30.12.2003 | Bundesliga / Geschichte |
Die THW-Mannschaft 78/79. |
"Eine Nummer zu groß" - Die wiedergegebenen Worte des Kieler Urgesteins Heinz Jacobsen, die sich eigentlich nur auf das Spiel der beiden Altmeister bezogen, sie gaben in jenen Frühlingstagen des Jahres 1979 auch die insgesamt herrschende Stimmung treffend wieder. Noch immer schwebte die Verletzung des Gummersbacher Weltklassespielers Joachim Deckarm wie ein dunkler Schatten über dem gesamten Handballgeschehen. Der Star der Oberberger hatte sich knapp zwei Monate zuvor in einem Spiel seiner Mannschaft im ungarischen Tatabanya schwerste Gehirnverletzungen zugezogen, ein Schock für die gesamte Handballszene und insbesondere für die zahlreichen Nationalspieler des TV Großwallstadt. Aber auch Positives hielt die kleine Ortschaft in Unterfranken zu jener Zeit in Atem: Gerade einmal acht Tage vor dem Auftritt in der Ostseehalle konnte erstmals der Europapokal der Landesmeister gewonnen werden. Wie es Tradition in Mainfranken ist, waren die Feierlichkeiten nach dem rein deutschen Duell gegen den SC Empor Rostock rauschend und ausdauernd. Man durfte folglich durchaus gespannt sein, wie es den Gästen aus dem Süden gelingen würde, sich in der ausverkauften Kieler Ostseehalle wieder auf den Ligaalltag einzustellen.
Soviel war jedenfalls klar, der THW Kiel wäre froh gewesen, über ähnliche Probleme wie der Tabellenzweite klagen zu können. Arge Abstiegsnöte bedrohten das Team von Trainer Gerd Welz. Gerade einmal 2:8-Punkte aus den vorangegangenen fünf Spielen bedeuteten ein Abrutschen von Rang acht auf Rang elf und somit einen der vier Abstiegsplätze. Die Erfolge der Konkurrenz aus Grambke und Rintheim setzten den dreifachen Meister zunehmend unter Zugzwang. So war es um so wichtiger, gegen die starke Sieben des TV Großwallstadt die Punkte zu Hause zu behalten, kein einfaches Unterfangen, zumal auch die fast schon sprichwörtliche Heimstärke der Kieler zu bröckeln schien. Mit Hofweier (14:12), Gummersbach (18:15) und Göppingen (19:14) hatten bereits drei Teams im hohen Norden triumphiert, nachdem dieses Kunststück im Vorjahr alleine den Großwallstädtern vorbehalten war.
Traf viermal: Josef Willisch. |
Auch in der zweiten Halbzeit sollte sich das Blatt nicht mehr wenden. Zu viele Trumpfkarten stachen beim TV Großwallstadt. Sei es der clevere Denker und Lenker Kurt Klühspies, der flinke und explosive Udo Klenk, der kämpferische und mit allen Wassern gewaschene Peter Meisinger oder der einmal mehr überragend haltende Manfred Hofmann, sie alle hatten entscheidenden Anteil daran, daß sich die Hausherren, bei denen allenfalls Rückraumspieler Klaus Elwardt eine gute Leistung bot, zunehmend vom Wunsch nach Punkten verabschieden mußten. Über 18:11 und 22:12 fuhr der Gast letztlich in einer bemerkenswert fairen Partie einen nie gefährdeten 27:16-Sieg ein, der gegen Ende der Partie gar zu anerkennendem Applaus seitens der Kieler Anhängerschaft führte.
Freude am Mainufer, Tristesse an der Ostseeküste: Während die Großwallstädter durch den Auswärtssieg ihrem Ziel, der Verteidigung der Deutschen Meisterschaft, ein gutes Stück näher gekommen waren, drohte dem THW nach der deftigen Niederlage - noch heute die höchste, die sich der THW in der Ostseehalle jemals einfing - der Gang in die Zweitklassigkeit. Erst am allerletzten Spieltag konnte dieses Schicksal gerade noch einmal abgewendet werden. Ein 25:17-Heimsieg gegen den TV Hüttenberg sicherte die Bundesligazugehörigkeit. An welch seidenem Faden diese hing verdeutlicht ein Blick auf die Tabelle: Den vierten Absteiger Rintheim trennen von Grambke und Kiel gerade einmal ein Punkt, aber dieser ist es eben auch, der dazu führt, daß die Badener neben Leverkusen, Gensungen und Rheinhausen den schweren Gang aus der höchsten Liga antreten müssen. Ein Verlust der Kieler Bundesligapräsenz, hätte den deutschen Handball allerdings auch zu hart getroffen. Neben der großen Tradition wäre insbesondere der Zuschauermagnet schlechthin der Liga verloren gegangene. So war der THW nicht nur eine der fünf Mannschaften, die überhaupt einen steigenden Zuschauerschnitt vermelden konnten, sondern auch alleine mit seinen 13 Heimspielen für ein knappes Viertel der gesamten Zuschaueranzahl verantwortlich. Der TVG hingegen setzte seine Erfolgsserie weiter fort, konnte am Rundenende die Deutsche Meisterschaft und 18 Spiele in unmittelbarer Folge ohne Niederlage bei 32:4-Punkten vermelden. Und satt waren die Bayern noch lange nicht...
(© 2003 Andreas Müller)
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