über die vergangenen Wochen noch hundertprozentig zu konzentrieren.
Zebra:
Zwischenzeitlich stand der THW Kiel als Deutscher Meister in dieser Saison auf dem letzten Tabellenplatz. Was haben Sie damals gedacht?
Noka Serdarusic:
Noka Serdarusic: "Ich wusste schon vor dem Saisonstart, dass es in diesem Jahr schwer für uns werden würde."
Klicken Sie für weitere Infos! Noka Serdarusic: "Ich wusste schon vor dem Saisonstart, dass es in diesem Jahr schwer für uns werden würde."
Ich wusste schon vor dem Saisonstart, dass es in diesem Jahr schwer für uns werden würde - nicht nur, weil wir auf Magnus Wislander verzichten mussten. Es waren einige Vereine, die Ihre Titelansprüche anmeldeten und ich fragte mich schon, wo denn für uns Platz sein sollte, wenn alle anderen Meister werden wollten. Ich hatte nur darauf gehofft, ich hätte meine Mannschaft zum ersten Spieltag wieder komplett und wirklich fit zusammen - doch das war zu keinem Zeitpunkt der Saison der Fall. So war es für mich nicht verwunderlich, dass es seine Zeit gedauert hatte, bis zum Beispiel unsere 6:0-Abwehr wieder einigermaßen stimmte. Man kann nämlich nicht einfach einen eingespielten Spieler aus der Mitte herausnehmen und beliebig durch jemand anderes ersetzen. Wir mussten für jeden einzelnen Punkt kämpfen.
Zebra:
Die Schwierigkeiten hatten sich für Sie also frühzeitig angedeutet?
Noka Serdarusic:
Ja. Spieler wie zum Beispiel Przybecki, Lozano und Jacobsen sind dem Papier nach alles große Namen, doch auf dem Spielfeld haben sie in dieser Saison aufgrund ihrer schweren Verletzungen noch lange nicht wieder an ihre Bestleistungen anknüpfen können - das macht einen Riesenunterschied aus. Ein Mann wie Sebastian Preiß kam aus der zweiten Liga zu uns, hat sich sehr weiterentwickelt - und ich bin auch sehr zuversichtlich, dass er seinen Weg gehen wird - aber er ist noch nicht so weit, der erste Mann in einem Spitzenverein zu sein. Zudem hatten wir immer wieder mit weiteren Verletzungen zu kämpfen: Lövgren verletzte sich früh in der Saison, Olsson fiel lange Zeit aus. Die Liste war in diesem Jahr außergewöhnlich lang.
Zebra:
Wie fällt Ihr Saisonfazit vor dem letzten Heimspiel aus der THW-Sicht aus?
Noka Serdarusic:
Es war eine nervenaufreibende Saison, in der wir keine Ruhe fanden. Trotzdem war es für mich keine enttäuschende Saison. Inzwischen sind wir in unserem Spiel schon wieder viel variabler geworden - ich hätte mir gewünscht, ich hätte mit der jetzigen Besetzung von Anfang an spielen können. Zwar gab es unten den gegebenen Umständen zwei, drei Spiele, die wir auch so hätten gewinnen müssen, aber selbst das hätte sich in der Tabelle kaum ausgewirkt.
Zebra:
Und wie fällt Ihr Saisonfazit aus der Bundesliga-Sicht aus?
Noka Serdarusic:
Die ganz große Dominanz des TBV Lemgo war sicher ein bisschen überraschend, da so viele Vereine zuvor angekündigt hatten, Meister werden zu wollen. Allerdings hätte die deutsche Nationalmannschaft mit ihrem Lemgoer Stamm schon in Portugal Gold gewinnen ksnnen. Dass es am Ende nicht langte, lag in erster Linie am Ausfall des Lemgoers Volker Zerbe, nicht allein an der Verletzung von Stefan Kretzschmar. Als fast eine komplette Vereinsmannschaft des TBV Lemgo im WM-Finale steht, war spätestens da klar, dass sie später auch Meister werden oder zumindestens ganz vorn dabei sein müssten. Die einzig wirkliche, positive Überraschung dieser Saison war für mich die HSG Nordhorn, die sich trotz ihrer starken Einbußen souverän für den Europapokal qualifiziert hat. Die SG Wallau-Massenheim hingegen war für mich die große Enttäuschung, da ihr Trainer angekündigt hatte, dass sie in diesem Jahr Meister werden würden.
Zebra:
Gibt es für Sie neue Erkenntnisse, was das Spielerische oder die Taktik angeht?
Noka Serdarusic:
Nein, eigentlich nicht - selbst die in dieser Saison so viel diskutierte "schnelle Mitte" ist nicht neu. Denn das ist kein Patent des TBV Lemgo, so haben wir schon vor zwei Jahren gespielt. Dafür braucht man nur die richtigen Leute, die aus einer kompakten Deckung heraus agieren. Ich konnte auf der ganzen Welt keine taktischen Änderungen feststellen. Allerdings zeigt sich von Jahr zu Jahr, dass alle Spieler eine immer bessere Fitness und Kondition besitzen und fast über die gesamten 60 Minuten hohes Tempo spielen können. Dadurch fallen natürlich auch mehr Tore, was wiederum gut für die Zuschauer ist.
Zebra:
Das allerdings zerstöre die Handball-Kultur, sagte unlängst Ihr Kollege Bengt Johannsson, der schwedische Nationaltrainer.
Noka Serdarusic:
Womit er auch Recht hat! Aber wenn der Ball ganz langsam bis zur Mittellinie getragen wird, ist das alles andere als interessant. Wir spielen schlieõlich nicht für irgendeine Kultur, sondern für das Zuschauerinteresse - und die wollen Action und Tore sehen. Natürlich könnte man auch echte Handball-Kultur zeigen: Handball ist ein Kombinationsspiel vergleichbar dem Schach. Und natürlich ist es schön anzusehen, wenn man seinen Gegner regelrecht an die Wand spielt. Aber wenn Du gejagt wirst, kommst Du gar nicht mehr so schnell zurück, um auch nur irgendetwas Deiner Abwehr-Kultur zu präsentieren.
Zebra:
Am Ende dieser Saison verlassen gleich sechs Spieler den aktuellen Kader des THW. Mit Christian Scheffler, Martin Schmidt und Staffan Olsson gehen zusammen über 30 Jahre Kieler Geschichte.
Noka Serdarusic:
Solch eine lange gemeinsame Zeit kann man nicht einfach vergessen. Als ich zum THW kam, waren Scheffler und Schmidt noch ganz junge Bengel. Ich hatte die mit Abstand jüngste Mannschaft der Liga übernommen - komisch, dass ich seit fünf Jahren ständig nur lesen muss, ich könnte nur mit alten Spielern arbeiten. Jedenfalls standen die beiden nach nur einem halben Jahr in der Nationalmannschaft. Mit welchem Herz und Elan sie gespielt haben, davor Hut ab! Und mit Olsson geht eine echte Perssnlichkeit, die der gesamten Liga fehlen wird. Er hatte wirklich so viel Spielwitz und geniales Spielverständnis. Deswegen ist er unter den Handballern in Deutschland so sehr geschätzt, da sie am eigenen Leib erfahren haben und wirklich einschätzen können, was in ihm steckt. Das kriegt der Zuschauer mitunter gar nicht mit. Wenn in der Halle wegen eines Fehlpasses von Staffan gepfiffen wird, ist die geniale Idee dahinter meist schon aller Ehren wert. Ich wünsche ihm, dass er gegen Wilhelmshaven noch einmal ein richtig gutes Spiel macht, denn das hat er in jedem Fall verdient.
Zebra:
Der THW Kiel hat frühzeitig im Hinblick auf die kommende Saison einen Umbruch eingeläutet. Ist es jetzt an der Zeit für etwas Neues?
Noka Serdarusic:
Die Mannschaft hat in den letzten Jahren so ziemlich alles gewonnen und war vielleicht sogar ein bisschen ausgelutscht. Zur neuen Saison haben wir fünf neue Spieler verpflichtet und Piotr Przybecki ist nach seiner langen Verletzungspause beinahe ebenfalls noch als ein Neuzugang zu betrachten. Wir bekommen frisches, junges Blut und darauf baut die Mannschaft. Staffan Olsson ist inzwischen 39 Jahre alt, rein biologisch zeigt seine Leistungskurve jetzt nach unten. Trotzdem wird er bis zu seinem letzten Tag alles für den THW geben. Deswegen darf ich als sein Trainer auch nicht mit ihm schimpfen, sondern muss mich darauf einstellen. Von daher ist es schon an der Zeit, in Kiel etwas Neues aufzubauen, denn man wird auf Dauer nicht fragen, wer in der Mannschaft steht, sondern wo die Mannschaft steht.
Zebra:
Glauben Sie, dass der THW Kiel jetzt noch einmal eine ähnliche Ära starten kann, wie es bei ihrem Amtsantritt im Sommer 1993 der Fall war?
Noka Serdarusic:
Die kommende Situation ist nicht mit der aus der Saison 1993/94 vergleichbar, als wir auf Anhieb Meister wurden. Damals war nur Klaus-Dieter Petersen neu in der Mannschaft. Die, die morgen zum THW Kiel kommen, haben vorher noch niemals zusammen gespielt. Das ist etwas anderes. Und im Jahr 2004 sollen noch ein oder zwei weitere junge Talente zum THW Kiel geholt werden. Wenn wir jedoch erneut mit Kontinuität über sieben oder acht Jahre mit dieser Mannschaft arbeiten, werden wir uns wieder ganz nach oben an die Spitze spielen. Das ist klar!
(Das Gespräch führte Sascha Klahn (living sports).)


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