Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2007:
Immer dienstags im DSF: Uwe
Semrau kommentiert das "Spiel
der Woche" in der Bundesliga. Der
45-jährige Vater von zwei Söhnen
arbeitet seit 1994 als freier
Journalist für das Deutsche
Sportfernsehen, kommentierte
mehr als 600 Handballspiele und
nahm für das Zebra-Journal die
Stärken und Schwächen der 18
Erstligisten unter die Lupe. Fazit:
Kiel wird Erster, Flensburg Fünfter,
Magdeburg nur Mittelmaß, Berlin
und Wilhelmshaven steigen ab. Die
Semrau-Tabelle:
- THW Kiel:
-
Die Kieler wurden bislang immer als
Handball-Äquivalent des FC Bayern
München bezeichnet. Das entspricht
inzwischen nicht mehr den wirklichen Kräfteverhältnissen. Mit dem
aktuellen Kader sollte der THW eher
mit den Fußballern von Real Madrid
verglichen werden. Eine Mannschaft
ohne Schwachpunkt und mit Stefan
Lövgren ein Leitwolf, der eine Hierarchie schafft und allen ihre Plätze
zuweist. Die Kombinationen, die
dieser Kader ermöglicht, sind fast
unerschöpflich.
Tipp: Auf dem Weg zum 14. Titel
kann gar nichts passieren. Der THW
wird mit vier, fünf Punkten Vorsprung Meister.
- Rhein-Neckar-Löwen:
-
Die "Löwen" haben die besten Karten, um hinter Kiel Zweiter zu werden. Sie haben sich besonders in der
Abwehr entscheidend verstärkt,
können dort viele verschiedene Systeme spielen. Mit Henning Fritz, der
für Maros Kolpak kam, sind sie auch
im Tor deutlich besser besetzt. Im
Angriff haben sie im Vergleich zu
Kiel allerdings einige Schwächen.
Mit Uwe Gensheimer hat die SG nur
einen Klasse-Linksaußen und im
rechten Rückraum klemmt es ein
bisschen. Dennoch: Insgesamt sieben
Rückraumspieler - das ist Luxus.
Tipp:
Kronau hat eine große Zukunft. Der Handball in dieser Region
wacht gerade auf und im Umfeld von
Jürgen Harder und SAP stehen dem
Klub nahezu unbegrenzte Mittel zur
Verfügung.
- HSV Hamburg:
-
Ich bin sicher, dass der HSV
auch international Akzente setzen wird. Mit Dimitri Torgowanow haben sie einen hervorragenden Deckungsspieler bekommen, mit Johannes Bitter
einen starken Torwart. Der Pole
Michal Jurecki im Rückraum -
das ist eine echte Waffe. Die
Neuzugänge passen.
Tipp:
Hamburg kämpft mit
Kronau um Platz zwei. Womöglich steht für sie aber die Champions Leage im Vordergrund
und sie leisten sich den einen
oder anderen Ausrutscher in
der Liga.
- VfL Gummersbach:
-
Daniel Narcisse wechselt nach
Chambery - das ist ein echter
Verlust. Hinter dem verletzten
Dennis Sacharow steht ein Fragezeichen. Allerdings haben die
Gummersbacher ihren Kader
sinnvoll verstärkt. Roman Pungartnik ist ein Gewinn. Das gilt
auch für Oleg Kuleschow, der
ein Spiel lenken kann. Der VfL
zieht ganz in die Kölnarena um.
Emotional ein Nachteil, unter
wirtschaftlichen Gesichts-
punkten aber unumgänglich.
Tipp:
Auch ohne Narcisse wird
es am Ende Platz vier. Dank
Trainer Alfred Gislason.
- SG Flensburg-Handewitt:
-
Die Flensburger stecken mitten
im Umbruch: Große Verletzungssorgen und zahlreiche
Neuzugänge, die integriert werden müssen. Außerdem: Kommt
Blazenko Lackovic nach seiner
dritten Knieoperation wieder in
Schwung. Was wird aus Sören
Stryger? Joachim Boldsen hinterlässt zudem eine große Lücke. Als Typ nicht zu ersetzen.
Mit Fynn Holpert als Manager
hat die SG aber Ersatz für
Thorsten Storm gefunden.
Tipp:
Die SG verpasst als Fünfter die Champions League, mittelfristig spielt der Verein aber
wieder oben mit. Für einen Derby-Sieg gegen Kiel reicht es
auch schon in dieser Saison.
- TBV Lemgo:
-
Lemgo hat acht Rückraumspieler! Eine unglückliche Personalpolitik, die der neue Trainer
Peter Meisinger schnell in den
Griff bekommen muss. Ein Lasse Boesen (dänischer Nationalspieler, Anm. d. Red.) wird sich
kaum auf die Bank setzen. In
der Vorbereitung haben sie sich
mit drei Rechtshänder-Pärchen
abgewechselt - das ist keine Lösung. Lemgo hat viele Nationalspieler unter Vertrag. Die Frage
ist nur, ob sie auch die besten
haben. Meisinger ist eine gute
Wahl. Er hat die Leitung seiner
Reisebüros an seinen Sohn abgegeben, ist entspannt und
kann sich ganz auf den Hand-
ball konzentrieren.
Tipp:
Lemgo wird Sechster.
- HSG Nordhorn:
-
Mit dem Slowaken Peter Kukucha hat die HSG einen guten
Mittelmann gefunden. Ganz
wird er Börge Lund, der nach
Kiel wechselte, aber nicht ersetzen können. Zu Hause ist es der
HSG zuletzt selten gelungen,
die Großen zu schlagen. Das
wird sich auch nicht ändern. Im
Tor brechen für den Schweden
Peter Gentzel turbulentere Zeiten an. Landsmann Jesper
Larsson hatte keine Probleme
damit, auf der Bank zu sitzen.
Das gilt für dessen Nachfolger
Nikolas Katsigiannis nicht - da
ist Reibung garantiert.
Tipp:
Platz fünf kann die HSG
nicht wiederholen. Mehr als
Rang sieben ist nicht drin.
- Frisch Auf Göppingen:
-
Die Lücke, die Michael Kraus
hinterlassen hat, können die
Schwaben schließen. Neuzugang Pavel Horak ist ein starker
Mittelmann und Michael
Schweickardt kann hier auch
eine gute Figur abgeben. Bitter
ist, dass sich Jaliesky Garcia
schon wieder verletzt hat. Er
fehlte neun Monate, jetzt brach
er sich die Hand - als Persönlichkeit auch neben dem Platz
ist er sehr wichtig. Immer mehr
Heimspiele in Stuttgart auszu-
tragen, macht unter strategischen Gesichtspunkten Sinn.
Zumal Salamander Stuttgart
als Konkurrent gerade Insolvenz angemeldet hat.
Tipp:
Zuletzt stritten sich Göppingen und Großwallstadt um
Platz neun, diesmal geht es um
Rang acht.
- TV Großwallstadt:
-
Mit Einar Holmgeirsson und
Alexander Petersson wechselten zwei Linkshänder nach
Flensburg, mit Neuzugang Michael Spatz hat sich ein dritter
den Finger gebrochen - auf der
rechten Seite hat Großwallstadt ein Problem, auch wenn
mit Bostjan Hribar ein "Guter"
gekommen ist. Eine Belebung
ist der neue Mittelmann Ondrej
Zdrahala. Der Tscheche ergänzt
sich gut mit Heiko Grimm und
bringt Schwung ins Spiel. Davon profitiert Kreisläufer Jens
Tiedtke, der nach seiner überstandenen Krebsoperation wieder in guter Form ist.
Tipp:
Siehe Göppingen.
- SC Magdeburg:
-
Der SCM hat auf sensiblen Positionen echte Typen verloren.
In der Abwehr fehlen Oliver
Roggisch und Steffen Stiebler,
im Tor werden die Magdeburger
Johannes Bitter vermissen. Stefan Kretzschmar wird in seiner
neuen Funktion im Management gleich gefordert. Schafft
er nicht zügig Strukturen, ist
der "Kretsche"-Effekt schnell
verpufft. Der Franzose Cedric
Largent, für die Deckung verpflichtet, spricht kein Deutsch -
da sind Abstimmungsprobleme
vorprogrammiert. Mit Grzegorz
Tkaczyk und Karol Bielecki haben zwei wichtige Rückraumspieler für die Saison 2008/2009
bereits in Kronau unterschrieben. Die Frage wird sein, ob sie
mit ihren Gedanken noch beim
SCM sind.
Tipp:
Mittelfeld. Alles andere
wäre eine große Überraschung.
- MT Melsungen:
-
Mit Rastislav Trtik orientierte
sich Melsungen taktisch und
personell Richtung Osteuropa.
Mit dem neuen Trainer, dem
Schweden Robert Hedin, wird
es in Melsungen nun skandinavisch. Mit Anders Jacobson und
Savas Karipidis haben sich die
Hessen gut verstärkt.
Tipp:
Mit dem Abstieg wird diese Mannschaft von Beginn an
nichts zu tun haben.
- HBW Balingen-Weilstetten:
-
Rolf Back hat sein Team sinnvoll verstärkt. Sohn Daniel
kennt alle Spielzüge und konnte
so eine reibungslose Vorbereitung gewährleisten, obwohl mit
Martin Strobel der zweite Mittelmann wegen der Junioren-WM fehlte. Das war ein guter
Schachzug. Die Euphorie ist zudem riesig. Für das erste Heimspiel gegen Magdeburg hätte
der Klub 2/000 Karten mehr verkaufen können. Gegen den SCM
feiert Balingen gleich den ersten Sieg.
Tipp:
Mit ihrer Heimstärke und
dem Publikum im Rücken wird
Balingen im Mittelfeld landen.
Auswärts bleiben sie ein Punktelieferant.
- TuS N-Lübbecke:
-
In der vergangenen Saison haben sie den Klassenerhalt nur
über die Relegation geschafft.
Diesmal muss der TuS nicht zittern, weil Trainer Velimir Kljaic
jetzt mehr Zeit hatte, mit der
Mannschaft zu arbeiten. Mit
Branko Kokir hat der TuS zudem einen Handballer, der das
Spiel lenken kann.
Tipp:
Lübbecke wird sein wichtigstes Ziel erreichen, und besser als Erzrivale Minden abschneiden.
- GWD Minden:
-
Minden hatte in der letzten
Spielzeit ein unglaubliches Verletzungspech. Das kann sich in
dieser Form gar nicht wiederholen. Für GWD spricht auch
Trainer Richard Ratka. Er ist
ein Mann der leisen Tönen, der
auf Eigenverantwortung setzt
und sehr individuell mit dem
einzelnen Spieler arbeitet. Ein
Pluspunkt ist Stephan Just. Als
Reizfigur ist er enorm wichtig.
Er zieht auch bei Auswärtsspielen nicht den Kopf ein.
Tipp:
Bleibt Arne Niemeyer fit,
erwartet Minden ein sorgen-
freies Jahr - hinter Lübbecke.
- TUSEM Essen:
-
Der Aufsteiger hat einen sehr
kleinen Kader, das birgt viele
Risiken. Diese Mannschaft darf
man nicht mit dem "alten" TUSEM vergleichen. Aber wenn
sie den Klassenerhalt schafft,
dann hat der Klub eine gute Zukunft. Das Interesse der Sponsoren ist da. Richtig war auch
der Umzug aus der Grugahalle.
"Am Hallo" hat Essen sich ein
neues, jüngeres Publikum erschlossen. Da herrscht Euphorie. Jens Pfänder ist ein Trainer,
der auch mal eine Chance bei einem Top-Klub verdient hätte.
Er hat eine gute Auffassungsgabe und kann auch während des
Spiels immer schnell reagieren.
Tipp:
Tipp: Der Aufsteiger bleibt
drin, weil die Deckung stabil
ist. Allerdings dürfen sich Spieler wie Dragunski, Schmetz
oder Klesniks nicht verletzen.
- HSG Wetzlar:
-
Lars Kaufmann wird der HSG
fehlen. Gut kompensiert hat der
Klub, dass der erfahrene Torhüter Valter Matosevic aus privaten Gründen überraschend
nach Kroatien zurückgekehrt
ist. Zoran Djordjic wird noch
bis zu seinem 50. Geburtstag
auf hohem Niveau spielen. "Pascha" ist ein Naturbursch mit
dem Körper eines 23-jährigen
Modellathleten. Grundsätzlich
hat sich im Kader nicht so viel
bewegt, dass die HSG in der Tabelle nach oben rutschen könnte.
Tipp:Ein
Mit Relegations-Platz 16
wäre Wetzlar gut bedient.
- Wilhelmshavener HV:
-
Gleiche Ansprüche, immer weniger Geld - diese Rechnung
kann nicht dauerhaft aufgehen.
Der Rückraum ist einfach zu
schwach, um die Klasse zu halten. Der neue Linksaußen Michael Binder ist kein Schlechter,
aber auf dieser Position hatte
der WHV auch nicht die größten
Sorgen. Im Rückraum wird Milan Vucicevic den nach Großwallstadt abgewanderten Bostjan Hribar nicht ersetzen können.
Michael Biegler ist ein guter Trainer, aber auch er kann
nur den Mangel verwalten.
Tipp:
Keine Chance. Für den
WHV geht es in die Zweite Liga.
- Füchse Berlin:
-
Berlin hat auf Marc Bult gebaut
und der fällt nun einige Wochen
aus. Für den Aufsteiger ist er
nicht zu ersetzen. Zudem ist das
Publikum sehr wählerisch. Gewinnen die Füchse, dann werden sie ihr Team auch unterstützen.
Verliert Berlin, kommen sich nicht wieder. Andere
Klubs verdanken ihren Fans
fünf, sechs Punkte. Die werden
den Füchsen am Ende fehlen.
Tipp:
Berlin ist Absteiger Nummer eins.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2007)