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10.03.2008 Mannschaft / Medien

"Handball-World": Kiel und Gummersbach: "Es läuft nicht alles rund, aber es läuft"

Von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com:

Uwe Schwenker und Noka Serdarusic  freuen sich auf das das "Endspiel" gegen Leon.
Uwe Schwenker und Noka Serdarusic freuen sich auf das das "Endspiel" gegen Leon.

"Ach, ist mir lieber so. Dann ist wenigstens Drive in der Geschichte. Für Spannung ist gesorgt. Und das macht mehr Spaß." Als ob Uwe Schwenker, Geschäftsführer des THW Kiel, nicht schon genug Adrenalin ausgeschüttet haben dürfte während des schwer erkämpften 31:28-Sieges des Triple-Gewinners gegen Gummersbach, gewann er dem Endspielcharakter des letzten Gruppenspiels in der Champions League gegen Ademar Leon noch etwas Positives ab. Die Spanier hatten mit dem hauchdünnen 28:27 gegen Moskau ein Finale um den Einzug ins Halbfinale erzwungen. Ein Remis hätte der Partie am Donnerstag den "Drive" indes genommen - der THW wäre vorzeitig qualifiziert gewesen, was der Entspannung als auch der Schonung von Knochen und Nerven gut getan hätte. Schwenker indes vertraut seinem Team gegen Leon. Das 24:28 aus dem Hinspiel habe die Mannschaft schließlich auch noch nicht vergessen.
Nun also kommt es zum nächsten Knüller in der Sparkassen-Arena. Ein Punkt reicht Kiel gegen die rustikale Truppe aus Leon - aber auf Unentschieden kann man bekanntlich im Handball nicht spielen. Dabei hätte Gummersbach um den bärenstarken und cleveren Kreisläufer Robert Gunnarson (8) beinahe einen Punkt mitgenommen aus Kiel. Nuancen gaben am Ende einmal mehr den Ausschlag zu Gunsten des Tabellenführers, der eine Pause durchaus brauchen könnte - auch wenn sich der Manager auf weiteren Nervenkitzel freut und ein Happy End am Donnerstag erwartet. Nervenkitzel erwartet unterdessen auch Gummersbach, ein Unentschieden im abschließenden Spiel bei Ciudad Real benötigen die Gummersbacher einen Sieg mit zwei Toren Unterschied, um ebenfalls den Halbfinaleinzug in der Champions League zu schaffen.

Dem Kieler Publikum, das jüngst viel Gespür bewies, indem es den kriselnden und verunsicherten Christian Zeitz lautstark und herzlich aufbaute, als der Linkshänder gegen Ivry und Gummersbach ins Spiel kam, sei ein weiteres Highlight gegönnt. Aber: Ein Happy End ist nicht selbstverständlich. Auch wenn der THW Favorit ist. Das Deckungsspiel - zumindest das vor der Pause in den letzten beiden Partien - müssen Meistercoach Noka Serdarusic ein paar Sorgen bereitet haben. In den beiden zweiten Hälften stand Kiels Defensive jeweils besser. Dass der Akku seiner Mannschaft dringend aufgeladen werden müsste, ist offenkundig. Und das nicht zuletzt, weil Serdarusic weniger wechselt, als er es womöglich selbst einmal geplant hat. Doch es zeichnet sich immer mehr ab, dass es die arrivierten Spieler und weniger die Neuzugänge sind, die beim Unterfangen, so viele Titel wie möglich zu verteidigen, wieder in der Verantwortung stehen. Und des Trainers Vertrauen genießen: Börge Lund und Igor Anic sind derzeit kaum oder gar nicht in der Verlosung. Vor allem beim zuvor in Nordhorn geschickt und filigran Regie führenden Norweger Lund überrascht dies. Anders als Anic hatte er schließlich nicht den Auszubildenden-Status, als er nach Kiel kam.

Filip Jicha erzielte drei wichtige Treffer gegegn Gummersbach.
Klicken Sie zum Vergrößern! Filip Jicha erzielte drei wichtige Treffer gegegn Gummersbach.
Und selbst beim Top-Einkauf Filip Jicha hakt es noch. Abzüglich seiner langen Verletzungspause und der anschließend durchaus nachvollziehbaren Anlaufschwierigkeiten ist augenscheinlich, dass der tschechische Shooter in der Defensive zwar bereits wichtig ist für den THW, im Angriff aber noch viel zu oft vergisst, Wucht und Kraft mit Verstand und Auge zu kombinieren. Mitunter eckig wirkt der zweifellos hochtalentierte Ex-Torjäger aus Lemgo. Neben Dominik Klein, Henrik Lundström und Vid Kavticnik ließ er gegen den VfL Gummersbach und dessen starkes Torhüterduo Stojanovic/Fazekas viele gute Chancen aus. Immerhin gelangen ihm auch drei wichtige Distanz-Treffer.

Zuletzt ließ der THW vor dem gegnerischen Tor auffällig viele Möglichkeiten aus. Nicht nur beim Siebenmeter. Sind die Profis einfach mental ausgelaugt, zollen sie dem überquellenden Terminkalender Tribut? "Nicht bei allen Spielern, bei denen es momentan mit der Chancenauswertung hapert, ist der Grund, dass sie überspielt sind oder ihr Akku leer. Man kann bei mehr Konzentration und Wurfdisziplin trotzdem eine bessere Quote schaffen", bemängelt Serdarusic, "aber bei Filip Jicha liegt das momentane Problem noch einmal woanders: Der Junge setzt sich viel zu sehr unter Druck, er verkrampft dadurch". Mit aller Gewalt, so der Meistercoach zu handball-world.com, wolle der junge Rückraum-Shooter beweisen, dass er die erhoffte Verstärkung darstellt.

In der Tat hat man den Eindruck, Jicha wolle mit seinen Kräfte zehrenden Anläufen aufs gegnerische Tor, denen oft nicht mehr der erhofft explosive Sprungwurf folgt, dokumentieren, dass er jeden Cent seines Transfers wert ist. Doch er setzt zu oft zu sehr auf Brachiales und zu selten auf Dezentes - obwohl er schon bewiesen hat, dass er mehr als nur eine reine Wurfmaschine ist, sondern durchaus auch ein Auge für Mitspieler und Situation hat. Hätte. Trotz allem ist er ohne Zweifel der Typ Spieler, dem Serdarusic Zeit gibt und den er aufbaut. Das muss er auch, denn sein Topscorer Nikola Karabatic spielt am - physischen - Limit. Unnachahmlich, unwiderstehlich, mit schier endloser Kraft wirft der Franzose den THW vor allem in den hart umkämpften Spielen von Sieg zu Sieg - ohne Verschnaufpause in der Abwehr. Gegen Gummersbach musste er einmal mehr auf die Zähne beißen. Probleme mit dem Fuß... Andere würden vermutlich mal pausieren oder vorsichtig abwägen, ob - oder ob nicht. Nicht Nikola Karabatic. Er spielt. Und wirft zwölf Tore.

Unnachahmlich, unwiderstehlich: Nikola Karabatic
Klicken Sie zum Vergrößern! Unnachahmlich, unwiderstehlich: Nikola Karabatic
Aber natürlich mischen sich auch bei ihm Fehlaktionen sowie hin und wieder falsche Entscheidungen in bestimmten Spielsituationen mit seinen zahllosen überragenden Momenten. Der weltbeste Halblinke ist nicht unfehlbar. Und man meint, dass auch er seine Belastungsgrenze irgendwann einmal überschritten haben müsste. Aber da ist ja auch noch sein Wille. Und um ihn herum ein Team, das zuletzt auch die weniger guten und souveränen Spiele gewann. Kim Andersson beispielsweise hat zuletzt wieder Fahrt aufgenommen.

Sicher: Überzeugt hat der THW 2007/2008 nicht immer. In Kiel ist man erfolgsverwöhnt. Und anspruchsvoll. Gut möglich, dass die Stimmung auch deshalb zuletzt nicht immer bis zum Anschlag gut oder gelöst war. Da wird auch das unmittelbare Umfeld schon mal sensibler und die Atmosphäre in der Handball-Hauptstadt angespannter. (Endlich) mal wieder mit Laune habe das dauerbeanspruchte Team gegen Ivry gespielt, betonte deshalb Uwe Schwenker neulich live im Fernsehen, während die Fangemeinde darüber im Internet diskutierte. Man habe den Spielern angemerkt, dass sie endlich mal wieder Lust auf Handball hatten. Das bedeutet im Umkehrschluss: So richtig Spaß hatte der THW jüngst weder mit sich noch mit den (inflationär vielen) Spielen. Es knirschte etwas im Gebälk. Indes: Solange der Serienmeister seine Spiele auch unter diesen Umständen gewinnt, ist der Primus im Plan. Anders ausgedrückt: Es läuft nicht alles rund, aber es läuft. Am Sonntag war die Atmosphäre aufgeräumter - bei allen Beteiligten. Im und rund ums Team. Für ein paar Momente konnte man durchatmen.

Die Kieler werden zudem einen Trend registriert haben, der nicht erst seit der EM zu beobachten ist, aber durch diese noch länger anhält - und der sie beruhigen dürfte: Esprit und Schwung, vor allem aber Konstanz fehlen derzeit nicht selten auch den anderen Topteams wie Flensburg oder Hamburg. Und: Die internationale Konkurrenz wie Ciudad Real und der Vorjahrs-Halbfinalgegner Portland San Antonio, ist gemessen an Potential und Eigenanspruch bislang auch nur selten überzeugend aufgetreten.

Erfrischend indes war - über weite Strecken - der Auftritt des VfL Gummersbach mit seinen beiden Ex-Kielern Roman Pungartnik (4) und Adrian Wagner. Neben Robert Gunnarsson trumpfte vor allem Kenneth Klev (5) im Rückraum groß auf. Auch Denis Zakharov (3) gefiel bei seinem ersten, über die Jokerrolle hinausgehenden Einsatz. Der Ex-Rekordmeister deutete sein Potential mehr als nur an und scheint jetzt, nachdem die Verletztenmisere abgeklungen und der Weggang von Daniel Narcisse verdaut ist, stabiler zu sein als noch im ersten Saisondrittel. Die guten Auftritte in der Champions League überraschen jedenfalls nicht mehr, wenn der VfL derart inspiriert und unberechenbar zu Werke geht wie in Kiel - und das, obwohl in Geoffrey Krantz und Gudjon Valur Sigurdsson zwei Leistungsträger nur wenige Spielanteile bekamen und auch der im Hinspiel überragende Momir Ilic sowie Alexis Alvanos nicht im Mittelpunkt standen.

Es scheint zunehmend zu passen im Spiel des VfL, der in dieser Form durchaus eine Außenseiterchance hat, gegen Ciudad Real die Sensation zu schaffen und das Halbfinale zu erreichen. Das käme dem THW gerade recht, wie ein gelöster Noka Serdarusic seinem Kumpel und Gummersbacher Coach Alfred Gislason auf der Pressekonferenz zu verstehen gab. Kiels Trainer hatte sich die Aufgabe am Sonntag, wie er zugab, etwas leichter vorgestellt, ohne allerdings den VfL zu unterschätzen. Sollte man bei Ciudad Real die Partie vom Sonntag per DVD-Aufzeichnung studieren, wird auch das Starensemble aus Spanien zumindest vorgewarnt sein. "Drive" jedenfalls - da kann Uwe Schwenker sicher sein - ist gewiss in allen deutsch-spanischen Duellen, die am letzten Gruppenspieltag der Königsklasse anstehen.

(von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com)


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