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18.12.2010 Nationalmannschaft / Bundesliga

KN-Abpfiff: Gibt die Bundesliga den Deutschen keine Chance?

Aus den Kieler Nachrichten vom 18.12.2010:

Am Montag hat Heiner Brand sein Aufgebot für die Handball-WM (13. bis 30. Januar 2011) bekannt gegeben. Die 28 Namen im vorläufigen Kader, den der Bundestrainer noch um ein Dutzend kürzen muss, sind nicht überraschend. Auch die Sprüche von Brand nicht, der in immer kürzeren Intervallen die Bundesligisten kritisiert. Zu viele Ausländer, zu wenige Arbeitsplätze für deutsche Talente. Die Nationalmannschaft als Aushängeschild der Sportart, so seine These, würde unter dem Egoismus der Vereine leiden. Besonders die Top-Adressen Kiel, Hamburg und Mannheim sind das Ziel seines Unmuts, obwohl sie allein zwölf Spieler aus dem 28er-Kader stellen. Zu Recht?
Nein. Sicher, die Nationalmannschaft ist trotz der enttäuschenden Europameisterschaft in Österreich (Platz zehn) der große Zuschauermagnet, doch die Clubs haben sich auch ohne die Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, wie die Brand-Auswahl sie genießt, längst eine eigene Öffentlichkeit erarbeitet. Die Bundesliga füllt auch jenseits von Kiel große Hallen, der THW hat es sogar geschafft, für das "Final4" die 500 Kilometer entfernt liegende 20 000-Zuschauer-Arena in Köln in einen Hexenkessel zu verwandeln. Und warum? Weil der Anspruch die europäische Spitze ist, die nur mit der Weltklasse zu erreichen ist.

Der THW war auch an deutschen Stars interessiert. Doch Florian Kehrmann (Lemgo), Pascal Hens, Torsten Jansen (beide Hamburg) oder Michael Kraus (Göppingen/Lemgo/Hamburg) lehnten ab. Das Leben unter Noka Serdarusic war ihnen zu anstrengend, und zudem gab es bei anderen Clubs mehr Geld zu verdienen. Demut und absolute Leistungsbereitschaft funktionieren seit Jahren als Filter für die Personalauswahl des Rekordmeisters. Deutsche, die durch das Raster passten, wurden dafür belohnt. So reiften Christian Zeitz, Dominik Klein und zuletzt Christian Sprenger unter dem permanenten Druck, Spitzenleistungen abliefern zu müssen, zu Top-Leuten heran. Auch Tobias Reichmann ist auf dem Weg, diese Theorie zu belegen. Verkannt wird zudem, dass sich der Verein um deutsche Talente bemühte. So versuchte Alfred Gislason mit Engelsgeduld aus Hendrik Pekeler einen Kreisläufer der Extraklasse zu formen. Dem U18-Europameister wurde eine große Karriere vorhergesagt, Bewegungsabläufe, die andere intensiv einstudieren mussten, liefen bei ihm schon automatisch ab. Sein Talent, die Arbeit mit Gislason und einem Vorbild wie Marcus Ahlm hätten für einen Traumstart sorgen können. Doch der Zwei-Meter-Hüne verpasste die Chance, kam selten zum Training, verschlief gar einen Flug zum Champions-League-Spiel in Skopje (Mazedonien). In seiner Bude sollen sich Pizza-Verpackungen und Cola-Dosen gestapelt haben. Im "Handball-Magazin" räumte er, der nun beim Zweitligisten Bergischer HC einen Neuanfang versucht, ein, den "Schalter nicht gefunden zu haben". Falsche Freunde, seine Schwäche, auch einmal "Nein" sagen zu können, hätten ihn vom Weg abgebracht. Ähnliches gilt für Steffen Fäth (20), jener hochgelobte Junioren-Weltmeister 2009, der dem Lorbeer bislang wenig Zählbares folgen lassen konnte.

Gerade nach der Goldmedaille bei der WM 2007 müssen die Vereine zudem scharf kalkulieren, ob sie sich einen Helden des Wintermärchens noch leisten können, sind die Löhne einiger doch anschließend explodiert. Der TBV Lemgo verrechnete sich bei dem Versuch, die Nationalmannschaft unter seinem Vereinslogo zu versammeln. Die Ostwestfalen haben große Finanzsorgen, Stars wie Kraus und Holger Glandorf sind schon wieder weg, oder haben es vor. Gerade dieses Duo steht dafür, dass sich die Probleme deutscher Spieler nicht auf die Anzahl der Ausländer reduzieren lassen. Kraus verbrachte als Lemgoer einen Großteil seiner Freizeit in der Partyszene von Göppingen. Glandorf lebte monatelang auf der Couch des Kollegen Martin Strobel, weil er den Abschied von seiner Familie in Nordhorn nicht vollziehen wollte. Beide scheinen geläutert, Kraus hat sich in Hamburg stabilisiert, Glandorf, der nach Flensburg wechseln wird, scheint erkannt zu haben, wie ein Sportler die nächste Stufe erreicht.

Die Beispiele erheben nicht den Anspruch, das Thema "Keine Chance für deutsche Talente" in Gänze abzubilden. Es soll als Versuch verstanden werden, andere Argumente für eine Diskussion zu liefern, die Brand auf einen zu kleinen Nenner reduziert.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 18.12.2010)


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