Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013:
Alfred Gislason liebt dunkle
Schokolade, verlor als Kneipenbesitzer ein kleines Vermögen und hatte einen Opa, der
noch auf die Jagd nach Finnwalen ging. Der Trainer von A
bis N - das etwas andere Interview mit dem Trainer des THW
Kiel, dessen Frau Kara-Gudrun
Melstad bereits 14 Umzüge organisieren musste.
Mit Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel, sprach Wolf Paarmann
- Andersson:
Kim Andersson ist
einer der taktisch diszipliniertesten Spieler mit dem ich je gearbeitet habe. Es ist sehr schade,
dass er vorzeitig den Verein verlassen hat, aber es gab dazu keine Alternative. Er wollte aus
privaten Gründen gehen, da war
nichts zu machen. Ich glaube
auch nicht, dass es uns helfen
würde, wenn wir ihn zurückholen. Er ist ein Familienmensch,
wäre dann 500 Kilometer von
ihr getrennt - ich kann mir nicht
vorstellen, dass er unter diesen
Voraussetzungen seine Leistung
bringen kann. Ich bin mir zudem sicher, dass sein Nachfolger
Marko Vujin noch aufblühen
wird. Er hat bislang bei uns
noch keine Vorbereitung mitmachen können, was dazu führt,
dass er nicht das gleiche körperliche Niveau wie die anderen
Spieler hat. Das wird sich in der
nächsten Saison ändern.
- Liga: Ich halte es für sinnvoll,
die Bundesliga in ihrer derzeitigen Form auf 16 Vereine (aktuell
18, d. Red.) zu verringern. Auch
wenn alle Angestellten dann auf
einen Teil ihres Gehalts verzichten müssten, weil unsere Sportart in
erster Linie von den Ticketerlösen lebt. Das wäre besonders für den THW Kiel bitter,
schließlich würde uns zweimal
eine ausverkaufte Halle fehlen.
Sollte die Liga ihre derzeitige
Größe behalten, dann könnte eine Alternative sein, die Saison
mit Play-Offs zu beenden. Ich
bin ein großer Fan dieses Systems, es würde den Handball attraktiver machen.
- Fehler: Die Arbeit eines Trainers ist eine endlose Fehlerkette,
mal sind sie kleiner, mal größer.
Es kann ein Fehler sein, einem
Spieler zu viel zu vertrauen. Ein
anderer, es nicht zu tun. Es ist
wichtig, mit Fehlern offen umzugehen. So war es vielleicht einer, vor dem Melsungen-Spiel
(das 25:29 verloren wurde, d.
Red.) zu viel trainiert zu haben.
Aber - hätte ich es nicht gemacht, hätte uns vielleicht die
Kraft gefehlt, um eine Woche
später in Wetzlar zu gewinnen.
Ich glaube, dass ich in meiner
Karriere gut mit Fehlern umgegangen bin. Autorität lässt sich
nicht dadurch gewinnen, dass
man immer abstreitet, Fehler
gemacht zu haben. Der größte
Fehler meines Lebens? Da fällt
mir keiner ein.
- Rotation: Kurzfristig ist es als
Trainer vielleicht einfacher, nur
mit sieben Leuten zu spielen.
Umso mehr Spieler eingesetzt
werden, umso mehr Taktiken
müssen für die jeweiligen Stärken zugeschnitten werden. Aber
mittelfristig gibt es dazu keine
Alternative. Wir haben zwar 15
Spieler im Kader, aber eigentlich ist das für diese Belastung
zu wenig. Die Kollegen aus dem
Ausland fragen mich immer, wie
ich mit einem so kleinen Kader
durch die Saison kommen will.
Und das in der härtesten Liga
der Welt. Die Vereine in Madrid,
Barcelona oder Veszprem haben
eine ganz andere Personaldecke. Ich würde es gut finden,
wenn wir, wie im Europapokal,
auch in der Liga 16 Spieler einsetzen dürften (bisher 14, d.
Red.). Ich würde auch gerne die
Nachwuchsspieler noch mehr
einbinden, aber das lässt unsere
Hallensituation nicht zu. Die ist
absolut nicht bundesligatauglich. In Magdeburg haben alle
Mannschaften, von der Jugend
bis zur Liga, nacheinander in
der gleichen Halle trainiert. Die
gleichen Taktiken, die gleichen
Kraftübungen - da hat die A-Jugend auf der Tribüne gesessen, und wenn uns einer für eine
Taktik gefehlt hat, holten wir einen von ihnen. Die Bedingungen
waren ideal, davon sind wir in
Kiel weit entfernt. Und ich glaube nicht, dass ich es noch erleben werde, dass der THW eine
eigene Halle haben wird.
- Ehefrau: Unglaublich, dass
Kara es so lange mit mir ausgehalten hat. Sie hat nicht nur
mittlerweile 14 Umzüge organisiert, sondern mich auch davor
bewahrt, verrückt zu werden.
Sie hat zwar nie Handball gespielt, aber mittlerweile mehr
Ahnung von diesem Sport als
die meisten Co-Trainer in der
Bundesliga. Sie hat von 1991 bis
1997 in Island als Lehrerin gearbeitet, eine gute Stelle gehabt
und wäre längst Schulleiterin,
wenn sie nicht alles hingeschmissen hätte, um mit mir auf
Piste zu gehen. Dafür bin ich ihr
aber sehr dankbar.
- Demut: Ich glaube, Demut ist
das Markenzeichen des THW
Kiel, auch wenn ich den Begriff
"THW-Gen" nicht mag. Es ist
wichtig, nicht sich in den Vordergrund zu stellen, für die
Spieler darf nur die Mannschaft
wichtig sein. Bei allem Ärger,
den eine Saison mit sich bringt,
habe ich es zum Glück nicht verlernt, mich über die schönen
Dinge in dem Leben als Handballtrainer zu freuen - das ist für
mich auch Demut.
- Geld: Das steht für mich nicht
im Vordergrund und war noch
nie das entscheidende Kriterium, wenn ich überlegt habe, als
Trainer oder Spieler zu einem
anderen Verein zu wechseln.
Darauf verzichten würde ich
aber auch nicht, zumal zwei von
unseren drei Kinder derzeit studieren. Aber ich kann mich gut
an die Zeiten erinnern, in denen
es knapp war. So wie Ende der
90er-Jahre. Da habe ich in zwei
Jahren mehr Geld mit einer
Kneipe in Island verloren, die
mir gehörte, als ich als Trainer
in Hameln verdient habe.
- Island: Die schönste Heimat,
die man haben kann. Die Anziehungskraft wird mit zunehmendem Alter immer größer, das habe ich gerade wieder gespürt, als
ich zum Jahreswechsel einige
Tage in Island gewesen bin. Im
Kreise der Familie, zu der inzwischen auch zwei Enkeltöchter
gehören. Es bleibt aber dabei,
dass ich in Deutschland bleiben
möchte. Optimal wäre es, irgendwann einmal das Jahr so
aufteilen zu können, dass ich
vier Monate in Island bin und
acht in Deutschland.
- Stress: Um den in den Griff zu
bekommen, verfolge ich eine bestimmte Routine. Halte ich die
nicht ein, kann ich nicht mehr
gut schlafen. Ich zwinge mich,
sehr diszipliniert zu leben, um
nicht das Gefühl aufkommen zu
lassen, etwas nicht geschafft zu
haben. So nutze ich alle Busreisen und Aufenthalte auf Flughäfen dazu, mir schon einmal
Videos der künftigen Gegner
anzusehen. Meine Tage beginnen in der Regel vor sieben Uhr,
dann schneide ich Videos, im
Schnitt wohl fünf Stunden pro
Tag. Manchmal muss ich mich
quälen, aber nur so schaffe ich
mir die Freiräume, um zweimal
in der Woche für zwei Stunden
Rad zu fahren. Das brauche ich,
um nicht wahnsinnig zu werden.
Die härtesten Monate sind der
Dezember und der Mai, da merke ich immer erst nach einigen
Tagen Pause, wie sehr dieser Job
an den Kräften zehrt. Damit,
dass ich Trainer des THW bin,
hat dieser Stress aber nichts zu
tun. Ich würde auch bei jedem
anderen Verein so arbeiten. Auf
Dauer ist es aber schwer, dieses
Programm durchzuhalten.
- Laster: Ich habe nie geraucht,
gönne mir aber auch zwei Tage
vor einem Spiel gerne ein Gläschen guten Rotwein. Das ist
nicht schädlich. Welchen? Den
spanischen kenne ich am besten,
weil ich dort jahrelang gespielt
habe. Aber guten Wein gibt es
inzwischen auch in vielen anderen Ländern. Sonst? Ich esse
sehr gerne dunkle Schokolade.
Und wenn ich im Stress bin,
kaue ich öfters auf meinen Fingernägeln herum - was meiner
Frau gar nicht gefällt.
- Assistenztrainer: Ich würde
mich über Entlastung freuen
und die wird es auch geben. Mit
Mats Olsson, der auch mit der
schwedischen Nationalmannschaft arbeitet, wird uns ein
Torwarttrainer helfen. Geplant
ist, dass er einmal im Monat
nach Kiel kommt, um mit unseren Torhütern, auch denen aus
dem Nachwuchs, zu arbeiten.
Außerdem wird mich beim
Krafttraining Hinrich Brockmann unterstützen, so wie es
zwei Jahre lang Ole Viken gemacht hat. Das entlastet mich
besonders an den Tagen nach
den Spielen. Ich kann mir auch
vorstellen, dass ich mittelfristig
einen Co-Trainer haben werde,
mit dem ich mir das Videostudium teilen kann. Allerdings - Bedingungen wie bei den Los Angeles Clippers (Basketballteam
in der NBA, d. Red.) werde ich
nicht mehr erleben. Um meine
isländischen Freunde zu ärgern,
die alle Fans der Lakers waren,
habe ich mir einmal ein Clippers-Trikot aus Amerika schicken lassen.
Die hatten damals ein
sehr schlechtes Team.
Inzwischen haben sie
Erfolg, und ich beschäftigte mich ein
wenig mit ihnen. Da
fiel mir auf, dass der Trainer
acht Assistenten hat.
- Schiedsrichter: Es gibt einige
Handballer, die früher in der 1.
oder 2. Liga gespielt haben und
einen Job suchen - Schiedsrichter wäre eine Option für sie, die
sogar darin enden könnte, diesen Job zum Beruf machen. Allerdings müssen auch sie derzeit
in den untersten Ligen beginnen, was nicht reizvoll ist. Ich
wäre dafür, dass sie schneller in
den Regionalliga- oder B-Kader
aufgenommen werden, damit
sie so auch früher in der Bundesliga auftauchen könnten. Sie
würden dann das taktische Verständnis mitbringen, was ein
Schiedsrichter auf diesem Niveau unbedingt haben sollte.
- Opa: Den einen, Hjörtus Gislason, habe ich leider nicht mehr
erlebt. Als er starb, war ich gerade fünf Jahre alt. Er soll ein
lustiger Typ gewesen sein, der
viele Kinderbücher geschrieben
hat. Der andere, Alfred Palsson,
war dagegen ein richtiger Opa
für mich, ein super Typ. Ich habe
ihn oft beim Angeln begleitet
und daher kommt wohl auch
meine Leidenschaft dafür. Er
wohnte direkt neben uns, war
Büroleiter einer Fabrik und begeisterter Jäger. Er hat sogar
noch Jagd auf Finnwale gemacht. Leider ist er 1989 an
Krebs gestorben. Meinen letzten
Besuch in der Klinik werde ich
nie vergessen. Es war uns beiden
klar, dass wir uns nicht wiedersehen werden, weil ich einen
Vertrag in Spanien unterschrieben hatte. Ich wollte ihm aber
unbedingt "Tschüs" sagen, das
war bislang die schwierigste Situation in meinem Leben. Es hat
mich sehr beeindruckt, wie er
gegen den Krebs gekämpft hat.
Ich war sehr stolz auf ihn.
- Nationaltrainer: Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages
eine Nationalmannschaft trainieren möchte. Und da ist die interessanteste in der Welt die
deutsche. Meine Gegenwart ist
allerdings der THW Kiel und
das ist die beste Adresse in dieser Sportart, die Arbeit macht
mir hier riesigen Spaß. Aber - irgendwann möchte ich diese
Endlos-Schleife eines Bundesliga-Trainers durchbrechen, der
im Drei-Tages-Rhythmus von
Spiel zu Spiel lebt. Ich habe mir
eigentlich vorgenommen, als
60-Jähriger nicht mehr in der
Bundesliga an der Seitenlinie zu
stehen. Aber vielleicht werde
ich es auch vermissen. Ohne diesen Stress und den Kontakt zu
jungen Leuten würde ich vielleicht schnell ein alter Mann
werden. Das will ich auch nicht.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013)