26.12.2009 | Mannschaft |
Tobias Reichmann. |
Bisher reichte es jedoch nur für wenige Einsätze. Man kann sie an einer Hand abzählen, zufrieden ist der Rechtaußen trotzdem. "Ich bin froh über jede Minute auf dem Spielfeld, in der ich neues Vertrauen in mich und in mein Knie tanken kann." Beim Bundesligaheimspiel gegen die HSG Wetzlar Anfang Dezember feierte Reichmann sein Debüt im schwarz-weißen Bundesliga-Trikot, das für ihn persönlich auch das ganz große Leistungssport-Comeback war: Im April diesen Jahres riss beim Jung-Nationalspieler bei einem Länderspiel das Kreuzband. Eine schwere Verletzung, die eine langwierige Helingsphase nach sich zog. Nach der Operation bei Mannschaftsarzt Dr. Frank Pries im Mai fing Reichmann ganz langsam wieder an. Mühsam und unendlich erschien ihm der Weg zurück in die Trainingshalle - und erst recht in die Sparkassen Arena. "So bei einem neuen Verein zu starten, ist schon sehr ärgerlich", gibt er zu. "Ich konnte die ersten Monate nur zugucken, obwohl ich doch soviel dafür gegeben hätte, Vorbereitung und Trainingseinheiten zu absolvieren." Stattdessen schwitzte Reichmann im Sommer in der Reha und kämpfte für seine Rückkehr.
Dass er dabei sehr zielstrebig ans Werk ging, sieht man nun. Nach etwas mehr als sechs Monaten ohne größere Probleme wieder Handball spielen zu können, grenzt beinahe an ein Wunder. "Normalerweise sprechen Ärzte von neun bis zehn Monaten, die man braucht, um wieder vollkommen einsatzfähig zu sein", erzählt Reichmann, der sogar ganz und gar auf eine schützende Bandage verzichtet. "Die brauche ich nicht. Knicke ich erneut um, dann schützt mich auch keine Bandage. Dann passiert es einfach!" Eine mutige Einstellung, die aber den Willen des 21-Jährigen zeigt. In der zweiten Mannschaft des THW Kiel trainierte und spielte er mit, um möglichst viel Spielpraxis zu bekommen. Auch in Zukunft wird er dort aushelfen, wenn die Zeit bleibt. "Eine bessere Möglichkeit, um wieder in die Abläufe hereinzukommen und um mich wieder mit dem Handball vertraut zu machen, gibt es nicht", lobt er die Kooperation zwischen der ersten und der zweiten Mannschaft.
Dass Tobias Reichmann schon immer ehrgeizig und zielstrebig seine Träume verfolgte und sich auch nicht davor scheute, auch mal einen unbequemen Weg zu wählen, zeigt seine Vergangenheit. Früh entschied er sich dazu, Handballprofi als seinen Berufswunsch auszugeben. In einem Sportinternat legte er die Grundsteine, entwickelte sich zu einem wahren Talent auf der Rechtsaußenposition und zog die Aufmerksamkeit anderer Vereine auf sich. "Sport und im speziellen Handball waren meine besten Fächer damals", lacht er. "In Mathe hingegen war ich nach der zehnten Klasse nicht mehr so erfolgreich." Schlecht sei er aber nicht gewesen, eher ein bisschen zu bequem für den stressigen Alltag, in dem er Schule und Handball kombinieren musste. "Ich hätte ein besseres Abitur machen können, das stimmt. Mein zweites Lieblingsfach, Chemie, wurde allerdings irgendwann nicht mehr angeboten. Damit musste ich auch meinen zweiten möglichen Berufswunsch - Diplomchemiker - ad acta legen."
2008 klopfte dann der SC Magdeburg an seine Tür. Die Sachsen-Anhaltiner verpflichteten den Junioren-Nationalspieler, obwohl kurze Zeit später schon feststand, dass er nur ein Jahr später dem Ruf an die Kieler Förde folgen würde. "Diese Tatsache hat es mir allerdings in Madeburg nicht wirklich einfacher gemacht", blickt er zurück. Fortan standen für den damals 19-Jährigen nur noch Einsätze in der zweiten Mannschaft auf dem Programm. "Dass ich für das erste Team nicht mehr gebraucht werde, habe ich damals nicht einmal vom Trainer, sondern nur aus der Zeitung erfahren. Das hat mich schon ein wenig traurig gemacht, auch wenn ich die Entscheidung in meinem Fall - schließlich hatte ich ja bereits bei einem anderen Verein unterschrieben - verstehen kann." Den Kopf in den Sand gesteckt habe er jedoch nie: "Natürlich gab es mal den einen oder anderen schlechten Moment, auch im zurückliegenden Jahr, in dem ich mich des Öfteren gefragt habe, wieso das alles mir passiert. Aber aus der Bahn hat mich das alles nicht geworfen."
Inzwischen geht es ja auch merklich bergauf. Den ersten Einsätzen folgte das erste Tor für den THW im Spiel gegen Hannover-Burgdorf. Mit der Zeit käme auch das Vertrauen zurück, hofft Reichmann. "Dafür brauche ich ein paar kritische Situationen, in denen das Knie hält", sagt der junge Rechtsaußen, "dann schöpfe ich Selbstvertrauen und irgendwann verschwinden die Bedenken ganz aus meinem Kopf." Bedenken, dass er sich in Kiel nie wohl und zurecht finden würde, die hatte er gar nicht erst. Kiel sei eine kleine, aber feine Stadt. Von der habe er zwar bisher nicht allzu viel entdecken können ("In den letzten Monaten gingen Training und Reha vor"), aber der abends erleuchtete Hafen und die Innenstadt seien besonders in der Weihnachtszeit schön. Ein wenig allein fühle er sich indes noch, da die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin im Sommer in die Brüche ging. "Außerdem blieb wenig Zeit, um neue Freunde außerhalb des Handballs kennen zu lernen." Steht mal kein Training auf dem Plan, ist Tobias Reichmann aber gerne mit ein, zwei Freunden unterwegs oder richtet seine Wohnung ein. "Inzwischen nimmt sie Form an", ist er stolz. "Diesen ganzen Deko-Kram habe ich meiner Mutter überlassen. Davon verstehe ich nicht so viel, Möbel sind mit der Zeit aber immer mehr dazu gekommen, so dass ich nun einen kompletten Hausstand habe." Er selbst bezeichnet es als "geordnetes Chaos", in dem er lebt. "Der Hausputz gehört schon irgendwie dazu, eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist er aber nicht", lacht er.
Dieses Lachen ist ihm also auch nach den schweren Monaten im zurückliegenden Jahr nicht vergangen. Und trotzdem freut sich Tobias Reichmann irgendwie auf ein neues Jahr - mit dem THW Kiel, ohne Verletzungen und hoffentlich viel Grund zur Freude.
(26.12.2009) | Ihre Meinung im Fan-Forum? |