Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:
Es ist das lang ersehnte Aufeinandertreffen in der Champions League.
Denn noch nie spielten der THW Kiel und Ciudad Real in der
Königsklasse gegeneinander.
Es war ein hartes Stück Arbeit, das Ciudad Real nach dem klaren
Sieben-Tore-Heimerfolg in der Hamburger
Color Line Arena zu verrichten hatte. Bis kurz vor Schluss
standen die Spanier, die das Spiel lange Zeit kontrolliert
hatten, vor dem Aus. Hätte Hamburgs Kreisläufer Guillaume
Gille zehn Sekunden vor dem Ende doch nur die Nerven
bewahrt - und Weltklasse-Torhüter Arpad Sterbik nicht
den Fuß hinausschnellen lassen - der THW Kiel träfe im
Champions-League-Finale
einmal mehr auf einen Kontrahenten aus der eigenen Liga.
Nun aber wartet mit Ciudad Real die "Übermannschaft", wie
THW-Geschäftsführer
Uwe Schwenker
den kommenden Champions-League-Gegner noch vor dieser
Spielzeit titulierte. Dass die Spanier, die mit einem
geschätzten Etat von 13,5 Millionen Euro als das
teuerste Team der Welt gelten, aber auch menschliche
Züge aufwiesen, zeigten die letzten Minuten des
Halbfinal-Rückspiels in Hamburg. Bis fünf
Minuten vor dem Ende lief alles nach Plan für Ciudad Real,
dann versagten den Weltklasse-Akteuren nach und nach die
Nerven. Allen voran Olafur Stefansson: Der Regisseur der
"Weltauswahl" scheiterte zweimal per Siebenmeter an
HSV-Keeper Johannes Bitter, leistete sich zudem in
den letzten vier Sekunden des Spiels ein Foul an eben
diesem Torhüter, wofür der Isländer die Rote Karte sah.
Ein Foul, das bei Ciudads Trainer Talant Dujshebaev nicht
zum ersten Mal die Sicherungen durchknallen ließ. Wie wild
geworden wollte der Coach seinem Schützling an den Kragen
gehen, musste von einigen seiner Spieler vor sich selbst
geschützt werden. Noch im Kabinengang - und mit einer
etwas niedrigeren Pulsfrequenz - stellte Dujshebaev
dann doch noch Stefansson zur Rede. "Er ist einer unser
erfahrensten Spieler, deshalb kann ich nicht verstehen,
was er in den letzten zehn Sekunden getan hat", rechtfertigte
sich Dujshebaev anschließend vor der Presse, "Olafur hat
uns geschadet, denn er wird uns im ersten Finalspiel fehlen."
Ciudad und THW zeigten Nerven
Eine selbst auferlegte Schwächung, die dem Coach bitter
aufgestoßen sein muss. Denn obwohl sein Kader mit
Weltklasse-Akteuren nur so gespickt ist, bringt
Dujshebaev die mögliche Sperre für Stefansson ein
wenig in die Enge. Denn mit Petar Metlicic ist der
zweite etatmäßige Spielmacher der Spanier momentan
noch verletzt. "Ich weiß nicht, ob Petar im
Finale
wird spielen können", sagt Dujshebaev, "ich befürchte, dass
ich zumindest für das erste Spiel mein Team umstellen
muss." Das erste Spiel - die Auslosung in Wien wollte
es so, dass dieses erste Aufeinandertreffen in der
Champions League zwischen den beiden momentan wohl
besten Mannschaften der Welt in Spanien stattfindet,
sodass der THW Kiel im Rückspiel auf die Unterstützung
seiner Fans bauen kann. Ein Vorteil? Nur, wenn sich
die Zebras in Ciudad Reals Hexenkessel Quijote Arena
ähnlich stark präsentieren, wie in den ersten 45 Minuten
im Palau Blaugrana von Barcelona. Engagiert in der
Abwehr, mit einem starken
Thierry Omeyer,
hatten die Kieler nach dem furiosen
41:31 im Hinspiel
die Partie auch im Rückspiel im Griff. Auch, weil der Kieler
Rückraum einmal mehr zu großer Form auflief. Auch, weil
nicht der Vorsprung gehalten, sondern wie eigentlich
immer auf Sieg gespielt wurde. "Dann haben wir einmal
zu oft auf die Uhr geschaut", gestand Spielmacher
Stefan Lövgren, "und dass so etwas
schief gehen kann, hat man ja gesehen." In der Tat
zeigte der THW in der Schlussviertelstunde Nerven. "Das war heute
nicht gut", fasste
Karabatic, einmal mehr
mit zehn Toren überragender Kieler, diese 15 Minuten, in denen
der THW einen Zwei-Tore-Vorsprung verspielte und Barcelona
bei dem folgenden Sechs-Tore-Vorsprung noch einmal an
ein Wunder glauben ließ, zusammen. Und nicht nur
Noka Serdarusic blickte nach
vorn. "Wenn ich an das
Finale denke,
macht mich die letzte Viertelstunde nicht wirklich
glücklich", sah der Zebra-Coach auf der dem Spiel folgenden
Pressekonferenz nicht unbedingt aus wie der Vertreter
eines Vereines, der gerade zum zweiten Mal
in Folge das
Finale der Champions League
erreicht hat. "Aber zu solch einer Negativ-Serie gehören
immer zwei: ein guter Gegner und ein schlechter THW", hofft
Serdarusic auf die Einmaligkeit
dieses Einbrechens kurz vor dem Ende.
Bisher tolle Saison
War dies doch so untypisch für eine Kieler Mannschaft, die die
Champions League im bisherigen Saisonverlauf dominiert hat.
Verlustpunktfrei für die Hauptrunde qualifiziert, den
Ausrutscher in Leon
mit einem furiosen Heim-Feuerwerk wettgemacht und mithilfe
des Publikums und einer der besten Leistungen der letzten
Jahre den FC Barcelona auf Distanz gehalten: Gibt es eine
Steigerung? Die muss es wohl geben, soll Ciudad Real
im
Finale bezwungen werden.
Schließlich hat Domingo Diaz de Mera, der als zweitreichster
Mann Spaniens gilt, in den letzten Jahren ein Team
zusammengestellt, das wohl auf der Welt seinesgleichen sucht.
Geld spielt bei Ciudad Real keine Rolle - Domingo Diaz de
Mera sei Dank. Zeitweise kaufte der Mäzen sogar so viele Stars
für sein Team ein, dass diese bei fremden Vereinen "geparkt" werden
mussten. Mit der Auflage freilich, in Spielen gegen
Ciudad Real nicht eingesetzt zu werden. Legendär ist
auch die Antwort Diaz de Meras auf die Anfrage Real Madrids,
Ciudad Real als Handballsparte des spanischen Traditionsvereines
aufzukaufen. "Eher kaufe ich Real Madrid", soll die
Antwort jenes Mannes gewesen sein, der mit seinen Millionen
eine der ersten Handballadressen Europas geschaffen hat.
"Who is Who" des Handballs
Und so liest sich auch der Kades des THW-Final-Gegners wie
das "Who is Who" des Handballs. Neben Arpad Sterbik, jenem
Torhüter, der 2005 zum "Welthandballer des Jahres" gewählt
wurde und bei Ciudad Real einst einen Zehn-Jahres-Vertrag (!)
unterschrieb, steht mit Jose Javier Hombrados der spanische
Nationaltorhüter zwischen den Pfosten des Champions-League-Siegers
2006. Für Chema Rodriguez überwies Ciudad eine Ablösesumme
von 800.000 Euro in Richtung Valladolid, nachdem Ivano Balic
eine Millionen-Offerte ausgeschlagen hatte. Gemeinsam mit
Uros Zorman leitet Rodriguez die sportlichen Geschicke
des reichsten Klubs der Welt. Im Rückraum kommt es in den
Finalspielen zum Aufeinandertreffen
der wohl besten Halblinken der Welt:
Nikola Karabatic
wird sich gegen Siarhei Rutenka beweisen müssen.
Rutenka - der nach der weißrussischen und slowenischen
Staatsbürgerschaft inzwischen die spanische angenommen
hat, gilt als noch wurfgewaltiger als sein Pendant
auf Halblinks, Alberto Entrerrios. Die Abwehrspezialisten
Didier Dinart und
Ales Pajovic,
im letzten Winter für einige Wochen an den THW ausgeliehen,
können auf eine ebenso stattliche Anzahl Länderspiele
zurück blicken wie Stefansson und Metlicic, jenem kongenialen Duo
im rechten Rückraum. Und auch auf den Außenpositionen
tummelt sich bei Ciudad Real die Weltspitze. Jonas Källmann
und David Davis sorgen links für Tempo, Davis ist zudem
als "Speerspitze" der offensiven 5-1-Abwehr der Spanier
gesetzt. Und am Kreis wartet neben "Ungetüm" Ronaldo
Urios noch der dänische Nationalkreisläufer Torsten Laen (siehe auch
Gegnerkader Ciudad Real).
Eine Weltauswahl aus sieben Nationen mit weit über 1500
Länderspielen - Ciudad Real ist das Team, mit dem sich der
THW Kiel in den letzten Jahren immer messen wollte. Denn
bisher trafen beide Mannschaften erst einmal aufeinander.
Im Oktober 2002 in der Magdeburger Bördelandhalle. Im Spiel
um den dritten Patz bei der Vereins-EM. Mit 20:32 gingen die
Zebras damals unter. Einziger Kieler, der diese deutliche
Niederlage auf dem Platz miterlebte, war Mattias Andersson.
Kapitän Stefan Lövgren fehlte verletzt. "Das war
kein ,richtiges' Match", sagt Talant Dujshebaev, damals
noch selbst aktiv und vierfacher Torschütze, heute, "das Champions-League-Finale
wird unser erstes Spiel gegen den THW." Und in diesem sieht
der Ciudad-Trainer die Zebras in der Favoritenrolle: "Sie sind die
Titelträger, sie haben das beste Team in der Welt. Ich freue mich
auf die Spiele, auch wenn es für uns hart wird, zu gewinnen." Understatement
oder realistische Einschätzung der Situation? Die
Champions-League-Finalspiele
zwischen dem THW Kiel und der "Übermannschaft" Ciudad Real werden es zeigen .
(Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)