Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013:
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Raul Alonso lebt für den Sport:
"Der Handball hat mir eine neue Sprache und viele Freunde gegeben. Da möchte ich etwas zurückzahlen."
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Im Januar 2010 betrat
Raul Alonso erstmals die Helmut-Wriedt-Halle, Heimspielstätte
der THW-Nachwuchsmannschaften. Der THW Kiel hatte
den Spanier als Sportlichen
Leiter für den Nachwuchs-Leistungshandball engagiert.
Damals hatte
Alonso eine Vision: "Ich glaube, wir kriegen diese Halle eines Tages richtig
voll", sagte er. Inzwischen trägt
die Nachwuchsarbeit beim
THW erste Früchte. Die "HWH"
ist stets gut besucht. Und
Raul Alonso sprach mit dem Zebra-Journal über neue Visionen für
den THW-Nachwuchs.
Mit THW-Jugendkoordinator Raul Alonso sprach Merle Schaack
- Zebra-Journal:
-
Herr Alonso, vor drei Jahren wurden Sie als Sportlicher Leiter für
den Nachwuchs-Leistungshandball beim THW eingestellt. Was
waren Ihre ersten Maßnahmen in
dieser Funktion?
- Raul Alonso:
-
Für mich war wichtig, dass wir
an der Dichte arbeiten. Dass
wir nicht mehr Inselmannschaften haben - eine gute
Mannschaft in der A-Jugend
zum Beispiel, sondern dass wir
eine Plattform für Spieler jeder
Altersklasse bieten. Was mir
gefehlt hat, war Kontinuität,
diese jahrgangsübergreifende
Professionalität bis mindestens
in die Dritte Liga. Dazu muss
man eine Trainingsphilosophie
reinbringen. Wir haben auch
den Trainingsumfang erhöht.
Das war eine meiner ersten
Maßnahmen: Weg von diesem
starren Konstrukt mit dreimal
pro Woche 90 Minuten - das
war vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren aktuell.
- Zebra-Journal:
-
Mittlerweile spielt die A-Jugend in
der Jugend-Bundesliga, die B-Jugend wurde in der vergangenen Saison Landesmeister und
kam ins Final Four um die deutsche Meisterschaft. Das Junior-Team spielt in der Oberliga um
den Aufstieg mit - es läuft gut, oder?
- Raul Alonso:
-
Unsere U 19 hat schon immer
höherklassig gespielt. Nun
spielt sie in der meiner Meinung
nach stärksten Bundesliga-Staffel und steht dort direkt
hinter den Internats-Mannschaften. Wir haben eine U 23,
die vor zwei Jahren noch Dritte
Liga gespielt hat, dann wegen
der Ligareform in die Oberliga
abstiegen ist und jetzt wieder
um den Aufstieg spielt. Mit einer ganz anderen Mannschaft
als vor zwei Jahren. Wir haben
mittlerweile Spieler wie Patrick Starke, Kjell Köpke, Florian Hossner,
Fynn Ranke, Rune Dahmke, Lukas Stürze und
Finn Röder, die beim TSV Altenholz in der Dritten Liga
spielen. Wenn es uns gelingt, in
den nächsten zwei, drei Jahren
das zu bestätigen, was wir jetzt
erreicht haben, und uns strukturell zu verbessern, dann haben wir wirklich gute Arbeit
geleistet. Aber: Ich habe von
Alfred (Gislason, d. Red.) gelernt, dass ich mich immer mit
den zehn Prozent beschäftige,
die schlecht laufen. Ich strebe
immer nach der Perfektion, da
hat er mich wirklich geprägt.
Doch wenn man ab und zu stehen bleibt und sich umdreht,
sieht man, was wir hier schon
entwickelt haben. Deshalb
brauchen wir jetzt Zwischenziele.
- Zebra-Journal:
-
Zum Beispiel?
- Raul Alonso:
-
Wir müssen jetzt sehen, dass
wir noch einen weiteren Schritt
im Bereich professionelle
Strukturen machen. Wir trainieren in unterschiedlichen
Hallen. In der Helmut-Wriedt-Halle können wir oft trainieren,
aber auch nicht immer. Es wäre
natürlich schön, eine Trainingshalle zu haben, in der der
Kraftraum zehn Meter entfernt
ist und nicht 20 Minuten mit
dem Auto. Für mich persönlich
ist auch wichtig, die Philosophie des THW jugendgerecht
im Nachwuchsbereich weiterzugeben. Wir wollen Spieler
entwickeln, die nicht nur
Handball spielen können, sondern die auch menschlich Qualitäten haben. Auch das versuchen wir in irgendeiner Form
im Nachwuchsbereich zu vermitteln.
- Zebra-Journal:
-
Und auf lange Sicht? Was ist das
Optimum, das in der Jugendarbeit erreicht werden kann?
- Raul Alonso:
-
Das große Ziel ist noch ganz
weit weg. Wenn es danach ginge, würde ich auch gern einen
Olympiastützpunkt in Kiel haben, ich hätte gerne eine Eliteschule des Sports in Kiel, ich
hätte gerne zwei oder drei Lehrertrainerstellen, also Vereinstrainer, die vormittags mit den
Athleten, die Schüler sind, in
der Schule arbeiten.
- Zebra-Journal:
-
Das Jugendzertifikat 2013 enthält
seit dieser Saison die Auflage, vier
Schulstunden am Vormittag mit
einem Vereinstrainer an einer weiterführenden Schule durchzuführen.
- Raul Alonso:
-
Ein Kriterium, das für uns ein
K.o. sein kann. Personell wäre
das für uns kein Problem. Wir
könnten auch die Materialien
zur Verfügung stellen und die
Jungs mit unserem Bus in die
Trainingshalle fahren. Aber solange die Klassenlehrer und
Schuldirektoren uns die Jungs
nicht freistellen, ist das nicht
machbar. Irgendwo geht es
nicht weiter. Du kannst ein super Schwimmer sein und immer
geradeaus schwimmen. Aber
wenn irgendwann eine Wand
kommt und diese Wand ist fünf
Meter hoch, dann kannst du
schwimmen wie du willst, du
erreichst dein Ziel nicht, weil
du nicht darüber kommst.
- Zebra-Journal:
-
Das könnte ein Schuldirektor
auch so sehen.
- Raul Alonso:
-
Natürlich kann kein Schuldirektor seine gesamte Schulorganisation über den Haufen
werfen, nur weil drei Schüler
Top-Athleten beim THW sind.
Das verstehe ich auch. Und deshalb suchen wir nach Lösungen. Wir haben jetzt eine Kooperation mit Holstein Kiel und
der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule. Da gehen Fußballer und Handballer zusammen in eine Klasse und bilden
sozusagen eine Sportklasse.
Die haben dann zusätzliche
Sportstunden. Das haben wir
alles mit dem Ministerium geregelt. Aber das kam alles von
unten. Das waren Fabian Müller, der Nachwuchsleiter von
Holstein, der Direktor der
Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule und wir vom
THW. Ich würde mir wünschen,
dass das Ministerium die Initiative ergreift. Klar, ich verstehe
beide Seiten. Nur: Wir stehen
immer noch vor dieser Mauer,
die fünf Meter hoch ist. Dieses
Jugendzertifikat hat Dimensionen angenommen, die ordentlich sind. Die Strafe, die
der Bundesliga-Verein an die
HBL zahlen müsste, wenn wir
die Auflagen für das Jugendzertifikat nicht erfüllen, wäre
viel geringer, als der Betrag, der
nun in die Nachwuchsarbeit
gesteckt wird. Rein wirtschaftlich ist das völliger Schwachsinn. Man könnte auch die
Strafe zahlen und den Rest in
einen Spieler investieren. Das
wäre aber nicht Sinn der Sache,
denn der THW will ja auch
Spieler entwickeln und irgendwann wirklich auch einen in die
Bundesliga-Mannschaft hinein
bringen.
- Zebra-Journal:
-
Ist es für einen Nachwuchsspieler
wirklich möglich, direkt den
Sprung in den Bundesliga-Kader
des THW zu schaffen?
- Raul Alonso:
-
Jeder, der denkt, dass ein Spieler in fünf Jahren für die Bundesliga entwickelt werden
kann, der irrt sich. Die Weltklassespieler und die, die supertalentiert sind und in der
Nationalmannschaften spielen,
brauchen auch drei, vier Jahre,
bis sie sich dahin entwickelt,
wo die THW-Spieler sind. Wenn
wir weiter Fortschritte machen
und uns so weiterentwickeln,
ist es machbar, aber es wird
noch einige Zeit dauern. Je größer der Abstand der Nachwuchsmannschaften zur ersten
Mannschaft ist, desto schwieriger ist der Sprung, das ist ja
klar.
- Zebra-Journal:
-
Der Großteil der Jugendlichen
wird diesen Sprung nicht schaffen. Warum lohnt sich für sie der
tägliche Trainingsaufwand trotzdem?
- Raul Alonso:
-
Es geht ja nicht nur darum,
Spieler für die erste Mannschaft hervorzubringen. Wir
machen seit Jahren einen wirklich guten Job im Nachwuchsbereich, und es lohnt sich auf
jeden Fall, jedem diese Ausbildung mitzugeben. Meine Erwartungshaltung ist dann, dass
sie sich zu Führungstypen entwickeln. Ob das im Handball
ist, in der Ersten Liga, in der
Zweiten Liga, oder auch in der
freien Wirtschaft. Solche Typen
werden gebraucht von den Unternehmen. Jemand der Teamplayer ist, der auch manchmal
Egoist ist, der mit Niederlagen
und Siegen umgehen kann, das
ist ein Typ der in der freien
Wirtschaft gefragt ist. Nur auf
einem anderen Level, einem anderen Gebiet.
Wir wollen eine Ausbildung,
die ganzheitlich sein soll. Meine
Vision ist, das zu intensivieren.
Klar geht es auch darum,
Handballer in die Bundesliga
zu integrieren, aber es gibt viele, die sich für Handball begeistern. Einige, die den Weg zum
Handballprofi gehen wollen
und andere, die einfach gerne
Handball spielen. Und wir wollen diejenigen, die mehr wollen,
eine Plattform bieten, auf der
sie sich mit den Besten der Besten messen können.
- Zebra-Journal:
-
Ist Kiel dafür der richtige Standort?
- Raul Alonso:
-
Kiel ist eine Sportstadt. Nur
hat sie nicht die Mittel, die zum
Beispiel Berlin hat. Ich sehe,
wie viel Potenzial diese Landeshauptstadt hat, wie viel Potenzial der THW Kiel hat. Der
THW hat diese Aura, die ihn zu
etwas Besonderen im Sport
macht. Deshalb möchte ich ihn
auch im Nachwuchsbereich zu
etwas Besonderem machen. Ich
rede nicht immer nur von
Handball. Ich rede von Menschen, die nach Kiel wollen,
weil sie da ein Umfeld von Förderern und Trainern, eine Landeshauptstadt am Meer, eine
renommierte Universität und
ein Ausbildungskonzept, in
dem sie sich auch zum Leistungssportler entwickeln können, vorfinden. Natürlich steht
der Handball an oberster Stelle. Aber ich möchte, dass der
THW sich auch dahin entwickelt, dass man sagt, wir haben
hier eine super Zeit unter dem
Motto "THW Kiel - Handball
und noch viel mehr".
- Zebra-Journal:
-
Das klingt nach großen Visionen!
- Raul Alonso:
-
Wir können nicht alles auf einmal wollen, da bin ich Realist.
Natürlich hat man Visionen,
aber man muss sie auch verwirklichen können. Für den jetzigen Status haben wir ein super Trainerteam, das mit viel
Engagement und Einsatz dabei
ist. Das, was wir bisher aufgebaut haben, soll jetzt unser
Standard sein. Auf Landesebene haben wir jetzt Akzeptanz.
Über viele Jahre hinweg hat
man gar nicht so richtig gemerkt, was wir hier für einen
Job machen. Der THW Kiel ist
im Nachwuchsbereich wie ein
Feld. Man hat es am Anfang
zum Großteil unbeackert gesehen und erkannt, hier ist ein guter Hang, hier sind gute Bedingungen. Jetzt stehen hier die
ersten Pflänzchen. Man darf
aber nicht den Fehler machen
und denken, dass es nächstes
Jahr schon richtige Bäume gibt.
Diese Entwicklung verläuft
nicht exponentiell. Am Anfang
sieht man große Fortschritte,
denn wo wenig ist, entwickelt
sich viel. Aber wir müssen jetzt
nachhaltig bleiben und uns
weiterentwickeln, und da werden wir die Schritte vielleicht
nicht in der Deutlichkeit sehen.
Aber sie werden dazu beitragen, dass die Basis, die wir jetzt
haben, noch stabiler wird.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013)