Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008:
Im Mai dachte
Alfred Gislason noch darüber nach, wie er mit seinem VfL Gummersbach
dem THW Kiel in der kommenden Saison ein Bein stellen könne. Dann krachte es hinter
den Kulissen des Rekordmeisters, Trainer
Noka Serdarusic musste gehen,
Gislason
wurde im Eiltempo verpflichtet. Und jetzt macht sich der 48-Jährige Gedanken, wie er
künftig Gummersbach schlagen soll - als neuer Trainer des THW.
- Zebra-Journal:
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Die Olympischen Spiele waren einmal mehr eng
mit dem Thema "Doping" verbunden. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie als
ehemaliger Leistungssportler dieses Ereignis, und halten Sie es für möglich,
dass auch der Handballsport verseucht ist?
- Alfred Gislason:
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Vielleicht bin ich ja blauäugig, aber ich halte es für ausgeschlossen,
dass im Handball gedopt wird. Zunächst einmal ist das in Mannschaftssportarten
grundsätzlich schwierig. Dass alle im Team dopen, ist unmöglich, und der Einzelne würde
riskieren, den Erfolg aller zu gefährden. Zum Muskelaufbau macht es auch keinen
Sinn, schließlich haben Handballer inzwischen das ganze Jahr Saison, arbeiten elf
Monate im Kraftraum, ein Muskelabbau findet also gar nicht mehr statt. Ich selbst
habe in meiner aktiven Zeit nicht einmal Voltaren genommen, sondern gegen die Schmerzen
lediglich eine Wärmesalbe aufgetragen. Ohne die hätte ich meine Karriere allerdings auch einige Jahre früher
beenden müssen. Die Olympischen Spiele verfolge ich mit gemischten Gefühlen.
Ich habe zuletzt einige beunruhigende Berichte über Gen-Doping gelesen und die
Leistungsexplosion einiger Sportler aus bestimmten Nationen ist schon sehr verwunderlich.
- Zebra-Journal:
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Zum THW Kiel: Die Trennung von Noka Serdarusic hat alle überrascht.
Sie auch?
- Alfred Gislason:
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Ja. Ich hatte zwar gehört, dass es Probleme zwischen ihm und
Uwe (Schwenker, Anm. der Red.) geben soll.
Aber ich war mir sicher, dass sie diese ausräumen würden und geglaubt, dass
Noka seinen Vertrag längst verlängert hat. Ich war ziemlich überrascht,
als mich Uwe anrief und fragte, ob ich nicht Trainer in Kiel werden möchte.
- Zebra-Journal:
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Können Sie sich noch an diesen Anruf erinnern? Was ging Ihnen durch den Kopf?
- Alfred Gislason:
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Ich saß im Auto und musste erstmal an die Seite fahren. Uwe hat zwar gesagt,
ich solle mir ruhig ein, zwei Tage Zeit lassen mit meiner Entscheidung. Aber als
ich aufgelegt hatte, war mir nach fünf Minuten klar, was ich zu tun hatte - wenn schon ein
neuer Trainer in Kiel, dann wollte ich es sein. Hier habe ich die Chance, um Titel zu spielen.
Das hatte ich seit sechs Jahren nicht mehr und mit dem VfL wäre in dieser Saison auch nicht mehr als
Platz vier möglich gewesen. Allerdings war ich anfangs nicht sonderlich optimistisch, dass
mein alter Verein mich ziehen lassen würde. Claus Horstmann (Vorsitzender des Aufsichtsrates,
Anmerk. der Red.) hat anfangs gesagt, dass ein solcher Wechsel völlig ausgeschlossen ist.
Aber der finanzielle Aspekt hat am Ende auch ihn überzeugt.
- Zebra-Journal:
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In Magdeburg wurden Sie im Januar 2006 entlassen, Gummersbach haben Sie nun nach knapp zwei Jahren verlassen.
Was sagen Ihre Frau und die drei Kinder zu den vielen Umzügen?
- Alfred Gislason:
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Meine Familie hat damit kein Problem. Mein ältester Sohn ist bereits außer Haus,
und meine Tochter hat sich entschieden, in Köln zu bleiben. Sie will dort
ihr Abitur machen. Mein Jüngster, Andri, der in diesem Jahr 14 wird,
ist ganz begeistert von diesem Umzug. Er interessiert sich zwar nicht für Handball, liebt aber
das Segeln und hat durch meinen Wechsel von Nordrhein-Westfalen nach Schleswig-Holstein auch seine
Sommerferien verdoppelt.
- Zebra-Journal:
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Zum "Unser-Norden-Cup" werden Sie zum ersten Mal als Nachfolger von
Noka Serdarusic in die Kieler Halle kommen. Nervös?
- Alfred Gislason:
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Nein. Ich freue mich darauf. Wenn ich mit meinen Mannschaften hier zu Gast war,
habe ich oft gedacht, dass es schön wäre, einmal mit dieser Halle im Rücken antreten zu dürfen.
Es gibt zwar lautere Arenen, aber diese ist immer ausverkauft und hat durch die Nähe der Tribünen
zum Spielfeld einfach eine einzigartige Atmosphäre.
- Zebra-Journal:
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Der THW Kiel hat in den beiden vergangenen Spielzeiten das Triple und das Double gewonnen. Spüren
Sie den Druck, ähnliche Erfolge wiederholen zu müssen?
- Alfred Gislason:
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Ich mache mir keinen Druck. Wer sich darüber Gedanken macht, sollte nicht Trainer in Kiel
werden. Hier werden in jedem Jahr Titel erwartet und da ist es egal, ob in der Saison
zuvor das Triple gewonnen wurde oder nicht. Außerdem - ich habe auch schon mit dem
SC Magdeburg Titel gewonnen. Und wenn weitere Erfolge in Kiel mit der Arbeit von
Noka in Verbindung gebracht werden, habe ich damit kein Problem.
Die THW-Mannschaft ist jedes Jahr besser geworden, und ich möchte dafür sorgen, dass das
so bleibt. Alle Spieler haben noch Steigerungsmöglichkeiten, auch ein Nikola Karabatic.
- Zebra-Journal:
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Welchen Kontakt haben Sie noch zu Noka?
- Alfred Gislason:
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Im Moment keinen, auch weil er seit Wochen in Kroatien ist. Wir sind gute Freunde und haben uns
in meinen ersten Kieler Tagen einmal zum Abendessen getroffen. Mehr aber auch nicht.
- Zebra-Journal:
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Die Konkurrenz in der Bundesliga hat mächtig aufgerüstet, der THW Kiel nicht Besorgt?
- Alfred Gislason:
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Nein. Kiel hat das Glück gehabt, dass Uwe rechtzeitig eine
Mannschaft zusammengestellt hat, die im Kern seit Jahren unverändert und eingespielt ist.
Diesen Vorsprung müssen andere Vereine erst einmal aufholen.
- Zebra-Journal:
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Mit Thierry Omeyer und dem einzigen Neuzugang,
Andreas Palicka, hat der THW lediglich zwei Torhüter Zu wenig?
- Alfred Gislason:
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Nein. Der Vorteil ist, dass beide wissen, woran sie sind. Thierry
ist Weltklasse und Andreas ein Spitzentalent. Aber eine Spielgarantie für
Thierry ist das natürlich nicht, seine Leistung muss stimmen. Sollte sich
einer der beiden leicht verletzen, helfen wir uns mit einem jungen Torhüter aus. Verletzt sich
einer schwerer, verpflichten wir sicher einen Ersatztorwart. So hat es zuletzt auch der VfL
Gummersbach nach der Verletzung von Stojanovic gemacht.
- Zebra-Journal:
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Eine weitere Problemzone könnte die Position des Kreislaufers sein. Der zweite Mann, Igor Anic,
hat in der vergangenen Saison kaum gespielt. Was trauen Sie ihm zu?
- Alfred Gislason:
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Er hat das Glück, dass Marcus Ahlm wegen seiner Rückenprobleme geschont wird und er
dadurch in der Vorbereitung viele Spielanteile bekommt. Anic hat großes Potenzial.
In der Abwehr wird er das Niveau von Marcus wahrscheinlich nicht erreichen, aber im
Angriff traue ich ihm einiges zu. Ich gehe davon aus, dass er bald im Kader der
französischen Nationalmannschaft auftauchen wird.
- Zebra-Journal:
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THW-Spielmacher Stefan Lövgren hat angekündigt, seine letzte Saison in Kiel zu spielen.
Haben Sie schon eine Idee, wie Sie den Kapitän auf und neben dem Feld ersetzen können?
- Alfred Gislason:
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Als Mittelmann bieten sich mit Börge Lund und Nikola Karabatic
zwei Alternativen an. Börge ist zwar nicht so ein genialer Anspieler wie
Stefan, in l:l-Situationen im Angriff und als Abwehrspieler aber vielleicht stärker.
Er wird im Angriff mehr zum Einsatz kommen als in der vergangenen Saison. Aber auch
Stefan wird mehr Spielanteile erhalten. Er hat sich im Sommer sehr gut
auf seine letzte Saison vorbereitet. Ich hoffe, dass es ein tolles Jahr für ihn wird. Neben
dem Feld ist eine Persönlichkeit wie er kaum zu ersetzen. Ich werde mich als Trainer bei der
Suche nach einem neuen Führungsspieler nur bedingt einmischen. Das muss sich aus der
Mannschaft heraus entwickeln. Vielleicht müssen auch mehrere die Lücke stopfen, die er hinterlassen wird.
Stefans Abschied wird ein großer Verlust für den THW Kiel.
- Zebra-Journal:
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Noka Serdarusic war kein Freund der Rotation und hat stets auf eine
Stamm-Sieben gesetzt. Wird sich an diesem System etwas ändern?
- Alfred Gislason:
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Mein Plan ist, die Breite dieses Kaders ausnutzen zu wollen. Marcus wird mehr Pausen
bekommen als zuletzt und auch
ein Nikola Karabatic wird nicht immer 60 Minuten durchspielen müssen.
Der Traum wäre, im Rückraum in Dreierblöcken zu wechseln. Aber das wird auch in Kiel nur schwer möglich sein.
Ich möchte die Spieler mehr rotieren lassen, damit wir das Tempo noch länger auf einem hohen Niveau halten
können. Aber eines ist auch klar, wenn Rotation nicht funktioniert, dann muss ich eingreifen.
Denn wir alle, auch ich, brauchen den Erfolg. Und: Es wird auch nicht jeder die gleichen Anteile wie
Nikola bekommen. Er ist ein unglaublicher Spieler, der zurecht
Welthandballer geworden ist und der diese Auszeichnung nicht zum letzten Mal bekommen hat.
Es ist aber auch für ihn besser, wenn unser Angriffsspiel nicht nur über ihn läuft.
- Zebra-Journal:
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Unter der Präsenz von Nikola Karabatic schien
zuletzt auch Kim Andersson gelitten zu haben, der in wichtigen Spielen zuletzt
oft untergetaucht war...
- Alfred Gislason:
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... das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es so gewesen ist, könnte es auch daran gelegen
haben, dass er in einem bestimmten Konzept spielen musste. Das hat ihn möglicherweise behindert.
In der schwedischen Nationalmannschaft habe ich ihn sehr torgefährlich erlebt. Er hat alle
Voraussetzungen, um einen noch klangvolleren Namen in der Handballszene zu bekommen. Ich
würde mich freuen, wenn er seinen Vertrag über das Jahr 2010 hinaus beim THW verlängern würde.
- Zebra-Journal:
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Sie haben in Magdeburg viel mit jungen Spielern gearbeitet Haben Sie ein ähnliches Konzept in Kiel geplant?
- Alfred Gislason:
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Schön wäre es, wenn es irgendwann einmal sechs junge Spieler geben würde, die mit einem Doppelspielrecht
für den THW und den Zweitligisten TSV Altenholz ausgestattet wären. Außerdem würde es Sinn machen,
einen jungen Ausländer in Altenholz spielen zu lassen. Zum Pflichtprogramm der großen Klubs gehört es
längst, die Talente bei den großen Juniorenmeisterschaften zu beobachten. Da waren uns die
Spanier lange voraus, doch die deutschen Klubs haben inzwischen aufgeholt. Jüngstes Beispiel dafür,
wie gut der THW diesen Markt im Blick hat, ist der Este Mait Patrail und Henrik Pekeler,
der das größte deutsche Kreisläufer-Talent sein soll. Aber die Erwartungen dürfen nicht zu
hoch sein: Es ist schwierig, in der Weltklasse mitzuspielen und gleichzeitig Jugendspieler zu integrieren.
- Zebra-Journal:
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Der THW Kiel startet als Meister einmal mehr als gejagte Mannschaft in die neue Saison.
Wo vermuten Sie die stärkste Konkurrenz?
- Alfred Gislason:
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Der härteste Gegner wird meiner Meinung nach der HSV sein. Der Kern der Mannschaft spielt seit einigen
Jahren zusammen, zudem haben sie sich mit Blazenko Lackovic, Marcin Lijewski und anderen gut verstärkt.
Der HSV hat einen tollen Kader. Allerdings wird der Druck, endlich die Meisterschaft zu gewinnen, bei
diesem Klub auch immer größer. Im Titelrennen erwarte ich auch die SG Flensburg, die mit Alen Muratovic
mehr als einen Lackovic-Ersatz gefunden haben, und die Löwen. Gudjon Sigurdsson, der von Gummersbach
nach Mannheim gewechselt ist, könnte der Kopf werden, der dieser Mannschaft noch fehlt.
Dahinter erwarte ich Nordhorn, Lemgo, Gummersbach, Magdeburg und den TV Großwallstadt, der
sich sehr gut verstärkt hat.
(Mit THW-Trainer Alfred Gislason sprachen Wolf Paarmann und Reimer Plöhn,
aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008)