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30.04.2007 Champions League

"Handball-World": Champions League Pokal schon kaputt - Kiel feiert seine Helden

Von Olaf Nolden, © 2007 www.handball-world.com:

Acht Feldspieler, zwei Torleute, ein Ziel: Der THW Kiel hat mit einem unbändigen Willen und einer enormen Kraftanstrengung endlich das große Ziel Champions League Sieg erreicht. Nach insgesamt 120 Minuten gegen den Erzrivalen Flensburg hatte der dezimierte Kader der Kieler die Mannen aus Flensburg niedergerungen und mit dem langsamsten Spiel seit der Ära Wislander eine taktische Meisterleistung vollbracht. Nach dem Schlusspfiff in einem denkwürdigen Finale brachen in Kiel alle Dämme (siehe Spielbericht).
Es war einmal mehr Klaus-Dieter Petersen, der bei den Feierlichkeiten zum Champions League-Triumph als Zeremonienmeister auftrat. Der Kieler Co-Trainer benötigt dafür nur zwei Dinge: einen Pokal und ein Mikrofon. Den Pokal bescherte ihm eine durch Verletzungen auf Mindestgröße zusammengschrumpfte Mannschaft, das Mikro gab bereitwillig der Moderator der NDR-Fanparty auf dem Ostseehallen-Vorplatz aus der Hand.

"Pitti" war der erste, der nach dem unerwarteten Triumph über Flensburg aus der Ostseehalle marschierte, den schweren Silberpokal geschultert. Er musste sich mühsam einen Weg durch die Fanmassen bahnen, die vor der Halle auf die Kieler Helden warteten. Jeder wollte den Champions League-Pokal einmal berühren, schon hier litt die wertvolle Trophäe unter den physikalischen Gesetzen.

Als Petersen dann von der Bühne aus den Pokal durch die Fanreihen wandern ließ ("Hier vorne bitte einmal rumreichen und da hinten wieder hochgeben"), war das Zerren und Ziehen der Massen zu stark, ein Henkel riss ab. Den wollte zunächst der Andenken-Jäger nicht herausrücken, am Ende kamen aber alle Teile wieder auf der Bühne an. Aber wie schon nach dem Gewinn des EHF-Pokals vor drei Jahren hatte die wertvolle Trophäe Kieler Feierlichkeiten nicht heil überstanden.

Als Kapitän Stefan Lövgren am sehr späten Abend in einem Kieler Restaurant zielstrebig und entschlossen hereinstürmte und den "Pott" bei Trainer Noka Serdarusic auf dessen Tisch stellte, fehlte der Henkel. Den hatte der nunmehr siebenfache Champions League Sieger Andrei Xepkin in seiner Sporttasche verstaut und überreichte sie unter großem Jubel der versammelten Sponsoren und Spieler samt Anhang an den Zuchtmeister Serdarusic, der außergewöhnlich ausgelassen seinen bisher schönsten Titel feierte. Als gegen vier Uhr morgens die letzten Spieler das Lokal singend verließen, war auch der zweite Henkel abgerissen. Nun wird sich ein Kieler Juwelier um die Restauration kümmern müssen.

Lange hatte der THW Kiel auf diesen Moment gewartet. Als Stefan Lövgren um genau 19.19 Uhr den Pokal in die Höhe reckte, war es endlich soweit. "Wir sind Lövgren" hatte noch am Tag des Finals auf der THW-Homepage in großen Lettern gestanden, der Kapitän wollte aber nicht nur den Pokal halten, er wollte aktiv ins Spielgeschehen eingreifen. Zu diesem Zweck war er unter der Woche extra nach Schweden gereist, um sich von dortigen Spezialisten untersuchen zu lassen. Sie gaben grünes Licht, da ein Einsatz lediglich den Heilungszprozess des Sehnenabrisses verzögern, aber keine dauerhaften Schäden verursachen würde.

Als Lövgren mit geschulterter Sporttasche grinsend durch den Spielereingang der Ostseehalle spazierte, staunten die dort stehenden Boldsen, Christiansen und Co nicht schlecht. Ein Einsatz des Kieler Regisseurs war für undenkbar gehalten worden. "Das ist der größte Medienbetrug aller Zeiten" entfuhr es SG-Geschäftsführer Thorsten Storm. Zwölf Spritzen waren nötig, ehe Lövgren als Letzter der THW-Garde zum Warmmachen in die Ostseehalle einlief - empfangen von einem orkanartigen Jubel der schon weit vor dem Anpfiff enthusiastischen Kieler Fans.

Dass er nicht eingesetzt wurde, lag zum einen am Spielverlauf, der Kiel stets vorne sah, zum anderen an psychologischen Überlegungen von Noka Serdarusic. Der Einsatz des Schweden hätte Kim Andersson und Christian Zeitz, die die Spielmacherrolle ausfüllen sollten, möglicherweise aus dem Konzept gebracht. Der Trainer wollte ihnen den Rücken stärken. So hatte Lövgren seinen großen Auftritt erst bei der Siegerehrung, zuvor durfte er - auf der Bank sitzend - nur einen verunglückten Wurf von Flensburgs Anders Eggert fangen.

Aber die Spieler des THW Kiel und auch die Kieler Fans verstanden das Signal, dass Lövgren ausgesendet hatte. Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit sollte der Pokal, den Kiel schon so lange herbeisehnt, gewonnen werden. In eigener Halle sollte niemand - und schon gar nicht der Erzrivale - diese Trophäe entgegennehmen, als der THW Kiel. Und so kämpfte der Haufen von acht Feldspielern, der Serdarusic noch zur Verfügung stand, bis zum Umfallen, die Kieler Fans, die vorher von Joachim Boldsen via Presse noch als Schlipsträger verhöhnt wurden, stellten den neunten und zehnten Mann und entfachten eine Atmosphäre, die nach Aussage langjähriger Ostseehallen-Besucher noch nie erlebt wurde.

Sie schrien das laute "THW", standen immer wieder zu Ovationen auf, feierten jede der zahlreichen Sensationsparaden von Thierry Omeyer, bejubelten jeden Block von Abwehrriesen Andrei Xepkin und kümmerten sich einen feuchten Kehricht um sportliche Fairnes, als sie Flensburgs Angriffe mit Pfiffen begleiteten. Und wenn die Hallen-DJs das Pocher-Lied "Schwarz und Weiß" einspielten, tanzten und sangen die Zuschauer mit einer Inbrunst zu dieser neuen THW-Hymne, dass die Wände der Ostseehalle bedenklich wackelten.

Und als Kim Andersson drei Sekunden vor dem Abpfiff frei vom Kreis das erlösende 29:27 erzielte, kannte der Kieler Jubel keine Grenzen mehr. Endlich war der wichtigste Vereinspokal der Welt in Kieler Händen, etwas, was nach Meinung nicht weniger THW-Anhänger schon vor genau sieben Jahren hätte Realität werden sollen, als man äußerst unglücklich und nach fragwürdigen Umständen knapp am FC Barcelona scheiterte.

Damals stand Andrei Xepkin noch in Diensten der Rot-Blauen. Heute durfte der sympathische Handball-Rentner seinen siebten Champions League Triumph feiern. "Mein Herz ist blau-rot", sagte der eingebürgerte Spanier, dem Lars Krogh Jeppesen als Ubersetzer beistand, "aber es hat jetzt einen schwarz-weißen Streifen." Überwältigt war der Hüne von den Feierlichkeiten. "In Barcelona sind wir nach den Siegen immer nur Essen gegangen." In Kiel feierte eine ganze Stadt bis weit in die Nacht hinein. Und Xepkin gehört nun zu den "Unsterblichen" der Landeshauptstadt, die nun auch Handball-Hauptstadt Europas ist.

"Die Meisterschaft ist mir jetzt erstmal egal", sagte THW-Manager Uwe Schwenker kurz nach dem Abpfiff. "Aber ich weiß nicht, was die Mannschaft jetzt macht, die ist ja völlig unberechenbar. Vielleicht wollen sie diesen Titel jetzt auch noch." Dann aber, so fügte Schwenker an, dann müsste der 23-jährige Dominik Klein eigentlich seine Handball-Schuhe an den Nagel hängen. "Er ist Weltmeister, DHB-Pokalsieger und Champions-League-Sieger. Wenn er jetzt auch noch Deutscher Meister wird, was will er denn noch erreichen?", flachste Schwenker.

(Von Olaf Nolden, © 2007 www.handball-world.com)


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