01.04.2008 | DHB-Pokal / Medien |
Was also machte letztlich den Unterschied? "In der Regel werden solche Spiele zwischen gleichstarken Teams von den Torleuten entschieden", sagt Serdarusic. Dieser Faktor schien bis zur Halbzeit klar gegen Kiel zu sprechen. Denn Weltklassekeeper Thierry Omeyer wirkte regelrecht hilflos gegen die Hamburger Würfe, insbesondere die von Kyung-Shin Yoon. Fast ein zwangsläufiger Nebeneffekt: Die gesamte Deckung des THW wirkte zu inkonsequent. Mit kurzen, aber prägnanten Ansagen in der Halbzeitpause änderte Kiels Lehrmeister diese für ihn inakzeptable Situation. Kiel trat in der Defensive aggressiver auf, Dominik Klein als ausgezeichneter Vorgezogener war die dazu gehörige taktische Änderung und Thierry Omeyer hielt nach dem Seitenwechsel, als gäbe es kein Morgen - vor allem aber, als habe es nie eine solch entmutigende erste Halbzeit gegeben. Kiels Keeper von null auf hundert, Yoon von hundert auf null. Omeyers Steigerung und - womöglich - auch der Ausfall von Hamburgs stärkstem Abwehrspieler Bertrand Gille waren entscheidende Faktoren.
Und auch das: Stefan Lövgren variierte sein Rollenspiel in kunstvoller Form. Dass ihm dabei nur im ersten Spiel lange Zeit alles gelang, ist nicht einmal entscheidend. Viel wichtiger ist die Strategie, die dahinter steckte - und ins Gewicht fiel: Gegen die Rhein-Neckar Löwen war der Führungsspieler des THW 45 Minuten lang überragender Regisseur und ausschlaggebend dafür, dass der THW in der Spieleröffnung und im schnellen Umschalten von Defensive auf Offensive den Ausfall von Filip Jicha nicht nur verkraftete, sondern vielleicht sogar profitierte: Weil Lövgren nicht Teil eines Spezialistenwechsels zwischen ihm und dem in der Regel stärkeren Abwehrspieler Jicha war, befeuerte er das Konterspiel des THW auf brillante Art und Weise, nämlich schon mit dem ersten Pass, meist noch am eigenen Wurfkreis. Spätestens kurz nach dem Anwurf im Rahmen der Schnellen Mitte.
Die Folge: Kiel wirkte mitunter kombinationssicherer und effektiver als in manchem Spiel in "voller Besetzung". Am Ende zollte er dem immensen Tempo des Halbfinals jedoch etwas Tribut. Im Endspiel dann hatte Lövgren ein anderes Timing: Er fand nach eher unauffälliger erster Halbzeit und oft blockiert durch das zerstörerische, zersetzende Abwehrspiel (primär Bertrand Gille) erst später den Faden im Finale - nämlich pünktlich zur "Crunchtime", also dann, wenn Siegertypen auf den Plan treten. Dass Bertrand Gille nicht mehr dabei war, nutzte vor allem Lövgren eiskalt aus. Gegen das Starensemble aus Mannheim hatte er aus dem Umstand, für Jicha auch in der Abwehr zu spielen, in der ersten Halbzeit gegen die enorm offensiv verteidigende, aber für dieses Konzept nicht rigoros genug zupackende Löwen-Abwehr einen immensen Kreativ-Vorteil für sein Team gemacht. Gegen Hamburg hatte er Geduld haben müssen, bis er die (mit-)entscheidenden Akzente setzen konnte. Aber letztlich war er zur Stelle.
Das war enorm wichtig, denn: Marcus Ahlm hatte in der 43. Minute eine umstrittene Zeitstrafe bekommen. Seine dritte. Fortan also musste Kiel noch mehr improvisieren als schon zuvor, zumal im rechten Rückraum ein totales Vakuum herrschte. Offenbar auch gesundheitlich angeschlagen, vor allem aber auch mental nicht auf der Höhe, schien Kim Andersson und so wäre der Weltklasselinkshänder beinahe zum ungewollten Spielverderber für sein Team geworden. Abgesehen von zwei, drei feinen Anspielen gelang dem schon im Halbfinale am Samstag zögerlichen Shooter gegen den HSV nichts. Dazu passte seine Körpersprache. Serdarusic holte ihn frühzeitig auf die Bank und ließ Edeljoker Lund als Rechtshänder auf rechts spielen, da ja auch Christian Zeitz fehlte. Erst, nachdem Ahlm vom Feld musste, kam der geschwächte und gehemmte Andersson zurück und "spielte mit". So fehlte Nikola Karabatic diesmal lange Zeit das Pendant im Rückraum - und vor allem die Entlastung.
Serdarusic wird erkannt haben, dass es gegen die ebenfalls aufopferungsvoll kämpfenden Gastgeber eines weiteren Impulses bedarf. Der Trainerfuchs entschied sich für den Ritt auf der Rasierklinge. Mit einer vermutlich bewusst in Kauf genommenen Zeitstrafe gegen ihn selbst, rüttelte er sein Team in einer der kritischsten Phasen des Spiels (Mitte der zweiten Hälfte) noch einmal durch, pushte auch die Kieler Anhänger auf den Rängen, riskierte sogar kurzzeitig die rote Karte. Aber: Zum perfekten Kalkül gehört eben auch, dass man weiß, wo die Grenze ist - und dass man als Koryphäe und Branchenprimus einen gewissen "Spielraum" hat. Während in der Arena die Runde machte, nun würde der aufgebrachte Coach die Nerven verlieren und seinem Team enormen Schaden zufügen, dürfte Kiels Trainer genau gewusst haben, was er tut. Seine Spieler jedenfalls erkannten, worum es dem Trainer ging - sie legten ausgerechnet in der doppelten Unterzahl den Grundstein zum Triumph. Und: Der THW-Coach hatte sich auch ins Unterbewusstsein des Gespanns Dang / Zacharias "gemeckert".
Später darauf angesprochen, hatte Serdarusic ausschließlich unterhaltsame, kurzweilige Erklärungen dieser Szene parat. "Er wollte beweisen, dass der Opa noch lebt", es sei an der Zeit gewesen, "dass er zeigt, nicht nur wie ein Stück Holz am Rand zu stehen, sondern auch mal Emotionen zu zeigen". Und noch so manch andere zitable Erläuterung hatte der polarisierende Trainer auf Lager, wohl wissend, dass man den berühmten Schalk im Nacken nicht sehen kann. Die FAZ indes interpretierte die zwei Minuten des Noka S. in ihrer Montagsausgabe wahrscheinlich genau richtig. "Hier geht einer für Euch durchs Feuer", las der Autor die an sein Team gerichteten Gedanken und Absichten des Trainers.
Durchs Feuer gingen beide Finalisten - keine Frage. Aber letztlich hatte der THW eben die entscheidenden Nuancen auf seiner Seite. Hamburgs Coach Martin Schwalb, der mit seinem Team das Punktspiel in Kiel im Herbst 2007 gewinnen konnte, muss mit Blick auf das Halbfinale der Champions League wohl gehörig an seinem - noch spielfähigen - Personal puzzeln. Ob der Kommentar von THW-Macher Uwe Schwenker, in Spanien würde man sich ob des Final Four, die Hände reiben, sich bewahrheitet, wird sich zeigen: Der Raubbau, den die Spieler beider Mannschaften am Wochenende, so kurz vor den Halbfinalduellen mit Barcelona und Ciudad Real, betreiben mussten, könnte durchaus ein Faktor dafür werden, wie das deutsch-spanische Duell in der Königsklasse ausgeht.
Für Kiel und Hamburg aber stand es außer Frage, abzuwägen, in punkto Kräfteverschleiß herumzutaktieren oder irgendwelche Handbremsen anzuziehen. "Vollgas" lautete und lautet die Prämisse auf beiden Seiten. Beide Teams nehmen keine Rücksicht auf die Personalsituation, liefern ohne Berechnung ehrliche Leistungen ab. "Darum", so beide Trainer unisono, "können sie auch damit leben und trotzdem stolz sein auf ihr Team, wenn sie letztlich auf der Strecke bleiben, solange wir sehen, dass alle alles geben."
Ob das immer clever ist? Es ist wenigstens authentisch. Die Rhein-Neckar Löwen, die zwar mit dem kompletten Kader am Samstag angetreten waren aber in ihrer Philosophie angesichts ihrer eigenen Verletzungsprobleme offenbar weniger absolut sind, gehen einen anderen Weg: Sie verzichteten auf das zwar wenig reizvolle, aber den Zuschauern in dieser Konstellation avisierte und für den Europacup relevante Spiel um Platz drei - und kassierten dafür ein gellendes Pfeifkonzert der zahlenden Kundschaft. Argumentativ gibt es mit Blick auf diese zumindest unsensible Entscheidung sicher Für und Wider - und den Beweis, das für sie unwichtige "kleine Finale" auszutragen, mussten weder Kiel noch Hamburg antreten. Doch ist anzunehmen, dass beide Klubs die über 12.000 Fans nicht um ein weiteres Spiel gebracht hätten. Werbung in eigener Sache jedenfalls haben die Rhein-Neckar Löwen weder auf dem Spielfeld, noch drum herum gemacht.
Es besteht die Gefahr, dass die auf mehr Öffentlichkeit und - zurecht - mehr TV-Akzeptanz pochende Handballfamilie mit solchen hausgemachten Problemen bekennenden Handballgegnern wie Sportstudio-Moderator Wolf-Dieter Poschmann in die Karten spielt. Jüngster Beleg: Entgegen der Sender-Ankündigung (im Videotext des ZDF sogar noch während des Sportstudios) war das Final Four als Schwerpunkt offenbar aus dem Programm geflogen. Die Olympia-Boykott-Diskussion zu Peking nahm stattdessen den Platz in der Sendung ein. Angesichts der Brisanz und Tragweite dieses Themas fraglos eine vertretbare Entscheidung. Journalistisch aber nur dann angemessen, wenn der entsprechende Beitrag wenigstens irgend einen neuen Aspekt behandelt oder von erhellendem Wert für die Aktualität ist, sprich: Die anderen Medien nicht nur aufwärmt oder in der Vergangenheit herumstochert, sondern selbst Akzente setzt. Dies aber konnte man dem gezeigten Aufguss nur dann guten Gewissens zusprechen, wenn man sich für ein Event wie das Final Four - aus welchen Motiven heraus auch immer - nicht interessiert. Oder wenn gewisse Moderatoren ihren Auftritt haben. Und der hieß am Samstag? Richtig ...
(von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com)
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