09.09.2009 | Mannschaft |
THW-Neuzugang Tobias Reichmann: Den gebürtigen Berliner bezeichnen Handballexperten als Sprungwunder, Gislason sieht in ihm einen künftigen Nationalspieler. |
Einfach irre sei das, sagt er, "plötzlich bin ich im Training jeden Tag von Weltklassehandballern umgeben und ein Teil des THW." Dabei gehe alles ganz locker zu. "In dieser Mannschaft hat keiner Starallüren, alles super Jungs." Zurzeit trabt Tobias Reichmann allerdings neben den anderen her. Kiels neuer Rechtsaußen kam mit einem Kreuzbandriss im Knie nach Kiel. Der erste wichtige Termin war der bei Mannschaftsarzt Dr. Frank Pries. Die Operation im Frühjahr verlief sehr gut, "aber so eine Verletzung braucht eben seine Zeit." Im November, so hofft Reichmann, könne er wieder voll angreifen. "Mit dem kompletten Mannschaftstraining beginne ich wohl Mitte September." Passiert war das Unglück am 8. April in Wismar bei einem Lehrgang der Junioren-Nationalmannschaft. "Nach einem Sprungwurf bin ich unglücklich umgeknickt."
Tobias Reichmann hat früh und viel für den Sprung in die Eliteklasse gearbeitet. Schwimmen, Laufen, Turnen, Ballspiele. Als Kind probierte der gebürtige Berliner viele Sportarten aus. Über einen Freund kam er zum Handball. "Da war ich acht." Und weil er in Rangsdorf einen ehrgeizigen Trainer hatte, der sein Talent schnell entdeckte, ging es bald voran. "Ich bin aufgefallen. Wegen meiner Sprungkraft vielleicht, aber wohl auch, weil ich ganz gut mit dem Ball umgehen konnte."
Das hatte Folgen. Schon als Zwölfjähriger verließ er die häusliche Umgebung; Mutter, Vater und den kleinen Bruder. Das Talent fand Aufnahme in der "Lausitzer Sportschule", die sportliche Gesamtschule von Cottbus. Tobias wurde ein Internatskind. Der Alltag war genormt. Schule wechselte sich mit Sportunterricht ab. 1200 Euro kostete die Unterbringung, 300 zahlten die Eltern, um ihrem Sohn den großen Traum zu erfüllen. "Mein Ziel stand fest, ich wollte Handball-Profi und Nationalspieler werden." Die Jugendmannschaften durchlief das Sprungwunder im Eiltempo, spielte immer in einer älteren Jahrgangsstufe. Die A-Jugend hat er komplett ausgelassen, rückte gleich als 16-Jähriger in die Männermannschaft. Handball füllte sein Leben aus. Die anfangs wöchentlichen Heimbesuche bei den Eltern wurden seltener. "Das schrumpfte auf sechs bis zehn Mal im Jahr zusammen", erzählt Reichmann. Auch ein doppelter Schien- und Wadenbeinbruch - ein Skifahrer war dem damals 15-jährigen Snowboarder Reichmann in die Beine gerast - hielt ihn auf dem Weg in die Junioren-Nationalmannschaft nicht auf.
Mit 17 stand er im Kader von LHC Cottbus, mit dem er 2007 in die Zweite Liga aufstieg, den Spähern des Deutschen Handball-Bundes (DHB) war er längst aufgefallen. In den Jugend-Nationalmannschaften zählte er zum Stammaufgebot, erster bemerkenswerter Erfolg war der Vizetitel bei der "U20"-Europameisterschaft. Nach dem Abitur folgte der erste Schritt in die große Handball-Welt, Reichmann wechselte zu den "Youngsters" des SC Magdeburg. Dann folgte der Satz, der ihm den Weg nach Kiel ebnete. "Kannst du dir vorstellen, beim THW zu spielen?" Die Frage stellte "Pitti" Petersen, einstiges THW-Idol und seit Jahren in der Nachwuchsarbeit des DHB tätig. Tobias Reichmann konnte, wartete dann aber Monate, ohne etwas vom deutschen Meister zu hören. "Da habe ich mit einer Ausstiegsoption in Magdeburg unterschrieben. " Als der THW sich schließlich meldete, kam es schnell zu einer Einigung, Reichmann zog die Option - und bekam fortan bei SCM-Trainer Michael Biegler kein Bein mehr an Deck. "Mit mir selbst hat der Trainer nicht gesprochen, aber er ließ mitteilen, dass ich nur noch in der Nachwuchs-Mannschaft spielen dürfe."
Tobias Reichmann warf seine Tore für die Zweite - bis das vordere Kreuzband riss. Jetzt startet er den Neuanfang bei seiner Traummannschaft. Den Trainer weiß Reichmann auf seiner Seite. "Die Nummer eins auf Rechtsaußen in Deutschland ist Christian Sprenger", legt sich Alfred Gislason fest, dann komme wohl der Mannheimer Patrick Groetzki, dann aber schon Tobias Reichmann. "Ein großes Talent, wir werden Spaß an ihm haben."
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.09.2009)
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