THW-Logo
30.01.2007 WM 2007

Kieler Nachrichten: Lino Cervar: Der Schöpfer des kroatischen Märchens

Der Trainer und Politiker formte aus Versagern den WM-Favoriten

Aus den Kieler Nachrichten vom 30.01.2007:

Mannheim - Mit einem 29:28 (11:16)-Sieg gegen Spanien verteidigte Kroatien die Tabellenführung in der Hauptrundengruppe II. Damit trifft der Olympiasieger im Viertelfinale auf die Franzosen, die trotz eines 28:26-Sieges gegen Tunesien nur Vierter in der Gruppe I wurden.
Mannheim - Als Lino Cervar im Juni 2002 sein Amt übernahm, war er als Trainer ein unbeschriebenes Blatt und seine Mannschaft ein Scherbenhaufen. Die Kroaten, der stolze Olympiasieger des Jahres 1996, hatten die Europameisterschaft in Schweden als Letzter beendet. Die heimische Presse tobte und sprach Spielern wie Ivano Balic oder Petar Metlicic jegliches Talent ab.

"Handball in Kroatien, das war damals eine große Katastrophe", sagt der Cervar, dieser kleine Mann mit der großen Brille, und für einen Moment ruhen seine Hände, die sonst so gestenreich jeden Satz unterstreichen. Der 56-Jährige sitzt in der Lobby des Hotels "Nestor" in Ladenburg bei Mannheim. Im Januar 2007.

In seiner Heimat ist er längst ein Volksheld. Geht der Kroate, der seit drei Jahren auch Parlamentsabgeordneter ist, in Zagreb in ein Restaurant, werden die Rechnungen üblicherweise zerrissen. Seine Mannschaft, die zu 80 Prozent aus den Enttäuschten von einst besteht, ist im Welt-Handball inzwischen das Maß aller Dinge.

"Es war eine große Herausforderung. Das hat mich gereizt", sagt Cervar in gutem Deutsch, "und ich hatte Vertrauen in diese Mannschaft." Der Vater von zwei Töchtern war gerade mit RK Zagreb Meister geworden, obwohl alle Nationalspieler beim Konkurrenten Metkovik unter Vertrag standen. Zuvor hatte er, der in Istrien an der italienischen Grenze geboren wurde, den fünftklassigen Klub Istraturist aus dem 4000-Seelen-Ort Umag in Jugoslawiens Erste Liga geführt. Innerhalb von fünf Jahren.

Geprägt hat ihn die Zeit als Trainer Italiens (1994 bis 2000), als der Verbandspräsident ihm umgerechnet eine Million Euro in die Hand drückte, damit er sich den Rat namhafter Wissenschaftler erkaufen konnte. Cervar, der mit deren Hilfe die Italiener zu respektablen Handballern machte, lernte in Rom, von anderen zu lernen: "Ich bin wie ein Kind. Ich möchte immer etwas Neues machen." Vor der WM in Deutschland rief er Jens Nowotny (Dinamo Zagreb) an, und bat ihm um den Fitnessplan der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Als er kroatischer Nationaltrainer wurde, sollte sich das Team gerade in zwei Play-Off-Spielen gegen Tschechien für die WM 2003 in Portugal qualifizieren. "Wir waren krasser Außenseiter", erinnert sich Cervar, dessen Start mit großer Skepsis begleitet wurde. Zumal er den erst 21-jährigen Igor Vori aus Zagreb nominiert hatte. "Alle dachten, dass ich verrückt bin", sagt er und malt sechs Dreiecke auf einen Zettel. "Die Basis von großen Siegen ist die Abwehr, und in ihrer Mitte müssen große Leute stehen." Das Dreieck, das vor allen anderen steht, das war und ist für ihn der 2,02-Meter-Klotz Vori. Mit ihm gewannen die Kroaten das Hinspiel gegen die Tschechen mit 15 Toren Differenz, das Rückspiel mit zehn. Das war der Anfang. Bei den letzten fünf großen Turnieren erreichte sein Team mindestens das Halbfinale, wurde Weltmeister und Olympiasieger. Balic wurde jeweils zum besten Spieler gewählt und 2003 zum Welthandballer geadelt. Ob der emotionale Cervar, der an der Seitenlinie keine Ruhe finden kann, bei der WM 2009 in Kroatien noch Nationaltrainer sein wird, weiß er nicht. Es war sogar fraglich, ob er die Mannschaft nach Deutschland begleiten würde. "Wenn ich meine Idee nicht umsetzen kann, dann reizt mich die Aufgabe auch nicht. Egal welche es ist."

Für diese WM genehmigte ihm der Verband deshalb einen 13-köpfigen Stab, der unter anderem aus drei Co-Trainern und einem Ernährungswissenschaftler besteht. Nur ein Psychologe fehlt. "Das bin ich", sagt Cervar, der viel mit den Spielern spricht. Auch weil sie sich gegen neue Methoden wehren. "Sie hatten mit den alten Erfolg und sehen keinen Grund darin, etwas zu ändern." Für ihn ist das Gegenteil richtig.

Cervar hat es zudem geschafft, seinen Spielern eine entsprechende Mentalität einzuimpfen. "Im Training muss es bei jeder Übung einen Sieger geben", sagt Cervar. "Für den Verlierer gibt es eine Strafe." Spieler, die bei Niederlagen die Schuld immer bei anderen suchen ("Verlierer-Männer") seien gefährlich für eine Mannschaft. "Die Selektion ist entscheidend. Deshalb habe ich viele Sieger-Männer."

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 30.01.2007)


(30.01.2007) Ihre Meinung im Fan-Forum? Zur Newsübersicht Zur Hauptseite