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09.02.2014 Mannschaft

Zebra-Journal: "Casey", der Marathonmann

Ein Porträt von Physio Uwe Brandenburg

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 08.02.2014:

Uwe Brandenburg ist zur Stelle wenn ein Zebra - hier Christian Zeitz - Hilfe braucht.
Klicken Sie zum Vergrößern! Uwe Brandenburg ist zur Stelle wenn ein Zebra - hier Christian Zeitz - Hilfe braucht.

Uwe Brandenburg (59) wurde Physiotherapeut der Ligamannschaft, als der THW Kiel noch von einer Teilnahme im Europapokal träumte, als die Bundesliga aus 14 Mannschaften bestand und der Pokalwettbewerb für die Zebras zumeist sehr zeitig endete. Trainiert wurde ein- bis zweimal wöchentlich. Zeiten, die sich in den vergangenen drei Jahrzehnten stark geändert haben. "Casey" ist geblieben: Ein Porträt von U(we) bis (Brandenbur)G.
  • Umfeld - Wäre das Umfeld nicht so harmonisch, hätte ich dieses Amt nicht so lange ausgeübt. In all den Jahren hat kaum einmal ein Spieler nicht in das Gefüge gepasst, ein Verdienst der Verantwortlichen, die diesbezüglich stets ein gutes Gefühl hatten. Wenn es um das Umfeld geht, sind bzw. waren mir zwei Personen besonders wichtig: Sabine (Holdorf-Schust, Leiterin der Geschäftsstelle, d. Red.) ist für mich die Mutter der Kompanie, sie lebt diesen Verein mit ihrem Herzblut. Der zweite ist Johann-Ingi Gunnarsson. Er war ein Trainer, der alles ausprobiert und die Mannschaft vorangebracht hat. Er ließ Wecker in der Kabine klingeln, um die Mannschaft wachzurütteln. Er ließ sie Ziele formulieren, war für viele sportliche Einflüsse offen und intensivierte so das Training. Ein großartiger Psychologe. Wir waren beide jung, beide neu in diesem Geschäft und deshalb auch aufeinander angewiesen.
     
  • Weihnachten - Dieses Fest steht für mich und meine Familie immer im Zeichen des Handballs. An diesen Feiertagen lässt sich gut ablesen, wie stark die Belastung für die Spieler, und damit für das gesamte Umfeld, gewachsen ist. Als ich beim THW als Physiotherapeut begann, trainierte die erste Mannschaft ein- bis zweimal in der Woche. In der Liga gab es 26 Spiele, im Europapokal war der THW anfangs nicht vertreten, und im Pokal sind wir meistens nicht weit gekommen. Heute absolvieren die Profis allein für den Verein rund 60 Pflichtspiele, außerdem ist die Belastung viel höher geworden. Der Sport ist intensiver geworden, so gibt es heute pro Spiel viermal so viele Angriffe wie zu meinen Anfängen.
    Außerdem sind die Spieler im Schnitt 15 Zentimeter größer und 20 Kilo schwerer - da wirken bei Zweikämpfen ganz andere Kräfte. Angesichts dieser Belastung ist es nur logisch, dass wir die Spieler heute mit zwei Therapeuten bei zwei Trainingseinheiten pro Tag insgesamt acht bis zehn Stunden lang betreuen. Ich bin der Meinung, dass eine Grenze erreicht ist. Aus therapeutischer Sicht müssten die Kader größer und/oder die Spiele weniger werden.
     
  • Uwe und Eva Brandenburg und ihre beiden Söhne Bastian (li.) und Christoph, die auch eine Ausbildung zum Physiotherapeuten abgeschlossen haben.
    Klicken Sie zum Vergrößern! Uwe und Eva Brandenburg und ihre beiden Söhne Bastian (li.) und Christoph, die auch eine Ausbildung zum Physiotherapeuten abgeschlossen haben.
    Eva - Meine Frau. Um es mit Silbermond zu sagen: Sie ist das Beste, was mir je passiert ist. Wir haben zwei Söhne, Bastian und Christoph, die beide Physiotherapeuten sind. Bastian, der Ältere, studiert Medizin und hat das Physikum seit einem Jahr hinter sich.
     
  • Braunschweig - Da bin ich geboren, viel mehr verbindet mich aber nicht mit dieser Stadt. Aber: Ich bin Fan der Eintracht geblieben, allerdings habe ich nur ein einziges Spiel live im Stadion gesehen - Braunschweig gewann damals 5:1 gegen Holstein Kiel. Zu "B" würde auch passen, dass ich mit Klaus Eder (Physiotherapeut der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, d. Red.) und Hauke Mommsen (ehemaliger Mannschaftsarzt der SG Flensburg-Handewitt, d. Red.) ein Buch über Kinesio-Taping geschrieben habe.
     
  • Paradiesische Verhältnisse: Uwe Brandenburg behandelt Zebra Christian Zeitz auf La Reunion.
    Klicken Sie zum Vergrößern! Paradiesische Verhältnisse: Uwe Brandenburg behandelt Zebra Christian Zeitz auf La Reunion.
    Reisen - Die schönste war sicherlich die nach La Reunion. Im Juli 2011 machte der THW sein Trainingslager auf La Reunion, der Heimat von Daniel Narcisse. Als Physiotherapeut einer Handballmannschaft findet der Alltag zumeist in Behandlungsräumen, Hotelzimmern oder Sporthallen statt - auf La Reunion konnte ich meine Behandlungsliege mit Blick auf den Indischen Ozean aufbauen. Das war herrlich. Meine härteste Dienstreise? Das war unser Spiel in Wolgograd. Ein Spiel, das letztlich abgesagt werden musste, weil kurz vorher das Tauwetter eingesetzt hatte und der geschmolzene Schnee durch die Hallendecke getropft ist. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir bei Minusgraden rund zehn Stunden in einem winzigen Raum am Flughafen saßen und gar nicht wussten, ob wir überhaupt noch einmal abheben würden.
     
  • Bei den Olympischen Spielen 1972 - die Segelwettbewerbe fanden in Schilksee statt - mischte  Uwe "Casey" Brandenburg als Fackelläufer mit.
    Klicken Sie zum Vergrößern! Bei den Olympischen Spielen 1972 - die Segelwettbewerbe fanden in Schilksee statt - mischte Uwe "Casey" Brandenburg als Fackelläufer mit.
    Anfang - Ich habe damals die 2. Mannschaft des THW Kiel betreut, als Hanno Klose bei der "Ersten" aufgehört hat. Manager Heinz Jacobsen hat sich bei "Huschel" (Gerd Welz, d. Red.), dem Trainer der "Zweiten", über mich erkundigt. Offenbar war der so zufrieden mit mir, dass Heinz mich dann gefragt hat. Ich hatte große Lust, schließlich war ich schon damals THW-Fan, aber trotzdem musste ich ein, zwei Nächte nachdenken. Ich hatte mich gerade selbstständig gemacht, war also ein Ein-Mann-Betrieb. Ich kann mich noch gut an meinen ersten Einsatz erinnern. Trainer war Herward Wieck, er fragte am Ende seiner ersten Trainingseinheit die Mannschaft, ob sie mit den Übungen zufrieden gewesen sei und er wiederkommen dürfe. Er durfte. Seitdem ist die Arena für mich der Nabel der Handballwelt. Damals hieß sie noch Ostseehalle. An die Umbenennung kann ich mich bis heute nicht gewöhnen.
     
  • Niederlagen - Die schlimmste, da muss ich nicht lange nachdenken, war die 24:29-Niederlage in Barcelona (Rückspiel im Champions-League-Finale am 29.4.2000, Kiel hatte das Hinspiel eine Woche zuvor 28:25 gewonnen, d. Red.). Bis zur 52. Minute pfiffen die Schiedsrichter (Leon Kalis und Enes Koric aus Slowenien, d. Red.) fehlerlos, Barcelona führte nur mit einem Tor - es fühlte sich für uns alle so an, als würde das Spiel auch so enden. Was gerecht gewesen wäre. Doch dann gab es drei, vier unerklärliche Entscheidungen gegen uns. Es hat viele Niederlagen gegeben, die wehgetan haben, aber die waren dann auch verdient. Diese nicht. Der Präsident der EHF (Europäische Handball-Föderation, d. Red.), der Schwede Staffan Holmqvist, rannte nach dem Abpfiff aus der spanischen Königsloge aufs Feld, um sich die Schiedsrichter vorzunehmen. Aber da war es zu spät.
    Ich werde nie vergessen, wie "Löwe" (Stefan Lövgren, d. Red.) mit Tränen in den Augen vom Platz ging. Uns alle hatte ein Gefühl der Hilflosigkeit befallen. Der THW war über 120 Minuten die bessere Mannschaft gewesen, aber eine Chance, erstmals die Champions League zu gewinnen, hatte er nicht.
     
  • Distanz - Eine der schwierigsten Dinge bei der Mannschaftsbetreuung. Wir teilen Erfolge, Niederlagen und Emotionen, müssen aber Distanz halten und dafür sorgen, dass Regeln eingehalten und Therapien befolgt werden. Besonders nah sind mir die "alten Schweden" gekommen, Lövgren, Staffan Olsson und "Max" Wislander, wir schreiben uns heute noch zu Weihnachten. Bei ihnen hat mir immer ihre großartige Einstellung imponiert, sie konnten mit Siegen und Niederlagen gut umgehen. Die härtesten Fälle? Ganz klar "Max" und "Pitti" Petersen. Beide hatten eine so hohe Schmerztoleranz, dass sie, aus Therapeutensicht, oft zu spät zur Behandlung gekommen sind. Ich kann mich noch an ein Spiel erinnern, in dem "Pitti" 40 Minuten lang mit einem gebrochenen Finger gespielt hat.
     
  • Emotionen - Die intensivsten hatte ich bei der Meisterschaft 1994, der ersten nach 31 Jahren. 7000 entrückte Zuschauer, 7000 schwarze und weiße Luftballons, die von der Decke fielen, obwohl noch ein Freiwurf ausgeführt werden sollte. Den Pfiff der Schiedsrichter hörte keiner, es zählte nur der Countdown von Hallensprecher Rolf Körting. Ich saß mit meiner Familie auf der Tribüne. Wir schauten den Spielern zu, die zwischen den Fans eine Polonaise tanzten und tranken auf diese tolle Mannschaft. Sie hatte an diesem Spieltag, dem vorletzten, durch einen 24:17-Sieg den Titel perfekt gemacht. Emotionen gab es auch bei den Verlierern, der OSC Rheinhausen stand anschließend als Absteiger fest.
     
  • Narbentherapie - Ein therapeutisches Gebiet, in dem ich seit 20 Jahren erfolgreich arbeite und unter anderem Fortbildungen und Workshops anbiete. Mein berufliches Zuhause ist inzwischen die Sport-Reha Kiel, in der 70 Mitarbeiter beschäftigt sind.
     
  • Bestleistung - Im Zehnkampf lag meine Bestleistung im Weitsprung bei 7,18 Metern, im Hochsprung bei zwei Metern. Diese Disziplinen lagen mir, der abschließende 1500-Meter-Lauf im Zehnkampf dagegen weniger. Ich war einmal deutscher Jugendmeister im Zehnkampf, mit der Mannschaft wurde ich deutscher Juniorenmeister. Trainiert habe ich zwölfmal in der Woche. Der VfL Wolfsburg machte mir sogar ein Angebot, aber mir kam eine Verletzung dazwischen. Als 21-Jähriger hörte ich schon mit dem intensiven Training auf, der Sport auf diesem Niveau und der Beruf ließen sich nicht mehr vereinbaren. Der Zehnkampf hat mich aber unter anderem gelehrt, dass man ein Sieger sein kann, obwohl man zuvor zehnmal verloren hat.
     
  • Ungarn - Die therapeutische Begleitung der Ungarn bei der WM 2007 in Deutschland war eines meiner schönsten Erlebnisse. Noch heute ist es eine Freude, diese tollen Handballer wiederzusehen und bei einem Spiel in den Arm zu nehmen. Besonders gut ist mir Torhüter Nenad Puljezevic in Erinnerung geblieben. Er hatte so große Probleme, dass er eigentlich kaum spielfähig war. Wir haben viel miteinander gearbeitet, und er lieferte eine überragende Vorrunde bei dem Turnier ab.
     
  • Riechsalz - Bei meinem ersten Einsatz, das werde ich nie vergessen, blieb Klaus Elwardt nach einem Zweikampf am Boden liegen. Ich rannte aufs Feld, doch er rührte sich nicht. Ich war völlig aufgelöst, deshalb fiel es mir nicht gleich auf, dass Klaus mich angrinste - er hatte mich reingelegt. Danach nahm ich jahrelang Riechsalz mit. Der Geruch ist so beißend, da hätte sich keiner mehr einen solchen Spaß mit mir erlaubt.
     
  • Gunnarsson - Ein Satz von Johann-Ingi Gunnarsson (THW-Trainer von 1982 bis 1986, d. Red.) hat mich mitgeprägt: "Größe ist, andere neben sich groß werden zu lassen."
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 08.02.2014)


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