25 Minuten benötigte der THW Kiel, um im Spitzenspiel der DKB Handball-Bundesliga
gegen die Überraschungsmannschaft TSV Hannover-Burgdorf und gegen deren starken
Torhüter Martin Ziemer die richtigen Lösungen zu finden. Dann setzten sich die
"Zebras" noch vor dem Pausenpfiff auf 18:14 ab. Am Ende stand ein 39:29-Kantersieg,
der die Kieler einen Punkt näher an den Tabellenführer Rhein-Neckar Löwen rücken ließ.
Die Mannheimer verloren beim 24:24 in Lübbecke einen Zähler, führen die Tabelle aber
weiterhin an. Bester Torschütze im Kieler Duell mit den Niedersachsen war Momir Ilic, der
mit 9/3 Treffern nicht nur die meisten, sondern nach 44 Minuten auch das schönste der Kieler Tore
erzielte: Ilic traf dabei vom eigenen Kreis in den
verwaisten Hannoverander Kasten zum 28:19.
Ehrung: Der THW-Aufsichtsratsvorsitzende Klaus-Hinrich Vater beglückwünschte
Daniel Narcisse zur "Welthandballer"-Wahl.
Bei der Kieler Pflichtspiel-Premiere im Jahr 2013 erhoben sich die schwarz-weißen
Fans bereits vor der Partie erstmals von den Plätzen, als der
Aufsichtsratsvorsitzende Klaus-Hinrich Vater dem französischen Weltklassemann
Daniel Narcisse zur Wahl zum "Welthandballer des Jahres 2012" gratulierte.
"Diese Auszeichnung macht mich stolz", sagte Daniel Narcisse später. "Aber
ohne diese fantastische Mannschaft hätte ich nichts gewonnen. Nachdem ich von der Wahl erfahren
hatte, war ich zunächst ein wenig überrascht - schließlich war ich der älteste der Nominierten", lachte
der auf La Reunion geborene Regisseur des THW Kiel. Dieser wurde von Trainer Alfred Gislason,
der auf seinen am Auge verletzten Kapitän Marcus Ahlm verzichten musste,
dann auch gleich in die Startformation beordert.
Anlaufschwierigkeiten
Diese tat sich zunächst schwer mit den Hannoveranern, die mit 2:0 in Führung gingen. Vier Minuten dauerte
es, bis die "Zebras" endlich Martin Ziemer erstmals bezwingen konnten: Der starke
Thierry Omeyer verdiente sich einen Assist-Punkt, als er mit einem
weiten Pass Gudjon Valur Sigurdsson bediente. Doch ein Brustlöser war
dieser Treffer nicht. Und so bedurfte es schon einer tollen Leistung von Christian Zeitz,
damit die Kieler in die Spur kamen. Dieser glänzte nicht nur als Scharfschütze, sondern auch als
Anspieler. Davon profitierte Rene Toft Hansen gleich im Doppelpack: Nach acht
Minuten gingen die Kieler erstmals in Führung. Doch die TSV konterte geschickt, spielte immer wieder
einen Akteur am Kreis frei oder bediente gut die Außen. In Unterzahl setzte TSV-Coach
Christopher Nordmeyer zudem auf die "Celje"-Taktik mit einem sechsten Feldspieler für den Torwart - und
hatte damit Erfolg, als Olsen in Unterzahl zum 6:6 und wenig später Buschmann die erneute Führung
für die Gäste erzielte. Gislason reagierte und brachte Dominik Klein
und Momir Ilic in die Partie.
Wieder einmal bewies der Isländer mit diesen Entscheidungen ein goldenes Wechsel-Händchen. Denn mit
einem spektakulären Tor nach Omeyer-Pass weckte Klein nicht
nur seine Kollegen, sondern auch das bis dato verhaltene Publikum auf. Dieses sah nun einen
fantastischen Kempa-Treffer vom Kreis durch Olsen, dann nahmen die Kieler das Heft Stück für Stück in die
Hand: Erst verwandelte Ilic einen Siebenmeter sicher, dann markierte der
ebenfalls eingewechselte Niclas Ekberg das 10:9, dem Ilic mit
seinem 50. Bundesliga-Saisontreffer das 11:9 folgen ließ (22.). Nordmeyer nahm die Auszeit, doch
nun kamen die Kieler in Fahrt. Erst hämmerte Zeitz einen Ball mit
rekordverdächtigen 111 km/h in die Maschen (12:10, 24.), dann verwandelte Klein
einen Siebenmeter-Abpraller zum 13:11 - die stärkste Kieler Phase vor dem Wechsel begann. Zeitz
mit einem Knickwurf, Ilic mit 109 km/h und eine Traumkombination von
Aron Palmarsson über Ekberg und Zeitz
zum eingelaufenen Klein brachte beim 16:11 (28.) die erste Fünf-Tore-Führung
für den Rekordmeister, der immerhin ein 18:14 mit in die Pause nahm.
Starker Wiederbeginn
Die bewegliche Abwehr sorgte für zahlreiche Ballgewinne.
Die zweite Hälfte begann mit dem ersten Jicha-Tor und einem weitem Omeyer-Pass auf
Ekberg, der sich stark zum 20:14 durchsetzte. Als Ilic kurz darauf
das 21:14 erzielte, war eine Vorentscheidung praktisch gefallen. Auch, weil Olsen beim Stand
von 16:21 einen Siebenmeter gegen Andreas Palicka neben das Tor setzte.
Jichas verhängnisvoller Gegenstoßtreffer zum 23:16 (siehe unten) folgte,
und als Ilic nicht nur vom Siebenmeterstrich und per Gegenstoß, sondern
auch noch vom eigenen Kreis traf, war es um die Gäste geschehen. Eine Viertelstunde vor Schluss
lagen sie nach Marko Vujins 29:19 erstmals mit zehn Toren in Rückstand und
beschränkten sich fortan auf Schadensbegrenzung, währen die Kieler aus einer sattelfesten und
beweglichen Abwehr heraus zu leichten Treffern kamen. Kurz vor Schluss trug sich mit
Christian Sprenger dann auch der letzte bis dato torlose Feldspieler des
THW in die Statistik ein - der Rest war Freude über den unerwartet klaren Sieg gegen die
Überraschungsmannschaft der Saison.
Allerdings mussten die 10.285 Zuschauer in der ausverkauften Sparkassen-Arena auch
einige Schreckminuten erleben: Bei seinem Tor zum 23:16 fiel Filip Jicha
derart unglücklich auf seine linke Hand, dass er sich vor Schmerzen auf dem Parkett krümmte. Ob
eine schwere Verletzung bei dem Tschechen vorliegt, wird am Donnerstag eine MRT-Untersuchung
zeigen. Für die anderen "Zebras" beginnt währenddessen bereits die intensive Vorbereitung auf
das Spitzenspiel in der "VELUX EHF Champions League" am kommenden Sonntag: Um 19 Uhr ist
der ungarische Topclub MKB Veszprem mit seinem Staraufgebot um Laszlo Nagy an der Kieler Förde
zu Gast. Die Kieler wollen sich in dieser Partie, für die es noch einige Karten an allen
bekannten Vorverkaufsstellen gibt, für die bittere 30:31-Niederlage im Hinspiel
rehabilitieren und ihre letzte Chance auf den Gruppensieg wahren.
Ich bin sehr erleichtert, dass wir dieses Spiel gewonnen haben. Hannover-Burgdorf ist in
diesem Jahr eine der stärksten Mannschaften der Liga, und wir haben uns dementsprechend gut
vorbereitet. Wir haben sehr gut gedeckt, und auch die Torhüterleistung war gut. In der ersten
Halbzeit hatten wir aber große Probleme, zum Torerfolg zu kommen. Da hat uns ein überragender
Christian Zeitz mit seinen individuellen Aktionen sehr geholfen. Der Sieg
war verdient, und ich bin sehr zufrieden.
Hannovers Trainer Christopher Nordmeyer:
Es war ein verdienter Sieg. Wir hatten uns für heute einiges vorgenommen, haben aber
vieles davon nicht umsetzen können. Und dann verliert man eben in Kiel bei der besten
Mannschaft der Liga mit zehn Toren.
Hannovers Geschäftsführer Benjamin Chatton:
Allein schon die Tatsache, dass man in Kiel zu hören bekommt, man habe sich intensiv auf das
Spiel gegen meine Mannschaft vorbereitet, zeigt, welch tolle Hinrunde wir gespielt haben. Aber
ab sofort wird sich jede Mannschaft so wie Kiel auf uns vorbereiten, uns wird niemand mehr
unterschätzen. Neue Ziele werden wir nicht ausgeben, stattdessen freuen wir uns über die tolle
Hinrunde und arbeiten an einer guten Rückrunde.
Hannover hat in der ersten Hälfte gezeigt, dass sie nicht zu Unrecht oben in der Tabelle stehen. Wir
haben uns schwer getan, vielleicht hätten wir uns in dieser Phase ein wenig mehr Unterstützung von den
Rängen gewünscht. Als die Zuschauer dann bemerkt haben, welches Kaliber die TSV ist, haben sie
uns sehr geholfen. Dann wurde es ein tolles Handballspiel, und es dürften allen viel Spaß gemacht
haben.
Wir brauchen zurzeit immer ein bisschen Anlauf. Aber am
Anfang agieren eben viele Mannschaften auf Augenhöhe.
Wir müssen dann mit der Zeit die Fehler der anderen
nutzen. Und bei Hannover, die wie die Spanier blockweise
durchwechseln, waren nicht alle Reihen gleich gut. Trotzdem
war es ein bisschen merkwürdig. Teilweise fühlten wir uns
nicht richtig im Spiel, aber der Videowürfel zeigte eine
deutliche Führung an.
Meine Verletzung war sehr schmerzhaft, aber es war
kein grobes Foul meines Gegenspielers. Ich bin unglücklich
auf meine Hand gefallen. Das Daumengelenk ist hoffentlich nur
verstaucht. Nach einer MRT-Untersuchung wissen wir mehr,
ich bin zuversichtlich.
Hannovers Torhüter Martin Ziemer gegenüber den KN:
Wenn man mit zehn Toren verliert, dann fällt es schwer,
zufrieden zu sein. Es ist immer wieder beeindruckend,
wie Kiel das macht und plötzlich wegzieht.
Handballmeister lässt der TSV Hannover-Burgdorf bei 39:29-Heimsieg keine Chance
Kiel. Das hatte sich Christopher Nordmeyer, Trainer der
TSV Hannover-Burgdorf ganz anders vorgestellt. Er war
davon ausgegangen, dass sich das Spitzenspiel in der
Handball-Bundesliga erst ab der 45. Minute entscheiden würde.
Tatsächlich führte der THW Kiel zu diesem Zeitpunkt bereits
29:19, siegte letztlich souverän mit 39:29.
Die Niedersachsen, immerhin Tabellensechster, hatten im
bisherigen Saisonverlauf bereits in Göppingen und Berlin
gewonnen. Auch in Kiel hatten sie sich etwas ausgerechnet.
Spätestens seit der Rekordmeister zu Hause gegen die
Mittelmacht MT Melsungen überraschend beide Punkte in
heimischer Umgebung abgegeben hat, wittert die Konkurrenz
an der Förde Morgenluft. Anfangs sah es tatsächlich so aus,
als hätten die Gäste eine Chance, den "Zebras" die zweite
Heimniederlage beizubringen.
Sie standen sicher in der Deckung, hatten in Martin Ziemer,
der unter anderem zwei Siebenmeter von Niclas Ekberg
und Momir Ilic parierte, einen sicheren
Rückhalt. Und in Morten Olsen einen hellwachen Kopf. Als der
Däne mit einem Kempa-Trick zum 9:8 (17.) traf, da gab es sogar
in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Arena Szenenapplaus.
Doch mit zunehmender Spieldauer wurde deutlich, dass die
Nordmeyer-Schützlinge sich auf zu wenige Schultern stützen konnten.
Außer Olsen hatte der Rückraum wenig zu bieten, Mait Patrail, an
dem der THW Kiel die Transferrechte besitzt, erwischte einen
rabenschwarzen Tag. Dem hünenhaften Esten gelang in der 53. Minute
sein erstes Tor, da war die Partie längst entschieden. Auch
Ziemer ging nach dem Seitenwechsel die Luft aus, und als Olsen
beim Stand von 21:16 für die Kieler einen Siebenmeter neben das
Tor warf, ließen die Gäste endgültig die Flügel hängen.
Keine Spur mehr von "Recken", der Arbeitstitel, unter dem die
Niedersachsen antreten. Recken, so kennt es der Duden, sind
Kämpfer, Krieger. Doch zu Widerstand konnten sie sich nicht mehr
aufraffen. Auch Olsen nicht, der zum Buhmann wurde, als er
Filip Jicha bei einem Torwurf
stoppte, und der Tscheche unglücklich auf die linke Hand
fiel. Die Fans hielten den Atem an, als der Tscheche sich
am Boden krümmte und ausgewechselt werden musste. Olsen traf
keine Schuld, doch als er einige Sekunden später gegen den
gefeierten Welthandballer Daniel Narcisse
zu spät kam, kannte das Publikum keine Gnade mehr. Jede Aktion
des Mittelmanns wurde nun ausgepfiffen, angesichts des Rückstandes
nahm Nordmeyer ihn aus dem Spiel, um ihn zu schützen.
In Erinnerung blieb ein herrlicher Treffer des neunfachen
Torschützen Ilic, der zum 28:19 ins
leere TSV-Tor traf, weil die Gäste in Unterzahl stets einen
sechsten Feldspieler einwechselten. Lustig auch der Auftritt von
Uwe Stemberg, der gestrenge Herr am Kampfrichtertisch, der
die Partie direkt nach dem Anpfiff wieder abpfiff. Er war
im Glauben, dass die Videowände nicht funktionieren würden.
Ihm war schlicht entgangen, dass Spielzeit und Uhrzeit
mittlerweile auf dem neuen Würfel angezeigt werden, der in
der Hallenmitte hängt.
In den Reihen der Kieler gefielen besonders
Momir Ilic, der wieselflinke
Dominik Klein und
Christian Zeitz, der
in der ersten Halbzeit nahezu an jedem THW-Tor beteiligt
war. Seinen Spaß an der starken Vorstellung der Kollegen
hatte Marcus Ahlm, der wegen
einer Augenprellung nicht mitwirken konnte und
auch am Sonntag im Heimspiel gegen Veszprem nicht
einsatzfähig sein wird. Die Ärzte haben ihm eine zwölftägige
Ruhepause verordnet. Dagegen gab
Jicha nach dem Abpfiff Entwarnung.
(von Wolf Paarmann und Ralf Abratis, aus den Kieler Nachrichten vom 14.02.2013)