Sie sind zwei der bedeutensten Spieler der Handball-Bundesliga.
Beide prägten ihre Mannschaften mit ihren Toren und ihrer
Persönlichkeit - und sie sind Rivalen:
Stefan Lövgren,
Kapitän des Triplegewinners THW Kiel, und Lars Christiansen,
Rekordtorschütze der SG Flensburg-Handewitt, dem traditionell
härtesten Widersacher des amtierenden Champions League-Siegers.
Vergangene Saison spielten die Derbys in allen Wettbewerben eine
entscheidende Rolle, in der Königsklasse standen sich die
Nachbarn sogar im Finale gegenüber. Dreimal triumphierte der THW,
doch jedesmal ging es besonders knapp zu. Nun steigt in der
Flensburger Campushalle das nächste Aufeinandertreffen.
Frank Schneller, Autor des Buches "
In der Hitze des Nordens" über
die Rivalität der beiden Topklubs aus dem hohen Noden, befragte
Lövgren und Christiansen zur Einmaligkeit
dieses Derbys.
- Frank Schneller:
-
Herr Christiansen, Herr Lövgren, hatten
sie beide schon einmal ein Angebot vom jeweiligen Rivalen?
- Lars Christiansen:
-
Uwe Schwenker und
Noka Serdarusic wussten immer,
dass die SG Flensburg für mich eine Herzenssache war - und
ist. Ihr Gespür verriet ihnen sicher, dass es sinnlos wäre,
mir ein Angebot zu machen. Ich wollte immer nahe meiner
dänischen Heimat bleiben. Inzwischen ist Flensburg mein
Zuhause. Und ich bin mit Leib und Seele bei der SG.
- Stefan Lövgren:
-
Ich stehe genauso zum THW wie Lars zur SG. Aber ich
hatte Mitte der Neunziger mal ein Angebot aus Flensburg
und traf mich mit Manfred Werner und Anders Dahl-Nielsen
(damals Manager und Trainer der SG), nur fühlte ich mich
zu dem Zeitpunkt noch nicht reif für ein Auslands-Engagement.
So kam ich später über Niederwuerzbach zum THW. Hätte man
mich dort vor vier, fünf Jahren nicht mehr gewollt und
die SG mir ein Angebot gemacht, hätte ich mir das
vorstellen können. Ich bin Profi. Aber zum Glück wollten
mich Uwe und Noka ja behalten.
- Frank Schneller:
-
Ist das bevorstehende Derby auch nach all den Jahren,
insbesondere nach der letzten Serie mit ihren fünf
dramatischen Duellen, immer noch ein besonderes Spiel?
- Stefan Lövgren:
-
Natürlich. Es gibt kein Duell mit mehr Brisanz, mehr
Bedeutung für die Anhänger und mehr Spannung im Vorfeld.
Dieses Derby ist und bleibt ein Mythos. Routine wird es
niemals. Bei den Fans wird die Rivalität besonders intensiv
ausgelebt. Und im Flensburger Umfeld.
- Lars Christiansen:
-
Das stimmt. Schon als ich 1996 nach Flensburg kam, habe
ich das sofort gespürt. Alle in Flensburg empfanden stets
eine besondere Rivalität und sehen es als Herausforderung
an, den grossen THW zu packen. Nach der letzten Saison,
in der wir so nah dran waren, aber dreimal leer ausgingen,
wollen wir natürlich wieder versuchen, einen Titel zu
holen. Der Weg dorthin wird wohl über den THW führen.
- Frank Schneller:
-
Herr Christiansen, haben Sie und Ihre Mitspieler den Frust
des verlorenen Champions-League-Finales denn schon verarbeitet
- oder ist er gar Extra-Motivation?
- Lars Christiansen:
-
Wir waren damals schon eine Weile gefrustet, denn wir haben
eine große Chance verpasst. Da ist es normal, dass man enttäuscht
ist. Aber das ist erledigt. Wir schauen nach vorne, weil man
im Sport immer nach vorne schauen sollte. Wir haben eine ganz
starke Mannschaft, die das Potential hat, mindestens einen Titel
zu gewinnen.
- Frank Schneller:
-
Herr Lövgren, das werden Sie
und der THW verhindern wollen, oder?
- Stefan Lövgren:
-
Klar. Wir wollen am liebsten jeden unserer drei Titel
verteidigen, ob das gegen Flensburg ist oder wen auch
immer. Aber das wird verdammt schwer, das ist uns allen
klar. Die SG muss man sicher wieder auf der Rechnung
haben. Gerade gegen uns werden sie alles aus sich
herausholen wollen. Das war und ist doch immer so.
- Frank Schneller:
-
Zurück zum Mythos dieses Duells: Was steckt dahinter?
- Stefan Lövgren:
-
Es ist sicher einmal die Ausnahmesituation, dass
man zwei absolute Topmannschaften in einem Umkreis
von 80 km hat. Das schürt die Rivalität. Außerdem
war Flensburg jahrelang so etwas wie der kleine
Bruder des THW. Aber er hat Jahr für Jahr aufgeholt
und den THW ja auch eine Zeit lang überholt, was
uns beim THW natürlich wiederum angestachelt hat.
Es ist ja auch so, dass diese Derbys immer eine
hohe Bedeutung für irgendeinen Titel haben, nicht
einfach nur brisant sind, weil wir Nachbarn sind.
- Lars Christiansen:
-
In Flensburg war es - etwas überspitzt formuliert -
jahrelang so, dass wir alle Spiele hätten verlieren können,
wenn wir nur die zwei Duelle gegen Kiel gewinnen. Man
hört so etwas durch die hohe mediale Aufmerksamkeit als
Außenstehender oft, aber begreifen kann man das erst,
wenn man beteiligt ist. Wir gegen den THW - das ist
total verrückt für die ganze Region, fast wie das
Aufeinandertreffen zweier Religionen. Wochenlang ist
das bevorstehende Derby das Hauptthema. Und meist
entwickeln sich die Spiele ja dann auch zu absoluten
Highlights.
- Stefan Lövgren:
-
Das stimmt! Auch bei uns merkte ich seinerzeit, 1999,
als Neuzugang, wie es vorher anfängt zu prickeln und
wie die Spannung steigt - sogar bei Routiniers wie
Magnus Wislander oder
Staffan Olsson. Ich stimme
Lars zu: Man muss ein Derby erst selbst erlebt haben,
um zu verstehen, was es ausmacht. Ein Beispiel: Wenn
Kiel gegen Flensburg spielt, nutzen Dir auch 200
Länderspiele nichts, denn das ist eine ganz andere
Welt: Internationale Erfahrung ist nicht gleich
Derby-Erfahrung. Oft und auch nicht zufällig gewinnt
das Team, in dem mehr Jungs spielen, die schon
Derby-Erfahrung haben, die wissen, in welchen
Situationen es darauf ankommt und die in dieser
besonderen Situation noch etwas mehr aus sich
herausholen können. Unsere beiden Teams kennen sich
so gut - da entscheiden oft Kleinigkeiten. Dabei hilft
es einem, wenn man weiß, wie diese Duelle ablaufen.
Du musst mit allen Derby-Wassern gewaschen sein...
- Lars Christiansen:
-
... und man muss lernen, diese Spiele mit Freude und
Lust auszutragen, ohne Angst vor der Niederlage. Ich
kann nach einem jahrelangen Reifeprozess heute von mir
behaupten, dass ich mich riesig auf die Derbys freue,
weil es einfach tolle Spiele sind, bei denen aunahmslos
Weltklassespieler mitwirken. Alles andere Grübeln bringt
nichts, man verkrampft nur, das hat die Vergangenheit
gezeigt: Wir haben früher gar nicht wirklich daran
geglaubt, in Kiel gewinnen zu können. Dann platzte der
Knoten doch endlich und seitdem ist ein anderes
Selbstbewusstsein im Spiel. Wir wissen inzwischen, dass
der THW genauso viel Respekt vor uns hat, wie wir vor
den Kielern.
- Frank Schneller:
-
Herr Christiansen, dann stört Sie auch das Image vom
"ewigen Zweiten" nicht, das im Vergleich zum THW
immer wieder herangezogen wird?
- Lars Christiansen:
-
Dieses Etikett ist doch totaler Quatsch. Früher hat
mich dieses Image geärgert, heute lache ich darüber.
Die Kieler dürfen schon etwas sticheln in diese Richtung
- aber wer sonst? Ist man gleich ein Verlierer oder
Versager, wenn man eine Supermannschaft hat, aber
eben ein anderes Team noch etwas besser ist? So eine
Sichtweise ist unqualifiziert und unfair. Diese
Sprüche kamen oft von denen, die hinter uns lagen,
zum Teil weit hinter uns. Und die mit dieser Häme
versuchen, ihre Unterlegenheit uns gegenüber zu
kaschieren. Das empfinde ich als Neid und
Respektlosigkeit. Ich bin lieber siebenmal Zweiter
als siebenmal Siebter. Es ist keine Schande, Zweiter
zu werden, wenn es noch eine bessere Mannschaft
gibt. Und der THW hat nun einmal eine Supermannschaft.
Wenn man auf die letzten Jahre schaut - und ich
meine nicht nur die Zeit, in der wir Meister und
dreimal Pokalsieger wurden -, waren es doch wir,
die Langeweile in der Liga verhindert und die
Hierarchien durcheinandergewirbelt haben. So
muss man das auch mal sehen.
- Frank Schneller:
-
Herr Lövgren, würden Sie da zustimmen?
- Stefan Lövgren:
-
Ja, durchaus. Flensburg ist seit Jahren der konstanteste
Herausforderer. Begriffe wie "Angstgegner" - auch uns wurde
ja zwischenzeitlich ein Flensburg-Komplex nachgesagt - sind
eher etwas für die Medien. Ein Aspekt darf aber nicht
vergessen werden, wenn man sich die Historie des Derbys ansieht...
- Frank Schneller:
-
... nämlich, dass das Duell Kiel - Flensburg jahrelang
auch das zwischen Schweden und Dänemark war - bzw. bedingt
auch noch ist?
- Stefan Lövgren:
-
Richtig. Schweden dominierte jahrelang auch die Vergleiche
der Nationalmannschaften und war sehr, sehr erfolgreich.
Vor allem in den Neunzigern. Das hat man verinnerlicht
und als zusätzliches Selbstbewusstsein mit in die Vereine
gebracht. Dann drehte sich das Verhältnis: Dänemark wurde
stärker und unser Nationalteam baute ab. Es ist kein
Zufall, dass in dieser Phase auch Flensburg gegenüber
Kiel erfolgreicher wurde. Die neue Generation des THW,
mit Spielern wie Nikola Karabatic,
der ja Franzose ist, hat dieses Kräfteverhältnis wieder
verändert.
- Lars Christiansen:
-
Ja, Karabatic ist schon in seinem
jungen Alter ein absoluter Siegertyp. Unglaublich! Davon gibt
es nicht so viele. Aber es stimmt schon, was Stefan sagt:
Als wir mit der dänischen Nationalmannschaft erfolreicher
wurden, gab es die Parallele auf Vereinsebene. Natürlich
ist es ein Vorteil, wenn man mit breiter Brust von einer EM,
WM oder Olympia zurückkehrt. Und da waren die Dänen in
jüngerer Vergangenheit besser als Schweden.
- Frank Schneller:
-
Sie sprachen eingangs beide von Highlights. Welche
Spiele waren aus Ihrer Sicht die bemerkenswertesten?
- Stefan Lövgren:
-
Es waren so viele: Die Meisterschaft 2002, die wir am
letzten Spieltag ausgerechnet in Flensburg gewannen -
das war ein ganz besonderes Ereignis. Und natürlich die
Spiele der letzten Saison...
- Lars Christiansen:
-
Natürlich will man als Flensburger die Spiele der letzten
Saison nicht unbedingt dazu zählen, sieht man von unserem
Heimsieg in der Bundesliga ab. Es gab dennoch so viele
unglaubliche Duelle: Zuhause haben wir den THW ja häufig
besiegt, aber natürlich waren unsere Bundesliga-Siege
in Kiel 2002/2003 und 2003/2004 - besonders der erste -
absolute Highlights für uns. Und in der Champions League
gewannen wir 2006 ebenfalls in Kiel. Das war ein Knüller.
Wir waren phasenweise so überlegen, dass uns nach dem Spiel
sogar Lob und Anerkennung von Kieler Seite ausgesprochen
wurde. Das ist dann das Größte. Ich erinnere mich auch an
das 26:26 im Jahr 2005, als Stefan
mit einem Foul an Johnny Jensen an der Mittellinie mit
dem Schlusspfiff unser Siegtor verhinderte. Das THW-Tor war leer...
- Stefan Lövgren:
-
Ja, ein legendäres Foul. Aber Johnny Jensen und ich haben
uns später die Hand gegeben. Er sagte sogar, er hätte an
meiner Stelle genauso gehandelt. Es ging um so viel und
ich hatte im Kopf, dass wir bei der WM 2001 in Frankeich
genau so eine Aktion nicht durch ein Foul unterbunden
haben und uns das den Titel gekostet hat. Das verinnerlicht
man. In diesem Moment, als Johnny Jensen den Ball bekam
und werfen wollte, war mir nur klar: Dieser Ball darf unser
Tor nicht erreichen. Es war eine Alles-oder-Nichts-Situation,
es ging um Bruchteile von Sekunden...
- Lars Christiansen:
-
Dieses Tor und der 2. Punkt aus diesem Spiel hätte für
uns am Ende die Meisterschaft bedeutet. Das war für
Flensburg natürlich nicht gut, aber denoch hat mich
diese Szene total beeindruckt, denn das war in diesem
Moment nicht nur ein Handballspiel, das war mehr: Ich
würde sagen, da wurde unser aller Passion deutlich. Da
ging es um so viel mehr, das war persönlich, sehr
emotional und bewegend...
- Frank Schneller:
-
... es kam zu Ausscheitungen, die Polizei musste auf dem Spielfeld schlichten...
- Lars Christiansen:
-
... weil beide Teams physisch immer an ihre Grenzen gehen
und mental dabei natürlich ebenso unter Strom stehen
in den Derbys. So auch damals. Die Atmosphäre war eben
unmittelbar nach dem Schlusspfiff sehr aufgeheizt. Später
aber hat sich alles beruhigt, wir haben uns alle die
Hand gereicht und uns Respekt gezollt. Mit wenigen
Ausnahmen verstehen sich die Spieler untereinander ja
mittlerweile bei aller Rivalität gut und haben keine
Probleme miteinander.
- Stefan Lövgren:
-
Ich verstand auch Johnnys aufgebrachte Reaktion und die
seiner Mitspieler. Meine Güte, da war überall Adrenalin
in der Ostseehalle. Doch das Schwerste stand mir später
erst noch bevor. Als ich nach Hause kam, musste ich
meinem Sohn Linus erklären, was passiert war. Er hatte
alles im TV gesehen und fragte mich: "Papa, warum war
da die Polizei? Warum hast du so ein Foul gemacht?
Was war da los?" Finde da mal die richtigen Worte,
immerhin sollte der Papa ja Vorbild sein. Ich habe es
dann versucht, ihm zu erklären: "Der Papa hat was gemacht,
was nicht okay war. Und die Polizei hat dann aufgepasst,
dass andere nichts Böses machen." Was willst Du einem
Fünfjaehrigen da sagen?
(Das Gespräch führte Frank Schneller, Autor des Buches "In der Hitze des Nordens")