Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008:
Viktor Szilagyi spielte drei Jahre für den THW und
gilt als einer der Gründerväter des Kieler Tempohandballs. Unvergessen an der Ostsee ist sein
finales Tor
beim 27:26-Sieg in Berlin, der den "Zebras" den Weg zur 14.
Meisterschaft ebnete. Nach drei Knieoperationen fehlte den Verantwortlichen des Rekordmeisters das
Vertrauen in die Gesundheit des genialen Rückraumspielers, der seit kurzem Kapitän der
österreichischen Nationalmannschaft ist. Für das Zebra-Journal nahm der 29-Jährige,
der jetzt für den VfL Gummersbach spielt, die Bundesliga unter die Lupe.
- THW Kiel:
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Mit meinem Wechsel hat der THW Kiel einen schweren Verlust erlitten.
Ich bin gespannt, wie der Klub ohne seinen Erfolgsgaranten, der in
drei THW-Jahren dreimal Meister geworden ist, auskommen wird. Im Ernst: Kiel wird
am Ende wieder ganz oben stehen. Der Kern der Mannschaft spielt seit Jahren zusammen.
Das ist in einem Olympiajahr, das nur wenig Zeit für die Vorbereitung lässt, ein Vorteil.
Der neue Trainer Alfred Gislason wird mehr
auf Rotation setzen und davon wird die Mannschaft profitieren. Vielleicht
gewinnt sie die Spiele gegen die "kleineren Klubs" dann nicht mehr mit.
15 Toren Vorsprung. Aber vielleicht bricht der THW dann in engen Spielen auch nicht
mehr nach der 55. Minute ein. Außerdem ist es wichtig, dass Stefan Lövgren
noch ein Jahr bleibt. Er wird gerade in den ersten Monaten für Alfred Gold wert sein.
- HSV Hamburg:
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Der Verein hat sich enorm verstärkt, im Rückraum herrscht schon ein
Überangebot an erstklassigen Spielern. Das kann aber auch ein Problem werden,
schließlich ist es jeder gewohnt, dass er die Nummer eins auf seiner Position ist.
Bei Verletzungen, so wie jetzt von Pascal Hens, kann so ein Kader natürlich
eine Meisterschaft entscheiden. Bleiben alle gesund, ist Ärger programmiert, denn
dann können gar nicht alle zufrieden sein. In Kiel war es in der vergangenen Saison
auch für Filip Jicha zunächst eine ungewohnte Situation, dass auf
seinem Platz bereits ein Nikola Karabatic war. Gespannt bin
ich darauf, wie sich der Mindener Arne Niemeyer entwickeln und wie Oleg Velyky nach
seiner Verletzung zurückkommen wird. Trotzdem - Hamburg wird der härteste Konkurrent für den THW werden.
- SG Flensburg-Handewitt:
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Entscheidend wird sein, wie die Flensburger in die Saison starten.
Sie haben viele Neuzugänge, die integriert werden müssen. Das kann schnell klappen,
muss aber nicht. Mit Muratovic hat die SG einen guten Ersatz für Lackovic gefunden.
Er ist spielerisch sogar besser als der Kroate.
Von dem Halbrechten Oscar Carlen sollte man anfangs nicht zu viel erwarten. Er
ist jung und neu in der Liga, da wird er kaum die ganze Saison auf konstant hohem Niveau spielen
können. In den ersten sechs Monaten wird deutlich werden, in welche Richtung er sich entwickeln
wird. Er hat ein irrsinniges Potenzial und kann eine Bereicherung werden. Die SG Flensburg wird
sich im Laufe der Saison finden und eine immer bessere Rolle spielen.
Tipp: Platz vier. Mehr wäre eine Überraschung.
- Rhein-Neckar-Löwen:
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Die Mannschaft ist fast perfekt aufgestellt. Einzige Baustelle ist die Mittelposition.
Mit Grzegorz Tkaczyk steht nur ein Spielmacher zur Verfügung. Das ist
zu wenig. Da fehlt auch die Konkurrenzsituation, die nötig ist, um sich immer
wieder zu Höchstleistungen zu motivieren. Außerdem haben die Löwen das größte
Kontingent für die Olympischen Spiele abgestellt, das ist ein Nachteil.
Aber ich traue Trainer Juri Schewzow, den ich aus meiner Zeit bei TUSEM Essen gut
kenne, viel zu. Zuletzt wurde der Kader bei den Löwen im Sechs-Monats-Rhythmus ausgetauscht,
da fehlte ihm die Zeit, um vernünftig zu arbeiten. Jetzt hat er sie. Hamburg, Kiel
oder die Löwen - einer aus diesem Trio wird Meister.
- HSG Nordhorn:
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Ich habe in letzter Zeit viel über die HSG gelesen,
allerdings wenig erfreuliche Dinge. Probleme mit pünktlichen Gehaltszahlungen hat es
hier immer gegeben. Aber wenn eine treue Seele wie Jan Filip
(wechselt zu den Löwen, Anm. der Red.) den Verein verlässt, dann fühlt sich das doch
wie ein Ausverkauf an. Andererseits: Trainer Ola Lindgren hat es bisher immer geschafft, aus
den Spielern das Maximale herauszuholen. Börge Lund oder Erlend Marmelund waren
weitgehend unbekannt, als sie zur HSG kamen und haben schon in ihrem ersten Bundesligajahr
voll eingeschlagen. Ich glaube aber nicht, dass die HSG den fünften Platz wiederholen kann.
- VfL Gummersbach:
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Ich bin total zufrieden beim VfL. Die Stimmung ist super,
die Mannschaft ist völlig intakt, wir trainieren hart - alle sind fest davon überzeugt,
um Platz vier mitspielen zu können. Der Wechsel von Alfred nach Kiel war
nur beim ersten Training noch ein Thema, anschließend nicht mehr. Wir sind alle Profis und
haben uns auch von dem turbulenten Sommer nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wir wollen
uns für die Champions League qualifizieren, beim Final Four mitspielen und das Endspiel im Europapokal
erreichen. Unsere Mannschaft hat das Potenzial, alle drei Ziele zu erreichen.
- TBV Lemgo:
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Unter Schorsch (Trainer Markus Baur, Anm. der Red.) hat der TBV
schon in der vergangenen Saison deutliche Fortschritte gemacht. Ich traue dem Klub zu,
um den vierten Platz mitzuspielen. Fraglich ist, in welcher Verfassung die Nationalspieler aus
Peking zurückkehren werden und wie die, die nicht mitfahren durften, das verkraftet haben.
Ich erwarte eine große Saison von Michael Kraus. Ich habe ihn im Länderspiel in Köln
gegen Russland spielen sehen, da war er schon in überragender Form. Wenn er die hält,
wird Lemgo auf jeden Fall eine Mannschaft wie Nordhorn überholen.
- SC Magdeburg:
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Im letzten Jahr wurde es Platz acht,
mehr wird es diesmal auch nicht werden. Die finanziellen Möglichkeiten sind zu
begrenzt, die Mannschaft zu jung. Mit der fantastischen Halle im Rücken werden sie
zu Hause wieder eine Macht sein und mit ihrer Euphorie auch immer für eine Überraschung
gut sein. Aber es fehlen die Spieler mit großer Bundesligaerfahrung und damit die Konstanz.
Das wird sich besonders bei den Auswärtsspielen bemerkbar machen.
- Frisch Auf Göppingen:
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Mit Adam Weiner haben die Göppinger zwar einen Torhüter verpflichtet,
der in der vergangenen Saison einige gute Spiele gemacht hat. Einen Martin Galia
wird er aber nicht ersetzen können, der wird ihnen fehlen. Zuletzt mussten sie
in Stuttgart spielen, weil ihre Hohenstaufenhalle umgebaut wurde. Ein Vorteil war das
sicher nicht. Zu Hause werden sie ihre Punkte machen, aber mehr als ein guter Mittelfeldplatz wird nicht herausspringen.
- MT Melsungen:
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Individuell sind die Melsunger stark besetzt, aber als Mannschaft sind sie nicht höher
einzuschätzen als beispielsweise Magdeburg. Mit dem Umzug nach Kassel versucht die MT das
gleiche Experiment wie die Löwen, die nun in Mannheim spielen. Aber die Region
hat das noch nicht angenommen. Melsungen wird eine Saison mit Licht und Schatten abliefern,
große Namen schlagen, aber auch gegen die kleineren Klubs verlieren - Platz zehn.
- TV Großwallstadt:
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Geht es nach der Papierform, hat sich der TVG sehr gut verstärkt. Die Umsetzung
ist allerdings problematisch. Ein Beispiel: Mit Oliver Köhrmann ist einer der letzten Spielmacher
der Liga gekommen. Ich halte viel von ihm. Allerdings wird ihm nach
Olympia nur eine Woche bleiben, um sich mit seiner
neuen Mannschaft einzuspielen. Das ist unmöglich. Mit Chrischa Hannawald wird
zudem ein Typ fehlen, der eine Mannschaft richtig heiß machen kann. Sein Nachfolger
Mattias Andersson hat in Kiel zwar seine Klasse angedeutet,
aber die Situation ist für ihn auch neu. Er ist jetzt die Nummer eins und muss
konstant gute Leistungen bringen. Zuletzt wurden die Franken Elfter, diesmal ist mehr drin.
- Füchse Berlin:
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Ich telefoniere regelmäßig mit meinem Landsmann Konrad Wilczynski, und
er ist davon überzeugt, dass Berlin einen Schritt nach vorne machen wird. Ich
habe sie in der Vorbereitung erlebt, sie haben bereits sehr früh in der Saison
eine gute Form bewiesen. Sie haben Großes vor. So wollen sie das
eine oder andere Spiel in der neuen O2-Arena austragen und können nach dem Auszug der Berliner
Eisbären jetzt die Max-Schmeling-Halle alleine nutzen - das ist ein Vorteil. Sie
streben einen einstelligen Tabellenplatz an, und das halte ich für möglich.
- HBW Balingen-Weilstetten:
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Mit den Neuzugängen Markus Wagesreiter und Robert Weber spielen jetzt die Österreicher
Nummer drei und vier in der Bundesliga, das ist gut für unsere Nationalmannschaft. Vor allem
auf den Rechtsaußen Robert Weber bin ich gespannt. Er ist ein schmächtiger Typ, wird deshalb oft
unterschätzt. Aber er ist ein trickreicher Spieler, der in Österreich stets zu den besten
Torschützen zählte. Auf Spiele gegen Balingen freut sich keiner, weil sie mit einer
überharten Abwehr agieren und der Gegner darauf hoffen muss, dass die Schiedsrichter
auch durchgreifen. Trainer Roll Brack ist ein absoluter Fanatiker, der immer das Letzte
aus seinen Mannschaften herausholt. Das war in Pfullingen so und ist jetzt in Baiingen
nicht anders. Mit dem Abstieg hat der Verein nichts zu tun.
- HSG Wetzlar:
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Die Mischung aus Jung und Alt stimmt zwar, doch gerade auswärts wird die Klasse
fehlen, um viele Punkte zu sammeln. Im Kader sind viele junge Talente, die
von Trainer Volker Mudrow profitieren werden. Die Mannschaft wird von Beginn an gegen den Abstieg kämpfen.
- GWD Minden:
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Ich wünsche dem Verein nicht, dass er wieder so eine Horrorsaison erleben
muss wie zuletzt, als der Klassenerhalt erst durch den Sieg in Flensburg unter
Dach und Fach gebracht wurde. Aber wahrscheinlich wird es diesmal ähnlich verlaufen.
Die Lücke, die Arne Niemeyer mit seinem Wechsel nach Hamburg hinterlassen hat,
ist sehr groß. Für Minden wird jeder Punkt ein hartes Stück Arbeit.
- TUSEM Essen:
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In der vergangenen Saison hat der TUSEM sechs Monate gebraucht,
um sich an die Bundesliga zu gewöhnen. Da war es schon fast zu spät,
um noch die Klasse zu halten. Dieses Lehrgeld haben sie jetzt bezahlt, aber
es fehlen die Typen. Mark Dragunski hat aufgehört und Kapitän Mark Schmetz, der für die
Mannschaft auch außerhalb des Feldes sehr wichtig war, ist nach Lemgo gegangen. Der
Verein ist nach den Skandalen der Vergangenheit auf dem richtigen Weg, integriert
Ex-Spieler in Schlüsselpositionen. Doch auf dem Feld ist auch diesmal bis zum letzten Spieltag Zittern angesagt.
- TSV Dormagen:
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Als der TSV zuletzt Bundesliga spielte, war ich dabei.
Ich erinnere ein Publikum, dass mit uns stets unzufrieden war,
weil wir oft verloren haben. In der Regionalliga war die Halle dagegen immer voll,
weil der TSV da auch immer gewonnen hat. Ich glaube nicht, dass die Fans zu hundert
Prozent hinter dem Team stehen werden. Allerdings genießen die Handballer mittlerweile größere Sympathien,
weil sie nicht länger ein von Bayer gesponsertes Werksteam sind. Der Mannschaft
fehlen die erfahrenen Spieler, da wird nur das Kollektiv in der Lage sein, Punkte zu machen.
Das erste Spiel ist gleich in Kiel, da wird für Dormagen die Realität schnell beginnen.
Tipp: Abstiegskandidat.
- Stralsunder HV:
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Der Aufsteiger startet mit einem nahezu identischen Kader, das Geld für namhafte
Neuzugänge fehlte. Da bleiben nur zwei Trümpfe: Für die meisten Mannschaften
ist die Reise nach Stralsund die längste, die wird jedem Spieler in den Knochen stecken.
Außerdem ist die winzige Vogelsanghalle nicht zu unterschätzen. Beim THW Kiel haben wir
uns vor den Auswärtsspielen in den kleinen Arenen in Pfullingen und Dutenhofen gefürchtet, da
musste sich jeder gehörig umstellen. Zu Hause werden sie einige Überraschungen schaffen,
aber unter dem Strich wird es ganz eng.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2007)