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17.06.2009 Bundesliga

Zebra-Journal: Stefan Lövgren - Der "alte Schwede" sagt Tschüs

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 12.06.2009:

Stefan Lövgren.
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Ein Sonnabend in Kiel. Ein Empfang im Rathaus. Der THW Kiel wird geehrt. Mal wieder. Es gilt, sich schick zu machen. Wie, das entscheidet bei den "Zebras" ein Spieler: Stefan Lövgren. Der 38-Jährige übernimmt nicht nur auf dem Feld Verantwortung, "Löwe", wie ihn die Kollegen nennen, ist auch jenseits der Halle der Kopf der Mannschaft.
"Es ist sehr hilfreich, in seinem neuen Klub eine intakte Hierarchie vorzufinden", sagte Viktor Szilagyi einst, als er im Sommer 2005 vom Europapokalsieger TuSEM Essen an die Förde wechselte. "Kiel hat eine und Lövgren ist der Chef." Traditionell legt der Schwede im Trainingslager im friesischen Varel/Oben-strohe die Posten innerhalb der Mannschaft fest. Wer besorgt die Brötchen bei Auswärtsfahrten, wer kocht den Kaffee, wer denkt an den Fußball, wenn zur Entspannung gekickt wird? Jobs, die "Löwe", selbst jahrelang für Strafgelder und die Mannschaftskasse zuständig, verteilt. Der zweifache Familienvater ist auch zur Stelle, wenn die Neuen ihre Maßanzüge anprobieren sollen. Ärger mit dem Telefonanschluss? Lövgren fragen.

Er gibt beim Aufwärmprogramm die Übungen vor und bildet nach dem Abpfiff den Grundstein für den Kreis, mit dem die THW-Spieler traditionell ein Spiel beschließen. Wenn er bei Heimspielen als Erster einläuft, wissen auch die Fans anhand seiner Körpersprache, was die Stunde geschlagen hat. Ballt der Mann mit der Rückennummer "10" die Fäuste, wissen sie, dass die Mannschaft an diesem Tag auf ihre Hilfe angewiesen ist. "Mir macht diese Rolle Spaß", sagt der Göteborger, der im Sommer 1999 vom insolventen Bundesligisten TV Niederwürzbach nach Kiel wechselte. "Ich war immer ein Typ, der sich gerne um andere gekümmert hat." An seinem 37. Geburtstag hielt er in der Integrierten Gesamtschule Hassee einen Vortrag zum Projekt "Schule gegen Gewalt", dessen Schirmherr er war.

Nach dem Rücktritt des großen Per Carlen bestimmte ihn Trainer-Legende Bengt Johansson zum neuen Kapitän der schwedischen Nationalmannschaft. Zu einer Zeit, als es bei den "Ire Kronor" üblich war, den Spielführer zu wählen. Zu einer Zeit, als die Helden der "Blau-Gelben" klangvolle Namen wie Ola Lindgren, Peter Gentzel, "Max" Wislander oder Staffan Olsson waren. Doch "Benga" hatte längst erkannt, welche Ausnahme-Persönlichkeit der geniale Rechtshänder bereits als 25-Jähriger war.

Dabei begann seine eindrucksvolle Karriere mit Umwegen. Als 13-Jähriger versuchte sich Lövgren als Torwart, zwei Jahre später als Linksaußen. Erst mit 18 fand er bei dem Dorfklub Skepplanda BTK im linken Rückraum seine Position. "Ich war ein Spätstarter", sagt Lövgren, der mit seiner Frau Ann-Sophie Claesson und den Kindern Thea und Linus bis zu seinem Abschied vom THW in Melsdorf wohnte, heute über sich. Der 268-fache Nationalspieler, der in einer Jugend nie in einer Auswahlmannschaft gespielt hat, wurde erst als 19-Jähriger von dem Göteborger Spitzenklub Redbergslids entdeckt. Lövgren, der sein Geld damals noch als Angestellter mit dem Verkauf von Fax- und Kopiergeräten verdiente, spielte neun Jahre für Redbergslids, wurde fünfmal Meister und auch dort der Kapitän.

Im Sommer 1998 wechselte Lövgren zum TV Niederwürzbach, nachdem er zwei Jahre zuvor ein Angebot der SG Flensburg-Handewitt ausgeschlagen hatte. Er hatte sich bereits mit Trainer Anders Dahl-Nielsen und Vereinsboss Manfred Werner getroffen, sagte dennoch ab. "Ich fühlte mich damals noch nicht reif genug für einen Auslandswechsel." Als die Saarländer, bei denen Lövgren einen Drei-Jahres-Vertrag unterschrieben hatte, in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren, zögerte Lövgren nicht, im Sommer 1999 das Angebot des THW Kiel anzunehmen. "Löwe" hatte kurz zuvor seine Schweden als bester Torschütze der Weltmeisterschaft in Ägypten zur Goldmedaille geführt, bei der Wahl zum Welthandballer war er hinter Daniel Stephan (TBV Lemgo) auf Platz zwei gelandet. Lövgren war auf der Königsposition im halblinken Rückraum auf der Höhe seines Könnens. Ein Spieler, der mit unbändigem Siegeswillen auch die eigene Gesundheit riskierte. So ließ er sich im EM-Finale 2000 trotz einer Wadenzerrung aufstellen und bezahlte die Goldmedaille mit einer zweimonatigen Verletzungspause.

In Kiel verwandelte sich Lövgren unter Trainer Noka Serdarusic nicht nur zu einem der besten Mittelmänner der Welt. Der 1,92 Meter große und 99 Kilogramm schwere Modellathlet lernte auch, die Signale seines Körpers zu verstehen. So trat er im Sommer 2006 aus dem Nationalteam zurück. Die WM Deutschland 2007 hätte der Schlusspunkt einer erfolgreichen Karriere werden sollen, doch die Schweden verpassten in den Playoffs gegen Island die Qualifikation. Nach 268 Länderspielen hörte er nahezu unbemerkt auf. Abschiedsspiele für Handballhelden sind in seiner Heimat unüblich.

Vor der EM 2008 in Norwegen wollte Trainer Ingemar Linnell ihn angesichts der Jugend seiner Auswahl noch einmal zum Comeback überreden. Doch Lövgren reiste lediglich als Co-Kommentator für das schwedische Fernsehen nach Trondheim. "Hätte sich jemand verletzt, hätte ich es mir vielleicht überlegt", sagte Lövgren, der 1993 erstmals für sein Land gespielt hat. "Aber wahrscheinlich hätte ich trotzdem abgesagt. " Der Gesundheit wegen.

Und die spielte nach dem Abschied aus der Nationalmannschaft tatsächlich mit. Einzige Ausnahme blieb der Sehnenabriss im Adduktorenbereich, der ihm die Teilnahme im gewonnenen Champions-League-Finale gegen die SG Flensburg-Handewitt im Mai 2007 kostete. Seine Klasse stellte Lövgren auch in der Saison 2007/2008 eindrucksvoll unter Beweis, als er angesichts der großen Verletzungsprobleme zum Dauerläufer wurde. Aus dem Torjäger von einst war längst ein Stratege geworden. Auch Trainer Noka Serdarusic, der mit Lob nur sehr sparsam umging, griff für ihn zu Superlativen. Mit Wislander, als THW-Kapitän Vorgänger von Lövgren, hätte die Kommunikation auf dem Feld zwar noch besser geklappt. Da hätte oft nur eine kleine Geste genügt. "Aber Max war kein guter Kapitän. Stefan ist der beste, den ich jemals erlebt habe. Er ist menschlich unantastbar."

Auch, weil er stets zwischen dem kantigen Serdarusic und den sensibleren Seelen im Kader vermittelte. Loyal zu seinem Trainer äußerte sich Lövgren in der Öffentlichkeit nie kritisch über ihn. Auch nicht, als der gebürtige Kroate ihn im Final-Rückspiel der Champions League im Mai 2008 gegen Ciudad Real auf der Bank schmoren ließ, als die "Zebras" kopflos in eine der bittersten Niederlagen der Vereinsgeschichte stürmten. Als die "Zebras" im Mai 2007 zum ersten Mal die Champions League gewannen, schleppte er den von den Feierlichkeiten stark ramponierten Pokal durch eine ausgelassen feiernde Stadt, um ihn in einem italienischen Restaurant demonstrativ vor Serdarusic auf den Tisch zu knallen. Er wusste, wer an diesem so lang ersehnten Erfolg den größten Anteil hatte - der Trainer.

Nach zehn Jahren Kiel wird Lövgren nun endgültig in seine Heimat zurückkehren. Er wollte im Sommer 2008 gehen, doch ein letztes Mal ließ er sich umstimmen - für den THW. "Ich habe gemerkt, dass ich noch mithalten kann", sagte Lövgren. Das Haus in Göteborg gebaut, zwei Jobangebote in der Tasche, entschied er sich trotzdem zum Bleiben. Zur Erleichterung seiner Kollegen. "Er ist ein Vorbild für uns alle", meinte Weltstar Nikola Karabatic damals, "einer, der beim Training die gute Laune in die Halle bringt." Lövgren würde durch seine Art aus den THW-Spielern erst eine Mannschaft machen.

Für die Kieler sollte sich diese Vertragsverlängerung als Glücksgriff herausstellen. Nach dem spektakulären Trainer-Wechsel erwies sich "Löwe" nicht nur als absolut verlässliche Größe, die Alfred Gislason dabei half, aus dem langen Schatten von Serdarusic herauszutreten. Lövgren blieb sich auch in den turbulenten Tagen an der Förde treu. Einen Platz im Aufsichtsrat des THW Kiel lehnte er ab, eine Vertragsverlängerung als Spieler auch. Er hatte seiner Familie ein Versprechen gegeben und an seiner Standhaftigkeit ließ er keinen Zweifel. Künftig wird er sich am John-Bauer-Gymnasium in Uddevalla als Lehrer um das Schwerpunktfach "Handball" kümmern. Mit dem ehemaligen THW-Rechtsaußen Martin Schmidt gründete er zudem eine Spielerberater-Agentur, Lövgren wird sich dabei um den schwedischen Markt kümmern.

Siebenmal war Lövgren mit den "Zebras" Meister, viermal gewann er den DHB-Pokal. Unvergesslich wird er in seiner Wahlheimat Melsdorf aber nicht nur wegen seiner Erfolge bleiben. Seit einigen Jahren trainiert er beim TSV die "Minis" und gab mit ihnen im Dezember 2005 sein Debüt als Trainer. 4:14 verloren seine Schützlinge. "Da war alles dabei", erinnerte sich Lövgren. "Da flössen die Tränen weil sie verworfen, oder ins eigene Tor getroffen hatten."

Seine Mannschaften stellt er bewusst so zusammen, dass nicht nur die Besten gemeinsam zum Einsatz kommen. "Sie sollen auch das Verlieren lernen." Einer wie er weiß, dass Karrieren sich nach Niederlagen entscheiden. Gut wird nur der, der auch wieder aufsteht. Am 8. August wird Lövgren allerdings eine Erfahrung machen, die auch ihm neu sein wird: Dann, wenn sich bei seinem Abschiedsspiel eine ganze Stadt bei einem außergewöhnlichen Sportler bedanken wird.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 12.06.2009)


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