04.02.2013 | Schiedsrichter |
Die Magdeburger Robert Schulze (rechts) und Tobias Tönnies kennen sich aus der Grundschule, spielten bereits als Kinder im Rückraum der gleichen Handballmannschaft. |
Sie kennen sich seit der Grundschule, spielten für den TuS 1860 Magdeburg-Neustadt und später für ihren heutigen Heimatverein, den BSV 93 Magdeburg. Trainiert wurden sie von Andrea Schulze, deren Assistent Holger Tönnies war. Tobias war im linken Rückraum zu Hause ("die Königsposition"), Robert ein Mittelmann, der aufgrund seiner harten Spielweise den Abpfiff oft auf der Strafbank erlebte. "Er kam in manchen Situationen einen Schritt zu spät", sagt der 1,93 Meter große Tobias Tönnies über den zehn Zentimeter kleiner gewachsenen Partner und lacht. Sie sind gute Freunde, denen schnell klar wurde, dass ihnen als Handballer der große Durchbruch verwehrt bleiben würde.
Schulze pfiff als 15-Jähriger seine ersten Spiele und als ihm, ein Jahr später, ein Partner fehlte, um die Oberliga-Partie zwischen dem HSV Haldensleben und Union Halle-Neustadt (weibliche B-Jugend) zu leiten, dachte er sofort an seinen Freund. "Ich hatte dazu gar keine Lust", erinnert sich Tönnies. "Aber Robert hat mich so lange bearbeitet, bis ich zugesagt habe. Für dieses eine Mal." Tönnies, der als Immobilienkaufmann für eine Wohnungsgenossenschaft in Magdeburg arbeitet, wird dieses Spiel nie vergessen. Bei einem Foul im Gegenstoß entschied er sich, die Rote Karte zu zeigen. "Ich habe zu Robert geschaut, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte. Aber er wusste es auch nicht."
Anschließend starteten die beiden durch und leiteten am 17. Oktober 2012 mit dem Spiel zwischen Gorenje Velenje und BSV Bjerringbro-Silkeborg ihre erste Partie in der Champions League. "Um diesen Job zu machen, muss man verrückt sein", sagt Schulze, der als selbstständiger Teamcoach arbeitet. "Die Schiedsrichterei hat extreme Einschnitte ins Privatleben zur Folge." Er selbst ist Junggeselle ("Ich suche die Frau, die dieses Leben mitmacht, noch"), Tönnies ist seit zwei Jahren in festen Händen. "Meine Freundin und ich haben in diesem Jahr eine Woche Urlaub gemacht, der Rest ist für den Handball draufgegangen." Knapp 100 Tage sind sie pro Jahr als Schiedsrichter unterwegs. "Ohne einen verständnisvollen Chef und gute Kollegen könnten wir dieses Hobby nicht ausleben", sagt Tönnies. "Ein Vorteil ist, dass Robert und ich so viel Zeit miteinander verbringen können. Er ist mein Mann für's Leben."
Ob sie sich an ein Spiel erinnern, in dem sie mit ihren Entscheidungen völlig danebengelegen hätten? "Nein", sagt Tönnies. "Ein solches Alptraum-Spiel gab es nicht." Aber klar sei auch, dass es ebenso wenig ein Spiel ohne Fehlentscheidungen gegeben hätte. "Das ist unmöglich." Wichtig sei nur, diese mit einem Tag Abstand zu analysieren, sich dabei aber auch ein Augenzwinkern zu bewahren. "Letztlich ist es nur Sport", sagt Schulze, der nicht bestätigen will, dass die Schiedsrichter die Buhmänner des Handballs sind. "Von Spielern werden wir nie beschimpft, und für manche Wutausbrüche der Trainer haben wir sogar Verständnis. Sie verfolgen damit ja auch ein bestimmtes Ziel."
Zudem seien sie manchmal auch berechtigt, weil sie zuvor falsch entschieden hätten. "Dann können wir nicht auch noch den Trainer bestrafen", sagt Schulze. Das Leben auf dem Feld sei zudem nur ein kleiner Ausschnitt ihres Jobs. "Der Zusammenhalt unter den Schiedsrichtern ist großartig, außerdem haben wir tolle Reisen gemacht und viel erlebt."
Mit dem Regelwerk sind sie grundsätzlich zufrieden, die Auslegung des Zeitspiels ("subjektiv") halten sie für diskussionswürdig, einen Videobeweis für überflüssig, weil er das Wesen des Spiels verändern würde. Ein echter Fortschritt sei das Headset, das sie seit zweieinhalb Jahren tragen. "Damit verkaufen wir uns cleverer, weil wir uns besser helfen können", sagt Schulze. "Früher mussten wir immer Blickkontakt aufnehmen, um uns zu beraten."
Als Schiedsrichter haben sie, die als 19-Jährige noch in der Oberliga pfiffen, das geschafft, was ihnen als Handballer nicht gelungen wäre - ein Leben in der Bundesliga. Eines, das mehr als ein Hobby ist. Jedes Spiel in der Männer-Bundesliga wird ihnen mit jeweils 500 Euro entlohnt (2. Liga 300; 1. Liga Frauen 250, 2. Liga 100). "Wir machen es nicht für das Geld", sagt Tönnies. "Aber auch nicht ohne."
Sie hätten noch nie darüber nachgedacht, wie lange sie den "extremen Spagat" (Tönnies) noch aushalten wollen. "Klar ist nur, dass es immer schwerer wird, die Altersgrenze zu erreichen." Bis dahin haben sie, die bereits 305 Spiele für den Deutschen Handball-Bund (DHB) leiteten, noch 21 Jahre Zeit.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013)
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