09.09.2009 | Mannschaft |
Soll Vid Kavticnik auf Rechtsaußen ersetzen: Christian Sprenger. |
Der Transfer taugt zur Herz-Schmerz-Geschichte: Junger Spieler muss nach elf Jahren den geliebten, aber klammen SC Magdeburg verlassen, um dort dank einer geschätzten Ablösesumme von 250.000 Euro Arbeitsplätze zu retten. Liest sich melodramatisch, aber Sprenger strahlt im Schatten des Turnvereins Hassee-Winterbek Freude aus, "es sei das Größte, von diesem Klub angesprochen zu werden". Kiel wollte ihn schon vor vier oder fünf Jahren - so genau weiß er das nicht mehr. Es fühlte sich jedenfalls lange an wie eine einmalige und vertane Chance. "Aber jetzt", sagt Sprenger, "fühle ich mich reif für diese Aufgabe." Für den Rechtsaußen "Sprengi" ist dies der zweite radikale Neustart in seinem Leben.
Eine Rückblende bis in die frühen Neunziger: Über die Stadtmeisterschaft der Ludwigsfelder Schulen kommt ein schmaler Bursche zum Handball und lässt sich ins Tor stellen. Wenig später landet er im Trainingsbetrieb der SG Motor Ludwigsfelde - die guten Kinder üben mittwochs, die schwächeren dienstags. Übungsleiter Martin Leuendorf steckt ihn schnell in die Dienstagsgruppe, in der es Sprenger inzwischen "viel geiler" findet, selbst Tore zu werfen. Im allmonatlichen Vergleich der beiden Teams tut er das so überzeugend, dass er wieder mittwochs üben darf - an der Seite des im rechten Rückraum immer sehr viele Tore werfenden Trainersohns Markus. "Ich war eine totale Birne, konnte gar nichts und war total schlecht", sagt Sprenger über sich. Aus der Rolle des harmlosen Flügellaufers drängt er erst heraus, als die Gegner seinen Nebenmann an die Kette legen. Leuendorfs klares Kommando ("Sprengi, mach doch mal was") nutzt er auf Anhieb zu zehn Toren, "einfach, weil ich mal was gemacht habe".
Markus Leuendorf ging bereits 1997 ans Sportinternat Magdeburg, Sprenger blieb allein in Ludwigsfelde, beschäftigte sich mit einer Anfrage der Cottbuser Sportschule und wagte ein Jahr später ebenfalls den Wechsel zum SC Magdeburg. "Das waren dort für mich alles Götter", sagt Sprenger. "Unerreichbar." Der Schritt von Brandenburg nach Sachsen-Anhalt besaß aber noch eine andere, sehr emotionale Facette: den Abschied aus dem sozialen Umfeld. Seinen Freunden sagt er nicht mal Tschüs, erst nach und nach erklärt er ihnen seine Zukunft. "Mit 15 war das richtig hart", sagt Sprenger, der seinen Entschluss im Nachhinein auch als Chance begreift. "Ich hatte Freunde, die damals geraucht und Alkohol getrunken haben. Ich habe mich mitreißen lassen und war in der Schule nicht gut", sagt er. "Magdeburg war eine Art, doch noch was aus meinem Leben zu machen. Ich habe keine Ahnung, was aus mir geworden wäre, wenn ich in Ludwigsfelde geblieben wäre."
Die ersten Monate allein im Internat sind schwer, aus Langeweile beginnt er zu lernen, entwickelt sich zu einem guten Schüler und packt den Sprung von der Realschule aufs Gymnasium. Dass Sprenger vor dem Abitur aufgibt und nach dem Zivildienst erfolgreich eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskauf mann absolviert, interessiert die Öffentlichkeit nicht. Das Publikum in der Bördelandhalle bestaunt nur den wahnsinnig schnellen Mann auf dem rechten Flügel, gemeinsam mit den anderen Internatsschülern Christoph Theuerkauf, Yves Grafenhorst und Silvio Heinevetter verkörpert er die neue, junge Seele des Clubs. Geschaffen wurde diese bereits, als Magdeburg 2002 die Champions League gewann. Trainer Alfred Gislason warf die Talente einfach in die beste Mannschaft der Welt. Der Isländer ist ohnehin die Sprenger prägende Person. Nach dem ersten Training der Vorbereitung zur Saison 2002/03 sagt er zu dem gerade der Jugend entwachsenen, aber dürren Außen: "So wie du aussiehst, spielst du bei mir nie Bundesliga." Wenige Wochen später redet Gislason ganz anders: "Auf jeden Fall" werde Sprenger spielen, "denn deine Gegner müssen dich erstmal kriegen, bevor sie dir weh tun können". In Kiel sehen sich Gislason und der zum gestandenen Spieler gereifte Sprenger wieder.
Der 1,90 Meter große Linkshänder ist wie sein THW-Vorgänger Kavticnik ein Spezialist für Konter, mit seinem Stil und frenetischem Jubel berührt er das Publikum. "Christian wird sehr gemocht", sagt sein Berater Björn Schultz. Der Leipziger unternähme gern mehr, um seinen Klienten zu präsentieren und zu vermarkten. Sprenger scheut jedoch abseits des Spielfeldes die Öffentlichkeit, obwohl er im Wettkampf intensiv mit den Zuschauern interagiert. "Das ist eine unheimliche Ausschüttung von Endorphinen bei mir", sagt er über seine Torschreie, die das Publikum so pushen. "Ich brauche das für mich und tue es nicht, um irgendjemand zu gefallen." Sprenger ist ein spannender, unberechenbarer Typ, der sich als "lebenschaotisch" bezeichnet, aber einen manischen Hang zur Pünktlichkeit besitzt. Er lässt sich Nischen im straffen Korsett des Spitzensports, "die Lust aufs Leben darf man nicht verlieren".
Der THW Kiel könnte seine bisher unglückliche Karriere in der Nationalmannschaft fördern: 2006 war er bei der Europameisterschaft in der Schweiz zweiter Mann hinter Florian Kehrmann, verletzte sich kurz darauf schwer am Sprunggelenk, verpasste die WM 2007, kam nicht mit zur EM 2008 in Norwegen, erreichte im Sommer immerhin das letzte vorolympische Trainingslager im chinesischen Zhuhai - und durfte bei der WM im Januar endlich als erster Rechtsaußen ran, Doch der Traum war bereits nach 16 Minuten und 25 Sekunden beendet, als das Innenband im rechten Knie riss. An solchen Geschichten verzweifeln viele Sportler. "Man könnte sagen, der Junge hat echt Pech - oder es ist ein Zeichen von Charakter", sagt Sprenger, denn er kann sich immer wieder rankämpfen und verliert seinen Biss nicht.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.09.2009)
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