Das Handball-Magazin berichtete in seiner Ausgabe 10/2003 über den THW-Neuzugang
Adrian Wagner.
Hier der Artikel mit freundlicher Genehmigung des Handball-Magazins.
Der Besuch schleicht sich heran, schaut mit großen Augen umher,
steht einen Moment lang still da und trottet schließlich lautlos
von dannen.
Adrian Wagner schaut dem Reh, das da gerade die
Terrasse passiert hat, verdutzt hinterher und staunt wieder über
seine neue Welt. "Unbeschreiblich ist das hier", sagt der 25-Jährige,
der die Großstadt Hamburg verließ und nun in der
holsteinischen Provinz sein Glück sucht. Im Kieler Vorort Mönkeberg
bezog er vor einigen Wochen mit Freundin Nici eine
Doppelhaushälfte. Stunden nach dem morgendlichen Schauspiel findet
sich
Wagner an seinem Arbeitsplatz wieder: statt ländlicher Idylle
tosende Emotionen in der Ostseehalle. Das erste Heimspiel des THW
Kiel, seine Premiere im Kreis der Zebras. Ein wenig muss er
aufpassen, nicht auf die gegnerische Seite zu laufen, denn bisher
kannte er sich hier nur als Gast aus. Beim
30:28 gegen TUSEM Essen
stellt sich der Linksaußen seinem neuen Publikum mit vier Toren
vor, eine Woche zuvor hatte er dem THW mit einem Treffer Sekunden
vor Schluss
ein 24:24-Unentschieden in Großwallstadt gerettet.
Trainer Serdarusic erfüllte sich einen lang gehegten Wunsch
Wagner ist angekommen in Kiel, und damit erfüllte sich auch Trainer
Zvonimir Serdarusic einen lang gehegten Wunsch. "
Adrian
ist
Nokas
und mein Wunschspieler", sagt THW-Manager
Uwe Schwenker, der früher
selbst ein Linksaußen war und 72 Mal für die deutsche
Nationalmannschaft spielte.
Wagner beobachteten
Schwenker und
Serdarusic schon, als der noch in der Jugend des AMTV Hamburg
spielte. Mit 17 wechselte der hoch gelobte Rechtshänder nach Bad
Schwartau in die 2. Liga, um sich dort unter dem Trainer Milomir
Mijatovic zu beweisen. Der Schritt vom Talent zum Spieler dauerte
allerdings sehr lange - so lange, dass der junge Mann bereits ans
Aufgeben dachte. Erst Schwartaus Manager Manfred Diebitz und der
schwedische Trainer Anders Fältnäs gaben Wagner eine wirkliche
Chance. Fortan lernte er an der Seite des Polen Marek Kordowiecki
das Handwerk eines Linksaußen - und schoss in der Saison 1999/2000
"kerzengerade nach oben" (
Wagner). Damals stieg er sogar zum
Kapitän auf, der eine Mannschaft mit Stars wie dem
Weltklassetorwart
Goran Stojanovic führte.
Doch vor ihm türmten
sich immer mehr Hindernisse auf. Weil er wegen ausbleibender
Zahlungen gegen seinen in finanziellen Wirren verlorenen Verein
klagte, wurde er noch vor dem Pokalsieg 2001 degradiert. Im Jahr
darauf bremste ihn Pfeiffersches Drüsenfieber. Und der Wandel der
SG VfL Bad Schwartau zum HSV Hamburg, verbunden mit dem Umzug des
Klubs in seine Heimatstadt, verlor auch nach und nach den Glanz -
obwohl er sich mit der Bundesliga vor der eigenen Haustür
eigentlich einen Kindheitstraum erfüllt hatte. "Es gab zu viel zu
tun für jeden Einzelnen", sagt Wagner. Termine hier, Termine da -
alles nur, um den Hamburgern die Ballwerfer des HSV nahe zu
bringen. Wagner verlor seine ursprüngliche Profession aus dem Auge,
dabei "hängt in meiner Situation alles nur vom Sportlichen ab". Der
Wechsel nach Kiel war für ihn die logische Konsequenz und der
Ausweg aus einer verfahrenen Situation.
Beim zehnmaligen deutschen
Meister muss er sich auf dem linken Flügel mit dem spektakulären
Dänen Nikolaj Jacobsen messen.
Wagner der schnelle und geradlinige
Mann, Jacobsen als unberechenbare Zaubermaus. Zwei Typen, die sich
ideal ergänzen. Noka Serdarusic hat sich längst vom sachlichen
Spiel seines neuen Außen begeistern lassen. Das liegt auch an
dessen defensiven Qualitäten. Wagner deckt nicht nur auf der linken
Seite, sondern auch auf der halben Position. "Tierischen Spaß"
empfindet Wagner bei der Plackerei in der Defensive. "Ich bin froh,
dass Noka mich da einsetzt." Eine Stärke übrigens, die er mit
Torsten Jansen, seinem Nachfolger in Hamburg, teilt. Mit Jansen sei
wieder mehr Tempo möglich, soll der HSV-Trainer Bob Hanning gesagt
haben. Wagner kommentiert das nicht. In den ersten Spielen für den
THW Kiel traf er vor allem aus dem Gegenstoß. Das sei doch ein
Zeichen, sagt er ruhig. "Auch mit mir kann man schnellen
Angriffshandball spielen."
Das macht ihn auch für die Nationalmannschaft interessant. 23
Einsätze ermöglichte ihm Bundestrainer Heiner Brand bisher. Wagner
fügt sich nach der verpassten WM-Teilnahme bescheiden in seine
Rolle als Wartender. "Ich kann nur durch noch bessere Leistungen
zeigen, dass ich auch in der Lage wäre, einen guten Part zu
übernehmen. Das", sagt er, "das bin ich schuldig geblieben." Noch.
Wagner brennt jedenfalls auf seine Chance, denn die Olympischen
Spielen in Athen sind "immer noch mein Ziel. Darauf bin ich heiß."
Selbst Addi sammelt Meilen
Adrian Wagner lächelt, wenn er über seine große Schwäche spricht.
Sich in einen Flieger zu begeben, bereitet ihm schlicht und
ergreifend Angst. So wie dem niederländischen Fußballer Dennis
Bergkamp, der zu den Europapokalspielen seines Vereins Arsenal
London immer mit dem Auto fährt, während seine Mitspieler aus der
Luft einschweben. Zum World-Cup in Schweden ließ sich
Wagner im
vergangenen Jahr von einem Betreuer des HSV Hamburg fahren, um den
Flug zu vermeiden. Als er im Januar mit dem Großwallstädter Heiko
Grimm um den letzten freien Platz im WM-Kader kämpfte, frotzelte
die BILD-Zeitung: "Fliegen oder fliegen!" Mit dem Flugzeug nach
Portugal oder aus dem Kader.
Wagner hat seine Angst längst in den
Griff bekommen. Dass Fliegen zu seinen Pflichten zählt, findet sich
sogar in seinem Vertrag wieder. Der erste lange Flug steht ihm zum
Start des EHF-Cups bevor - nach Bosnien-Herzegowina zu RK Izvidac
Ljubuski.
Wagner sieht es gelassen: "Ich habe mittlerweile sogar
eine Miles-and-More-Karte."
Zitat:
"Addi ist einer der schnellsten und sprungstärksten Spieler der
Liga und weiß selbst noch gar nicht, dass er sogar im Mittelblock
decken kann."
Klaus-Dieter Petersen, Abwehrchef und Co-Trainer des
THW Kiel
(Von Tim Oliver Kalle, Handball-Magazin)