Aus den Kieler Nachrichten vom 02.05.2007:
Kiel - In der Saison 1993/1994 übernahm
Noka Serdarusic das
Traineramt beim THW Kiel. Seitdem gewann er mit den Zebras
insgesamt 17 Titel. Am Sonntag gelang ihm mit dem ersten
Sieg in der Handball-Champions-League sein bislang größter
Coup. Der 56-Jährige sprach gestern, kurz vor dem Abflug
zum heutigen Bundesliga-Spiel gegen die SG Kronau-Östringen,
mit Wolf Paarmann und Tamo Schwarz von den
Kieler Nachrichten über die schwierigste Zeit seiner Trainerkarriere.
- Kieler Nachrichten:
-
Herr Serdarusic, können Sie Erfolg genießen?
- Noka Serdarusic:
-
Natürlich bin ich stolz und genieße den Erfolg. Ich war klitschnass nach
dem Rückspiel gegen Flensburg -
bis auf die Unterhose. Dann habe ich in der Kabine einmal durchgeatmet
und eine Zigarette geraucht. Danach: Freude pur. Am liebsten
hätte ich jetzt sofort drei Tage Urlaub, einfach raus und alleine genießen.
Aber das geht nicht. Auch als Spieler war ich zwar kein Priester,
aber auch kein Typ wie Klaus-Dieter Petersen. Wenn sich nach dem
vierten Bier im Kopf alles dreht, muss ich nach Hause. Das war damals
schon so.
- Kieler Nachrichten:
-
Ist es Ihnen unangenehm, sich mit Erfolgen
zu schmücken?
- Noka Serdarusic:
-
Ich freue mich, dass wir so viel erreicht
haben und ich die ganze Zeit dabei war. Aber so etwas wie die
Goldmedaille nach dem Finalsieg interessiert mich nicht. So etwas
verschenke ich manchmal sofort weiter. Auszeichnungen und Pokale,
auch aus meiner aktiven Zeit, stehen bei mir in der Ecke, und irgendwann
schmeiße ich alles weg. Ich habe nur eine Enkelin und werde ihr
nie erzählen, was ihr Opa alles erreicht hat. Ich will ihr damit nicht
auf den Keks gehen. Dann gehe ich lieber mit ihr zu McDonalds oder ins
Spieleparadies.
- Kieler Nachrichten:
-
Nach Ihrer aktiven Zeit bei den Reinickendorfer
Füchsen in Berlin (1981-1984) gingen Sie zunächst zurück von
Berlin nach Mostar .
- Noka Serdarusic:
-
Ich bin dort geboren, aufgewachsen, meine Schwiegereltern waren dort.
Ich wollte der Stadt etwas zurückgeben. Ich habe sieben Jahre in Bjelovar
gespielt, war als Sport-Gastarbeiter in Deutschland, aber der
Meinung, dass ich nach Mostar gehöre.
Mein Plan war es nicht, dort einen Trainerjob anzunehmen. Ich
fühlte mich meinem Heimatverein
Velez Mostar verpflichtet. Als ich Junioren-Nationalspieler geworden
war, hatte ich den Verein verlassen. Deshalb wollte ich mit 20 bis 30
Schülern umsonst arbeiten, sie aus eigener Tasche sponsern und mit einem
Restaurant Geld verdienen. Das war mein Traum. Meine Frau
hatte ihre Anwaltsprüfung schon absolviert und sagte, dass ich in ein
paar Jahren gar nicht mehr arbeiten muss. Es war nie mein Traum, Trainer
zu sein.
- Kieler Nachrichten:
-
Was ist dann passiert?
- Noka Serdarusic:
-
Ich war mir hundertprozentig sicher, dass der Krieg auf dem Balkan
kommen würde. Und außerdem hat es mit dem Restaurant nicht richtig
funktioniert. Ich bin Sportler und habe gesehen, dass ich das nicht kann. Als
ich nach Deutschland kam, war es ein kompletter Neuanfang. Für
mein Restaurant waren mir 350 000 Mark geboten worden, aber ich hatte
abgelehnt. Nach dem Krieg bekam ich 30 000 Mark für die Ruine.
- Kieler Nachrichten:
-
Warum hieß die erste Station in
Deutschland Bad Schwartau?
- Noka Serdarusic:
-
Ich war als Trainer unbekannt und konnte mir meinen Verein nicht aussuchen.
Ich wollte in erster Linie schnell weg aus Mostar. Es war wie
eine Flucht. Den Kontakt zu Deutschland hatte ich vorher nie
verloren. Meinen Urlaub habe ich auch damals noch jedes Jahr mit
meiner Frau immer in Kiel und Berlin verbracht. Aus Berlin wollte sie nie weg.
- Kieler Nachrichten:
-
Hat sich der Druck auf Sie als Trainer
seitdem verändert?
- Noka Serdarusic:
-
Auch in Bad Schwartau war der Druck groß. Vlado Stenzel war gerade
als Trainer entlassen worden und der VfL hatte knapp den Klassenerhalt
in der Zweiten Bundesliga geschafft. Der Verein wollte im ersten
Jahr eigentlich nicht aufsteigen. Zumindest nicht ohne die Gelder
aus den Relegationsspielen. Aber wie der Teufel so will, holen wir in
den letzten fünf Spielen noch sieben Punkte auf Hameln auf und steigen
doch direkt auf. Auch meine nächste Station Flensburg war keine einfache.
Ich kam, als die SG gerade gegründet wurde. Der Hass zwischen
den Stammvereinen SG Weiche-Handewitt und TSB Flensburg war
1000-mal größer als heute zwischen Kiel und Flensburg. Ich habe heute
noch Freunde dort, mit denen ich beim TSB bei den Alten Herren gespielt
habe. Dafür wurde ich von den Handewittern gehasst.
- Kieler Nachrichten:
-
Wie fühlt es sich an, mit dem Champions-League-Titel das Größte erreicht
zu haben, was ein Handballer mit seinem Verein erreichen
kann?
- Noka Serdarusic:
-
Das ist wie in der Ehe. Wenn es schön ist, will deine
Frau, dass der nächste Tag noch schöner wird. Wenn sie wüsste, dass
das nicht mehr passiert, wäre sie nicht mehr da. Sportler, zum Beispiel
Boris Becker, sind nach einem großen Erfolg manchmal noch
hungriger als zuvor. Bill Gates hört nach seinen ersten Milliarden auch
nicht auf, Geschäfte zu machen.
- Kieler Nachrichten:
-
Definiert sich Erfolg für Sie durch
Titel?
- Noka Serdarusic:
-
Wenn ich nur mit Nudeln und Wasser erreiche, dass das Essen
den Leuten schmeckt, bin ich zufrieden. Niemand hat dann
erwartet, dass es besonders toll schmeckt. Es
kommt darauf an, was man zur Verfügung
hat. Wenn die Spieler meinen, sie
kommen mit mir nicht weiter, packe ich als
Trainer sofort meine Koffer und bin weg. Was sie denken, ist mir wichtig,
nicht der Druck von außen. Ich will immer gewinnen. Und wenn meine
Jungs alles geben und sich zerreißen, bin ich zufrieden. Da wir in Kiel
gleich in meinem ersten Jahr Deutscher Meister geworden sind, besteht
in jedem Jahr die Erwartung, das zu wiederholen.
- Kieler Nachrichten:
-
Sie mussten fünf verletzte Spieler verkraften.
War der Kader in dieser Saison
zu klein?
- Noka Serdarusic:
-
Eindeutig. Natürlich hätte ich gern einen Kader mit 16 Spielern. Bei 14
Spielern, so wie in diesem Jahr, fehlt immer einer und man kann nicht
vernünftig trainieren. Und der 15. Mann darf nicht so schlecht sein,
dass die Trainingsqualität leidet. Wir müssen erst einmal schauen,
was wir haben. Was passiert mit Jeppesen,
Szilagyi, Ahlm? Als zweiten
Kreisläufer wollte ich einen jungen holen, der von Ahlm lernt. Das
geht jetzt auch nicht mehr. Die Ärzte sagen, dass Marcus erst im September
wieder bei 90 Prozent seines Leistungsvermögens sein wird. Vorausgesetzt
Lövgren wird wieder fit,
brauchen wir zwei Rechtshänder, sonst geht Karabatic kaputt.
- Kieler Nachrichten:
-
Hätte Stefan Lövgren am Sonntag im
Finale spielen können?
- Noka Serdarusic:
-
Nein. Flensburg wollte uns mit 16 Klasse-Spielern beim Aufwärmen
erschrecken und uns zeigen: Eure sieben Spieler werden wir überrennen.
Darum wollte ich Lövgren auf der Bank haben. Er ist 36, und
wenn wir den Pokal gewonnen hätten, und er hätte ihn nicht überreicht
bekommen, wäre das schade für ihn gewesen. Ich hatte gehofft,
dass wir zum Schluss mit zwei, drei Toren führen. Dann hätte ich ihn
ein paar Bälle verteilen oder einen Siebenmeter werfen lassen,
damit er an dem Finale teilnimmt. Das
hat er sich verdient. In der Mannschaftsbesprechung
habe ich gesagt, dass er nur auf der Bank sitzen und kein
Trikot tragen wird. Die Mannschaft sollte sich nicht
auf Stefan verlassen. Ihm selbst
habe ich später gesagt, er soll trotzdem ein Trikot anziehen. Ich wollte
ihm ein paar Sekunden Finale
schenken.
- Kieler Nachrichten:
-
Waren die letzten Wochen Ihre
schwerste Zeit als Trainer?
- Noka Serdarusic:
-
Ja. Wir steckten schon bis zum Hals im Dreck. Und dann kam in Pamplona
noch die Verletzung von Marcus Ahlm dazu. Wir waren überall
schon so weit gekommen, und auf einmal sah es so aus, als ob wir alles
verlieren würden. Da bin ich ins Grübeln gekommen, durfte das aber
nicht zeigen. Ich musste Optimismus verbreiten, obwohl ich große
Zweifel am Sieg in der Champions League hatte. Aber ich habe eine
tolle Truppe, die Spieler sind so gern zusammen. Die Siege im Pokal und
in der Champions League haben für meine Mannschaft einen besonderen
Wert, weil sie so dezimiert ist. Ich liebe diese Mannschaft.
- Kieler Nachrichten:
-
Darauf hat auch das Publikum in der
Ostseehalle reagiert .
- Noka Serdarusic:
-
Das Publikum hat gemerkt, dass wir auf Krücken laufen und der Weg
kaum zu schaffen ist. Die Zuschauer waren darum bereit, mehr zu helfen.
Das war wichtig am Sonntag. Normalerweise kritisiere ich mein Publikum
nicht, aber ab und zu höre ich jeden Schuh in der Halle quietschen.
Gegen Flensburg waren die Zuschauer schon da, bevor das Spiel
begonnen hatte.
- Kieler Nachrichten:
-
Sie haben in der Bundesliga noch acht
Saisonspiele vor sich. Welches Ziel haben
Sie und die Mannschaft sich gesetzt?
- Noka Serdarusic:
-
Ich habe große Bedenken, dass sie es schaffen, bis zum Ende der Saison
gesund zu bleiben. Ich glaube nicht, dass es weiter so laufen kann wie gegen
Flensburg. Ein oder zwei Spiele kann man auch mit wenigen taktischen
Mitteln gewinnen, aber nicht acht. Am Montag habe ich meine
Jungs gefragt, was sie wollen, ob wir jetzt Hamburg Meister werden lassen.
Da haben alle "nein!" gesagt. Wir werden versuchen, alles zu geben.
Vielleicht sind wir leicht auszurechnen. Aber nicht jeder kann
rechnen. Bis zum Ende der Saison wird Moritz Weltgen bei uns trainieren
und bei den Spielen im Kader
stehen.
- Kieler Nachrichten:
-
Haben Sie sich Gedanken gemacht über die Zeit nach dem Handball?
- Noka Serdarusic:
-
Ab und zu komme ich ins Grübeln.
Aber solche Gedanken sind Blödsinn. Trainer? Das wird wohl mein
Ende sein. Definitiv ist, dass ich mein ganzes Leben lang in Kiel bleiben
werde. Hier ist mein Zuhause.
- Kieler Nachrichten:
-
Gibt es für Sie noch einen Traumjob?
- Noka Serdarusic:
-
Nationaltrainer in Schweden oder
Norwegen: zwei Monate arbeiten und drei Monate angeln. Aber ich
war vor zwei Jahren mit meiner Frau in Norwegen im Urlaub. Es hat
zwei Wochen lang nur geregnet, und jetzt will sie da nie wieder hin. Das
Thema hat sich damit also erledigt.
(Das Gespräch führten Wolf Paarmann und Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 02.05.2007)