Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.09.2011:
Mit
Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel, sprach KN-Redakteur Reimer Plöhn.
- Zebra-Journal:
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Herr Gislason, nach sechs Meisterschaften in Folge musste der THW dem HSV in
diesem Jahr den Vortritt lassen. Tut der verpasste Titel immer noch weh?
- Alfred Gislason:
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Na klar, wir verlieren alle nicht gerne. Aber der Ärger ist verflogen, wir hatten den Titel
nicht verdient, weil der Kader durch unser Verletzungspech zu klein war,
die verbliebenen Spieler konnten die Last am Ende nicht mehr tragen.
- Zebra-Journal:
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Waren der DHB-Pokal und der Sieg im Weltpokal gegen Ciudad Real schöne Titel oder doch nur Trostpreise?
- Alfred Gislason:
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Beide Titel waren für uns sehr wichtig. Vor allem der Weltpokal in Doha.
Ciudad hat durch die Niederlage einen echten Knacks bekommen, die waren
geschockt, dass wir sie so klar beherrscht haben, das hatte sogar Nachwirkungen für die
Champions League. Für uns war der Trip in die Wüste aber schlecht, weil die
Spiele zum falschen Zeitpunkt kämen, es gab einen großen Substanzverlust. Das hat mir nicht gepasst,
Aber finanziell gab es zu starke Argumente. Um diese Zeit würde ich künftig nicht mehr hinfliegen.
Allerdings haben die Veranstalter auch schön angekündigt, den Weltcup künftig in den August zu legen. Das passt.
- Zebra-Journal:
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Der THW präsentiert in diesem Jahr erstmals keine Neuzugänge, kann der Trainer damit leben, zumal
der Druck, Titel zu holen, eher größer geworden ist?
- Alfred Gislason:
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Ich hätte auf einen vorzeitigen Wechsel von Patrik Wiencek aus Gummersbach gehofft,
jetzt kommt der Kreisläufer doch erst 2012. Er wäre wichtig gewesen, weil er Marcus Ahlm entlastet
hätte. Mit Wiencek müssen wir unser System nicht umstellen. Allerdings befindet sich Marcus in
überragender Form, er hat seine Rückenprobleme gut in den Griff bekommen, drückt ohnehin ungern
die Bank. Ich bin optimistisch, dass Marcus es auch allein packt. Ansonsten kommen im
Vergleich zur vergangenen Saison Daniel Narcisse und Kim Andersson
nach ausgestandenen Verletzungen wieder dazu. Mit diesen beiden werden wir deutlich stärker. Der Druck
wird auf mehrere starke Schultern verteilt. In einer Saison absolvieren die meisten meiner Spieler inklusive Nationalmannschaft fast 100 Spiele.
Das geht richtig an die Substanz. Mit Daniel und Kim
haben wir jetzt ganz andere Möglichkeiten - vorausgesetzt, dass keine neuen Verletzungen auftreten.
- Zebra-Journal:
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Zu Hause und wenn Sie mit dem THW unterwegs sind, nutzen sie jede Gelegenheit, sich mit dem
Rad fit zu halten. Arbeiten Sie damit auch den Druck ab, derauf Ihnen lastet?
- Alfred Gislason:
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Als ehemaliger Leistungssportler muss ich ohnehin etwas tun, muss viel trainieren, sonst meldet sich der
Körper, speziell das Herz. Wenn ich eine Weile nichts mache, bekomme ich Herzrhythmusstörungen. Zur Zeit
bin ich aber topfit, habe super Werte. Das haben meine Ärzte in Magdeburg festgestellt. Ich war gerade bei
einem Leistungs-Check, habe mit der Note "sehr gut" bestanden. Aber es stimmt: Ich beschäftige mich
extrem mit Handball und den kommenden Gegnern. Es ist gut, mal abzuschalten, auf dem Fahrrad
wird der Kopf frei, es kommen neue Ideen. Video und Handball ist nicht alles.
- Zebra-Journal:
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Betätigen Sie noch andere Ventile, um abzuschalten?
- Alfred Gislason:
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Wenn es zeitlich passt, fahre ich
mit meiner Frau in mein Haus nach Wendgräben bei Magdeburg, dort kann ich wunderbar ausspannen. Ich bin
wohl einer von wenigen Leuten in Deutschland, die sich ein kleines abgelegenes Nest wie Wendgräben aussuchen,
um dort drei Wochen Urlaub zu machen. Außerdem sind wir meistens noch zehn Tage in Island, meiner Heimat.
Für wunderbare Ablenkung sorgt mein ältester Sohn, gerade bin ich wieder Großvater geworden, das
zweite Enkelkind ist da.
- Zebra-Journal:
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Empfinden Sie nach dem verpassten Titel und der Rückkehr weiterer Leistungsträger einen noch
größeren Druck als zuvor?
- Alfred Gislason:
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Nein. Die Situation ist keine andere als mit Meisterschaft und Champions-League-Titel.
Jeder ist unzufrieden, wenn die Titel nicht da sind. Wir haben das Glück, für den besten Club
der Welt arbeiten zu dürfen, dann bist du nie zufrieden mit Platz zwei. Wir sind alle stolz,
in diesem Verein dabei zu sein. Das gilt für mich und jeden einzelnen Spieler.
- Zebra-Journal:
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Hat sich Handball in Deutschland in den vergangenen Jahren weiterentwickelt?
Die Konkurrenz verändert sich, Mannheim ist jetzt oben dabei, Berlin hat
sich sehr gut etabliert, das ist erfreulich, weil der Sport in der Hauptstadt einen
hohen Stellenwert bekommen hat. Der HSV hat mit viel Aufwand und Geld ein Weltklasseteam geformt.
Auch im Stillen wird gearbeitet, wie in Magdeburg. Überhaupt findet eine ständige Weiterentwicklung statt,
mit der Spiel weise von vor zehn Jahren kämen wir heute sicher nicht weit.
- Zebra-Journal:
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Was ist anders geworden?
- Alfred Gislason:
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Taktisch ist viel geschehen, auch bei der Schnelligkeit.
Leider wurde diese zuletzt von den Schiedsrichtern gebremst. Viele Mannschaften verzögern das
Spiel gegen uns, das ist noch schlimmer geworden, und die Schieris tun nichts dagegen.
- Zebra-Journal:
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Ein anderes Thema. Im September beginnt der Prozess gegen Uwe Schwenker und
Noka Serdarusic, wird der zu erwartende Rummel die Mannschaft auf
dem Spielfeld beeinflussen?
- Alfred Gislason:
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In keiner Weise, das prallt an uns ab. Ich denke zudem, dass der Prozess schnell zu Ende gehen wird, und ich gehe davon aus,
dass die Unschuld von Uwe Schwenker bewiesen wird.
- Zebra-Journal:
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Wie lautet das Saisonziel?
- Alfred Gislason:
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Das ist klar: Wir streben die großen Titel an. Wenn wir in der Glück mit Verletzungen haben, werden wir
alles dafür tun, um es möglich zu machen. Mit dieser Mannschaft können wir alles erreichen.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.09.2011)