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21.09.2007 Interview

Interview mit Stefan Lövgren und Lars Christiansen zum anstehenden Derby

Sie sind zwei der bedeutensten Spieler der Handball-Bundesliga. Beide prägten ihre Mannschaften mit ihren Toren und ihrer Persönlichkeit - und sie sind Rivalen: Stefan Lövgren, Kapitän des Triplegewinners THW Kiel, und Lars Christiansen, Rekordtorschütze der SG Flensburg-Handewitt, dem traditionell härtesten Widersacher des amtierenden Champions League-Siegers. Vergangene Saison spielten die Derbys in allen Wettbewerben eine entscheidende Rolle, in der Königsklasse standen sich die Nachbarn sogar im Finale gegenüber. Dreimal triumphierte der THW, doch jedesmal ging es besonders knapp zu. Nun steigt in der Flensburger Campushalle das nächste Aufeinandertreffen. Frank Schneller, Autor des Buches "In der Hitze des Nordens" über die Rivalität der beiden Topklubs aus dem hohen Noden, befragte Lövgren und Christiansen zur Einmaligkeit dieses Derbys.
Frank Schneller:
Herr Christiansen, Herr Lövgren, hatten sie beide schon einmal ein Angebot vom jeweiligen Rivalen?
Lars Christiansen:
Uwe Schwenker und Noka Serdarusic wussten immer, dass die SG Flensburg für mich eine Herzenssache war - und ist. Ihr Gespür verriet ihnen sicher, dass es sinnlos wäre, mir ein Angebot zu machen. Ich wollte immer nahe meiner dänischen Heimat bleiben. Inzwischen ist Flensburg mein Zuhause. Und ich bin mit Leib und Seele bei der SG.
Stefan Lövgren:
Ich stehe genauso zum THW wie Lars zur SG. Aber ich hatte Mitte der Neunziger mal ein Angebot aus Flensburg und traf mich mit Manfred Werner und Anders Dahl-Nielsen (damals Manager und Trainer der SG), nur fühlte ich mich zu dem Zeitpunkt noch nicht reif für ein Auslands-Engagement. So kam ich später über Niederwuerzbach zum THW. Hätte man mich dort vor vier, fünf Jahren nicht mehr gewollt und die SG mir ein Angebot gemacht, hätte ich mir das vorstellen können. Ich bin Profi. Aber zum Glück wollten mich Uwe und Noka ja behalten.
Frank Schneller:
Ist das bevorstehende Derby auch nach all den Jahren, insbesondere nach der letzten Serie mit ihren fünf dramatischen Duellen, immer noch ein besonderes Spiel?
Stefan Lövgren:
Natürlich. Es gibt kein Duell mit mehr Brisanz, mehr Bedeutung für die Anhänger und mehr Spannung im Vorfeld. Dieses Derby ist und bleibt ein Mythos. Routine wird es niemals. Bei den Fans wird die Rivalität besonders intensiv ausgelebt. Und im Flensburger Umfeld.
Lars Christiansen:
Das stimmt. Schon als ich 1996 nach Flensburg kam, habe ich das sofort gespürt. Alle in Flensburg empfanden stets eine besondere Rivalität und sehen es als Herausforderung an, den grossen THW zu packen. Nach der letzten Saison, in der wir so nah dran waren, aber dreimal leer ausgingen, wollen wir natürlich wieder versuchen, einen Titel zu holen. Der Weg dorthin wird wohl über den THW führen.
Frank Schneller:
Herr Christiansen, haben Sie und Ihre Mitspieler den Frust des verlorenen Champions-League-Finales denn schon verarbeitet - oder ist er gar Extra-Motivation?
Lars Christiansen:
Wir waren damals schon eine Weile gefrustet, denn wir haben eine große Chance verpasst. Da ist es normal, dass man enttäuscht ist. Aber das ist erledigt. Wir schauen nach vorne, weil man im Sport immer nach vorne schauen sollte. Wir haben eine ganz starke Mannschaft, die das Potential hat, mindestens einen Titel zu gewinnen.
Frank Schneller:
Herr Lövgren, das werden Sie und der THW verhindern wollen, oder?
Stefan Lövgren:
Klar. Wir wollen am liebsten jeden unserer drei Titel verteidigen, ob das gegen Flensburg ist oder wen auch immer. Aber das wird verdammt schwer, das ist uns allen klar. Die SG muss man sicher wieder auf der Rechnung haben. Gerade gegen uns werden sie alles aus sich herausholen wollen. Das war und ist doch immer so.
Frank Schneller:
Zurück zum Mythos dieses Duells: Was steckt dahinter?
Stefan Lövgren:
Es ist sicher einmal die Ausnahmesituation, dass man zwei absolute Topmannschaften in einem Umkreis von 80 km hat. Das schürt die Rivalität. Außerdem war Flensburg jahrelang so etwas wie der kleine Bruder des THW. Aber er hat Jahr für Jahr aufgeholt und den THW ja auch eine Zeit lang überholt, was uns beim THW natürlich wiederum angestachelt hat. Es ist ja auch so, dass diese Derbys immer eine hohe Bedeutung für irgendeinen Titel haben, nicht einfach nur brisant sind, weil wir Nachbarn sind.
Lars Christiansen:
In Flensburg war es - etwas überspitzt formuliert - jahrelang so, dass wir alle Spiele hätten verlieren können, wenn wir nur die zwei Duelle gegen Kiel gewinnen. Man hört so etwas durch die hohe mediale Aufmerksamkeit als Außenstehender oft, aber begreifen kann man das erst, wenn man beteiligt ist. Wir gegen den THW - das ist total verrückt für die ganze Region, fast wie das Aufeinandertreffen zweier Religionen. Wochenlang ist das bevorstehende Derby das Hauptthema. Und meist entwickeln sich die Spiele ja dann auch zu absoluten Highlights.
Stefan Lövgren:
Das stimmt! Auch bei uns merkte ich seinerzeit, 1999, als Neuzugang, wie es vorher anfängt zu prickeln und wie die Spannung steigt - sogar bei Routiniers wie Magnus Wislander oder Staffan Olsson. Ich stimme Lars zu: Man muss ein Derby erst selbst erlebt haben, um zu verstehen, was es ausmacht. Ein Beispiel: Wenn Kiel gegen Flensburg spielt, nutzen Dir auch 200 Länderspiele nichts, denn das ist eine ganz andere Welt: Internationale Erfahrung ist nicht gleich Derby-Erfahrung. Oft und auch nicht zufällig gewinnt das Team, in dem mehr Jungs spielen, die schon Derby-Erfahrung haben, die wissen, in welchen Situationen es darauf ankommt und die in dieser besonderen Situation noch etwas mehr aus sich herausholen können. Unsere beiden Teams kennen sich so gut - da entscheiden oft Kleinigkeiten. Dabei hilft es einem, wenn man weiß, wie diese Duelle ablaufen. Du musst mit allen Derby-Wassern gewaschen sein...
Lars Christiansen:
... und man muss lernen, diese Spiele mit Freude und Lust auszutragen, ohne Angst vor der Niederlage. Ich kann nach einem jahrelangen Reifeprozess heute von mir behaupten, dass ich mich riesig auf die Derbys freue, weil es einfach tolle Spiele sind, bei denen aunahmslos Weltklassespieler mitwirken. Alles andere Grübeln bringt nichts, man verkrampft nur, das hat die Vergangenheit gezeigt: Wir haben früher gar nicht wirklich daran geglaubt, in Kiel gewinnen zu können. Dann platzte der Knoten doch endlich und seitdem ist ein anderes Selbstbewusstsein im Spiel. Wir wissen inzwischen, dass der THW genauso viel Respekt vor uns hat, wie wir vor den Kielern.
Frank Schneller:
Herr Christiansen, dann stört Sie auch das Image vom "ewigen Zweiten" nicht, das im Vergleich zum THW immer wieder herangezogen wird?
Lars Christiansen:
Dieses Etikett ist doch totaler Quatsch. Früher hat mich dieses Image geärgert, heute lache ich darüber. Die Kieler dürfen schon etwas sticheln in diese Richtung - aber wer sonst? Ist man gleich ein Verlierer oder Versager, wenn man eine Supermannschaft hat, aber eben ein anderes Team noch etwas besser ist? So eine Sichtweise ist unqualifiziert und unfair. Diese Sprüche kamen oft von denen, die hinter uns lagen, zum Teil weit hinter uns. Und die mit dieser Häme versuchen, ihre Unterlegenheit uns gegenüber zu kaschieren. Das empfinde ich als Neid und Respektlosigkeit. Ich bin lieber siebenmal Zweiter als siebenmal Siebter. Es ist keine Schande, Zweiter zu werden, wenn es noch eine bessere Mannschaft gibt. Und der THW hat nun einmal eine Supermannschaft. Wenn man auf die letzten Jahre schaut - und ich meine nicht nur die Zeit, in der wir Meister und dreimal Pokalsieger wurden -, waren es doch wir, die Langeweile in der Liga verhindert und die Hierarchien durcheinandergewirbelt haben. So muss man das auch mal sehen.
Frank Schneller:
Herr Lövgren, würden Sie da zustimmen?
Stefan Lövgren:
Ja, durchaus. Flensburg ist seit Jahren der konstanteste Herausforderer. Begriffe wie "Angstgegner" - auch uns wurde ja zwischenzeitlich ein Flensburg-Komplex nachgesagt - sind eher etwas für die Medien. Ein Aspekt darf aber nicht vergessen werden, wenn man sich die Historie des Derbys ansieht...
Frank Schneller:
... nämlich, dass das Duell Kiel - Flensburg jahrelang auch das zwischen Schweden und Dänemark war - bzw. bedingt auch noch ist?
Stefan Lövgren:
Richtig. Schweden dominierte jahrelang auch die Vergleiche der Nationalmannschaften und war sehr, sehr erfolgreich. Vor allem in den Neunzigern. Das hat man verinnerlicht und als zusätzliches Selbstbewusstsein mit in die Vereine gebracht. Dann drehte sich das Verhältnis: Dänemark wurde stärker und unser Nationalteam baute ab. Es ist kein Zufall, dass in dieser Phase auch Flensburg gegenüber Kiel erfolgreicher wurde. Die neue Generation des THW, mit Spielern wie Nikola Karabatic, der ja Franzose ist, hat dieses Kräfteverhältnis wieder verändert.
Lars Christiansen:
Ja, Karabatic ist schon in seinem jungen Alter ein absoluter Siegertyp. Unglaublich! Davon gibt es nicht so viele. Aber es stimmt schon, was Stefan sagt: Als wir mit der dänischen Nationalmannschaft erfolreicher wurden, gab es die Parallele auf Vereinsebene. Natürlich ist es ein Vorteil, wenn man mit breiter Brust von einer EM, WM oder Olympia zurückkehrt. Und da waren die Dänen in jüngerer Vergangenheit besser als Schweden.
Frank Schneller:
Sie sprachen eingangs beide von Highlights. Welche Spiele waren aus Ihrer Sicht die bemerkenswertesten?
Stefan Lövgren:
Es waren so viele: Die Meisterschaft 2002, die wir am letzten Spieltag ausgerechnet in Flensburg gewannen - das war ein ganz besonderes Ereignis. Und natürlich die Spiele der letzten Saison...
Lars Christiansen:
Natürlich will man als Flensburger die Spiele der letzten Saison nicht unbedingt dazu zählen, sieht man von unserem Heimsieg in der Bundesliga ab. Es gab dennoch so viele unglaubliche Duelle: Zuhause haben wir den THW ja häufig besiegt, aber natürlich waren unsere Bundesliga-Siege in Kiel 2002/2003 und 2003/2004 - besonders der erste - absolute Highlights für uns. Und in der Champions League gewannen wir 2006 ebenfalls in Kiel. Das war ein Knüller. Wir waren phasenweise so überlegen, dass uns nach dem Spiel sogar Lob und Anerkennung von Kieler Seite ausgesprochen wurde. Das ist dann das Größte. Ich erinnere mich auch an das 26:26 im Jahr 2005, als Stefan mit einem Foul an Johnny Jensen an der Mittellinie mit dem Schlusspfiff unser Siegtor verhinderte. Das THW-Tor war leer...
Stefan Lövgren:
Ja, ein legendäres Foul. Aber Johnny Jensen und ich haben uns später die Hand gegeben. Er sagte sogar, er hätte an meiner Stelle genauso gehandelt. Es ging um so viel und ich hatte im Kopf, dass wir bei der WM 2001 in Frankeich genau so eine Aktion nicht durch ein Foul unterbunden haben und uns das den Titel gekostet hat. Das verinnerlicht man. In diesem Moment, als Johnny Jensen den Ball bekam und werfen wollte, war mir nur klar: Dieser Ball darf unser Tor nicht erreichen. Es war eine Alles-oder-Nichts-Situation, es ging um Bruchteile von Sekunden...
Lars Christiansen:
Dieses Tor und der 2. Punkt aus diesem Spiel hätte für uns am Ende die Meisterschaft bedeutet. Das war für Flensburg natürlich nicht gut, aber denoch hat mich diese Szene total beeindruckt, denn das war in diesem Moment nicht nur ein Handballspiel, das war mehr: Ich würde sagen, da wurde unser aller Passion deutlich. Da ging es um so viel mehr, das war persönlich, sehr emotional und bewegend...
Frank Schneller:
... es kam zu Ausscheitungen, die Polizei musste auf dem Spielfeld schlichten...
Lars Christiansen:
... weil beide Teams physisch immer an ihre Grenzen gehen und mental dabei natürlich ebenso unter Strom stehen in den Derbys. So auch damals. Die Atmosphäre war eben unmittelbar nach dem Schlusspfiff sehr aufgeheizt. Später aber hat sich alles beruhigt, wir haben uns alle die Hand gereicht und uns Respekt gezollt. Mit wenigen Ausnahmen verstehen sich die Spieler untereinander ja mittlerweile bei aller Rivalität gut und haben keine Probleme miteinander.
Stefan Lövgren:
Ich verstand auch Johnnys aufgebrachte Reaktion und die seiner Mitspieler. Meine Güte, da war überall Adrenalin in der Ostseehalle. Doch das Schwerste stand mir später erst noch bevor. Als ich nach Hause kam, musste ich meinem Sohn Linus erklären, was passiert war. Er hatte alles im TV gesehen und fragte mich: "Papa, warum war da die Polizei? Warum hast du so ein Foul gemacht? Was war da los?" Finde da mal die richtigen Worte, immerhin sollte der Papa ja Vorbild sein. Ich habe es dann versucht, ihm zu erklären: "Der Papa hat was gemacht, was nicht okay war. Und die Polizei hat dann aufgepasst, dass andere nichts Böses machen." Was willst Du einem Fünfjaehrigen da sagen?
(Das Gespräch führte Frank Schneller, Autor des Buches "In der Hitze des Nordens")


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