Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2013:
Er ist Kopf, Herz und Kapitän der tschechischen Nationalmannschaft. Wenn in seiner Heimat über Handball gesprochen wird,
fällt im ersten Satz sein Name:
Filip Jicha. Der
Welthandballer 2010 kam vor sechs Jahren zum THW Kiel und wurde hier schnell
zu einer unverzichtbaren Säule. Nach dem Abschied der Weltstars
Marcus Ahlm,
Daniel Narcisse,
Momir Ilic und
Thierry Omeyer
liegt auf den Schultern des neuen Kapitäns eine gewaltige Verantwortung.
Mit Filip Jicha, dem neuen Kapitän des THW Kiel, sprach KN-Redakteur Wolf Paarmann.
- Zebra-Journal:
-
Warum sind Sie Kapitän des THW Kiel geworden?
- Filip Jicha:
-
Eigentlich ist bis heute nicht darüber gesprochen worden, ob ich das werden will.
Ich bin von Uli Derad (ehemaliger THW- Manager, Anm. d. Red.)
und Alfred (Gislason, d. Red.)
vor einigen Jahren gefragt worden, ob ich Stellvertreter von
Marcus Ahlm werden möchte.
Das war für mich ein logischer Schritt, also habe ich zugestimmt.
- Zebra-Journal:
-
Und...
- Filip Jicha:
-
... dann gab es im vergangenen Oktober ein Gespräch mit
Alfred, in dem wir diskutiert haben,
ob wir den weiteren Weg gemeinsam gehen wollen. Dass wir an
unserem erfolgreichen Spielsystem festhalten, was mir persönlich
sehr wichtig ist. In diesem Gesprach stand für Alfred
bereits fest, dass ich Nachfolger von Marcus werde.
Aber gefragt hat er mich nie.
- Zebra-Journal:
-
Was hätten Sie geantwortet?
- Filip Jicha:
-
Dass es eine große Ehre für mich sein würde. Ich bin zwar Kapitän
der tschechischen Nationalmannschaft und war es auch im Jugendbereich
regelmäßig, aber noch nie in einer Vereinsmannschaft. Davon habe ich
schon als 13-Jahriger geträumt, wie schön es sein könnte, als Kapitän
diese Mannschaft in die Halle fuhren zu dürfen. Allerdings: Dieses Amt
muss man sich verdienen und immer beweisen, der Richtige dafür zu sein.
Wie es Marcus und Stefan immer taten.
- Zebra-Journal:
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Zurück zum System: Ihre Mannschaft durchlebt einen erneuten Umbruch.
Glauben Sie, dass der THW weiter erfolgreich sein wird?
- Filip Jicha:
-
Was das betrifft, bin ich besorgt. Aber die Tage in Faaborg beruhigten mich
etwas, wir haben dort hart gearbeitet. In der Saison, die wir mit 68:0 Punkten
beendeten, wussten wir, dass wir nicht verlieren können, wenn wir unser System
beibehalten. Da ging es nur darum, an Kleinigkeiten zu feilen. Es muss unser
Ziel sein, dieses Niveau wieder zu erreichen. Der THW in der kommenden Saison
- das wird auf jeden Fall sehr interessant.
- Zebra-Journal:
-
Was wird sich für Sie ändern, jetzt, da Sie der neue Kapitän sind?
- Filip Jicha:
-
Auf dem Feld nicht viel. Da habe ich immer Verantwortung übernommen, meine
Meinung gesagt und auch mit dem Trainer über taktische Dinge diskutiert,
wenn ich eine andere Meinung hatte.
- Zebra-Journal:
-
Und außerhalb der Halle?
- Filip Jicha:
-
Ich habe hier Stefan Lövgren und
Marcus Ahlm erlebt, das waren gute
Lehrmeister. Als ich nach Kiel kam, war hier mit
Lövgren ein Spieler,
wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er war immer für einen da,
ohne sich dabei aber aufzudrängen. Ich sehe meine Aufgabe darin,
besonders den jungen Spielern zu helfen. Nicht alle trauen sich
beispielsweise, Alfred anzurufen,
wenn sie einmal nicht wissen, wo das Training stattfindet. Sie
wenden sich dann lieber an mich (lacht). Ich möchte mich weiter
mit meiner Person, meiner Erfahrung im Verein einbringen. Wenn
ich merke, dass ich diese Rolle nicht mehr ausfullen kann, einfach
platt bin, dann verlasse ich Kiel und übernehme irgendwo eine
andere Aufgabe, in die ich meine Energie investieren kann.
- Zebra-Journal:
-
Wie werden Sie mit Konflikten umgehen?
- Filip Jicha:
-
Es ist wichtig, in einer Mannschaft eine Hierarchie zu haben. Die
haben wir. Aber ich bin der Letzte, der sich überall einmischt, der
glaubt, immer im Recht zu sein. Ich habe mich beispielsweise vor
drei Jahren einmal mit Palle
(Andreas Palicka, d. Red.) im Training
geprügelt. Wir spielten Basketball, waren alle müde, er hat mich
gefoult - da sind wir beide von der Leine gegangen. Geschadet hat
es unserem Verhältnis nicht. Eingemischt hat sich keiner, auch der
Trainer hat nur zugesehen.
- Zebra-Journal:
-
Was werden Sie ändern?
- Filip Jicha:
-
Eine Sache habe ich schon beschlossen. Bislang war es üblich, dass
jeder selbst entscheiden konnte, ob er bei der Anreise zu einem Spiel
in der Champions League eine Krawatte trägt oder nicht. Ich finde, das
geht nicht. Zu einem Anzug gehört eine Krawatte, da können die Kollegen
mit mir nur diskutieren, wenn die 40-Grad-Grenze überschritten ist.
- Zebra-Journal:
-
Werden Sie als Kapitän mehr Mitsprache bei Personalentscheidungen haben?
- Filip Jicha:
-
Ich glaube nicht, dass diese Rolle mit der Binde zusammenhängt. Ich bin
zur Verpflichtung von Domagoj Duvnjak (kommt
2014, d Red.) befragt worden, und wenn einer wissen will, wen ich mir
als Nachfolger von Christian Zeitz (2014
nach Veszprem, d Red.) wünsche, hätte ich auch eine Meinung.
- Zebra-Journal:
-
Welche?
- Filip Jicha:
-
Ich wurde mir das Duo Kim Andersson/Marko Vujin
wünschen. Kim bleibt für mich immer einer
der besten Halbrechten der Welt. Er kennt unser System sehr gut und
passt auch menschlich super zu uns. Mit ihm und Duvnjak
wären wir bestens aufgestellt, allerdings hat Kim
in Kolding noch einen Vertrag bis 2015.
- Zebra-Journal:
-
Sie sind dafür bekannt, klare Worte zu finden. Jüngst haben Sie sich
auch bei Ihrem Verband unbeliebt gemacht.
- Filip Jicha:
-
... stimmt. Direkt nach dem Sieg gegen Montenegro, mit dem wir uns für
die EM in Dänemark qualifiziert haben, sagte ich den Journalisten, dass
das nur ein Verdienst der 15 Spieler gewesen sei. Sonst hätte keiner
etwas dazu beigetragen. Ich sagte, dass es ein Witz sei, dass eine
Nation wie Deutschland, die alles für die EM-Qualifikation getan hat,
nur Dritter geworden ist, und wir, die von ihren Funktionären gar nicht
unterstützt wurden, am Ende den ersten Platz belegten.
- Zebra-Journal:
-
Und wie war die Reaktion?
- Filip Jicha:
-
Die Verbandsspitze hat mich über die Boulevard-Medien massiv attackiert.
Und zu meiner Pressekonferenz, die ich in Prag immer am Dienstag nach dem
Saisonende gebe, kamen statt normal zehn Journalisten diesmal 40.
- Zebra-Journal:
-
Hat Ihre Kritik etwas bewirkt?
- Filip Jicha:
-
Ich glaube schon. Wir haben jetzt einen neuen Präsidenten, der selbst
Handball gespielt hat und sechs Jahre lang Botschafter in den USA gewesen ist.
Ich glaube, dass mit ihm unser Sport in Tschechien wieder auf einem guten Weg ist.
- Zebra-Journal:
-
Ist die Doppelbelastung nicht zu viel? Schließlich sind Sie auch noch
Kapitän Ihrer Nationalmannschaft?
- Filip Jicha:
-
Vielleicht wäre das so, wenn sich in unserem Verband nichts geändert
hätte. Aber jetzt bin ich zuversichtlich, dass ich nach und nach
Verantwortung abgeben kann. Ich will aber unbedingt etwas zurückgeben,
schließlich durfte ich an der Seite ganz großer Handballer viel lernen.
Welcher Tscheche hatte schon dieses Glück? Es wird auch künftig passieren,
dass ich an freien Tagen nach Prag fliege, um Gespräche zu fuhren, um
über die Zukunft unseres Handballs zu reden.
- Zebra-Journal:
-
Ihrem Vereinstrainer wäre es wahrscheinlich lieber gewesen, Sie hatten
die EM in Danemark verpasst, um sich für die Rückrunde schonen zu können...
- Filip Jicha:
-
Das ist wohl so. Aber eine Motivation, sich für ein solches Turnier zu
qualifizieren, ist auch, dass dann die Vorbereitung mit dem THW im
Januar ausfällt. Ich bin nicht traurig darüber, dass ich diesmal fehlen
werde, wenn die Kollegen in Schönkirchen bei Minusgraden 20 Mal über die
400-Meter-Bahn rennen. In Dänemark werde ich mich auch fit halten,
allerdings in einer warmen Halle.
- Zebra-Journal:
-
Was sagt denn Ihre Frau Hana dazu, dass durch das neue Amt das
Zeitfenster für die Familie noch kleiner werden wird7
- Filip Jicha:
-
Wir haben darüber im Sommerurlaub sehr intensiv gesprochen. Über unsere
Rollen, schließlich haben wir zwei kleine Kinder, unser Leben hat sich
zuletzt stark verändert. Wir haben uns viel Zeit genommen, uns zugehört,
versucht zu verstehen, was den anderen bewegt. Ich kann diese Rolle als
Mannschaftskapitän in Kiel nur ausfullen, wenn Hana mir dabei hilft. Wenn
sie sich beispielsweise um die Frauen der anderen Spieler kümmert, für sie
Ansprechpartnerin ist. Das ist wichtig für das gesamte Gefüge, auch die
Frauen und Familien müssen sich in Kiel wohlfühlen. Ich werde tun, was ich
kann, um Zeit für meine Familie zu haben. Darunter wird mein Golfspiel
leiden, auch wenn mir das als Ausgleich sehr wichtig ist (lacht).
- Zebra-Journal:
-
Mit wem werden Sie sich denn beraten, wenn Sie irgendwann einmal ein Problem haben sollten?
- Filip Jicha:
-
Mit Marcus Ahlm (jetzt Aufsichtsratmitglied beim
THW, d. Red.) ist der ehemalige Kapitän ja noch immer da. Er wird ein
wichtiger Ansprechpartner sein. Ich kenne nur wenige Menschen, die so gut
verstehen, wie der Mannschaftssport funktioniert. Marcus
ist ein großer Analytiker.
- Zebra-Journal:
-
Was würden Sie sich von ihm noch wünschen?
- Filip Jicha:
-
Er soll sich immer sofort bei mir melden, wenn er in Kiel ist. Auch
wenn er einmal Präsident des THW sein sollte, so viel Zeit muss sein.
Macht er das nicht, gibt es Ärger. Und ich habe in Marcus
unglaubliches Vertrauen, dass er weiterhin hungrig bleibt und sein
kritisches Auge zeigt, wo andere vielleicht ohne Hunger dastehen würden.
Er versteht Handball detailliert wie nicht viele Leute auf der Welt.
Er könnte dafür sorgen, dass der Verein erfolgreich bleibt. Dass wir
den Handball dominieren, die Champions League gewinnen, ein Mythos
bleiben. Und nicht eines Tages ein ganz normaler Verein sind, dessen
Besonderheit es ist, dass immer viele Fans zu den Heimspielen kommen.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2013. Das Gespräch führte Wolf Paarmann)