07.04.2008 | Champions League / Mannschaft |
Kiels Trainer Noka Serdarusic jedenfalls war trotz der sichtbaren Zufriedenheit über Leistung und Ergebnis seiner Mannschaft nicht gewillt, allzu großen Optimismus zu verbreiten, was die Blessur seiner Kampfmaschine betraf: "Wer ihn kennt, weiß, dass er unbedingt wieder auf die Platte wollte, aber es ging einfach nicht mehr. Ich mache jetzt keine Prognose und hoffe auf Entwarnung. Nur: Wenn der Knochen in Mitleidenschaft gezogen wurde, fällt er einige Zeit aus", sagte er handball-world in den Katakomben der Sparkassen-Arena, als die Pressekonferenz vorüber war und die erste Begeisterung über das Superspiel sich gelegt hatte: "Das hatte nichts mit Schonung oder Vorsicht zu tun - für Nikola war leider schlicht Feierabend", so Serdarusic weiter.
Wird die Computer-Tomografie am Montag ans Licht bringen, dass die Verletzung nicht so schlimm ist, besteht die Hoffnung auf eine relativ baldige Rückkehr des Franzosen. Wohl nicht im Bundesligaspiel gegen Lübbecke unter der Woche, vielleicht aber zum Rückspiel in Barcelona am kommenden Sonntag. Ansonsten muss der ja seinerseits jüngst erst genesene und gegen Barcelona gerade noch rechtzeitig wieder einsatzfähige Jicha gleich noch einmal in die Bresche springen. Und der weltbeste Handballer vielleicht wochenlang pausieren.
Zittern also um Karabatic, wenngleich Serdarusic erst gar kein Zaudern oder Wehklagen über das Verletzungspech zuließ bzw. herauf beschwor. Sein Team hat im - wenn es nur nach den Vereinsnamen und der Historie ginge - vorweg genommenen Traumfinale schließlich auch ohne den 23-Jährigen sowie auch ohne den weiterhin "rehabilitierenden" Christian Zeitz das personell breiter aufgestellte Starensemble aus Barcelona überrannt.
Bevor allerdings allzu viele Superlative den Blick fürs Wesentliche verklären, muss festgehalten werden: Bei aller Begeisterung um das spektakuläre Spiel des THW, so war es doch der Torwart-Faktor, der die beiden Topmannschaften am Ende zehn, zwischenzeitlich sogar 13 Tore auseinander dividierte: Thierry Omeyer stach mit einer unbeschreiblichen Leistung das Duo Hvidt/Barrufet völlig aus. "Das allein kann zu solch einer Differenz führen", war sich Serdarusic bewusst. Im Palau Blaugrana wird die Torwartleistung erneut immense Bedeutung haben. Dem Trainer ist klar: Noch ist der THW nicht durch! Es kann noch sehr, sehr ungemütlich werden. Mit und erst recht ohne Karabatic.
Zehn Tore Vorsprung sind ein Traum-Ergebnis. Aber letztlich eben nur ein Zwischenresultat. Und schon oft schmolzen solche Differenzen auf nichts zusammen im Handball. Wer weiß? Vielleicht trauern die Kieler den letzten zwei, drei vergebenen Torchancen, den drei vergebenen Siebenmetern und dem fünf Minuten vor Schluss heraus gespielten 40:27-Vorsprung noch einmal nach, wenngleich zur Aufrechnung natürlich auch die 22 - zum Teil sensationellen - Paraden Omeyers gehören. Unter dem Strich jedenfalls darf sich der Titelverteidiger noch nicht in Sicherheit wiegen. Barcelonas Stars ist es zuzutrauen, noch ernsthaft an die Wende zu glauben. Lozano, Romero und Co. bleiben gefährlich. Sie werden sich dabei auch der Geschichte bemühen:
Flensburg, letztes Jahr Endstation für Barcelona (31:21 / 29:34) drehte vergangene Saison einen Zehn-Tor-Rückstand gegen Celje - übrigens exakt ein 31:41 - aus dem Hinspiel in eigener Halle noch um (36:26). Dann waren da noch die verrückten Spiele zwischen Flensburg und Magdeburg sowie Montpellier, in denen zehn und sogar vierzehn (!) Tore Vorsprung aus dem Hinspiel noch keinerlei Garantie fürs Weiterkommen waren. Noch ein Beispiel: Bayer Dormagen egalisierte vor zwei Jahren in der Erstliga-Relegation eine Zehn-Tore-Auswärtsniederlage gegen Wilhelmshaven in eigener Halle. Und der THW selbst hat in der Königsklasse ebenfalls schon leibhaftig erfahren, dass es gefährlich ist, einen trügerischen Vorsprung auswärts verwalten zu wollen ...
Kieler denken gewiss mit einigem Schaudern an die historischen Rückspiele und das große Zittern in Porto (21:31 nach 35:23) oder Zagreb (13:22 nach 11:21-Rückstand, Hinspiel: 32:21). "Wir können in Barcelona sicher nicht auf Spielstand und Spielzeit schauen. Das ist sehr gefährlich", gibt Serdarusic zu bedenken. Er wird seiner relativ jungen Mannschaft entsprechende Erfahrungen vermitteln, "ein älterer Mann hat schließlich viel zu erzählen, was er schon alles erlebt hat - und da müssen die jungen Leute eben genau zuhören", so der Trainerfuchs schmunzelnd.
Dass sein Team gar nicht mit Verzögerungstaktiken agieren oder verhalten spielen kann, ist insofern also sogar eher beruhigend als alarmierend. Barcelona wird mit den eigenen Fans im Rücken und vielleicht mehr Ideen, wie dem zumindest im Hinspiel wie Karabatics Doppelgänger auftretenden Filip Jicha (9) zu begegnen ist, dennoch die große Aufholjagd starten wollen. Und auch das belegt die Historie: Dafür reichen oft sogar die zweiten 30 Minuten, wenn das Halbzeitergebnis es noch zulässt. Die Kieler also brauchen starke Nerven und sollten das Hinspielresultat nach Möglichkeit ausblenden. "Am Besten, wir versuchen auch im Palaus Blaugrana auf Sieg zu spielen", sagt Serdarusic, "so selbstbewusst sind wir. Aber wir wissen auch, was unser Gegner für eine Truppe beisammen hat".
Seine Spieler haben einmal mehr bewiesen, dass sie Außergewöhnliches zu leisten im Stande sind: Marcus Ahlm am Kreis zeigte eine Weltklassepartie, ging einmal mehr an seine physischen Grenzen. Dominik Klein zeigte ein Topspiel, brillierte mit einer sehr beherzten Leistung und bemerkenswerter Chancenauswertung, dazu spielte Kim Andersson im Vergleich zum Final Four, bei dem er auch krankheitsbedingt völlig blass blieb, wie ausgewechselt und überstand sogar die frühzeitigen zwei Zeitstrafen, ohne Rot zu sehen und die Abwehrarbeit gänzlich passiv auszuüben. Gleichwohl musste er vorsichtiger zu Werke gehen, was vor allem der Ex-Kieler Demetrio Lozano nutzte. Dennoch war Andersson im rechten Rückraum ein Impulsgeber und als Werfer brandgefährlich. Alle drei erzielten je sechs Tore. Karabatic brachte es in seiner kurzen Einsatzzeit auf die gleiche Trefferzahl.
Stefan Lövgren spielte nach einer engagierten, aber faktisch durchschnittlichen ersten Halbzeit mit einigen Fehlwürfen in Abwesenheit von Nikola Karabatic eine herausragende zweite Hälfte und führte sein Team großartig an - wie schon beim Final Four. Seine Erfahrung wird gegen die Katalanen auch in der kommenden Woche enorm wichtig sein. Körpersprache und Siegeswillen ihres Spielführers trieben die Kieler immer wieder an. So muss es auch in Barcelona sein, wenn es für den THW darum geht, seinen Teil dazu beizutragen, dass es zum erhofften deutsch-deutschen Finale mit dem HSV kommt.
Für Serdarusic, der nach eigener Aussage "auch mit Niederlagen leben und auf meine Jungs stolz sein kann, wenn ich gesehen habe, dass sie alles geben und als Team ihr Ziel verfolgt haben", aber letztlich doch viel lieber gewinnt, sind abzüglich der Sorge um Nikola Karabatic die drei Spiele in den letzten acht Tagen sicher besonders erfreulich: Das 38:34 über die Rhein Neckar-Löwen, das 32:29 gegen Hamburg und das 41:31 gegen 'Barca' jedenfalls waren eine Demonstration der Stärke und gleichzeitig eine klare Steigerung zu so manch vergleichsweise schwächerem Spiel in der bisherigen Saison.
Das Timing als stimmt mit Blick auf die entscheidenden Tage und Wochen. Nun muss sich zeigen, was mit Karabatic wird - und ob der THW an dem Ort, an den er bittere Erinnerungen hat, zu Ende bringt, was er am Sonntag so bravourös begonnen hatte. In die Geschichte der Königsliga wird auch dieses Duell in jedem Fall eingehen, soviel ist schon nach den ersten 60 Minuten sicher.
(von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com)
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