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04.02.2013

Zebra-Journal: Opa Palsson jagte noch Wale

Alfred Gislason, der Enkel, ist beim THW Kiel zum Titel-Sammler geworden

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013:

Alfred Gislason liebt dunkle Schokolade, verlor als Kneipenbesitzer ein kleines Vermögen und hatte einen Opa, der noch auf die Jagd nach Finnwalen ging. Der Trainer von A bis N - das etwas andere Interview mit dem Trainer des THW Kiel, dessen Frau Kara-Gudrun Melstad bereits 14 Umzüge organisieren musste.
Mit Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel, sprach Wolf Paarmann
  • Andersson: Kim Andersson ist einer der taktisch diszipliniertesten Spieler mit dem ich je gearbeitet habe. Es ist sehr schade, dass er vorzeitig den Verein verlassen hat, aber es gab dazu keine Alternative. Er wollte aus privaten Gründen gehen, da war nichts zu machen. Ich glaube auch nicht, dass es uns helfen würde, wenn wir ihn zurückholen. Er ist ein Familienmensch, wäre dann 500 Kilometer von ihr getrennt - ich kann mir nicht vorstellen, dass er unter diesen Voraussetzungen seine Leistung bringen kann. Ich bin mir zudem sicher, dass sein Nachfolger Marko Vujin noch aufblühen wird. Er hat bislang bei uns noch keine Vorbereitung mitmachen können, was dazu führt, dass er nicht das gleiche körperliche Niveau wie die anderen Spieler hat. Das wird sich in der nächsten Saison ändern.
     
  • Liga: Ich halte es für sinnvoll, die Bundesliga in ihrer derzeitigen Form auf 16 Vereine (aktuell 18, d. Red.) zu verringern. Auch wenn alle Angestellten dann auf einen Teil ihres Gehalts verzichten müssten, weil unsere Sportart in erster Linie von den Ticketerlösen lebt. Das wäre besonders für den THW Kiel bitter, schließlich würde uns zweimal eine ausverkaufte Halle fehlen. Sollte die Liga ihre derzeitige Größe behalten, dann könnte eine Alternative sein, die Saison mit Play-Offs zu beenden. Ich bin ein großer Fan dieses Systems, es würde den Handball attraktiver machen.
     
  • Fehler: Die Arbeit eines Trainers ist eine endlose Fehlerkette, mal sind sie kleiner, mal größer. Es kann ein Fehler sein, einem Spieler zu viel zu vertrauen. Ein anderer, es nicht zu tun. Es ist wichtig, mit Fehlern offen umzugehen. So war es vielleicht einer, vor dem Melsungen-Spiel (das 25:29 verloren wurde, d. Red.) zu viel trainiert zu haben. Aber - hätte ich es nicht gemacht, hätte uns vielleicht die Kraft gefehlt, um eine Woche später in Wetzlar zu gewinnen. Ich glaube, dass ich in meiner Karriere gut mit Fehlern umgegangen bin. Autorität lässt sich nicht dadurch gewinnen, dass man immer abstreitet, Fehler gemacht zu haben. Der größte Fehler meines Lebens? Da fällt mir keiner ein.
     
  • Rotation: Kurzfristig ist es als Trainer vielleicht einfacher, nur mit sieben Leuten zu spielen. Umso mehr Spieler eingesetzt werden, umso mehr Taktiken müssen für die jeweiligen Stärken zugeschnitten werden. Aber mittelfristig gibt es dazu keine Alternative. Wir haben zwar 15 Spieler im Kader, aber eigentlich ist das für diese Belastung zu wenig. Die Kollegen aus dem Ausland fragen mich immer, wie ich mit einem so kleinen Kader durch die Saison kommen will. Und das in der härtesten Liga der Welt. Die Vereine in Madrid, Barcelona oder Veszprem haben eine ganz andere Personaldecke. Ich würde es gut finden, wenn wir, wie im Europapokal, auch in der Liga 16 Spieler einsetzen dürften (bisher 14, d. Red.). Ich würde auch gerne die Nachwuchsspieler noch mehr einbinden, aber das lässt unsere Hallensituation nicht zu. Die ist absolut nicht bundesligatauglich. In Magdeburg haben alle Mannschaften, von der Jugend bis zur Liga, nacheinander in der gleichen Halle trainiert. Die gleichen Taktiken, die gleichen Kraftübungen - da hat die A-Jugend auf der Tribüne gesessen, und wenn uns einer für eine Taktik gefehlt hat, holten wir einen von ihnen. Die Bedingungen waren ideal, davon sind wir in Kiel weit entfernt. Und ich glaube nicht, dass ich es noch erleben werde, dass der THW eine eigene Halle haben wird.
     
  • Ehefrau: Unglaublich, dass Kara es so lange mit mir ausgehalten hat. Sie hat nicht nur mittlerweile 14 Umzüge organisiert, sondern mich auch davor bewahrt, verrückt zu werden. Sie hat zwar nie Handball gespielt, aber mittlerweile mehr Ahnung von diesem Sport als die meisten Co-Trainer in der Bundesliga. Sie hat von 1991 bis 1997 in Island als Lehrerin gearbeitet, eine gute Stelle gehabt und wäre längst Schulleiterin, wenn sie nicht alles hingeschmissen hätte, um mit mir auf Piste zu gehen. Dafür bin ich ihr aber sehr dankbar.
     
  • Demut: Ich glaube, Demut ist das Markenzeichen des THW Kiel, auch wenn ich den Begriff "THW-Gen" nicht mag. Es ist wichtig, nicht sich in den Vordergrund zu stellen, für die Spieler darf nur die Mannschaft wichtig sein. Bei allem Ärger, den eine Saison mit sich bringt, habe ich es zum Glück nicht verlernt, mich über die schönen Dinge in dem Leben als Handballtrainer zu freuen - das ist für mich auch Demut.
     
  • Geld: Das steht für mich nicht im Vordergrund und war noch nie das entscheidende Kriterium, wenn ich überlegt habe, als Trainer oder Spieler zu einem anderen Verein zu wechseln. Darauf verzichten würde ich aber auch nicht, zumal zwei von unseren drei Kinder derzeit studieren. Aber ich kann mich gut an die Zeiten erinnern, in denen es knapp war. So wie Ende der 90er-Jahre. Da habe ich in zwei Jahren mehr Geld mit einer Kneipe in Island verloren, die mir gehörte, als ich als Trainer in Hameln verdient habe.
     
  • Island: Die schönste Heimat, die man haben kann. Die Anziehungskraft wird mit zunehmendem Alter immer größer, das habe ich gerade wieder gespürt, als ich zum Jahreswechsel einige Tage in Island gewesen bin. Im Kreise der Familie, zu der inzwischen auch zwei Enkeltöchter gehören. Es bleibt aber dabei, dass ich in Deutschland bleiben möchte. Optimal wäre es, irgendwann einmal das Jahr so aufteilen zu können, dass ich vier Monate in Island bin und acht in Deutschland.
     
  • Stress: Um den in den Griff zu bekommen, verfolge ich eine bestimmte Routine. Halte ich die nicht ein, kann ich nicht mehr gut schlafen. Ich zwinge mich, sehr diszipliniert zu leben, um nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, etwas nicht geschafft zu haben. So nutze ich alle Busreisen und Aufenthalte auf Flughäfen dazu, mir schon einmal Videos der künftigen Gegner anzusehen. Meine Tage beginnen in der Regel vor sieben Uhr, dann schneide ich Videos, im Schnitt wohl fünf Stunden pro Tag. Manchmal muss ich mich quälen, aber nur so schaffe ich mir die Freiräume, um zweimal in der Woche für zwei Stunden Rad zu fahren. Das brauche ich, um nicht wahnsinnig zu werden. Die härtesten Monate sind der Dezember und der Mai, da merke ich immer erst nach einigen Tagen Pause, wie sehr dieser Job an den Kräften zehrt. Damit, dass ich Trainer des THW bin, hat dieser Stress aber nichts zu tun. Ich würde auch bei jedem anderen Verein so arbeiten. Auf Dauer ist es aber schwer, dieses Programm durchzuhalten.
     
  • Laster: Ich habe nie geraucht, gönne mir aber auch zwei Tage vor einem Spiel gerne ein Gläschen guten Rotwein. Das ist nicht schädlich. Welchen? Den spanischen kenne ich am besten, weil ich dort jahrelang gespielt habe. Aber guten Wein gibt es inzwischen auch in vielen anderen Ländern. Sonst? Ich esse sehr gerne dunkle Schokolade. Und wenn ich im Stress bin, kaue ich öfters auf meinen Fingernägeln herum - was meiner Frau gar nicht gefällt.
     
  • Assistenztrainer: Ich würde mich über Entlastung freuen und die wird es auch geben. Mit Mats Olsson, der auch mit der schwedischen Nationalmannschaft arbeitet, wird uns ein Torwarttrainer helfen. Geplant ist, dass er einmal im Monat nach Kiel kommt, um mit unseren Torhütern, auch denen aus dem Nachwuchs, zu arbeiten. Außerdem wird mich beim Krafttraining Hinrich Brockmann unterstützen, so wie es zwei Jahre lang Ole Viken gemacht hat. Das entlastet mich besonders an den Tagen nach den Spielen. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich mittelfristig einen Co-Trainer haben werde, mit dem ich mir das Videostudium teilen kann. Allerdings - Bedingungen wie bei den Los Angeles Clippers (Basketballteam in der NBA, d. Red.) werde ich nicht mehr erleben. Um meine isländischen Freunde zu ärgern, die alle Fans der Lakers waren, habe ich mir einmal ein Clippers-Trikot aus Amerika schicken lassen. Die hatten damals ein sehr schlechtes Team. Inzwischen haben sie Erfolg, und ich beschäftigte mich ein wenig mit ihnen. Da fiel mir auf, dass der Trainer acht Assistenten hat.
     
  • Schiedsrichter: Es gibt einige Handballer, die früher in der 1. oder 2. Liga gespielt haben und einen Job suchen - Schiedsrichter wäre eine Option für sie, die sogar darin enden könnte, diesen Job zum Beruf machen. Allerdings müssen auch sie derzeit in den untersten Ligen beginnen, was nicht reizvoll ist. Ich wäre dafür, dass sie schneller in den Regionalliga- oder B-Kader aufgenommen werden, damit sie so auch früher in der Bundesliga auftauchen könnten. Sie würden dann das taktische Verständnis mitbringen, was ein Schiedsrichter auf diesem Niveau unbedingt haben sollte.
     
  • Opa: Den einen, Hjörtus Gislason, habe ich leider nicht mehr erlebt. Als er starb, war ich gerade fünf Jahre alt. Er soll ein lustiger Typ gewesen sein, der viele Kinderbücher geschrieben hat. Der andere, Alfred Palsson, war dagegen ein richtiger Opa für mich, ein super Typ. Ich habe ihn oft beim Angeln begleitet und daher kommt wohl auch meine Leidenschaft dafür. Er wohnte direkt neben uns, war Büroleiter einer Fabrik und begeisterter Jäger. Er hat sogar noch Jagd auf Finnwale gemacht. Leider ist er 1989 an Krebs gestorben. Meinen letzten Besuch in der Klinik werde ich nie vergessen. Es war uns beiden klar, dass wir uns nicht wiedersehen werden, weil ich einen Vertrag in Spanien unterschrieben hatte. Ich wollte ihm aber unbedingt "Tschüs" sagen, das war bislang die schwierigste Situation in meinem Leben. Es hat mich sehr beeindruckt, wie er gegen den Krebs gekämpft hat. Ich war sehr stolz auf ihn.
     
  • Nationaltrainer: Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages eine Nationalmannschaft trainieren möchte. Und da ist die interessanteste in der Welt die deutsche. Meine Gegenwart ist allerdings der THW Kiel und das ist die beste Adresse in dieser Sportart, die Arbeit macht mir hier riesigen Spaß. Aber - irgendwann möchte ich diese Endlos-Schleife eines Bundesliga-Trainers durchbrechen, der im Drei-Tages-Rhythmus von Spiel zu Spiel lebt. Ich habe mir eigentlich vorgenommen, als 60-Jähriger nicht mehr in der Bundesliga an der Seitenlinie zu stehen. Aber vielleicht werde ich es auch vermissen. Ohne diesen Stress und den Kontakt zu jungen Leuten würde ich vielleicht schnell ein alter Mann werden. Das will ich auch nicht.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013)


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