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12.09.2005 Interview

Zebra-Journal-Interview mit Serdarusic: "Der Norden ist meine Heimat geworden"

Noka Serdarusic geht in die 13. Saison

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.09.2005:

Der "Otto Rehhagel des Handballs": Noka Serdarusic.
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Noka Serdarusic ist der erfolgreichste Bundesliga-Trainer aller Zeiten. In zwölf Dienstjahren beim THW Kiel sammelte der gerade 55 Jahre alt gewordene Übungsleiter 16 nationale und internationale Titel. Den letzten Fischzug machte Serdarusic im Mai mit dem Gewinn seiner achten Meisterschaft. Für den THW war es der elfte Meistertitel. Damit rücken die Zebras Rekordmeister Gummersbach (zwölf) dicht auf den Pelz. Serdarusic geht als Trainer in seine 13. Bundesligasaison. Die Kieler Nachrichten sprachen mit dem Meistermacher.
Kieler Nachrichten:
Sie gehen jetzt in Ihr 13. Trainerjahr mit dem THW und wandeln auf den Spuren von Otto Rehhagel, der den Fußball-Bundesligisten Werder Bremen 14 Jahre trainierte. Befürchten Sie nicht irgendwann Abnutzungserscheinungen?
Noka Serdarusic:
Nein, die Fluktuation im Handball ist groß. Von der großen Mannschaft um Magnus Wislander sind jetzt nur noch Stefan Lövgren und Klaus-Dieter Petersen da bei, wobei "Pitti" als Co-Trainer auch noch auf meiner Seite steht. Es bildet sich immer wieder eine neue Mannschaft, da gibt es keine Abnutzungserscheinung.
Kieler Nachrichten:
Ihr Lebensmittelpunkt ist seit über zwölf Jahren Kiel, sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft an genommen und ein eigenes Haus in Russee. Planen Sie, Ihr Leben lang hier zu bleiben?
Noka Serdarusic:
Sicher ist, dass ich mein Haus behalten und auch hier bleiben möchte. Allein schon wegen meiner Freunde und meiner Enkelin, die ich über alles ins Herz geschlossen habe. Ich könnte mir auch vorstellen, bis zum Renteneintritt beim THW zu bleiben. Allerdings weiß ich, dass sich beruflich schnell etwas ändern kann. Wenn der Trainer in Frage gestellt wird, werde ich mich umgucken. Es gibt sicher auch andere Vereine, die mich dann beschäftigen würden. Sollte mich der THW entlassen, werde ich meine Karriere nicht beenden, um von Hartz IV zu leben. Im Norden sollte der neue Klub aber schon angesiedelt sein. Diese Region ist wirklich meine Heimat geworden.
Kieler Nachrichten:
Eine Rückkehr nach Mostar, Bosnien-Herzegowina, dort wo Sie geboren und aufgewachsen sind, kommt also nicht mehr in Frage?
Noka Serdarusic:
Nein. Das Thema ist für mich endgültig abgeschlossen. Als Spieler war ich 1980/81 in Kiel, danach drei Jahre bei den Reinickendorfer Füchsen. Mit dem Geld, das wir in dieser Zeit übergespart haben, sind meine Frau Mirjana und ich zurück nach Mostar gezogen, um dort eine neue Existenz mit einem schönen, großen Restaurant aufzubauen. Umgerechnet 400000 Mark hat das damals gekostet, ein halbes Leben hatten wir dafür gearbeitet. Zuerst lief es auch ganz gut, aber dann wurde die Situation politisch ungemütlicher, außerdem wollte ich wieder etwas mit Handball machen. So haben wir das Restaurant einem Verwalter übergeben und sind noch vor dem Mauerfall nach Deutschland zurück. Meine erste Trainerstation war Bad Schwartau. Später ging dann der Krieg in Bosnien los und irgendwann gab es auch finanziellen Ärger mit dem Verwalter. Schließlich wurde mein Restaurant durch den Krieg schwer beschädigt. Nach dem Krieg habe ich die Reste verkauft. 50000 Mark habe ich noch bekommen.
Kieler Nachrichten:
Haben Sie in Ihrem Restaurant selbst in der Küche gestanden und gekocht?
Noka Serdarusic:
Nein, das konnte ich nicht. Ich bin wie alle bei uns zum typischen Südländer getrimmt worden. Ich war ein Macho, der seinen Fuß nicht in die Küche stellte. Das war Frauensache. Inzwischen habe ich das abgelegt, ich bemühe mich jedenfalls. Zuhause würde ich meiner Frau gerne mal etwas kochen, aber die lässt mich nicht. Also bleibt es aus. Überhaupt konzentriere ich mich nur noch auf Dinge, von denen ich etwas verstehe. Das ist ein wichtiger Grundsatz.
Kieler Nachrichten:
Also auf Handball?
Noka Serdarusic:
So ist es. Ich habe auch mal ganz ordentlich Fußball gespielt, aber da traue ich mich nicht ran. Handball ist das, was ich kann - auch wenn ich mich manchmal ärgere. Aber das kommt in anderen Berufen ebenfalls vor.
Kieler Nachrichten:
Haben Sie sich auch geärgert, als Sie den Meistertitel 2005 mit der Rekordpunktzahl von nur sechs Minuspunkten gewonnen haben?
Noka Serdarusic:
Es gab genug Momente. Man geht mit gewissen Vorstellungen in die Spiele hinein, hat ein taktisches Konzept, und dann läuft doch alles ganz anders. Das war trotz der langen Erfolgsserie ziemlich nervig. Ich möchte einfach mal erreichen, dass wir uns leichter tun.
Kieler Nachrichten:
Was ärgert Sie jetzt?
Noka Serdarusic:
Ich mache mir Riesensorgen, dass die Mannschaft keine Zeit findet, sich vernünftig einzuspielen. Wir haben fünf Neue, und das dauert, bis es zusammen passt. Die meisten Leute meinen, wenn man Weltklasse spieler holt, dann reicht das schon, um erfolgreich zu sein. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Der Teufel steckt im Detail, es dauert, bevor es mit der Abstimmung klappt. Außer dem mache ich mir Sorgen, was aus meinem Henning Fritz wird. Unser Weltklassetorhüter kommt aus seinem Tief nicht heraus.
Kieler Nachrichten:
Aber Sie können jetzt doch auf einen Kader zurückgreifen, der mit Topleuten besetzt und groß genug ist.
Noka Serdarusic:
Das ist wahr. Allerdings müs sen alle gesund sein. Trifft das zu, bin ich sehr zufrieden. Dieser Mannschaft traue ich alles zu. Wir haben sehr viel Qualität. Da werden wir künftig auch in der Champions League nicht mehr Lotto spielen müssen, auf Glück setzen und hoffen, dass wirklich alle Spieler topfit sind. In den letzten Wettbewerben um den Europokal war es so. Mit dem jetzigen Team haben wir aber erheblich mehr Substanz, müssen nicht auf die Hilfe vom lieben Gott warten, sondern können uns selber helfen.
Kieler Nachrichten:
Der Goldpokal kommt also im achten Anlauf endlich nach Kiel?
Noka Serdarusic:
Das kann ich natürlich nicht versprechen, aber die Chancen stehen gut.
Kieler Nachrichten:
Auch, weil Sie auf fast allen Positionen doppelt gut besetzt sind?
Noka Serdarusic:
Das sieht so aus. Beispielsweise auf Halbrechts, wo Christian Zeitz wegen der Verletzung von Roman Pungartnik zumeist auf sich allein gestellt war. Jetzt ist mit Kim Andersson auf dieser Position ein Spieler hinzugekommen, der eine sehr gute Ergänzung zu Christian werden kann. Wir haben sehr viele Spiele auf hohem Niveau vor uns. Bei dem großen Tempo, mit dem heute Handball gespielt wird, kann niemand allein 60 Minuten volle Pulle gehen. Da bei ist nicht wichtig, wie lange der eine oder andere spielt. Die Mannschaft steht immer im Vordergrund. Da muss man sich als Spieler auch nicht zu schade sein, mal zwei Wochen lang den Wasserträger zu spielen.
Kieler Nachrichten:
Haben Sie jetzt den Kader zusammen, mit dem Sie die Sterne vom Handball-Himmel pflücken können?
Noka Serdarusic:
Im Großen und Ganzen ja. Aber wir gucken immer, ob wir uns noch punktuell verstärken können. Unser Ziel ist es, in Europa Spitze und damit auch die stärkste Mannschaft der Welt zu werden.
Kieler Nachrichten:
Es gibt wieder neue Regeln. Welche sind gut, welche schlecht?
Noka Serdarusic:
Gut ist, dass der Torwart bei Kreiseintritt des Gegenspielers nicht mehr genau von diesem Punkt aus den Freiwurf aus führen muss, sondern sofort aus dem Kreis abwerfen darf. Das macht das Spiel schneller, das wollen die Leute sehen. Schlecht ist, dass die Schiedsrichter entscheiden dürfen, ob sie bei Siebenmetern Time out geben oder die Zeit weiter laufen lassen. Das verunsichert alle und bringt die Unparteiischen automatisch in den Verdacht, dass sie Böses vorhaben. Die alte Regel war klar und gut. Noch schlechter ist, dass es keinen Kapitän mehr geben soll. Die Diskussion mit den Schiedsrichtern ist dann ganz verboten. Das ist wieder eine Regel, die nicht von Handballern gemacht ist, sondern von Funktionären, die Ruhe auf dem Feld haben wollen. Damit ist der Schiedsrichter völlig aus dem Schussfeld. Spieler und Trainer dürfen kritisiert werden, nur die Schiris nicht. Der Fußball zeigt doch, dass die Schiedsrichter besser werden, weil sie unter ständiger Beobachtung - auch durch Fernseh bilder - sind. Bei allen anderen Sportarten werden Schiri-Leistungen analysiert, nur beim Handball herrscht das große Schweigen.
(Das Gespräch führte Reimer Plöhn, aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.09.2005)


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