Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 05.09.2003:
Zehn Jahre hat
Noka Serdarusic als THW-Trainer hinter sich gebracht. Überwiegend
erfolgreich. Sieben deutsche Meistertitel sprechen für sich. Mit dem Eintritt in
sein zweites Jahrzehnt beginnt gleich zeitig ein tiefer personelle Einschnitt.
Die Erfolgsgaranten
Wislander und
Olsson haben sich verabschiedet,
Serdarusic fängt mit jungen Spielern von vorne an.
- Kieler Nachrichten:
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Das Durchschnittsalter Ihrer Mannschaft ist auf 27,4 Jahre zurückgegangen,
es wird in der kommenden zwei Jahren noch weiter sinken. Dann arbeiten Sie
vielleicht mit der jüngsten Bundesligamannschaft - wie 1993 zu Ihrem THW-Einstieg.
Ist die Situation vergleichbar?
- Noka Serdarusic:
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Nur bedingt. 1993 habe ich ein Mannschaft vorgesetzt bekommen, die hatte
ich selbst nicht zusammengestellt. Das aktuelle Team, das in den kommenden
Jahren noch punktuelle Veränderungen erfahren wird, ist das
gemeinsame Werk von Manager
Uwe Schwenker und mir. Es
entspricht meinen Vorstellungen - aber das heißt immer noch nicht,
dass sofort alles passen muss. Auf der Platte stehen
jetzt Leute, die sich vorher gar nicht kannten.
Boquist spielt
mit Preiß,
Ahlm mit
Pungartnik,
Wagner mit
Boquist. Für alle ist es neu.
Wir müssen uns einspielen. Die Mannschaft von 1993 kannte sich,
jeder wusste, wie der andere sich bewegt. Ich musste damals nur im
taktischen Bereich etwas verändern. Das war vergleichbar mit
Zuständen von Mannschaften wie heute bei Lemgo. Die kannst du nachts
um vier Uhr wecken, dann stehen die auf und spielen ihren Stiefel herunter.
Mit meinen neuen Team wird es sicher noch eine ganz Weile dauern,
bis wir dort angelangt sind.
- Kieler Nachrichten:
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Es gibt Leute im Umfeld, die behaupten, Sie könnten nicht mit jungen
Leuten arbeiten...
- Noka Serdarusic:
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Sollen die doch reden. Als ich 1993 meinen Dienst in Kiel angetreten habe,
war der THW die jüngste Mannschaft der Liga. Was dabei heraus gekommen ist,
dürfte sich herumgesprochen haben. Auch bei anderen
Klubs ging es ganz gut mit dem Nachwuchs und mir. In Bad Schwartau zum
Beispiel. Knorr und
Lüdkte waren gerade 18 Jahre alt.
Beide wurden Nationalspieler. In Kiel setzte sich das mit
Scheffler,
Schmidt,
Bech etc. fort.
Richtig ist, dass ich sehr gerne mit jungen Leuten zu tun habe.
Vorausgesetzt sie sind ehrgeizig. Die Jungen haben mehr Power,
sind neugierig und lernwillig. Es ist tausendmal einfacher, mit ihnen
zu arbeiten als mit älteren, ausgebufften Leuten, die schon alles erlebt haben.
- Kieler Nachrichten:
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Wie machen Sie sich ein Bild über Spieler, die sie holen wollen?
- Noka Serdarusic:
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Wenn ich einen jungen Mann haben will, lasse ich mir von dessen Qualitäten
nicht erzählen, sondern gucke ihn mir selber an. Wichtig ist neben
spielerischen Qualitäten der Charakter. Das heißt: wie lebt er
in einer Gruppe, wie verhält er sich außerhalb des Spielfeldes?
Spätestens nach einer Saison
weiß ich Bescheid. In den allermeisten Fällen hat es gepasst.
- Kieler Nachrichten:
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Gibt es ein Scout-System beim THW?
- Noka Serdarusic:
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Nein, so etwas gibt es meines Wissens überhaupt nicht in der Bundesliga.
Auf Talente werden wir durch Mund-zu-Mund-Propaganda aufmerksam.
Weil der THW weltweit Kontakte besitzt, zahlt sich dieses Netzwerk aus.
Gute Leute rutschen bei uns nicht durchs Sieb. Das war auch mit
Sven Christophersen aus Stockelsdorf so. Ich hatte den
17-Jährigen im Januar zum Probetraining. Ein großes Talent.
Wir wollten ihn behutsam mit Zweitspielrecht aufbauen, aber es sollte
für ihn alles ganz schnell gehen, mit Vertrag und so weiter.
Das wollten wir nicht. Jetzt ist er in Lemgo.
- Kieler Nachrichten:
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Wie weit sind Sie mit Ihrer Mannschaft, kann die Bundesliga kommen?
- Noka Serdarusic:
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Was wir beim Saisoneröffnungsspiel gegen Göteborg
gespielt haben, war schon ganz ansehnlich. Aber zu erwarten, dass es
immer so läuft, wäre unrealistisch. Einen Tag später bei der
SG Kronau-Östringen gab es schon die befürchtete Berg- und Talfahrt.
Die Schwankungen sind einfach noch zu stark, der Unterschied zwischen dem
höchsten und tiefsten Level zu groß. Ob wir uns schnell stabilisieren können,
müssen wir abwarten. Am liebsten wäre mir, es klappt schon morgen beim
Auftakt in Großwallstadt.
- Kieler Nachrichten:
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Mit einem gesunden
Stefan Lövgren sähe Vieles anders aus?
- Noka Serdarusic:
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Immer nur miesepetrig drauf? Irrtum. Der Beweis:
Noka Serdarusic
kann sich auch freuen.
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Natürlich. Zurzeit spielt
Martin Boquist auf der Mittelposition,
aber es ist zu viel verlangt, alle Last auf seine Schultern zu packen.
Martin ist ein großer Handball-Stratege und
kann ein sehr guter Spieler werden, dennoch können wir zum jetzigen
Zeitpunkt sowohl in der Deckung als auch im Angriff noch keine volle
Leistung von ihm erwarten. Er weiß einfach zu wenig von unserem Spiel.
Stefan Lövgren ist Dreh- und Angelpunkt bei uns.
Ohne ihn kommt sich die Mannschaft vor wie eine Touristengruppe im Urwald
ohne Führer. Die bekommen eine Krise und geraten in Panik. Ich denke aber,
dass wir das für die ersten Spiele ohne
Stefan noch in den Griff bekommen werden.
- Kieler Nachrichten:
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Wenn Lövgren gesund zurückkommt, wie lautet dann
die Aufgaben Verteilung?
- Noka Serdarusic:
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Stefan hat bei uns fast ausschließlich
Mittelmann gespielt. Das hat er sehr gut gemacht, obwohl er sich selbst
lange Zeit eher als Halblinker sah. Mit
Martin dürften wir jetzt variabler werden.
Beide können sich in der Mitte und auf Halb abwechseln, erhalten Pausen und
bekommen den Kopf frei, um noch effektiver im Angriff zu spielen.
Zusammen mit Piotr Przybecki,
Florian Wisotzki und
Demetrio Lozano
haben wir auf der Rechtshänderseite sehr viel zu bieten.
- Kieler Nachrichten:
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Zuletzt haben sie fast nur die defensivere 6:0-Abwehrformation spielen lassen.
Personelle Alternativen waren der Grund. Ändert sich durch die Neuzugänge
etwas?
- Noka Serdarusic:
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Ich denke schon. Wir haben verstärkt offensive Varianten geprobt.
Wir müssen zwar noch viel üben, aber ich bin optimistisch, dass wir bald
in der Lage sein werden, je nach Spielsituation von einer 6:0 auf 3:2:1
umzustellen. Das dürfte unserem Spiel gut tun.
- Kieler Nachrichten:
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Welche Klubs werden die kommende Saison dominieren, wer wird Meister?
- Noka Serdarusic:
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Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lemgo wieder ganz vorne landen wird.
Erster Verfolger dürfte die SG Flensburg sein. Magdeburg möchte ich
nicht zu nahe treten, aber die werden wohl nicht die gute Rolle der
vergangenen Saison wiederholen können. Dass Viele den HSV als
Geheimfavoriten betrachten, kann ich nicht teilen. Die werden ordentlich mitmischen,
aber ganz oben keine Rolle spielen. Wir waren im letzten Jahr nur
Sechster. Läuft es bei uns gut, rechne ich fest damit, dass der
THW wieder ein ernsthafter Anwärter auf den dritten Champions-League-Platz
werden dürfte.
- Kieler Nachrichten:
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Wie beurteilen Sie das Theater um den Fernsehvertrag? Fehlt Handball die
Attraktivität, um vernünftig in den Medien platziert zu werden?
- Noka Serdarusic:
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Die Handballer haben im Prinzip alles getan. Bei uns ist die beste Liga der
Welt zu Hause, die Zuschauerzahlen steigen ständig, außerdem ist
die Nationalmannschaft in die Weltspitze aufgestiegen, Heiner Brand kann Gold
bei Olympia in Athen holen. Aber was können wir machen, wenn die Fernsehleute
trotzdem nicht kommen? Wenn hier 30 000 Menschen eine Meisterschaft feiern,
kommt keine Live-Kamera, aber wenn irgendwo 300 Leute randalieren,
ist sofort jemand da. Außerdem überrollt der Fußball alles.
- Kieler Nachrichten:
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Zurück zum THW. Der Umbruch ist vollzogen, fünf junge Leute sind
neu hinzugekommen. Haben Sie jetzt die Mannschaft zusammen, die Kiel wieder
glücklich machen kann?
- Noka Serdarusic:
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Wie schon gesagt, wird es noch ein paar punktuelle Veränderungen geben.
Dann haben wir das Team, das Kiel wieder nach vorn bringen dürfte.
Mit dieser Mannschaft können wir wieder
Meister werden und haben mindestens acht Jahre Ruhe.
Es könnte tatsächlich so kommen,
dass der THW wieder zur
jüngsten und gleichzeitig besten Bundesligamannschaft heranreift.
(Das Gespräch führte Reimer Plöhn, aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 05.09.2003)