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30.08.2009 Medien / Mannschaft

Stunde Null in Chambery

Von Dr. Oliver Schulz:

Für den THW Kiel bedeutet die Verpflichtung Daniel Narcisses ein weiteres Juwel in seinem ohnehin mit Klassespielern gespickten Kader. Die französische Liga LNH konnte zwar die Rückkehr Karabatics vom deutschen Rekordmeister auf heimisches Terrain vermelden, verliert aber mit dem Sprungwunder nur wenig später einen ähnlichen Hochkaräter ausgerechnet an die Kieler. Nach der Aufrüstung Montpelliers dürfte der Kampf um die Meisterschaft auf der anderen Rheinseite deutlich an Brisanz verlieren, hat doch der ärgste Konkurrent Chambery nicht nur einfach sein Aushängeschild verloren.
Bei den Savoyern geht mit dem überraschenden Abschied Narcisses vielmehr endgültig eine Ära zu Ende. Vor gut zwei Jahren noch hoch angesetzte Ziele wurden nicht erreicht, und so stehen die Gelb-Schwarzen ohne große Namen vor einem Neubeginn.

Neben Karabatics Rückkehr nach Südfrankreich dürfte - so vermutet die Savoyer Tageszeitung Le Dauphine Libere - auch der Poker um Narcisse zu den finanziell umfangreichsten Transfers in der Geschichte der LNH zählen. Über den plötzlichen Geldsegen in seiner Kasse hätte sich der Alpenklub eigentlich freuen können, wäre der Verkauf seiner noch drei Jahre vertraglich gebundenen Gallionsfigur schon länger geplant und damit absehbar gewesen. Die kurzfristige Bitte Narcisses an Präsident Alain Poncet, Savoyen vorzeitig den Rücken kehren zu wollen, trifft den Vizemeister allerdings mitten ins schwarz-gelbe Herz, verliert er doch seinen Kapitän, gefährlichen Torschützen, Denker und Lenker praktisch über Nacht.

Trauriger Rekord in Chambery
So sprach das französische Portal sport24.com denn auch von einem traurigen Rekord. In einer von der Savoyer Tageszeitung Le Dauphine Libere durchgeführten Umfrage unter Führungskräften von Vereinen anderer Sportarten, die in der Region Savoyen beheimatet sind, rief die rasante Entwicklung der Ablösesummen im Handball eher Besorgnis hervor.

Im ersten Jahr ohne Neuzugänge erwarte er eine der härtesten Spielzeiten seit seinem Amtsantritt (1996), hatte Trainer Philippe Gardent das Blatt noch kurz vor Bekanntwerden der Wechselabsichten seines Stars wissen lassen. Einige Tage danach erörterte er derselben Zeitung, auch ohne den Abgang hätte der Meister von 2001 und Ligapokalsieger von 2002 keine neuen Leute verpflichtet. Jetzt werde es natürlich äußerst schwer, gerade im Hinblick auf die Zusatzbelastung durch die Königsklasse.

Nach dem Rückzug seines in der Immobilienbranche tätigen Hauptsponsors Michel Simond und einem damit verbundenen angeblichen Defizit von 300.000 Euro ließ der Verein vor wenigen Wochen bereits seinen slowenischen Halbrechten Jure Natek zum Meister seines Heimatlandes, Gorenje Velenje, ziehen, ohne adäquaten Ersatz zu finden. Vielmehr bezeichnete Präsident Alain Poncet noch Ende Juli im Scherz die drei Langzeitverletzten Roine, Paty und Joli, die in der abgelaufenen Saison nur phasenweise zur Verfügung standen, quasi als Neuzugänge - die beiden letztgenannten sind immerhin Linkshänder. Die Lücke zum sportlich wie finanziell ohnehin übermächtigen Abonnementsmeister Montpellier dürfte sich nach dessen heftiger Aufrüstung noch weiter geöffnet haben.

Verständnis des Trainers
Gegenüber Dauphine Libere drückte Gardent sein Verständnis für Narcisses Wunsch aus, zukünftig mit dem THW auf Titelhatz zu gehen. Der sei verständlich und legitim. Mit fast 30 Jahren und hungrig auf Erfolge habe Narcisse einer der ganz Großen in Europa ein finanziellesAngebot unterbreitet, das dieser nicht habe ablehnen können. Nachdem Chambery dem Spieler einst ein ambitioniertes Projekt unterbreitet habe, das durch den Rückzug des Sponsors aber gebremst worden sei, habe Narcisse die komplizierte Situation des Klubs verstanden und darauf reagiert.

Sportlich und menschlich sei der Abgang eines solch außerordentlichen Spielers ein herber Verlust bis hin zu einem Schock. Schließlich habe der Verein all sein Streben um ihn herum aufgebaut. Jetzt müsse alles neu gestaltet werden, und dafür bleibe nicht allzu viel Zeit. Das Problem bestehe darin, dass neue Systeme sich nun einmal nicht über Nacht einspielten.

Verbandspräsident: Harter Schlag für die gesamte Liga
Präsident Alain Smadja bedauerte den Wechsel des Rückraumstars auf der Homepage des Ligaverbandes LNH zutiefst und sprach von einem harten Schlag für das gesamte Klassement. In jedem Entwicklungsprozess gebe es Phasen des Fortschritts und solche des Stillstands. Die in Kürze beginnende Spielzeit habe nach der Rückkehr Karabatics eigentlich Potential für einen gehörigen Schub nach vorne in sich getragen. Trotz der Ankunft mehrerer Ausländer in der LNH werde Narcisses Weggang das Handballfieber ordentlich drosseln, sei dieser doch einer der drei, vier herausragenden Spieler der Liga gewesen. Seine späte Wechselabsicht gegen Ende der Vorbereitung bzw. des Transferfensters habe zudem auf dem Markt zu einer gewissen Unruhe geführt.
Das Ende einer Ära
Nach dem Abgang früherer Weltstars vom Schlage eines Stephane Stoecklin, Marc Wiltberger oder der Gille-Brüder hatte Chambery - gestützt auf das ruhmreiche Duo Richardson/Narcisse - vor gut zwei Jahren neu Anlauf genommen und einen großkalibrigen Angriff auf die nationale Meisterschaft und die Königsklasse geplant. Nach "Jacks" Karriereende und der Landung von "Air France" in Kiel ist in Savoyen vor wenigen Tagen eine Handball-Ära zu Ende gegangen. Chambery Savoie Handball, dessen Internetpräsenz mit "Der Verein von Daniel Narcisse" überschrieben ist, muss nach dem Aufstieg in die erste Liga (1994) und anschließender mehr als zehnjähriger Präsenz an der nationalen Spitze plötzlich eine ganz neue Seite in seiner Chronik aufschlagen.
Blick in eine ungewisse Zukunft
Trainer Gardent gab gegenüber "Le Dauphine Libere" die Parole aus, nun trotz der wenigen verbleibenden Zeit nicht in Panik zu verfallen, sondern in Ruhe zu überlegen, um dann neu Schwung zu holen. Mit Chambery sei dennoch zu rechnen. Es habe es ein Leben vor Narcisse gegeben, und es werde auch eines nach ihm geben. Auf dem Feld müsse nun der tschechische Mittelmann Karel Nocar die Zügel in die Hand nehmen, ließ der Coach durchblicken und appellierte gleichzeitig an den Mannschaftsgeist. Die Truppe müsse nun noch enger zusammenwachsen und ihre Kräfte bündeln. Dennoch werde er jetzt nach einer Verstärkung für die in Bälde beginnende Spielzeit Ausschau halten, ohne allerdings etwas zu überstürzen. Am Rande des bereits ohne Narcisse bestrittenen Eurotournois in Straßburg stieß Benjamin, jüngster der drei Gille-Brüder, gegenüber dem Portal hand7.fr in dasselbe Horn: zukünftig gelte es, gestützt auf eine sichere Abwehr auch ohne den Star zu wachsen und sich weiter zu entwickeln.

Noch allerdings ist Chambery das einzige Team der gesamten Liga ohne echten Neuzugang. Ibrahim Diaw (29), Kapitän und Halblinker von Absteiger Paris HB, der vorübergehend in den Fokus der Savoyer geraden sein soll, entschied sich soeben für den verletzungsgeplagten Ligakonkurrenten Istres. Ob sein Vereinskollege, Nationalkreisläufer Cedric Sorhaindo, den Weg nach Savoyen einschlägt, ist zur Stunde noch unklar. Am 10. September müssen die Gelb-Schwarzen zum Auftakt in eine ungewisse Saison nach Toulouse reisen. Ob in der "ville rose" der Grundstein für eine rosige Zukunft liegt, bleibt abzuwarten.

(Von Dr. Oliver Schulz)


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