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25.05.2008 Champions League

Zebra-Journal: Gegen Ciudad Real versagten alle Systeme

und das ausgerechnet in der Champions League

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 23.05.2008:

Es war ein langer und beschwerlicher Weg, den die "Zebras" bis ins Finale der Champions League zurücklegten. Vorrunde, Hauptrunde und zwei großartige Halbfinalspiele gegen den FC Barcelona. Am Ende standen die Finals gegen die "Galaktischen" von BM Ciudad Real.
Nach dem 29:27-Hinspielsieg in Spanien hatten die Kieler eine Hand schon fest am Pott, aber im Rückspiel versagten alle Systeme. Die 25:31-Niederlage in der Sparkassen-Arena besiegelte eine von wenigen schwachen THW-Saison-Leistungen zum falschen Zeitpunkt.

Dabei hätte der Rahmen für eine rauschende Handball-Party nicht besser sein können. Aus einem wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne auf den Europa platz, schon lange vor dem Anpfiff versammelte sich der THW-Anhang, um sich in Stimmung zu bringen. Als es dann losging bebte die Kieler Arena unter der Lautstärke, die 10.250 siegeshungrige Fans mit Stimme, Gesang und gefalteten Pappfächern veranstalteten.

Doch der spanische Meister und CL-Gewinner von 2006 ließ sich beim Titelverteidiger nicht einschüchtern, baute eine Deckung auf wie eine Mauer, nutzte die übergroße Nervosität der Gastgeber und drückte dem Spiel seinen Stempel mit langsamem Aufbauspiel auf. Kiels gefürchtetes Tempospiel blieb in den Ansätzen stecken und erstickte. 13:15 stand es zur Halbzeit, kurz zuvor schöpften Spieler und Fans bei der 13:11-Führung - es sollte die letzte in diesem aus Kieler Sicht verkrampftem Spiel bleiben - noch einmal Hoffnung. Umsonst, in der zweiten Halbzeit ging fast gar nichts mehr. Einmal noch, zum 22:25, kämpften sich die "Zebras" heran. Dann brachen alle Dämme, beim 22:27 in der 56. Minute war die Vorentscheidung gefallen.

Die Analyse fiel später nicht schwer. Ciudad Real profitierte von seiner bärenstarken Deckung mit Abwehrchef Didier Dinart und einem Torhüter Arpad Sterbik, der Kiels Angreifer wie eine asiatische Götterfigur mit tausend Armen und Beinen verhexte. Außerdem erwischte Olafur Stefansson einen Traumtag. Der Isländer traf zwölfmal, davon fünfmal eiskalt von der Siebenmeterlinie. Die von seiner aggressiven Deckung erkämpften oder vom THW auf dem Silbertablett servierten Ball-Geschenke nahm Jonas Källman dankend an und traf mit elf Toren ebenfalls zweistellig. Auf Kieler Seite war Schweigen. Nikola Karabatic, mit neun Toren im Hinspiel noch als Superstar von der spanischen Presse gefeiert, wirkt nach der langen Saison kraft- und ideenlos. Vier Tore standen am Ende für den Franzosen auf dem Zettel, überhaupt kam der gesamte THW-Rückraum nicht zur Geltung. Normalform erreichten auf Kieler Seite nur die beiden Außen, Vid Kavticnik und Dominik Klein. "Wir haben heute nicht zu unserem Spiel gefunden", klagte Filip Jicha später in den Kabinengängen, "außerdem erwischte Olafur Stefansson bei Ciudad Real einen großen Tag. Der hätte aus der Kabine werfen können - er hätte heute ins Tor getroffen."

Am Ende trübte Rudelbildung und Chaos das Geschehen und sorgten für unrühmliche und hässliche Szenen. Auslöser war Kiels Linkshänder Christian Zeitz, der sich, im Ciudad-Kreis liegend, aus der Umklammerung von Entrerrios lösen wollte und dem Spanier frustriert seinen Unterarm ins Gesicht rammte. Der bullige Franzose Dinart stürzte sich auf den Kieler und löste Tumulte aus, in die auch Zuschauer verwickelt wurden. Rote Karten gegen Dinart und Pajovic sowie Zeitz waren die Folge.

Nch dem Schlusspfiff reagierten sich einige Gästespieler mit provokanten Aktionen in Richtung Publikum ab. Spielmacher Uros Zorman tat sich mit obszönen Gesten besonders hervor. Wirklich unschöne Szenen, die normal in Handball-Hallen nicht zu sehen sind. Selbst einige Zuschauer mischten mit, warfen Pappen auf spanische Spieler und droschen mit Hallenheften auf die Gäste ein. Ob diese Ausfälle durch die Europäische Handball-Föderation noch sanktioniert und ein Nachspiel für den THW haben werden, dürfte sich demnächst zeigen.

Und es war ein trauriges Bild, das die THW-Spieler nach dem Schlusspfiff in der Sparkassen-Arena abgaben. Sie erlebten eine großartig inszenierte, bunte Siegerehrung, in der sie selbst die Hauptrolle spielen wollten, abseits von der großen Bühne wie in Trance. Tränen flossen bei Vid Kavticnik und Filip Jicha, Kapitän Stefan Lövgren, den Trainer Noka Serdarusic nur knappe fünf Minuten am Finalspiel teilhaben ließ, blickte mit versteinertem Gesicht auf die Pokalübergabe. Die überglücklichen Spanier feierten dagegen mit gespreizten fünf Fingern, die ihre gesamten Saisontitel symbolisieren sollten, und schmetterten ausgelassen "Campione, Campione!" in das Kieler Tempel-Oval. Relativ gelassen nahm dagegen Noka Serdarusic die unerwartete Demütigung im wichtigsten Spiel des Jahres hin. "Ich wusste vorher, dass es ganz schwer werden würde und habe meine Spieler gewarnt", diktierte der 57-jährige Kieler Trainer den Journalisten in die Blöcke, "aber sie liefen schon vorher herum, als müssten sie an einer Beerdigung teilnehmen." Er habe es nicht geschafft, die schlechten Gedanken zu vertreiben und den Spielern klar zu machen, dass sie Freude am Spiel haben sollten, fuhr Kiels Trainer fort. Am Abend trat Serdarusic dann jene Lawine los, die den THW und seine Fans noch länger beschäftigen düfte. Der 57-Jährige kündigte an, in seine letzte Saison gehen zu wollen. Fortsetzung folgt...

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 23.05.2008)


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