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Bester Torschütze: Kim Andersson erzielte sieben Treffer.
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Der THW Kiel hat die Pflichtaufgabe gegen das Rumpfteam von TuSEM Essen souverän gemeistert. Mit
43:23 (20:11) gewannen die Kieler am Samstag Nachmittag gegen den wegen der Insolvenz bereits
als Absteiger feststehenden Traditionsklub. Bester Torschütze auf Seiten des THW war
Kim Andersson mit insgesamt sieben Treffern. Für die Gäste, in deren
elfköpfigen Kader gleich vier Landesliga-Spieler standen, war Jörg Lützelberger sechsmal
erfolgreich.
Nach dem finanziellen Kollaps gehen TuSEM Essen die Spieler aus. So musste auf der Gästebank
auch ein Mann Platz nehmen, der vor der Saison eigentlich ins Management des EHF-Pokalsiegers
2005 gewechselt war: 2,14-Meter-Riese Mark Dragunski, der erst im Sommer am Herzen operiert
werden musste, kehrt für seinen Klub nun wieder auf die Platte zurück. Wie der Rest des Teams
wurde Dragunski beim Einlaufen in die Sparkassen-Arena mit langanhaltendem Applaus bedacht. Die
Zuschauer machten den Essener Spielern, die die Leidtragenden der Insolvenz sind, Mut.
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Die Essener Abwehr konnte Nikola Karabatic nicht am Torwurf hindern.
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Der Applaus
schien den Zwangsabsteiger tatsächlich zu beflügeln. Zehn Minuten lang hatten die Zebras Mühe,
ins Spiel zu kommen. Die Gäste gingen in Führung - der THW Kiel glich aus. Ein Doppelschlag
von
Kim Andersson war es, der dieses Wechselspiel beendete. Wenig später
erzielte
Vid Kavticnik mit einem von insgesamt fünf verwandelten Siebenmetern
in der ersten Halbzeit zur ersten Zwei-Tore-Führung des THW (7:5). Fortan nahmen die Gastgeber, bei
denen
Andreas Palicka im Tor stand, richtig Fahrt auf.
Andersson,
Kavticnik per Siebenmeter,
Stefan Lövgren
mit dem ersten richtig schnell vorgetragenen Angriff, noch einmal
Andersson
mit einem tollen Heber nach einem Tempogegenstoß - von 7:6 zog der THW innerhalb von vier Minuten
auf 11:6 davon - und es kam sogar noch besser.
Palicka entschärfte
einen Wurf von Lützelberger und schickte
Lövgren auf die Reise. Dieser
bediente
Dominik Klein mit einem Kempa-Anspiel, dass dieser mit einem
tollen Dreher verwertete. Die Zebras zauberten, und Essen blieb nur noch die Rolle des Statisten.
Weitere vier Minuten blieben die Gäste ohne eigenen Treffer, kassierten auch noch das
14:6 durch
Anic - die 7:0-Serie des THW beeindruckte und machte den
schleppenden Start schnell vergessen. Erst Recht, als
Filip Jicha
den Ball mit ganz viel Anlauf und 114 km/h in die Maschen hämmerte - Essens Coach Szargiej versuchte,
mit einer Auszeit den Lauf des THW zu stoppen - eine Maßnahme mit kurzfristigem Erfolg.
Weil Shejbal im Essener Tor nun ein paar Bälle zu fassen bekam und die Kieler den Druck auf das TuSEM-Tor
etwas minimierten, durften Dragunski und der junge Max Krönung verkürzen, eher es wieder Leger, Dreher und Tempogegenstöße
hagelte. Mit dem 20:11 waren die Gäste zur Pause noch gut bedient, auf den Rängen spekulierte man
noch intensiver als vor dem Spiel über die Höhe des Erfolges.
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Stefan Lövgren erzielte drei seiner vier Tore innerhalb von vier Minuten.
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Andersson eröffnete die zweite Halbzeit mit einem 101-km/h-Geschoss,
Nikola Karabatic ließ seinen ersten Treffer folgen, ehe
Lövgren
zwei Gegenstöße zum Teil artistisch abschloss: Vier Tore in Folge brachten den THW mit 24:11 in Führung (35.).
Die Zebras zauberten weiter, sorgten so bei ihren Fans für einen hohen Unterhaltungswert, dem
Henrik Lundström nach 43 Minuten die Krone aufsetzte: Seinen Tempogegenstoß
vollendete der Linksaußen mit einer Drehung im Flug und dem hinter dem Rücken abgezogenen Torwurf, der
zum 32:16 in die Maschen rauschte - großartig. Dass Lützelberger daraufhin mit drei Treffern in Folge
sein Torkonto auffüllen durfte, lag auch am Pech von
Christian Zeitz, dessen
Würfe das Gebälk des Tores häufiger als dessen Maschen testeten. Quittiert wurde diese Glückslosigkeit
mit schelmischen Anmerkungen der Mannschaftskollegen, die fortan locker den Sieg über die Zeit brachten.
Ein bisschen Smalltalk mit einer der Wischerinnen hier, Tempogegenstöße und atemberaubende Ballstaffetten
dort - die Zebras sorgten mit ihren Aktionen für einen Nachmittag, der trotz des beinahe schon im Vorfeld
feststehenden Sieges einiges an Unterhaltung zu bieten hatte.
Wesentlich mehr werden die Kieler nun in den kommenden zehn Tagen gefordert sein. Am Mittwoch geht
es um den Einzug in das DHB-Pokal-Viertelfinale. Für dieses Spiel gegen Frisch Auf Göppingen gibt es
noch Karten in allen Kategorien. Am darauffolgenden Sonnabend steht es dann an: das erste Derby unter
Trainer Alfred Gislason. Anwurf in der Flensburger Campushalle ist um 14.45 Uhr, das
NDR-Fernsehen überträgt live.
(Christian Robohm)
Lesen Sie auch den ausführlichen Spielbericht der Kieler Nachrichten.
TuSEM-Trainer Krysztof Szargiej:
Der Sieg geht natürlich in Ordnung. Wir waren nicht nach Kiel gekommen, um hier Punkte zu holen.
In unserem Zustand geht es um nichts mehr als das bloße Spielen. Meine Jungs haben sich bemüht,
jedoch ohne Taktik gespielt. Bundesligatauglich konnte man das nicht nennen. Aber ich möchte
nichts analysieren, sondern nur nach vorn schauen.
Es ist traurig, einen Traditionsverein wie TuSEM Essen in solch einem Zustand sehen zu müssen.
Aber wir wollten vor vollem Haus ein schönes Spiel zeigen. Das ist uns mit Ausnahme der
ersten zehn Minuten, in denen die Abwehr nicht gut stand, gelungen. Wichtig war mir,
dass wir uns beweglicher als zuletzt gegen Nordhorn gezeigt haben. Ich muss
meinem Team ein Kompliment aussprechen: Wir haben ein richtig gutes und konzentriertes Spiel gezeigt.
Es war heute nur wichtig, den Zuschauern einen vernünftigen Handball zu zeigen. Nun folgen vier schwere
Spiele. Am kommenden Mittwoch müssen wir gegen Frisch Auf Göppingen hart um das Erreichen der nächsten
Runde im DHB-Pokal kämpfen. Ich hoffe darauf, dass uns unsere Fans dabei unterstützen.
Bisher sind für das Spiel 6.000 Karten verkauft worden - es gibt also noch Tickets in allen Kategorien.
THW-Torhüter Andreas Palicka gegenüber den KN:
Mein Körper ist nach der Verletzung wieder bei 100 Prozent
- mein Kopf noch nicht. Heute war wirklich nicht mein Tag.
THW-Rückraumspieler Filip Jicha gegenüber den KN:
Konzentration war heute unsere wichtigste Aufgabe.
Zehn Minuten lang am Anfang hatten wir Schwierigkeiten,
danach ist uns ein optimales Resultat gelungen.
THW-Kreisläufer Marcus Ahlm gegenüber den KN:
Es war ein komisches Spiel.
THW Kiel:-
Omeyer (n.e.),
Palicka (1.-60., 16 Paraden);
Andersson (7),
Lundström (5),
Kavticnik (6/5),
Anic (5),
Lövgren (4),
Ahlm (2),
Zeitz (1),
Karabatic (4/2),
Klein (3),
Jicha (6);
Trainer: Gislason
TUSEM Essen:-
Herkel (n.e.),
Shejbal (1.-60., 11 Paraden);
Dragunski (1),
Wozniak (3),
Vorontsov (3/1),
Lützelberger (6),
Schütte (3),
Casanova (3/1),
Wiencek (2),
Linke,
Krönung (2);
Trainer: Szargiej
- Schiedsrichter:
-
Jörg Mahlich (Stendal) / Martin Harms (Magdeburg)
- Zeitstrafen:
-
THW: 0;
TUSEM: 3 (Lützelberger 813.), Vorontsov (25.), Casanova (39.))
- Siebenmeter:
-
THW: 8/7 (Shejbal hält Karabatic (57.));
TUSEM: 3/2 (Casanova gegen Palicka überweg (30.))
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 2:1 (3.), 3:3 (6.), 6:5 (9.), 8:6 (12.), 11:6 (15.),
13:6 (18.), 16:7 (21.), 17:10 (24.), 19:10 (27.), 20:11 ;
2. Hz.: 24:11 (33.), 26:13 (36.), 29:15 (39.), 31:16 (42.), 33:19 (45.), 37:20 (48.), 38:20 (51.), 41:20 (54.), 42:21 (57.), 43:23.
- Zuschauer:
-
10250 (ausverkauft) (Sparkassen-Arena-Kiel, Kiel)
- Spielgrafik:
-
Aus den Kieler Nachrichten vom 15.12.2008:
Keine Spannung, aber Spaß an Phantomspiel
THW führte Absteiger Essen beim 43:23 vor ohne ihn zu demütigen
Kiel - Das "Phantomspiel" des THW Kiel gegen das
Insolvenzgerippe TuSEM Essen bot den 10 250 Zuschauern
in der Sparkassen-Arena am Sonnabend doch allerhand Greifbares.
Seit 34 Spielen ist der THW in der Handball-Bundesliga nun ungeschlagen,
feierte beim 43:23 (20:11) den 14. Sieg in Serie
und entließ den Gegner zwar ohne Punkte, aber dafür
auch mit tröstenden Worten.
Für Spannung konnte die Partie des souveränen Tabellenführers
gegen den insolventen angehenden Zweitligisten
kaum sorgen. Also musste - ganz in weihnachtlicher
Tradition - die Verpackung dieses sonderbaren Missverständnisses der deutschen
Handball-Liga den Fans den Nachmittag versüßen.
Die staunten nur kurz, als die Essener, die mit vier Akteuren
aus Verbandsliga und A-Jugend angereist waren,
bis zum 4:5 (8.) dreimal in Führung gingen. Dann "ruckelte"
sich die Kieler Deckung einmal kurz zurecht
und zeigte TuSEM bis zum 14:6 (19.) durch Igor Anic nach
einer herrlichen Gegenstoß-Stafette mit Christian Zeitz
und Filip Jicha das Kräfteverhältnis
auf. Die Hallenlautsprecher dröhnten Shaggys "Mr. Boombastic" ins Rund,
und prompt war das Publikum wach, laut, in Feierlaune.
Denn die Verpackung glänzte und knisterte in verheißungsvoller
Pracht: Bei einem starken Kempa-Trick von Stefan Lövgren auf
Dominik Klein (12:6, 16.). Bei einem
"Dreher-Doppel" von Jicha (18:10, 26.) und Klein
(19:10, 27.). In schwindelerregenden Gegenstoß-Salven
ebenso wie bei plötzlich aufblitzenden Geniestreichen
von Nikola Karabatic, von denen zunächst
Marcus Ahlm, später Igor Anic
am Kreis profitierten.
THW-Trainer Alfred Gislason ("Es sollte ein schönes
Spiel für die Zuschauer sein") erlebte entspannte 60
Minuten an der Seitenlinie und nutze früh die Gelegenheit
zur Rotation. In der 18. Minute kamen Jicha, der sich
mit vier Treffern in acht Minuten einfügte, Anic auch im
Angriff und Zeitz, der jedoch
überwiegend Bekanntschaft mit dem Gebälk des gegnerischen
Tores schloss. Kompliment an beide Mannschaften
- das Spiel plätscherte nie dahin, bot Tore im Minutentakt.
Ohne jedoch, dass die "Zebras" den Gegner demütigten.
Kabinett-Stückchen wie das feine Pirouetten-Törchen
von Henrik Lundström zum 32:16 (43.) wurden in Maßen
aus dem Sack gezaubert. Und die Essener bekamen stets genügend
Raum, um den Spaß an diesem Training in Bundesliga-Verpackung nicht zu
verlieren. "Zebra"-Mannschaft und -Publikum übten
sich eindrucksvoll in Sachen Fairness, empfingen den 37-jährigen
Ex-Nationalspieler Mark Dragunski, der noch im
Sommer am Herzen operiert wurde und nun als TuSEM-Pressesprecher
doch noch einmal auf dem Feld "ein Signal setzen" will, mit warmem Applaus.
Und die Kieler Akteure, denen in diesem Jahr noch
ein Vier-Spiele-Marathon bevorsteht, offenbarten zudem
eine differenzierte Meinung zu der Unsinnigkeit einer Partie
gegen einen Gegner, den es in der Ersten Bundesliga eigentlich
eigentlich gar nicht mehr gibt.
"Die Insolvenz ist ja nicht Schuld der Spieler. Darum
muss man auch die andere Seite sehen: Essen plant für
die Zweite Liga, und für die jungen Akteure war es ein besonderes
Spiel, eine unglaubliche Erfahrung. Diese Chance
hatten sie verdient, und darum
habe ich hier heute gern gespielt", sagte Filip Jicha.
Und THW-Kapitän Stefan Lövgren ergänzte: "Der Verein
TuSEM Essen versucht, die Probleme zu lösen. Dieses
Spiel war Motivation für die jungen, kämpferischen Essener."
Auch diese Sätze gehörten zum deutlichen Sieg.
(von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 15.12.2008)