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Filip Jicha war am Ende nicht mehr zu stoppen.
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Susanne Schauer |
Dank eines unglaublichen 10:2-Schlussspurts hat sich
der THW Kiel am Samstag im Spitzenspiel beim HSV
Hamburg beide Punkte und damit die Tabellenführung
in der DKB Handball-Bundesliga erkämpft. Nach einer
starken Anfangsviertelstunde und einer 7:4-Führung
hatten die "Zebras" in der ausverkauften o2-World
zwischenzeitlich den Faden verloren, die Gastgeber
spielten sich hingegen in einen Rausch. Elf Minuten
vor Schluss lag der THW mit 23:28 hinten, ehe die
Kieler um den aufdrehenden achtfachen Torschützen
Filip Jicha doch noch
einen 33:30 (12:15)-Erfolg in der Hansestadt feiern
konnten.
Spiel der Comebacks
Im Vorfeld der Partie wurde in Hamburg besonders
darüber diskutiert, ob und - falls ja - inwieweit
die zuletzt verletzten Pascal Hens und Marcin Lijewski
zum Nordderby eingesetzt werden könnten. Tatsächlich
machten sich beide Spieler und sogar der mit einem
gebrochenen Zeigefinger an seiner rechten Wurfhand
eigentlich noch für drei Wochen ausfallende Blazenko
Lackovic warm. Hens und Lijewski standen sogar in der
Startformation und zeigten bereits in der Anfangsphase
mit Treffern durch wuchtige Sprungwürfe, dass sie
tatsächlich rechtzeitig fit geworden waren. Selbiges
galt auf Kieler Seite für
Aron Palmarsson,
der erstmals seit seiner im
Champions-League-Spiel gegen Sävehof
erlittenen Ellenbogenblessur wieder auf dem Spielberichtsbogen
stand, aber nicht von Beginn an auflief.
Gute Kieler Anfangsphase dank starker Abwehr
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Pascal Hens spielte lange Zeit eine starke Partie für den HSV.
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Susanne Schauer |
Doch trotz der Treffer von Hens und Lijewski sowie
einem Lindberg-Siebenmeter gehörte die Anfangsphase
ganz dem THW Kiel. Die 3:2:1-Deckung mit dem
vorgezogenen
Filip Jicha
machte den Gastgebern das Aufbauspiel schwer und ließ
in den ersten 16 Minuten lediglich vier Gegentreffer
zu. Daher konnte es
Alfred Gislason
auch einigermaßen verschmerzen, dass auch im Kieler Angriff
noch nicht alles rund lief, denn dank zweier
Vujin-Strafwürfe, drei
Jicha-Krachern, dem per
zweiter Welle glänzend von
Narcisse
eingesetzten
Sigurdsson und
einem grandiosen
Zeitz-Hüftwurf
legten die "Zebras" eine 7:4-Führung hin. Als Martin Schwalb
die grüne Auszeitkarte auf den Zeitnehmertisch legte, hatten
die schwarz-weißen Fans bereits die Stimm(ungs)hoheit in der
ausverkauften o2-World inne.
THW verliert das Konzept
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Auch Aron Palmarsson konnte mit
seinen Treffern und Anspielen nicht verhindern, dass sich
Hamburg Ende der ersten Halbzeit absetzte.
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Susanne Schauer |
Doch auch dies sollte sich in der Folgezeit ändern:
Zwar konnte
Zeitz den
Hens-Anschluss postwendend zum 8:5 kontern, doch danach
fanden die Kieler kaum noch ein Rezept gegen die Abwehr
der Gastgeber, die auch ihrerseits auf die offensive 3:2:1-Variante
mit Igor Vori als Wellenbrecher und dem zunächst nur in
der Defensive aufgebotenen
Domagoj Duvnjak in der Abwehrmitte
kein Rezept fanden.
Duvnjak per schneller Mitte und Flohr
von außen verkürzten auf 7:8, wenig später war der deutsche
Rekordmeister unter dem Jubel der Hamburger Fans gestellt:
Kraus durchbrach die mittlerweile auf eine 6:0 umgestellte
Kieler Abwehr per Schlagwurf zum 9:10, ehe erneut
Duvnjak
per zweiter Welle nach Kieler Ballverlust den Ausgleich
markierte. Als Dan Beutler dann auch noch nacheinander
Würfe von
Filip Jicha und
Marko Vujin entschärfte und
Matthias Flohr nach Anspiel des starken Pascal Hens die
erste Führung für den HSV erzielte, stand die o2-World
endgültig Kopf. Nach einer Auszeit
Gislasons
schien sich der THW zwar wieder ein wenig gefangen zu haben,
Palmarsson hielt sein Team durch einen
tollen Pass auf
Sprenger, der zum
11:11 traf, und mit einem artistischen Wurf vom Kreis zum
12:12 im Spiel. Doch die Gastgeber hatten sich mittlerweile
in einen Rausch gespielt und gingen verdient durch zwei weitere
Flohr-Treffer, einer weiteren Beutler-Parade gegen
Jicha und einen erweiterten
Gegenstoß durch Nilsson gar mit einer 15:12-Führung in die
Kabinen.
Hamburg legt weiter vor
Und die Hansestädter behielten das Momentum auch nach
dem Seitenwechsel für sich: Michael Kraus verwertete ein
Hens-Anspiel vom Kreis zum 16:12 und holte zudem eine
Zeitstrafe gegen
Christian Sprenger
heraus. Der Weltmeister von 2007 drehte nun auf, ließ weitere
Treffer zum 17:13 (erneut vom Kreis) und 22:18 folgen. Die
Gastgeber sprühten gegen eine seltsam lethargisch wirkende
THW-Deckung vor Spielwitz und schlossen zunächst fast jeden
Spielzug erfolgreich ab. Selbst der im ersten Durchgang lange
Zeit abgemeldete Igor Vori kam nun zu Torerfolgen, während
auch eine 6:0-Deckung mit
Wiencek,
Toft Hansen oder
Jicha auf den Halbpositionen die
wie im Rausch spielenden Hens und Lijewski nicht in den Griff
bekam.
Immerhin aber hatten die Kieler auf die Gegentreffer stets
eine postwendende Antwort parat: Ohne auch nur ins Aufbauspiel
überzugehen und ohne dem HSV Hamburg die Chance zu den benötigten
Spezialistenwechseln zu geben, droschen Ilic,
Zeitz und Jicha
den Ball per schneller Mitte an Beutler vorbei ins Netz. Und
obwohl einmal mehr Michael Kraus beim 23:18 die erste Fünf-Tore-Führung
gelang, schöpften die Kieler Fans nur wenige Sekunden später wieder
Hoffnung, als Matthias Flohr bereits in der 38. Spielminute völlig
zurecht nach einem Foul an Aron Palmarsson
seine dritte Zeitstrafe kassierte.
THW dezimiert sich selbst
Jedoch zeigte sich die Mannschaft von Martin Schwalb von der Hinausstellung
und auch den Treffern von
Palmarsson und
Sprenger zum 20:23 weiterhin unbeeindruckt.
Blazenko Lackovic rückte für Flohr auf die Halbposition in der Deckung,
Lijewski und Hens legten vorne wieder nach. Und während sich die "Zebras"
durch Zeitstrafen gegen
Ahlm,
Sprenger
und
Zeitz immer wieder selbst in die Bredouille
brachten und dadurch die geplante Manndeckung von
Narcisse
gegen Hens nur selten praktizieren konnten, trug sich der bislang unauffällige
Top-Torschütze Hans Lindberg zweimal in die Torschützenliste ein. Als Beutler dann
auch noch gegen
Palmarsson parierte und Petersen auf 28:23
erhöhte, schien die Partie elf Minuten vor Spielende schon fast entschieden,
die grandiose Kieler Serie nach 45 Bundesligaspielen ohne Niederlage fast
am Ende.
Gislason rüttelt seine Mannschaft wach
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Auf der Kieler Bank hielt es niemanden mehr auf den Sitzen.
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Susanne Schauer |
Alfred Gislason nahm nun seine Auszeit,
machte seiner Mannschaft klar, dass mit einer Leistungssteigerung
noch immer ein Sieg machbar war. Und die irre Kieler Schlussphase
nahm ihren Lauf:
Christian Zeitz
erkämpfte gleich eine Zeitstrafe gegen
Lackovic, wenige Sekunden
später setzte er
Ahlm am Kreis ein,
der mit seinem ersten Torwurf der Partie überhaupt die Aufholjagd einleitete.
Jicha gelang in der Abwehr ein Steal gegen
Hens und bediente
Daniel Narcisse, der
den Gegenstoß zum 25:28 abschloss. Und als den nun langsam müde und
nervös werdenden Hansestädtern ein technischer Fehler unterlief,
brachte
Christian Zeitz seine Mannschaft
mit einem beherzten Durchbruch erstmals in der zweiten Halbzeit
wieder bis auf zwei Tore heran. Als Kiels Sportler des Jahres 2011
dann Hens zu einem weiteren technischen Fehler zwang und einen Siebenmeter
erkämpfte, den der nervenstarke
Vujin zum
27:28 in die Maschen donnerte, nahm Martin Schwalb seine Auszeit.
Jicha nicht mehr zu stoppen
Marcin Lijweski brachte mit seinem Sprungwurf zum 29:27 den Kieler
Schlussspurt nur ganz kurz zum Stocken:
Narcisse
setzte nach einer Beutler-Parade nach, sich gegen zwei Gegenspieler
durch und verkürzte zum 28:29, und als Michael Kraus auf der Gegenseite
verwarf, schalteten die Kieler schnell -
Narcisse
bediente den nach vorne geeilten
Filip Jicha,
der zum 29:29-Ausgleich verwandelte. Dann unterlief auch Marcin Lijewski
ein Fehlpass, und als
Klein dann trotz eines
Fouls Lijewskis zur Kieler 30:29-Führung traf und gleichzeitig eine
Zeitstrafe gegen den Hamburger herausholte, war die Partie endgültig
gekippt. Auch der lange Zeit unauffällige
Omeyer
war nun ein Garant dafür, dass sich die "Zebras" unter den Gesängen ihrer
Fans diesen Sieg nun nicht mehr nehmen ließen. So parierte der Franzose
gegen den völlig freien Lindberg, während
Jicha
nach eigenem Steal per Gegenstoß auf 31:29 erhöhte und nach einem Pass
von Hens ins Aus mit einer energetischen Einzelleistung zum 32:29 die
endgültige Entscheidung herstellte.
Erst Länderspiele, dann das nächste Derby
Der THW Kiel hat jetzt erst einmal eine elftägige Pflichtspielpause,
ehe es gleich mit dem nächsten Nordderby weitergeht: Am Mittwoch, den
7. November ist die SG Flensburg-Handewitt zum Spitzenspiel in der
Sparkassen-Arena zu Gast. Spielfrei haben die meisten "Zebras" aber
bis dahin dennoch nicht, stehen doch für die Nationalspieler die ersten
beiden Qualifikationsspiele zur Europameisterschaft 2014 in Dänemark
auf dem Programm.
(Sascha Krokowski)
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Es war ein eigenartiges Spiel. In den ersten zehn Minuten waren
wir die deutlich bessere Mannschaft, dann war der HSV 35 Minuten
besser. Vorne wie hinten kamen wir nicht in Tritt. Was die
Mannschaft in den letzten 15 Minuten gezeigt hat, war großartig.
In der Auszeit habe ich die Jungs auf unsere Stärken eingeschworen,
danach haben wir richtig gut gedeckt und jeder für den anderen
gekämpft. Zu der klasse Abwehrleistung kam dann zwangsläufig auch
eine gute Torhüterleistung hinzu. Ein Riesenkompliment für den
Charakter und den Einsatz meiner Mannschaft.
HSV-Trainer Martin Schwalb:
Das war unglaublich intensiv. Wir haben von der Einstellung und
vom Kampfgeist her an der obersten Kante gespielt. So ein Team
wie den THW muss man erst einmal vor solche Probleme stellen. Das
schaffen nur ganz wenige Mannschaften in der Welt. Schade war,
dass wir den Sack in den letzten fünf Minuten nicht zumachen
konnten. Da war der Akku leer. Und wir haben in der Seitwärtsbewegung
zu viele Fehler gemacht und sind dann in Gegenstöße gerannt. Wir
müssen mitnehmen, dass wir 55 Minuten eine tolle Leistung gezeigt
haben. Weh getan hat uns die dritte Zeitstrafe gegen Flohr, der
sensationell gedeckt hat. Danach war die Abwehr offen und ich
musste Lackovic bringen. Natürlich bin ich enttäuscht, weil die
Mannschaft den Sieg verdient gehabt hätte. Aber wir haben uns auch
drei bis vier Fehler zuviel erlaubt.
Das Spiel war hervorragende Werbung für den Handball, ich habe zwei
Mannschaften fast 60 Minuten lang auf Augenhöhe gesehen. Wir hatten
das glücklichere Ende für uns. Glückwunsch an meinen Trainer und meine
Mannschaft für eine starke Leistung, Glückwunsch aber auch an den von
Verletzungen gebeutelten HSV für ein gutes Spiel.
HSV-Geschäftsführer Christoph Wendt:
Das war eine unglaubliche Atmosphäre, ein richtiges Handballfest.
Eigentlich war alles für einen Sieg bereitet, doch dann kamen die
letzten fünf Minuten. Der heiße Handballherbst hat erst begonnen,
wir werden jetzt nach der Pause die Löwen schlagen und auch gegen
Flensburg gute Karten haben.
Die Abwehr stand in den letzten zehn Minuten richtig gut, und wir
konnten endlich Gegenstöße laufen. Vorher mussten wir uns auch die
Chancen nehmen, die nicht so klar waren. So haben wir vor allem in
der ersten Halbzeit viel zu früh geworfen.
Es wurde Zeit, dass wir mal wieder solch ein Spiel gewinnen.
Das ist ein großartiges Gefühl.
gegenüber den KN:
Die Serie interessiert uns nicht, damit gewinnen wir
nicht automatisch Spiele. Es wurde aber mal wieder
Zeit, ein solches Spiel am Ende mit unseren Reserven
und unserem Willen doch noch zu gewinnen - ein tolles
Gefühl.
Wir haben super begonnen, uns dann aber ein wenig schwer getan.
In den letzten 15 Minuten haben wir dann ins Spiel gefunden und
viele Bälle geklaut. Dadurch wurde unser Spiel schnell, und für
den Gegner wurde es schwer. Natürlich ist es schwer, fünf Tore
in zehn Minuten aufzuholen. Aber wir kämpfen immer bis zur
letzten Sekunde. Wenn man dann auf zwei rankommt, beginnt der
Gegner nachzudenken. Wir haben noch viele schwere Spiele vor uns.
THW-Rückraumspieler Filip Jicha gegenüber Sport1:
[Frage: Ist jetzt großer Druck von Ihnen abgefallen?]
Nein, das war kein Druck. Das ist jetzt Freude pur! In der Mannschaft herrscht Freude pur,
weil wir nicht so gespielt haben, wie wir uns das gewünscht haben und dennoch gewonnen haben.
Der HSV hat eine gute Leistung gezeigt, besonders im taktischen Bereich gut gespielt,
und wir hatten Probleme. Aber es ist besonders für unsere Neuzugänge wichtig zu sehen,
dass ein Spiel 60 Minuten dauert. Wir lagen ja schon mit fünf hinten und haben dann die letzten
zehn Minuten mit acht Toren gewonnen - das ist Freude pur!
Alfred Gislason hatte ja elf Minuten vor Schluss eine Auszeit
genommen und uns gesagt, wir können hier gewinnen! Wir müssen nur das umsetzen, was wir
uns vorgenommen haben. Jetzt kommt die Nationalmannschaftspause, da können wir alle
dieses Gefühl mit zu unseren Nationalmannschaften mitnehmen.
HSV-Spielmacher Michael Kraus gegenüber Sport1:
Am Ende war es Unvermögen. Diese Niederlage tut sehr weg, wenn man
bis zur 52. Minute dominiert...
Aber wir wussten schon vorher, dass uns hinten raus die Luft fehlen
könnte. Glückwunsch an Kiel, am Ende hat Kiel unsere Fehler eiskalt
ausgenutzt und verdient gewonnen.
THW-Linkshänder Christian Zeitz gegenüber den KN:
Ob es einer meiner schönsten Siege für Kiel gewesen ist?
Nein, das sind die, nach denen wir einen Grund hatten,
etwas zu feiern. Auch für diesen Sieg gibt es nur zwei
Punkte. Aber einer meiner kuriosesten THW-Siege war es
ganz sicher.
Einfach geil.
HSV-Linksaußen Matthias Flohr gegenüber den KN:
Alles war auf einem geilen Weg, und dann ist uns der
Faden gerissen. Es ist schwer, direkt nach dem Spiel
zu analysieren, woran es gelegen hat. Da kommen viele
Dinge zusammen. Das ist sehr ärgerlich.
- HSV Hamburg:
-
Tahirovic (57.-60. und bei zwei Siebenmetern, keine Parade),
Beutler (1.-57., 9 Paraden);
Kraus (5),
Schröder (n.e.),
Duvnjak (2),
Lackovic,
Flohr (4),
Vori (2),
Lindberg (3/1),
Terzic (n.e.),
Nilsson (1),
Lijewski (8),
Hens (4),
Petersen (1);
Trainer: Schwalb
- THW Kiel:
-
Omeyer (1.-26., 31.-60., 8/1 Paraden),
Palicka (26.-30., keine Parade);
Toft Hansen,
Sigurdsson (1),
Sprenger (3),
Ahlm (1),
Wiencek,
Zeitz (4),
Palmarsson (3),
Narcisse (3),
Ilic (3),
Klein (2),
Jicha (8),
Vujin (5/5);
Trainer: Gislason
- Schiedsrichter:
-
Lars Geipel / Marcus Helbig
- Zeitstrafen:
-
HSV: 6 (3x Flohr (7., 35., 38.), Vori (37.), Lackovic (50.), Lijewski (57.));
THW: 6 (Jicha (10.), 2x Sprenger (31., 44.),
2x Zeitz (38., 48.), Ahlm (41.))
- Rote Karte:
-
HSV: Flohr (38.) nach dritter Zeitstrafe
- Siebenmeter:
-
HSV: 2/1 (Omeyer hält Lindberg (44.));
THW: 5/5
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:1, 1:1, 1:3 (6.), 2:3, 2:4, 3:4 (10.),
3:5, 4:5, 4:7 (16.), 5:7, 5:8, 7:8, 7:9,
8:9, 8:10 (21.), 11:10 (24.), 11:11, 12:11, 12:12 (27.),
15:12;
2. Hz.: 16:12, 16:13, 17:13, 17:14, 18:14, 18:15, 19:15,
19:16, 20:16, 20:17 (35.), 21:17, 21:18, 23:18 (38.),
23:20 (41.), 24:20, 24:21, 25:21, 25:22, 26:22, 26:23,
28:23 (50.), 28:27 (53.), 29:27, 29:32 (59.), 30:32, 30:33.
- Zuschauer:
-
13.296 (ausverkauft) (o2-World, Hamburg)
- Spielgrafik:
-
Aus den Kieler Nachrichten vom 29.10.2012:
Zeitz: "Gemerkt, dass hier noch was geht"
THW drehte verloren geglaubtes Spiel beim HSV spektakulär um
Hamburg. Spitzensport ist ein schmaler Grat, der
Unterschied zwischen Siegern und Besiegten nicht
selten nur ein Tor. Ein paar Zentimeter. Oder wenige
Minuten. So wie im dramatischen Top-Spiel der
Handball-Bundesliga, das der THW Kiel am Sonnabend
beim HSV Hamburg mit 33:30 (12:15) gewann.
Als der überragende Filip Jicha
mit seinem achten Tor das 32:29 (59.) erzielte, hatten
die "Zebras" einen aussichtslosen Rückstand tatsächlich
noch in einen Sieg verwandelt. Den sechsten in Folge
gegen die Hamburger, den 45. im 46. Liga-Spiel.
"Neben einem so verrückten Tschechen zu spielen, macht
riesigen Spaß", lobte Dominik Klein
den Kollegen Jicha, der großen Anteil
daran hatte, dass den Gästen eine Wende gelang, die
Christian Zeitz an das historische 4:4
der Schweden gegen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft erinnerte.
"Ja", sagte der Linkshänder ohne Zögern, als er gefragt wurde, ob
er zehn Minuten vor dem Abpfiff noch an den Sieg geglaubt hätte.
"Der HSV war müde und wirkte verunsichert", sagte Zeitz.
"Und wir haben schnell gemerkt, dass hier noch was geht."
23:28 (50.) stand es, als Alfred Gislason
eine Auszeit nahm. Zu lethargisch seien ihm seine Spieler gewesen,
sagte der THW-Trainer, der vor mehr als 13 000 begeisterten Zuschauern
jetzt alles auf eine Karte setzte. Er ließ die Kieler extrem offensiv
decken, im Raum, so wie sie ihre 3:2:1-Abwehr seit einiger Zeit
praktizieren. Ein Risiko, schließlich öffnen sich große Lücken, wenn
die Übergaben nicht stimmen. Gislason
setzte alle fünf Neuzugänge auf die Bank und überließ es den
Arrivierten, das Unmögliche möglich zu machen. Auswechseln, so seine
Ansage, würde er nicht mehr.
Er beließ auch Thierry Omeyer im Tor, was
überraschte, war der sonst so zuverlässige HSV-Albtraum doch bis dahin
blass geblieben. Gislason räumte später ein,
in der zweiten Halbzeit mehrfach über eine Auswechslung nachgedacht zu
haben. Doch letztlich hätte er sich immer dagegen entschieden. Zu präsent
seien ihm die vielen Szenen gewesen, in denen Omeyer
in den HSV-Spielen zuvor zur Schlüsselfigur geworden war. Hinter einer
Abwehr, die "elf perfekte Minuten" (Jicha) hatte,
schrieb dann auch Omeyer ein weiteres Kapitel
seiner persönlichen HSV-Geschichte.
Während die Schultern der Kieler immer breiter wurden, leistete sich das
Team von Martin Schwalb nun haarsträubende Fehler. Pascal Hens fiel der Ball
auf den Fuß, Marcin Lijewski spielte Zeitz direkt
an, ein Pass von Domagoj Duvnjak landete in den riesigen Händen von
Jicha, der spielte, als hätte er die 50 Minuten
zuvor gemütlich in der Hängematte verbracht. "Wir waren auch müde", sagte
er. "Aber wir wollten uns zumindest würdig verabschieden. Das ist einer meiner
schönsten THW-Siege."
Die Hamburger, die bereits fünf Punkte Rückstand auf den Meister haben,
reagierten dagegen fassungslos auf den Blitz-Ko. "Auf die ersten 50 Minuten
können wir stolz sein", sagte ein stark aufspielender Michael Kraus, der
ebenfalls untertauchte, als die Dämme brachen. "Wir hatten Kiel im Sack,
aber vergessen, ihn zuzumachen."
Bitter für den HSV, der in der Deckung sogar Blazenko Lackovic aufgeboten
hatte, obwohl der Kroate mit einem gebrochenen Ringfinger keinen Ball fangen
konnte und sich noch drei Wochen schonen sollte. Ein Indiz dafür, welche
Bedeutung ein Sieg für den Verein gehabt hätte, der im Mai 2011 erstmals
Meister wurde und seitdem im Sinkflug eine ungewisse Zukunft ansteuert.
Ganz anders die Kieler, die sich mit einem Erfolgserlebnis in die achttägige
Länderspielpause verabschieden, bevor im Heimspiel gegen Flensburg
(7. November/19.30 Uhr) eine ähnlich harte Nuss auf sie wartet.
(von Merle Schaack und Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 29.10.2012)