Aus dem "Handball-Magazin" 11/2008:
Man hasst oder man liebt ihn:
Christian Zeitz ist
der umstrittenste deutsche Handballer - und für die Nationalmannschaft vorerst
verloren.
Die Geschichte dieses Mannes lässt sich nur mit Widersprüchen erzählen: ein genialer
Werfer und eine taktische Katastrophe, ein Gewinn und ein Verlust für den Handball,
ein sensibler Mensch und ein brachialer Sportler. Kurz: Gut und Böse in einer Person,
die jedoch immer mehr vom Anakin Skywalker zum Darth Vader mutiert. Der öffentliche
Christian Zeitz polarisiert wie kein anderer Handballer, weil er sich auf dem Spielfeld
emotionslos gibt und die Medienwelt mangels Redefreude nicht an sich teilhaben
lässt.
Alfred Gislason, sein neuer Trainer beim THW Kiel, sagt: "Das ist sein gutes
Recht. Ich verstehe ihn gut - egal, was er sagt, es ist falsch."
Dass Bundestrainer Heiner Brand den 28-Jährigen vorerst nicht mehr für die Nationalmannschaft
berücksichtigt, war auch deshalb kein Grund für einen empörten Aufschrei.
Dabei ist Zeitz in 166 Länderspielen Welt- und Europameister geworden, stand
im olympischen Finale und gewann mit Kiel Titel um Titel. Der Linkshänder könnte als
Sportler sehr glücklich sein, doch seit anderthalb Jahren steckt der Badener in einer
Schaffenskrise. Verletzt verspielte er im Dienste der deutschen Auswahl viel Renommee,
und in Kiel musste er sich hinter Kim Andersson und
Vid Kavticnik mit der Rolle
als Stammkraft auf der Bank anfreunden.
Für den als so verschlossen geltenden Zeitz wäre das womöglich ein Grund, komplett
zu resignieren, doch überraschend entscheidet er sich gegen den totalen Rückzug.
Eine Sache müsse er ohnehin klarstellen: Brand habe ihm nicht für die Nationalmannschaft
abgesagt, sondern er habe sich selbst bereits während der
Olympischen Spiele in Peking zu einem Verzicht entschlossen.
- Handball-Magazin:
-
Haben Sie wieder richtig Lust auf Handball?
- Christian Zeitz:
-
Mit Alfred ist ein neuer Trainer da. Es macht mehr
Spaß, Handball zu spielen. Wieder richtig zu trainieren und
den Körper voll zu belasten, tut gut.
- Handball-Magazin:
-
Warum ging dieser Spaß zwischenzeitlich verloren?
- Christian Zeitz:
-
Einerseits war ich nicht richtig fit und konnte so
nicht meine eigentliche Leistung zeigen, andererseits
kamen die Medien dazu, die versucht haben, mich zu zerfleischen
- und das teilweise auch geschafft haben. Die
Kritik hat richtig hart getroffen.
- Handball-Magazin:
-
Aber Ihre Reaktion.
- Christian Zeitz:
-
Ich habe immer mehr zugemacht und niemanden
an mich rangelassen. Nicht fit und ständig in der Kritik -
diese Zeit war scheiße.
- Handball-Magazin:
-
Warum haben Sie sich nicht gewehrt?
- Christian Zeitz:
-
Ich habe versucht, mit der Presse zu reden, aber
das war nicht möglich. Die war so eingefahren auf ihrer
Schiene. Dann kam die Geschichte mit dem Abnehmen,
und dazu hat auch Kretzsche seinen Teil beigetragen, als
er sagte, der Zeitz sei wieder fünf, sechs Kilo zu schwer.
Was sollte ich dazu sagen? Ich habe einfach mein Ding
wie bisher weitergemacht: einfach nicht mehr mit der
Presse gesprochen. Die kam aber auch nicht mehr auf
mich zu. Höchstens einige Vertreter, die es eh nicht gut
mit mir meinten. Und darauf hatte ich auch keine Lust.
- Handball-Magazin:
-
Wie war das denn nun mit der Fitness - eine zeitweilig
auch berechtigte Kritik?
- Christian Zeitz:
-
Das hing ja auch mit meinen Verletzungen zusammen.
Ich bin angeschlagen von Spiel zu Spiel, von Turnier
zu Turnier gegangen, ohne irgendwann wieder richtig fit zu
werden. Und zur EURO in Norwegen habe ich mich
hinreißen lassen. Was dabei herauskam, hat man gesehen.
- Handball-Magazin:
-
Empfinden Sie das als ungerecht?
- Christian Zeitz:
-
Ich habe versucht, Mannschaft und Trainer zu
helfen, aber dass da von Heiner nichts kam, fand ich
schade. Dass ich nicht fit war, blieb geheim.
Leiste, Hüfte, Schulter - irgendwas schmerzte immer. Die
Malaise nahm ihren Anfang, als Zeitz im Herbst 2007
beim Champions-League-Spiel in Hammarby mit
Nikola Karabatic zusammenrauschte. Die malade Schulter begleitete
ihn während der EURO; weil er sich nicht korrekt
belastete, reagierte der Ellbogen. Im kollektiven Gedächtnis
blieben kaum zauberhafte Aktionen, sondern nur erfolglose
Risikowürfe. Nicht Michael Kraus, Lars Kaufmann
und Rolf Hermann hätte der heilige Zorn des Bundestrainers
treffen sollen - Zeitz wäre in den Augen der Öffentlichkeit
der richtige Adressat gewesen. Während der
Olympischen Spiele blühte die Diskussion wieder auf.
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- Christian Zeitz:
-
Ich habe zu Heiner schon in Peking gesagt, dass ich
nicht mehr Nationalmannschaft spielen will und Abstand
brauche von dem ganzen Geschehen. Er lädt jetzt die Jungen
wie Michael Müller ein. Der spielt momentan sehr
gut. Und das auf dieser Position gemeinsam mit Holger
Glandorf. Sollen die sich mal beweisen. Vielleicht kommt
die Zeit wieder, in der ich Lust auf die Nationalmannschaft
habe, aber im Moment muss das nicht sein. Acht Wochen
für Olympische Spiele trainieren, dann wie gegen Dänemark
55 Minuten auf der Bank zu sitzen, reinkommen und
nach zwei Minuten wieder ausgewechselt werden - das
muss ich mir nicht mehr antun. Da trainiere ich lieber für
mich persönlich oder in Kiel mit der Mannschaft. Oder mache
einfach mehr Urlaub, damit mein Körper regeneriert.
- Handball-Magazin:
-
Sind Sie im Rückblick mit Ihrer bisherigen Karriere
unzufrieden und empfinden gar Unglück?
- Christian Zeitz:
-
Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war ich sehr
zufrieden, aber dann kam irgendwann der Knick, die Verletzungen,
der verlorene Spaß, die Medien, die alles hochgepuscht
haben.
Als Jugend-Cheftrainer des DHB lernte Klaus Langhoff den jungen
Zeitz bereits Mitte der
Neunziger kennen. "Christian", sagt der heute 68-Jährige, "war so ein bisschen introvertiert.
Du wusstest nie: Freut oder ärgert er sich. Er war so, wie er heute spielt." Läuft es
gut, ist das cool; läuft es schlecht, ist die Sache klar: Dem Mann ist das Spiel gleich gültig.
Und er provoziert mit seiner hochriskanten Interpretation des Handballs beißenden Spott.
Als sich Erhard Wunderlich, Weltmeister a.D., während der WM 2005 in Tunesien via
BILD zu einem verbalen Tiefschlag ("Der gibt sein Gehirn am Eingang ab") berufen fühlte,
schwieg Zeitz. "In der Öffentlichkeit über ihn zu Gericht zu sitzen, hilft überhaupt nicht",
sagt Langhoff. "Zu einem gewissen Prozentsatz muss man ihn schützen." So wie es
Brand und der ehemalige Kieler Trainer Zvonimir Serdarusic lange taten. Die Reaktion fiel
2005 ff. zeitz-typisch aus: Er kehrte noch weiter in sich. Ohne Antworten entstand gar
das Bild eines Einzelgängers mit autistischen Zügen.
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- Handball-Magazin:
-
Was meinen Sie?
- Christian Zeitz:
-
Das fing mit meinem Kopftreffer gegen Carsten
Lichtlein an. Beim Champions-League-Hinspiel in Flensburg
hat dann Thorsten Storm nach einem weiteren Kopftreffer
gegen Jan Holpert (ehemaliger Torwart der SG
Flensburg-Handewitt, Anm.d.Red.) das Thema so hoch
gepusht. Er wollte mich für das Rückspiel in Kiel sperren
lassen, weil er mir Absicht unterstellte. Bei jedem anderen
Spieler wäre darüber am nächsten Tag nicht mehr gesprochen
worden. Da ich das war, hat man darüber wochenlang
und überall berichtet. Auf so etwas habe ich keine
Lust mehr.
- Handball-Magazin:
-
Zeigen Sie deshalb im Spiel so wenig Freude?
- Christian Zeitz:
-
Das liegt auch an dem Respekt, den ich vor einem Gegner habe. Wenn ich
jemanden sehe, der nach einer gelungenen Aktion jubelt wie ein Großer, obwohl seine
Mannschaft mit zehn hinten liegt - das finde ich lächerlich und peinlich. Ich mache lieber
mein Tor, laufe zurück und konzentriere mich auf mein nächstes Ding. Außerdem möchte
ich das Jubeln dem Publikum nicht zeigen. Ich weiß auch nicht warum, aber das ist
einfach nicht meine Sache.
- Handball-Magazin:
-
Ist die Gemeinschaft einer Mannschaft für Sie wichtig, oder sind Sie froh, wenn Sie
Ihr Leben für sich haben?
- Christian Zeitz:
-
Beides, aber ich brauche meine Ruhe und meine Zeit für mich. Zeit zum Abschalten,
in der ich nichts von der Mannschaft sehe. Das gehört für mich dazu. Der Teamgeist
ist wichtig, aber es gibt auch ein Privatleben. Und da spielt Handball für mich keine so
große Rolle.
- Handball-Magazin:
-
Das bringt Ihnen das Etikett des Einzelgängers ein.
- Christian Zeitz:
-
Ich kann mich gut allein unterhalten. Vielleicht lebe ich deshalb eher als Einzelgänger.
Und außerdem muss ich ja nicht mit allen außerhalb des Handballs gut auskommen.
Man muss als Mannschaft auf dem Feld stehen, zusammen kämpfen und Spiele
gewinnen - aber man muss sich doch nicht immer zusammen präsentieren. Ich mache
eben mein eigenes Ding. Trotzdem gibt es auch Spieler
in der Nationalmannschaft, mit denen ich sehr gut
auskomme.
Daniel Stephan, ehedem Kapitän, beschreibt Zeitz so:
"Er ist ein eigenwilliger Typ, aber in der Mannschaft
bewegt er sich normal und frei." Allerdings mit dem
steten Wissen, sich in sein Refugium zurückziehen zu
können. Zeitz genoss in den bisher letzten Monaten als
Nationalspieler den Vorteil eines Einzelzimmers - und
begab sich bei Bedarf auf die Suche nach Anschluss.
Der Mannschaftsarzt ist ein guter Zeuge für den privaten
Zeitz. Dr. Berthold Hallmaier sagt: "Christian ist ein
liebevoller, sehr einfühlsamer und freundlicher
Mensch. Er beobachtet genau, was um ihn herum passiert.
Und er wird in eine Schublade gesteckt, in die er
einfach nicht gehört." Es gibt nur wenige Bilder, die das
belegen: Eine Stunde nach dem Spiel des THW Kiel
gegen die Rhein-Neckar Löwen in der Mannheimer
SAP Arena. Zwischen Kabine und Bus plaudert Zeitz
noch mit Bekannten, lacht, herzt ein kleines Mädchen
- eine eigentlich ebenso normale wie banale Szene.
Aber zeitz-untypisch.
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- Handball-Magazin:
-
Wie denken Sie über Ihre Zukunft?
- Christian Zeitz:
-
In Kiel habe ich noch einen Vertrag bis 2011.
- Handball-Magazin:
-
Das ist doch eine verlässliche Basis, oder?
- Christian Zeitz:
-
Für mich nicht. Wenn ich immer wieder die
Gerüchte höre, dass ein Holger Glandorf 2009 oder
2010 nach Kiel kommt, muss ich nicht bis 2011 bleiben.
Der THW agiert, und darauf reagiere ich. Wenn
der Verein einen zweiten Linkshänder für den rechten
Rückraum holt, weiß ich, dass ich nicht noch mehr auf
der Bank sitzen will. Dann müsste ich mich umorientieren
und woanders unterkommen. Das ist ganz normal.
Sport ist ein Beruf.
- Handball-Magazin:
-
Gäbe es dann eine klare Präferenz zu einem
Wechsel in die badische Heimat?
- Christian Zeitz:
-
Ich ginge gern wieder in die Heimat, aber so wie
die Mannschaft der Rhein-Neckar Löwen aussieht,
kann ich mich damit nicht anfreunden. Außerdem haben
die zwei Halbrechte, und da wäre ich das dritte Glied.
Da spiele ich lieber 2. Liga oder sogar Regionalliga, finde
wieder zu mir und komme mit Spielanteilen in die
1. Liga zurück. Auf die Bank habe ich keine Lust mehr.
- Handball-Magazin:
-
Was wäre mit einem Wechsel ins Ausland? Sie
könnten noch einmal bei Null starten.
- Christian Zeitz:
-
Nee, mittlerweile habe ich meinen Ruf weg. Ich
kann doch nirgends bei Null starten. Mein Wunsch
wäre es, endlich mal wieder zu spielen. 50, 60 Minuten
- und keine Kurzeinsätze, wenn eine Partie gelaufen
ist.
(Aus dem "Handball-Magazin" 11/2008)