Die Heimspiele des THW Kiel sind derzeit nichts für
schwache Nerven! Eine Woche nach der dramatischen
Aufholjagd gegen den VfL Gummersbach ließen die "Zebras"
am Mittwochabend gegen die HSG Wetzlar einen weiteren
Handballkrimi folgen. Vor 10.285 Zuschauern in der
Sparkassen-Arena lagen die Kieler in der 28. Spielminute
mit 9:14 zurück. Dann stabilisierte sich die Deckung des
Rekordmeisters, hinter der sich Torhüter
Johan Sjöstrand zur Galaform
aufschwang und damit den Weg zur zwischenzeitlichen 19:15-Führung
für den THW ebnete. Doch es wurde zum Ende hin wieder
dramatisch: Tobias Hahn erzielte 23 Sekunden vor dem
Schlusspfiff den Ausgleich, Filip Jicha
aber behielt die Nerven und sorgte mit seinem achten Treffer
für das 26:25 (11:14) und ein schwarz-weißes Happy-End.
Ivano Balic führte von Beginn an Regie bei der HSG Wetzlar.
Viermal bislang war Superstar Ivano Balic in Kiel
zu Gast: 1998 verlor der Kroate als 18-jähriges Talent mit
RK Split mit 26:29 gegen den THW,
und auch mit Portland San Antonio (2007) und RK Zagreb
(2009 und 2012) zog der zweimalige Welthandballer in der
Sparkassen-Arena jeweils den Kürzeren. Dass es nun
ausgerechnet mit der HSG Wetzlar beinahe gereicht hätte,
das hätte sich Balic wohl selbst nicht träumen lassen.
Denn die Mittelhessen durchleben derzeit eine unvergleichliche
Verletzungsmisere, und auch gegen den THW Kiel fehlte
mit Magnus Dahl, Daniel Valo, Florian Laudt, Adnan Harmandic
sowie der Flügelzange Tobias Reichmann
und Kevin Schmidt fast eine gesamte Formation.
Ausgeglichene Anpfangsphase
Doch der THW Kiel ist derzeit eine Wundertüte, was sich
bereits beim 31:30-Zittersieg gegen Gummersbach
in der Vorwoche angekündigt hatte und aufgrund des radikalen
Umbruchs beim Rekordmeister auch nicht verwundert.
Alfred Gislason konnte gegen Wetzlar
zumindest wieder mit Rasmus Lauge planen,
der nach seiner Schulterverletzung von Beginn an mit dabei war.
Die Anfangsphase gehörte dennoch den Gästen: Nationalspieler Steffen
Fäth erzielte per Sprungwurf den ersten Treffer, Dominik Klein
scheiterte an Torhüter Wolff, und Routinier Klesniks erhöhte auf 2:0
für die Grün-Weißen. Es dauerte fast fünf Minuten, ehe die Kieler
Fans endlich jubeln durften, als Marko Vujin
den Ball in den Torwinkel drosch. Und nachdem Rasmus Lauge
in einen Pass von Ivano Balic sprintete und per Gegenstoß den Ausgleich
markierte, waren die Kieler drin in der Partie.
Wetzlar legt weiter vor
Marko Vujin erzielte fünf seiner
sieben Treffer im ersten Durchgang.
Indes: Die HSG Wetzlar legte zunächst weiter vor. Dies lag einerseits
daran, dass Torhüter Andreas Wolff eine sensationelle erste Halbzeit
spielte und die Hälfte der Kieler Würfe parieren konnte. Andererseits
auch daran, dass Ivano Balic zwar kaum Torgefahr ausstrahlte, dafür aber
überlegen Regie führte und seine Nebenmänner in Szene setzte. So legten
Linksaußen Rompf zum 4:3 und Rechtsaußen Tobias Hahn mit einem Doppelschlag
vom Kreis das 6:4 vor. Immerhin konnten sich die "Zebras" aber auf
Marko Vujin verlassen: Kiels serbischer
Linkshänder hielt seine Farben fast im Alleingang im Spiel, auch
wenn Andreas Wolff einige seiner "Fackeln" entschärfen konnte.
Bis zum 8:6 - erneut durch den gut aufgelegten Reichmann-Ersatz
Hahn - legte Wetzlar weiter vor, und da Dominik Klein
eine Zeitstrafe abbrummen musste, drohte dem Gastgeber weiteres Ungemach.
Doch in Unterzahl glänzten die "Zebras" nun: Andreas Palicka
parierte einen Klesniks-Wurf, der in der ersten Halbzeit ansonsten
glücklose Filip Jicha tankte sich zum
Anschlusstreffer durch, und nachdem Zeitz
in der nun im 3:2:1-Verbund agierenden Deckung den Ball eroberte und
Wael Jallouz per Gegenstoß den
8:8-Ausgleich markierte, wurde es richtig laut in der Sparkassen-Arena.
Doch Wetzlar ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Trainer
Kai Wandschneider schickte mit dem jungen Norweger Tönnesen eine
neue Trumpfkarte aufs Parkett, und der Linkshänder brillierte
sofort mit seinem Treffer zum 9:8 und einem feinen Anspiel auf
den am Kreis lauernden Balic, der das 10:8 für Wetzlar erzielte.
Als der in dieser Phase unüberwindbare Andreas Wolff nacheinander
Jallouz, Jicha
und Vujin zum Verzweifeln brachte
und Tönnesen auf 11:8 für die Mittelhessen erhöhte, hatte
Alfred Gislason genug gesehen. Der
Isländer trommelte seine Mannschaft zusammen, stellte wieder
auf die 6:0-Deckung zurück und brachte Sjöstrand
für den glücklosen Palicka. Doch es
änderte sich zunächst wenig am Spielverlauf: Während Wolff im
Wetzlarer Tor weitere Glanztaten gegen Vujin,
Klein und Jicha
zeigte, erhöhte die HSG durch Tönnesen, Fäth und Weber gar auf
14:9 - und das, obwohl Sjöstrand bei
einem Rompf-Gegenstoß sensationell zur Stelle war.
Ergebniskosmektik bis zum Seitenwechsel
Alfred Gislason stellte erneut um
und brachte mit Patrick Wiencek für
die letzten zweieinhalb Minuten des ersten Durchgangs einen
zweiten Kreisläufer. Und dies zahlte sich aus: Marko Vujin
traf fast von linksaußen zum erlösenden 10:14, wenig später
bediente JichaToft Hansen,
der auf 11:14 verkürzte. Und nachdem Tobias Hahn einen Dreher am
Kieler Tor vorbei setzte und Jicha
kurz vor der Pausensirene noch einen Siebenmeter
erkämpfte, hatte Vujin per
Strafwurf sogar noch die Chance zum 12:14. Jedoch scheiterte
der Serbe an Andreas Wolff, dem überragenden Mann der ersten
Halbzeit.
Aufholjagd mit Anlaufschwierigkeiten
Die Kieler 3:2:1-Deckung rührte nach Wiederanpfiff Beton an.
Mit sehr viel Entschlossenheit kehrten die Kieler nach
der Halbzeitpause aufs Parkett zurück. Die 3:2:1-Deckung
mit Filip Jicha auf der Spitze
stand nun felsenfest, und vorne führte nun ein Mann Regie,
der eigentlich geschont werden sollte: Aron Palmarsson
musste also wie schon gegen Gummersbach das Ruder rumreißen,
in der Abwehr wurde er durch Patrick Wiencek
vertreten. Die Kieler Aufholjagd begann allerdings stockend:
Zwar parierte der bärenstarke Sjöstrand
nicht nur einen Siebenmeter Fäths, sondern auch die
folgenden Rückraumwürfe Tönnesens und Fäths, doch im
Angriff taten sich die "Zebras" immer noch schwer - so
war Andreas Wolff einmal mehr gegen Vujin
sowie bei einem Sigurdsson-Siebenmeter
zur Stelle. Wieder dauerte es fast fünf Minuten, ehe den
Kielern der erste Treffer gelingen wollte, und wieder
war es Marko Vujin, der mit seinem
bereits sechsten Treffer das 12:14 markierte.
Starker THW nun wie im Rausch
Das Tor wirkte
wie ein Befreiungsschlag für die gesamte Mannschaft und auch
für das Publikum in der Sparkassen-Arena. Denn nun legte
Filip Jicha per Gegenstoß nach,
und auch auf den Schlagwurf Tönnesens zum 15:13 hatten die
Gastgeber eine postwendende Antwort durch Christian Sprenger
parat. Als Sjöstrand dann gegen
Fäth erneut zur Stelle war und Jicha
nur wenige Sekunden später zum 15:15 hochstieg, bebte die
Sparkassen-Arena. Und dies tat sie wenig später gleich noch
einmal, als Kiels nun aufdrehender Tscheche in der Abwehr
den Ball eroberte und Marko Vujin
zur ersten THW-Führung der Partie auf die Reise schickte.
Rene Toft Hansen wird von der
Wetzlarer Abwehr mit Jens Tiedtke und Steffen Fäth in die
Mangel genommen.
Kai Wandschneider reagierte sofort und legte die grüne
Auszeitkarte auf den Zeitnehmertisch. Der THW-Express allerdings
konnte dadurch nicht aufgehalten werden. Die 3:2:1-Deckung stand
weiterhin glänzend und ermöglichte Sjöstrand
weitere Paraden gegen Fäth, Rompf und Tiedtke. Nach zwei Treffern
Jichas und einem sehenswerten Heber
Sigurdssons gegen den mittlerweile in
die Partie gekommenen Jose Hombrados waren die "Zebras" gar auf
19:15 (44.) enteilt. Mit einem fantastischen 10:1-Lauf binnen 16
Spielminuten hatte der THW scheinbar für klare Verhältnisse
gesorgt.
Wetzlar gibt sich nicht geschlagen
Dies allerdings war ein Trugschluss. Mit einem weiteren wahnsinnigen
Sprungwurf brach Kent Robin Tönnesen den achtminütigen Torbann für
die HSG Wetzlar, die weiterhin an ihre Chance glaubte und sich auch
durch die Entlastungstreffer von Jicha
zum 20:16 und Palmarsson zum 21:18 davon
abbringen ließ. In dieser Phase sahen die 10.285 Zuschauern eine
muntere Partie mit schönen Ballstafetten auf beiden Seiten, wie
beispielsweise beim artistisch mit dem Rücken zum Tor abgeschlossenen
22:19 durch Toft Hansen oder dem von
Sprenger abgeschlossenen Spielzug zum
23:20. Und als Krause fünf Minuten vor Spielende ein technischer
Fehler unterlief und Wiencek sofort
Jicha per Konter zum 24:21 auf die
Reise schickte, waren die Kieler Fans bereits in Feierlaune - hier
schien nichts mehr anzubrennen.
Dramatische Schlussphase
Kent Robin Tönnesen hielt Wetzlar mit seinen Treffern in der Partie.
Doch weit gefehlt: Wandschneider trommelte noch einmal seine
Mannschaft zusammen und verordnete eine offensive 3:3-Deckung.
Diese schien zunächst nicht zu fruchten, da Toft Hansen
nach einer Parade Hombrados' gegen Palmarsson
zur Stelle war und das 25:22 erzielte. Der THW bekam sogar die
Chance, wieder auf vier Treffer davonzuziehen, doch Zeitz
scheiterte per Hüftwurf an Hombrados, auf der Gegenseite war
Tönnesen zum achten Mal zur Stelle. Dann sorgte das Schiedsrichtergespann
Behrens/Fasthoff gleich zweimal
für Unverständnis auf den Rängen. Bei den Kieler Abschlüssen von
Jicha und Palmarsson
warteten nicht nur die Zuschauer auf einen Freiwurf- oder gar Siebenmeterpfiff
zugunsten der Gastgeber. Die Unparteiischen aber ließen jeweils weiterlaufen,
und Wetzlar bekam tatsächlich noch einmal die Chance zum Ausgleich.
Wandschneider brachte einen siebten Feldspieler aufs Parkett, und
Tobias Hahn behielt die Nerven und sorgte 23 Sekunden vor dem
Spielende für den 25:25-Ausgleich. Der THW wollte per
schneller Mitte auf das noch verwaiste Tor der Gäste werfen,
doch Ivano Balic verhinderte diesen Schachzug regelwidrig und
sah daher folgerichtig die rote Karte. So mussten es die Kieler
aus dem gebundenen Spiel richten. Fünf Sekunden vor der
Schlusssirene nahm sich Filip Jicha
ein Herz und wuchtete den Ball zum umjubelten 26:25 in die
Maschen, während der letzte Verzweiflungswurf Wetzlars
von der Mittellinie ein gefundenes Fressen für den aufmerksam
gebliebenen Sjöstrand wurde.
Am Sonntag Champions-League-Auftakt in Plock
Erneut kam der THW Kiel mit einem blauen Auge davon und
behält mit nunmehr 12:0 Punkten die weiße Weste und die
Tabellenführung in der DKB Handball-Bundesliga. Bevor es
national am nächsten Mittwoch mit einem Heimspiel gegen
die MT Melsungen weitergeht, sind die "Zebras" am Sonntag
erstmals in dieser Spielzeit auch in der "VELUX EHF Champions League"
gefordert: Beim polnischen Vizemeister Orlen Wisla Plock
benötigen die Kieler eine Leistungssteigerung, um die
ersten Punkte der Gruppenphase einzufahren.
Das war erneut ein schwer erkämpfter Sieg. In der ersten Halbzeit
haben wir wie gegen Gummersbach sehr behäbig gespielt und sehr
viele Fehler gemacht. In der zweiten Halbzeit lief es dann zunächst
viel besser, und wir hatten die Möglichkeit, auf fünf Tore wegzuziehen.
Doch dann haben wir es noch einmal spannend gemacht. Wetzlar wollte
heute das Spiel verschleppen, wie es eigentlich alle unsere Gegner
versuchen. Das wurde ihnen wieder gestattet. Trotz allem muss ich
meiner Mannschaft ein Kompliment machen, wenn man unsere Probleme
im Rückraum bedenkt. Filip hat es mit dem
Magen, der eine kann nicht laufen, der andere kann nicht werfen.
HSG-Trainer Kai Wandschneider:
Ich bin natürlich enttäuscht, dass wir den letzten Ball nicht halten
können und uns belohnt haben für ein couragiertes Spiel. Wir wollten
das Tempo rausnehmen, sonst wäre meine Mannschaft nach 15 Minuten
tot gewesen. Wir wussten, dass der THW Kiel stark aus der Pause kommen
würde. Trotzdem haben wir den Auftakt 1:6 verloren. Es war aber
großartig, wie sich meine Mannschaft heran gekämpft hat, sodass die
Schlussphase noch ein echter Krimi werden konnte. Mit jetzt 2:10
Punkten befinden wir uns in dieser frühen Phase der Saison mitten im
Abstiegskampf. Der riesige Umbruch wird aber noch Zeit benötigen. Ein
Wermutstropfen war natürlich auch die Rote Karte für Ivano Balic, der
mit Sicherheit gesperrt werden wird.
HSG-Teammanager Arno Jung:
Jose Hombrados unterstützt uns im Training und spricht viel mit den
Kollegen. Natürlich ist es für Ivano Balic als Feldspieler schwieriger,
in unser Spiel zu finden. Das ist auch abhängig von der Anzahl der
Trainingseinheiten. Aber: Wir hatten das vierte Spiel in zehn Tagen,
das hat Substanz gekostet. Trotzdem machen wir Fortschritte, und es
ist nur noch eine Frage der Zeit, bis uns Hombrados und Balic zu
Punkten verhelfen werden.
Wir hatten heute wieder das Glück auf unserer Seite. Unsere Rechtshänder
konnten heute nicht so aufspielen, wie sie es wollten. Aber
Aron und Rasmus
stellen sich trotz ihrer Verletzungen in den Dienst der Mannschaft.
Man muss aber auch sagen, dass Wetzlar uns heute einen tollen Fight
geliefert hat.
Mit Blick auf unser erstes Champions-League-Spiel kann man nur sagen,
dass uns eine schwere Partie ins Haus steht. Plock hat Montpellier
aus dem Wettbewerb geworfen, das sagt schon viel. Und wer Kopenhagen
gegen uns in der Vorbereitung gesehen hat, weiß, dass wir in unserem
Heimspiel am 29. September unsere Fans brauchen werden!
Wir arbeiten jeden Tag am Spielsystem, dann müssen wir es
aber auch ordentlich spielen. Manchmal fehlt uns die Explosivität,
vielleicht sind wir psychisch auch etwas müde. Darüber wird zu
sprechen sein. Wir werden das analysieren, unsere Schlüsse ziehen
und dann das Spiel abhaken.
Es war das Gleiche wie gegen Gummersbach. Wir kommen in der
ersten Halbzeit nicht ins Spiel, bewegen uns nicht gut. In der
zweiten Halbzeit war dann alles viel besser. Meine Leistung war
sicherlich okay, aber keinesfalls überragend.
HSG-Rückraumspieler Steffen Fäth gegenüber den KN:
Das fühlt sich richtig scheiße an. Schon das letzte Spiel haben
wir in der letzten Minute verloren und jetzt wieder. Aber wir
haben ein gutes Spiel gegen Kiel geliefert. Darauf können wir
aufbauen.
HSG-Rückraumspieler Kent Robin Tönnesen gegenüber den KN:
In der ersten Halbzeit standen wir gut in der Abwehr und
hatten einen starken Torhüter. In der zweiten Hälfte haben
wir nicht mehr diesen Zugriff bekommen. Der THW ist eben
eine gute Mannschaft. Aber wir waren dicht dran an einem Punkt.
Kapitän des Handballmeisters traf acht Sekunden vor dem Abpfiff zum Sieg gegen Wetzlar - Rot für Ivano Balic
Kiel. Sie wollten ein Drama wie gegen den VfL Gummersbach
vermeiden, ein Heimspiel, das der THW Kiel am vorvergangenen
Mittwoch nur mit 31:30 gewonnen hatte.
Ein Vorhaben, das gründlich misslang. Gegen die HSG Wetzlar
erlöste ein Tor von Filip Jicha acht
Sekunden vor dem Schluss den Handballmeister, der 26:25 (11:14)
gewann und die Punkte elf und zwölf verbuchte.
In der ersten Halbzeit erreichten im Angriff nur zwei Kieler
Normalform: Marko Vujin, der fünf der
elf Treffer erzielte. Und Hein Daddel.
Das tapsig wirkende Maskottchen hielt mit seinen riesigen Latschen
einen Fußball geschickt hoch, umspielte HSG-Linkshänder Evars
Klesniks und schoss das Leder in die Maschen. Schade für die
Gastgeber, dass der Treffer nicht zählte. Klar,
Hein Daddel gehört nicht zum Kader
von Alfred Gislason. Außerdem traf er
in einer Auszeit, in einer Zeit also, in der keine Tore erzielt
werden dürfen.
Manch ein Zebras hätte sich gewünscht, in diesem Moment im Kostüm
ein Späßchen machen zu dürfen, zu ungehalten wirkte ihr Trainer
in dieser 23. Minute. Die Gäste, die auf sechs Stammspieler
verzichten mussten, führten verdient mit 11:8. Warum? Weil sie mit
Baldrian-Handball die Kieler eingeschläfert hatten. Zu passiv,
ohne Aggressivität - die Kieler standen Spalier für eine HSG, die
anfangs nahezu fehlerlos agierte, geduldig auf den richtigen
Moment wartete und den dann gekonnt nutzte.
In dieser 23. Minute
hatte Gislason bereits
Andreas Palicka, dem nichts gelingen
wollte, gegen Johan Sjöstrand getauscht.
"Willi" Jallouz war gekommen, lange
bleiben sollte er nicht. Der Tunesier könnte mit seiner Sprungkraft
auch ohne Stab einen Raphael Holzdeppe besiegen, doch in luftiger
Höhe angekommen, verlor er stets seinen Auftrag aus den Augen - den
Torwurf. Erschwerend kam hinzu, dass Andreas Wolff im Tor der Gäste
einen Sahnetag erwischte.
"Ich hoffe, wir werden nicht abgeschlachtet", sagte
Tobias Reichmann vor dem Anpfiff. Der
Rechtsaußen, einst ein Kieler, hatte sich das Kreuzband überdehnt,
saß als Zuschauer auf der Bank. Er sah eine HSG, die verdient mit
14:11 in die Halbzeit ging. Nicht ohne ein Ausrufezeichen ihres
Besten: Wolff hielt noch einen Siebenmeter von Vujin.
Spätestens in der Pause war in der mit 10.285 Zuschauern ausverkauften
Arena auch der Gummersbach-Geist präsent.
Gislason krempelte sein Team um, nahm
die blass gebliebenen Außen Niclas Ekberg
und Dominik Klein raus, schickte den in
der Abwehrarbeit stärkeren Doppelpack
"Goggi" Sigurdsson/Christian Sprenger
aufs Feld. Den Taktstock gab er Aron Palmarsson,
den er schonen wollte. Doch die Not war groß. Anderes Personal,
eine neue Einstellung - bereits nach acht Minuten hatten die
Kieler zum 15:15 ausgeglichen. Mit Palmarsson
gab es endlich eine schwarz-weiße Reihe, die harmonierte. Und es
gab Platz für Filip Jicha, der im linken
Rückraum nun Tor um Tor erzielte. Sein sechstes erzielte er gegen
"Oldie" Jose Hombrados. Der Spanier war passend zu seinem Alter eingewechselt
worden - in der 41. Minute. Wolff, der hessische Fels, war porös geworden.
Dagegen knüpfte Sjöstrand nahtlos an die
Form an, die er am Sonnabend an den Tag gelegt hatte, als der Meister in
Eisenach 29:23 siegte. Diesmal hielt der Schwede
zwölf Bälle, ein Fundament, das seine Kollegen nutzten, um sich ein kleines
Polster zu schaffen. Jallouz kam nicht wieder,
Gislason war die Lust auf das Neue vergangen,
die Bewährten sollten den 22. Sieg in Folge gegen Wetzlar perfekt machen.
Mit Jicha als Spitze verschwand auch die
Lethargie, die Kieler waren immun geworden gegen den Schlafwagen-Handball
der HSG, die sich aber bis zum Ende teuer verkaufte.
Als Rene Toft Hansen einen Abpraller
gedankenschnell zum 25:22 (57.) versenkte, schienen die Punkte verteilt.
Dann trafen Kent Robin Tönnesen, Christian Rompf und der bärenstarke
Tobias Hahn für die eigentlich Besiegten. 25:25, noch 19 Sekunden zu
spielen, Ivano Balic hatte Rot gesehen, weil er einen schnellen Anwurf
verhinderte - Zeit genug aber, um Jicha in
Position zu bringen, und der Kapitän hämmerte den Ball mit 110
Stundenkilometern ins Netz, acht Sekunden vor dem Abpfiff. Den
Verzweiflungswurf von Rompf jenseits der Mittellinie parierte
Sjöstrand - der Rest war schwarz-weißer
Jubel. Auch der erinnerte an Gummersbach.
(von Wolf Paarmann, Ralf Abratis und Moritz Rönnau, aus den Kieler Nachrichten vom 19.09.2013)