Aus den Kieler Nachrichten vom 24.09.2013:

In der nagelneuen Orlen-Arena zieren riesige Bilder von Daniel Narcisse und Marcus Ahlm die kahlen Betonwände. Vor zwei Jahren scheiterten die Polen im Achtelfinale an Zebras wie ihnen. Sie waren damals chancenlos gewesen, verloren bereits das Heimspiel mit 24:36. Ein Grund, warum der Sponsor, eine potente Ölfirma, entschied, vor dieser Saison einen Strich zu ziehen. Trainer Lars Walther musste gehen, einige andere Führungskräfte durften sich dem Deutschen gleich anschließen. Seinem Nachfolger Manolo Cadenas wurden mit Marcin Lijewski (Hamburg) und Mariusz Jurkiewicz (Madrid) polnische Heimkehrer an die Seite gestellt.

Der Plan ging auf: Hätte Ivan Milas (20) in den letzten Sekunden nicht den Überblick verloren, als er Filip Jicha mit einem katastrophalen Fehlpass den Siegtreffer in Geschenkpapier einwickelte, Plock hätte bereits unmittelbar nach der Runderneuerung einen der ganz großen Sterne vom Himmel geholt.

"Ivan ist total fertig" sagte Lijewski "Aber ich muss mich vor ihn stellen, er ist noch sehr jung." Überhaupt liefen die Minuten nach dem Abpfiff sehr harmonisch ab. Vergessen das verbissen geführte Spiel, das Rene Toft Hansen das Aussehen eines verprügelten Boxers bescherte. Auf seinen blutenden Hinterkopf angesprochen, sagte der Däne nur, dass er keine Kopfschmerzen hätte. "Die kommen wahrscheinlich noch." Auf seine dicke Lippe angesprochen, sagt er, dass er jetzt wohl nicht mehr geküsst werden würde. Angesprochen auf den Cut über seinem linken Auge musste er lachen. Sein Bruder Henrik (HSV Hamburg) hätte vor drei Tagen eine identische Verletzung erlitten. "Meine Schwester hat mich sofort angerufen, um mich zu bitten, nicht ähnlich schlimm auszusehen. Das hat leider nicht geklappt", sagte der Kreisläufer, der sich von Nenad Krstic und Peter Lubic "etwas mehr Unterstützung" gewünscht hätte. An den beiden Schiedsrichtern wollte er die turbulente Schlussphase, in der Christian Sprenger mit einem Fehlpass das 33:32 (58.) für Plock ermöglichte, aber nicht festmachen. "Wir müssen in der Abwehr einfach besser stehen. Aber hier fehlen uns drei Leute, das dauert." Neben Ahlm und Narcisse, den in Plock Verewigten, muss auch Momir Ilic (MKB Veszprem) ersetzt werden.

"Ich hoffe, dass uns das Siegen bald wieder leichter fällt", sagte der bärenstarke Linksaußen "Goggi" Sigurdsson, der auch aus dem Rückraum traf, als es wichtig war. "Aber derzeit geht es nicht anders." Sein isländischer Landsmann Aron Palmarsson könne noch nicht wieder zu hundert Prozent in der Deckung mitwirken. "Und Wael (Jallouz, d. Red.) braucht Zeit." Die, so Sigurdsson, werde er auch bekommen. Allerdings: Die Lage ist vor dem Bundesliga-Heimspiel gegen die MT Melsungen (morgen, 20.15 Uhr) angespannter denn je, fällt doch wohl erneut Christian Zeitz (Bronchitis) aus. Alfred Gislason, der mit seiner Mannschaft gestern bereits am frühen Vormittag in Kiel ankam, wird einmal mehr improvisieren müssen.

Daran dachte er auf der Pressekonferenz nach dem Plock-Sieg noch nicht. Gislason, der einst in Irun spielte, war als Dolmetscher für Cadenas gefordert, der seinen Nachbarn Marcin Lijewski loben wollte. So sehr, dass der sich an den 58-Jährigen schmiegte und ihn gerührt "Papa" nannte. Vielleicht lag das Gefühl, nur Gewinner anzutreffen, daran, dass alle die Zuversicht gewonnen haben, in dieser Saison eine gute Rolle spielen zu können. Bei einer solch übergeordneten Wahrnehmung wäre es dann tatsächlich egal, wem Fortuna in einer 60. Minute ihre Gunst schenkt. Was es auch ist, irgendwie. Schließlich stand es 33:33, Kiel und Plock waren 59 Minuten und 44 Sekunden lang gleichwertig gewesen.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 24.09.2013)