Der THW Kiel hat in der der DKB Handball-Bundesliga einen großen Schritt
in Richtung 19. Meisterschaft gemacht: Während die Konkurrenz aus Mannheim (26:32 in Berlin)
und Flensburg (32:34 in Magdeburg) patzte, gewannen die "Zebras" vier Tage nach dem
kräftezehrenden Champions-League-Viertelfinale in Veszprem gegen
HBW Balingen-Weilstetten letztlich klar mit 33:25 (16:17). Allerdings hatte der THW lange Zeit Probleme mit
der "Wundertüte" Balingen, deren Trainer Dr. Rolf Brack rund 20 Minuten lang im Angriff den Torhüter
gegen einen siebten Feldspieler tauschte. Erst kurz nach der Pause gingen die Kieler, die im
starken Regisseur Aron Palmarsson und Marko Vujin
(je sechs Treffer) ihre besten Torschützen hatten, erstmals in Führung. Zwanzig Minuten vor
dem Ende setzten sie sich dann Stück für Stück ab.
Durch den Erfolg bauten
die Kieler ihre Führung an der Spitze der DKB Handball-Bundesliga fünf Spieltage vor
dem Saisonende auf fünf Punkte aus.
Starke Gäste
Spiele gegen Balingen bergen häufig einen gewissen Unterhaltungscharakter. Das liegt vor allem an
den taktischen Überraschungen, die HBW-Trainer Dr. Rolf Brack besonders gern dann auspackt, wenn
Handball-Deutschland zuschaut: Sport1 übertrug erstmals ein Spiel der Süddeutschen in dieser
Saison live - und Brack tat alles, damit den Fernsehzuschauern nicht nur die siegreichen "Zebras"
im Gedächtnis bleiben. Trotzdem begann der HBW-Coach dieses Mal eher konventionell: Mit einer offensiven
Abwehrformation versuchte er, die Wege der Kieler einzuengen. Weil er - im Gegensatz zur
klaren Hinspielniederlage - auch wieder nahezu alle Leistungsträger an Bord hatte,
gelang den Gästen dies vor allem in den ersten dreißig Minuten gut.
HBW geht in Führung
HBW traf aber auch auf einen Gastgeber, dem das knüppelharte und nervenaufreibende
Champions-League-Rückspiel in Veszprem noch in den Knochen steckte. Und so
führten die Gäste, ehe sich die Kieler richtig sortiert hatten, bereits mit 2:0. Fünf Minuten
dauerte es, bis der starke Palmarsson erstmals für die "Zebras" einnetzte.
Als der ebenfalls auftrumpfende Vujin kurz darauf zum Ausgleich traf,
schien alles seinen gewohnten gang zu gehen. Doch weit gefehlt: Die Kieler machten Fehler, und HBW
suchte sein Heil in der Offensive. Nur rund 80 Sekunden benötigten die Baden-Württemberger, um
nach Palmarssons 4:4 durch drei schnelle Treffer mit 7:4 in Führung
zu gehen. Alfred Gislason nahm eine Auszeit und ersetzte daraufhin den glücklosen
Andreas Palicka durch Thierry Omeyer, doch
auch der Franzose sah gegen oftmals frei vor ihm auftauchende HBW-Spieler zunächst machtlos aus.
THW holt Rückstand auf
Nach Vujins 8:10 (14.), schien der THW wieder auf einem guten Weg. Doch
Benjamin Herth, der wenig später eine Hauptrolle auf dem Spielfeld übernehmen sollte, und Billek
per Gegenstoß erhöhten auf 12:8 für HBW. Nun aber schien die taktische Umstellung von
Gislason, der von 6:0 auf 3:2:1 mit dem vorgezogenen Daniel Narcisse
setzte, Wirkung zu zeigen: Erst bediente Palmarsson den
eingewechselten Rene Toft Hansen zum 9:12, dann schnappte sich der
dänische Kreisläufer in der Abwehr einen Pass und schickte über NarcisseVujin zum 10:12-Gegenstoß, ehe der Serbe mit seinem Landsmann
Momir Ilic das 11:12 einleitete - jetzt öffnete Brack die "Wundertüte".
Fortan schickte der HBW-Trainer zumeist Herth als siebten Feldspieler für den Torhüter auf die Platte. Eine Maßnahme,
die in Kiel oft schon nach hinten losging. Nicht so dieses Mal: Omeyer verfehlte
das leere Tor, und Schlinger traf frech nach Kempatrick vom Kreis. Auch Theuerkauf nutzte die
numerische Überzahl im Angriff - gut nur, dass die Kieler nun ihrerseits in der Offensive besser
die Räume fanden. Nach 25 Minuten dann tobte die Sparkassen-Arena: Die Gäste hatten einen Pass ins Aus
gespielt, Vujin den Einwurf rasch auf Narcisse
gespielt, der aus der eigenen Hälfte ins verwaiste Tor traf - der 15:15 Ausgleich war das Resultat.
Weil aber Liniger und Herth vor dem Wechsel noch zweimal für die Gäste trafen, der THW aber nur durch
einen feinen Heber von Klein zum Torerfolg kam, gingen die Baden-Württemberger mit
einer überraschenden, aber nicht unverdienten 17:16-Führung in die Pause.
Nach dem Wechsel sollten die 10.285 Zuschauer hektische zehn Minuten zu sehen bekommen, in denen
der THW Kiel mehr oder weniger erfolgreich versuchte, Bracks Taktik zu bestrafen. Erfolgreich war
zunächst Omeyer, der erst einen Wurf von König festhielt, dann
gut zielte und aus dem eigenen Torkreis zum 17:17 traf - das erste Saisontor des Kieler Keepers
riss die Fans von den Sitzen. Und die Stimmung blieb gut, weil Ilic
kurz darauf mit 105 km/h die erste Kieler Führung der Partie erzielte. Doch die
Gäste zeigten sich zunächst unbeeindruckt: Der siebte Feldspieler Herth erzielte den Ausgleich,
Palmarsson warf nach dem Anwurf am verwaisten Tor vorbei. Dann bot
sich Omeyer erneut die Chance zum Torwurf, doch "Feld-Torhüter" Herth
zeigte seine erste von insgesamt zwei Paraden. Vorne traf er dann zum 19:18 für die Gäste,
ehe Ilic nach dem schnellen Anwurf von der Mittellinie ins leere Tor den
19:19-Ausgleich erzielte. Als Herth dann sogar im Positionsangriff des THW im Tor bleiben musste,
konnte der THW dies nicht nutzen: Im Gegenzug traf Billek erneut nach einem Kempatrick zur 20:19-Führung
für HBW.
THW dreht auf
Nach einem harten Stück Arbeit freuten sich die Zebras über einen Sieg.
Weil Jicha über das leere Tor zielte, und Herth einen Wurf von
Palmarsson aus dessen eigener Hälfte hielt, bot sich den Gästen die
Chance, zu erhöhen. Weil aber die 6:0-Deckung des THW nun viel aufmerksamer agierte, und auch
Omeyer warmlief, nutzten Vujin und
Palmarsson dies zum 21:20 (40.). Brack nahm eine Auszeit, und beorderte
seinen regulären Torhüter für den Rest der Partie in den Kasten - doch der THW hatte Fahrt aufgenommen.
Jicha bediente den an den Kreis eingelaufenen Klein
zum 22:20, Palmarsson vollstreckte nach einem geblockten Balinger Wurf zum 23:20,
um dann nach Linigers Anschluss hinten einen weiten Pass abzufangen und vorne
einen Siebenmeter herauszuholen. Den verwandelte Ilic sicher, und als
kurz darauf Sprenger in Überzahl eiskalt zum 25:21 traf, waren die
Weichen auf Sieg gestellt (47.). Erst Recht, nachdem Jicha sich kraftvoll
in Szene setzte, und Vujin nach feinem Palmarsson-Pass
von der Rechtsaußen (!)-Position per Heber zum 27:21 getroffen hatte. Den Gästen fiel nun nicht
mehr viel ein - während der THW Kiel Tor um Tor davonzog. Die Schlusspunkte einer
abwechslungsreichen Partie setzten Omeyer mit einem gehaltenen Siebenmeter
sowie Klein und Narcisse mit einem doppelten
Kempa-Trick zum 33:25-Endstand.
Jetzt gegen Lemgo
Bis auf die beiden Nationalspieler, die am Donnerstag zum Lehrgang der DHB-Auswahl mit den
beiden Testspielen gegen Slowenien reisen, genießen die "Zebras" nun ein paar freie Tage. Mit Spannung
blicken diese am Donnerstag um 11 Uhr nach Köln, wo die Auslosung der "VELUX EHF Champions League"-Halbfinalspiele
ansteht. Ab dem Wochenende dann beginnt dann die Vorbereitung auf das kommende Bundesligaspiel, zu dem
die Kieler am 12. Mai nach Halle/Westfalen reisen werden. Gegner ist dann der TBV Lemgo.
Wir lagen nach knapp 40 Minuten mit einem Tor vor, hatten in der Halbzeit den großen
Traum von der Sensation, ganz Handball-Deutschland zu überraschen.
Aber nach 40 Minuten sind uns die taktischen Ideen ausgegangen, Kiel hat sich besser
auf uns eingestellt, und dann auch - wenn auch vielleicht zu hoch - verdient gewonnen.
Wir hatten sicher schon eine bessere Quote im Spiel 7 gegen 6, das hängt natürlich
auch von der Klasse der Gegner ab. Gegen Abstiegskandidaten haben wir da schon mal
80 Prozent, heute nur 50. Als das Spiel dann weg war und wir klar im Rückstand lagen,
war das dann nicht mehr sinnvoll. Am Ende fehlt uns die individuelle Klasse.
[Nehmen Sie schon Glückwunsche zur Meisterschaft an?]
Auf keinen Fall!
Es war heute exterm wichtig und schwierig, das Spiel zu gewinnen.
Wir haben nicht gut gespielt, hatten große Probleme.
Hätten wir nicht gewonnen, dann wären wir unter großen Druck geraten:
Dann kommt das schwere Spiel in Lemgo, kurz danach das Heimspiel gegen
die Löwen... Jetzt ist die Situation natürlich etwas komfortabler.
Wir waren natürlich gewarnt, auch durch das Ergebnis des HSV von gestern,
aber man sah gestern schon bei uns im Training, dass es schwer werden würde. Das war gar nichts,
was da an Altherrenhandball geboten wurde.
Heute hat es 40 Minuten gedauert, bis wir eine ordentliche Leistung gezeigt haben.
Wir haben zunächst gar nicht gedeckt, keine Torhüterleistung gezeigt.
Dass wir mit sieben Toren gewonnen haben, beschönigt die Leistung etwas.
Wir müssen uns jetzt auf das nächste Spiel konzentrieren: das sehr schwere
Auswärtsspiel in Lemgo. Und dann zwei Tage später gleich das Spiel gegen die Löwen...
Wir haben nur einen Tag Pause, die Löwen zwei. Das ist ein Riesennachteil für uns.
Es war ja nicht das erste Jahr, wo Balingen so gespielt hat - und wir hatten
das bisher eigentlich immer im Griff, aber heute doch große Probleme.
Wir sind nicht richtig in die Deckung reingegangen, lagen dann zurück.
Das war nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben...
HBW-Goalgetter und "Torhüter" Benjamin Herth:
Die Chance, hier zu gewinnen, ist immer relativ klein, da muss man am Limit spielen.
Das ist uns in der ersten Halbzeit gelungen, in der zweiten Halbzeit haben wir das
dann nicht mehr geschafft und sind dann von der Kieler Klasse überrollt worden.
Kiel. Ist der THW Kiel auf seinem Weg zum erneuten
deutschen Double noch zu stoppen? Wohl kaum! Nach
dem 33:25 (16:17)-Sieg über den HBW Balingen-Weilstetten
ist der Titelverteidiger in der Handball-Bundesliga
den Rhein Neckar Löwen als einzig verbliebenem
Konkurrenten schon um fünf Punkte davon galoppiert.
Am Spieltag der Favoritenstürze hielt sich
der THW als einziges Team des Top-Trios schadlos
und könnte nun schon in zwei Wochen (14. Mai) im
direkten Duell gegen die Löwen die 18. Meisterschaft
perfekt machen - ein Sieg zuvor in Lemgo (12. Mai)
vorausgesetzt.
Bis dahin darf sich der Rekordmeister aufgrund der
Länderspiele gegen Slowenien (4. und 5. Mai) ein paar
Tage Ruhe gönnen. Eine Pause, die sich die Spieler nach
einer aufregenden Saisonphase verdient haben: Vom Gewinn
des DHB-Pokals über den Einzug ins Final4 der Champions
League bis hin zum gestrigen Sieg gegen den HBW Balingen-Weilstetten
jagte ein spielerischer Höhepunkt den nächsten. Ja, auch die
Partie gegen den HBW gehörte dazu! Denn an Unterhaltungswert
war das 33:25 gegen den Tabellen-13. kaum zu überbieten.
"Gegen Balingen zu spielen, ist immer eine Wundertüte.
Man weiß nie, was sie wieder ausgraben", brachte
Dominik Klein eine zum Teil kuriose
Partie auf den Punkt. Die Balinger starteten furios ins Geschehen,
ließen mit ihrer aggressiven Deckung erst in der fünften Minute
den ersten Kieler Treffer zu und nutzten selbst ihre Chancen gegen
eine THW-Defensive, die eine längere Aufwärmphase brauchte, um ins
Spiel zu finden. So liefen die Gastgeber stets einer HBW-Führung
hinterher, die bis zur 17. Minute gar auf vier Tore angewachsen
war (8:12).
THW-Trainer Alfred Gislason hatte schon
früh mit einer Auszeit und dem Durchwechseln seines Personals versucht,
den HBW-Drang einzudämmen. Das schien ab Mitte der ersten Hälfte auch
zu greifen. Rene Toft Hansen,
Marko Vujin und
Momir Ilic warfen Kiel auf 11:12 heran.
Doch Gäste-Trainer Rolf Brack reagierte sofort, brachte ab der
19. Minute den siebten Feldspieler und eröffnete damit ein munteres
Spielchen. THW-Torwart Thierry Omeyer war
der Erste, der sich daran versuchen durfte, auf das leere Tor zu werfen.
Aber sein Fernwurf ging knapp daneben. Daniel Narcisse
machte es kurz darauf besser und traf aus der Distanz zum 15:15. Den HBW
störte das wenig. Er zog diese Taktik-Variante ungewöhnlich beharrlich
bis zur 40. Minute durch und provozierte damit etliche THW-Fehlversuche
Anfang der zweiten Hälfte. Omeyer schaffte
zwar kurz nach Wiederanpfiff den Ausgleichstreffer zum 17:17 vom eigenen
Kreis, Aron Palmarsson indes wollte dieses
Kunststück nicht gelingen. Stattdessen durfte sich Benjamin Herth als
HBW-"Spontankeeper" zwei Paraden gut schreiben. "In der B-Jugend habe
ich mal im Tor gespielt, das habe ich nicht ganz verlernt", schmunzelte
Herth.
In der 40. Minute setzte Palmarsson diesem
Treiben aber mit einem kraftvollen Rückraumtreffer ein Ende. "Wir waren
schon genervt von unseren Fehlern. Danach haben wir aber sehr gut
gestanden", so der Isländer. Sein Tor zum 21:20 war erst die zweite
Kieler Führung im Spielverlauf, aber das Signal zu einer überzeugenden
Schlussoffensive des Heimteams.
Balingen scheiterte fortan am Kieler Abwehrbollwerk und brachte nur noch
zwei Treffer aus dem Spiel heraus im Tor unter. Der THW schoss sich
dagegen allen Ärger von der Seele. "In der zweiten Hälfte waren wir
hoffnungslos unterlegen. Es ist eine besondere Stärke des Kieler Teams,
dass es im Spielverlauf lernen und sich umstellen kann", sagte HBW-Coach
Brack, der sich beim THW entschuldigte: "Alfred
ist wirklich der Trainer, den ich nicht ärgern möchte."
Gislason nahm es mit Humor: "Danke, Rolf,
für die Qual! Wir wussten, dass es so kommen würde, haben uns aber
zunächst nicht auf den siebten Feldspieler einstellen können. Ein Lob
an meine Mannschaft. Ab der 40. Minute hat sie den Gegner im Griff gehabt
und verdient gewonnen, wenn auch etwas zu hoch. Das war ein ganz wichtiger Sieg."
(von Rolf Abratis und Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 02.05.2013)