10.03.2008 | Mannschaft / Medien |
Uwe Schwenker und Noka Serdarusic freuen sich auf das das "Endspiel" gegen Leon. |
Dem Kieler Publikum, das jüngst viel Gespür bewies, indem es den kriselnden und verunsicherten Christian Zeitz lautstark und herzlich aufbaute, als der Linkshänder gegen Ivry und Gummersbach ins Spiel kam, sei ein weiteres Highlight gegönnt. Aber: Ein Happy End ist nicht selbstverständlich. Auch wenn der THW Favorit ist. Das Deckungsspiel - zumindest das vor der Pause in den letzten beiden Partien - müssen Meistercoach Noka Serdarusic ein paar Sorgen bereitet haben. In den beiden zweiten Hälften stand Kiels Defensive jeweils besser. Dass der Akku seiner Mannschaft dringend aufgeladen werden müsste, ist offenkundig. Und das nicht zuletzt, weil Serdarusic weniger wechselt, als er es womöglich selbst einmal geplant hat. Doch es zeichnet sich immer mehr ab, dass es die arrivierten Spieler und weniger die Neuzugänge sind, die beim Unterfangen, so viele Titel wie möglich zu verteidigen, wieder in der Verantwortung stehen. Und des Trainers Vertrauen genießen: Börge Lund und Igor Anic sind derzeit kaum oder gar nicht in der Verlosung. Vor allem beim zuvor in Nordhorn geschickt und filigran Regie führenden Norweger Lund überrascht dies. Anders als Anic hatte er schließlich nicht den Auszubildenden-Status, als er nach Kiel kam.
Filip Jicha erzielte drei wichtige Treffer gegegn Gummersbach. |
Zuletzt ließ der THW vor dem gegnerischen Tor auffällig viele Möglichkeiten aus. Nicht nur beim Siebenmeter. Sind die Profis einfach mental ausgelaugt, zollen sie dem überquellenden Terminkalender Tribut? "Nicht bei allen Spielern, bei denen es momentan mit der Chancenauswertung hapert, ist der Grund, dass sie überspielt sind oder ihr Akku leer. Man kann bei mehr Konzentration und Wurfdisziplin trotzdem eine bessere Quote schaffen", bemängelt Serdarusic, "aber bei Filip Jicha liegt das momentane Problem noch einmal woanders: Der Junge setzt sich viel zu sehr unter Druck, er verkrampft dadurch". Mit aller Gewalt, so der Meistercoach zu handball-world.com, wolle der junge Rückraum-Shooter beweisen, dass er die erhoffte Verstärkung darstellt.
In der Tat hat man den Eindruck, Jicha wolle mit seinen Kräfte zehrenden Anläufen aufs gegnerische Tor, denen oft nicht mehr der erhofft explosive Sprungwurf folgt, dokumentieren, dass er jeden Cent seines Transfers wert ist. Doch er setzt zu oft zu sehr auf Brachiales und zu selten auf Dezentes - obwohl er schon bewiesen hat, dass er mehr als nur eine reine Wurfmaschine ist, sondern durchaus auch ein Auge für Mitspieler und Situation hat. Hätte. Trotz allem ist er ohne Zweifel der Typ Spieler, dem Serdarusic Zeit gibt und den er aufbaut. Das muss er auch, denn sein Topscorer Nikola Karabatic spielt am - physischen - Limit. Unnachahmlich, unwiderstehlich, mit schier endloser Kraft wirft der Franzose den THW vor allem in den hart umkämpften Spielen von Sieg zu Sieg - ohne Verschnaufpause in der Abwehr. Gegen Gummersbach musste er einmal mehr auf die Zähne beißen. Probleme mit dem Fuß... Andere würden vermutlich mal pausieren oder vorsichtig abwägen, ob - oder ob nicht. Nicht Nikola Karabatic. Er spielt. Und wirft zwölf Tore.
Unnachahmlich, unwiderstehlich: Nikola Karabatic |
Sicher: Überzeugt hat der THW 2007/2008 nicht immer. In Kiel ist man erfolgsverwöhnt. Und anspruchsvoll. Gut möglich, dass die Stimmung auch deshalb zuletzt nicht immer bis zum Anschlag gut oder gelöst war. Da wird auch das unmittelbare Umfeld schon mal sensibler und die Atmosphäre in der Handball-Hauptstadt angespannter. (Endlich) mal wieder mit Laune habe das dauerbeanspruchte Team gegen Ivry gespielt, betonte deshalb Uwe Schwenker neulich live im Fernsehen, während die Fangemeinde darüber im Internet diskutierte. Man habe den Spielern angemerkt, dass sie endlich mal wieder Lust auf Handball hatten. Das bedeutet im Umkehrschluss: So richtig Spaß hatte der THW jüngst weder mit sich noch mit den (inflationär vielen) Spielen. Es knirschte etwas im Gebälk. Indes: Solange der Serienmeister seine Spiele auch unter diesen Umständen gewinnt, ist der Primus im Plan. Anders ausgedrückt: Es läuft nicht alles rund, aber es läuft. Am Sonntag war die Atmosphäre aufgeräumter - bei allen Beteiligten. Im und rund ums Team. Für ein paar Momente konnte man durchatmen.
Die Kieler werden zudem einen Trend registriert haben, der nicht erst seit der EM zu beobachten ist, aber durch diese noch länger anhält - und der sie beruhigen dürfte: Esprit und Schwung, vor allem aber Konstanz fehlen derzeit nicht selten auch den anderen Topteams wie Flensburg oder Hamburg. Und: Die internationale Konkurrenz wie Ciudad Real und der Vorjahrs-Halbfinalgegner Portland San Antonio, ist gemessen an Potential und Eigenanspruch bislang auch nur selten überzeugend aufgetreten.
Erfrischend indes war - über weite Strecken - der Auftritt des VfL Gummersbach mit seinen beiden Ex-Kielern Roman Pungartnik (4) und Adrian Wagner. Neben Robert Gunnarsson trumpfte vor allem Kenneth Klev (5) im Rückraum groß auf. Auch Denis Zakharov (3) gefiel bei seinem ersten, über die Jokerrolle hinausgehenden Einsatz. Der Ex-Rekordmeister deutete sein Potential mehr als nur an und scheint jetzt, nachdem die Verletztenmisere abgeklungen und der Weggang von Daniel Narcisse verdaut ist, stabiler zu sein als noch im ersten Saisondrittel. Die guten Auftritte in der Champions League überraschen jedenfalls nicht mehr, wenn der VfL derart inspiriert und unberechenbar zu Werke geht wie in Kiel - und das, obwohl in Geoffrey Krantz und Gudjon Valur Sigurdsson zwei Leistungsträger nur wenige Spielanteile bekamen und auch der im Hinspiel überragende Momir Ilic sowie Alexis Alvanos nicht im Mittelpunkt standen.
Es scheint zunehmend zu passen im Spiel des VfL, der in dieser Form durchaus eine Außenseiterchance hat, gegen Ciudad Real die Sensation zu schaffen und das Halbfinale zu erreichen. Das käme dem THW gerade recht, wie ein gelöster Noka Serdarusic seinem Kumpel und Gummersbacher Coach Alfred Gislason auf der Pressekonferenz zu verstehen gab. Kiels Trainer hatte sich die Aufgabe am Sonntag, wie er zugab, etwas leichter vorgestellt, ohne allerdings den VfL zu unterschätzen. Sollte man bei Ciudad Real die Partie vom Sonntag per DVD-Aufzeichnung studieren, wird auch das Starensemble aus Spanien zumindest vorgewarnt sein. "Drive" jedenfalls - da kann Uwe Schwenker sicher sein - ist gewiss in allen deutsch-spanischen Duellen, die am letzten Gruppenspieltag der Königsklasse anstehen.
(von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com)
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